Im pathetischen Italien spielte sich ein Wahnsinns-Wochenende ab, an dem sogar Antonio Conte trotz Beleidigungen gegen seine Mutter am Ende schunkeln wollte. In England übernehmen Praktikanten nun die Sportdirektoren-Posten und in La Liga gilt: "Don't mess with the Ebert!". Dies und mehr von unseren Korrespondenten in Europa.
Serie A
Von Oliver Birkner
Delirium des Spieltags: Am späten Sonntagnachmittag hätte man meinen können, in Florenz wären soeben alle Steuern restlos abgeschafft worden. Ein Dschungel aus trötenden Motorrollern, hupenden Autos, tanzenden Menschen und wehenden Fahnen zierten die Straßen. Für viele Fiorentini bedeutete das historische Ereignis beinahe mehr als ein Steuererlass. Die (höflich ausgedrückt) Antipathie gegen Juventus steht im Gesetzbuch von Florenz verankert, und die Turiner nach einem 0:2-Rückstand durch vier Treffer in 15 Minuten zu schlagen, daran wird man sich noch in 20 Jahren erinnern. Es war zeitgleich der erste Heimsieg über Juve seit dem 13. Dezember 1998. "Fußball ist etwas unbeschreiblich Schönes", jauchzte Coach Vincenzo Montella, der später in der Kabine zusammen mit dem Team in Champagner badete. 70 Minuten lang war er sicher anderer Meinung, als Juventus die Partie routiniert beherrschte, 2:0 führte und das 3:0 knapp verpasste.
Dann folgten ein 15-minütiger Blackout, ein Joaquin-Tor und drei Treffer von Giuseppe Rossi, der in seiner Karriere zum ersten Mal gegen den Rekordmeister spielte. Gehörte man nicht gerade zur Juve-Familie war Pepito Tor Nummer acht im achten Ligaspiel nach zwei Jahren Verletzungsproblemen ohne Fußball zu gönnen. Ein demütiger Klasse-Stürmer ohne Allüren, der übrigens zum elitären Kreis jener Profis gehört, der bei seinen Debüts in Spanien, England und Italien auf Anhieb netzte. Der verletzte Mario Gomez erlebte das Spektakel auf der Tribüne und gestand: "Ich habe noch immer Gänsehaut, ein Wahnsinn. Jetzt weiß ich, was Fiorentina gegen Juventus für diese Stadt bedeutet." Und für diejenigen Juventini, die es noch nicht wussten, zeigte ein ekstatischer Viola-Fan dem abfahrenden Turiner Mannschaftsbus ausgiebig sein blankes, haariges Hinterteil. Als hätten sie zuvor nicht schon genug gelitten.
Goldjunge des Spieltags: Was ein einstiger Heros noch immer auszulösen vermag, war am Freitagabend im römischen Stadio Olimpico zu beobachten. Knapp zehn Minuten waren zwischen der Roma und Napoli gespielt, da setzte Rumoren in der Arena und aufgeregtes Umherlaufen etlicher Personen auf der Haupttribüne ein: Diego Maradona hatte sich per Tochter und Lebensgefährtin Rocio Oliva leicht verspätet die Ehre gegeben. Prompt starteten die rund 10.000 Neapel-Tifosi lautstark den 80-er Hit: "Oh Mamma, weißt du warum mein Herz so pocht? Ich habe Maradona gesehen und, Mamma, ich habe mich verliebt!" Nach einigen Pfiffen rangen sich dann auch die Romanisti zu Applaus durch. Freilich wird man seine zwei Scudetti und den UEFA-Cup in Neapel auf ewig nicht vergessen. Ebenso wenig wie Maradonas damaliges Veto gegen den bereits für umgerechnet fünf Millionen Euro fixierten Wechsel zu Berlusconis Milan: "Das kann ich den Neapolitanern nicht antun." Während seines jüngsten Italien-Aufenthaltes zwinkerte der Pibe de oro: "Vor Zeiten wurde man als eine Nummer zehn geboren, heutzutage bekommt die ja irgendwie jeder." Übrigens dürften sich die Napoli-Fans demnächst ja häufiger beim Sehen ihres Messias wiederverlieben - schließlich fordert der Fiskus 39 Millionen Euro von ihm, weshalb Maradona erklärte: "Deshalb trag ich in Italien keine Ohrringe oder Uhren mehr, die man mir konfiszieren kann." Sehr weitsichtig.
Und sonst?: Die im Sommer voreilig und wenig durchdachte abgesegnete Direktive "Schließung der Kurve oder des Stadions bei territorialer Diskriminierung", die kürzlich marginal entschärft wurde, nimmt auf den Rängen immer groteskere Züge an. In Rom beleidigten die Romanisti die Neapolitaner, diese dann scherzhaft sich selbst. Die Inter-Anhänger machten gleich mal einen Medley-Rundumschlag gegen Fans aus Turin, Neapel, Genua und anhand "Mailand in Flammen" ihre eigene Stadt. Ähnliche Vorkommnisse zogen sich auch durch andere Stadien. Man darf gespannt sein, was das bisweilen überforderte Verbandsgericht entscheidet. Juve-Trainer Antonio Conte kommentierte am Sonntag: "Manche Gesänge und Frotzeleien gibt es im Stadion doch seit 30 Jahren - das wird aktuell viel zu hoch gehängt. Solange Gewalt ausbleibt, ist das Skandieren beim Fußball schon okay. Wie in Florenz habe ich übrigens noch nie ein Publikum mit so melodischer Gesangsstimme gehört - Respekt! Da musste ich innerlich sogar spontan mitsingen, obwohl der Sprechchor gegen meine Eltern ging." Die alte Problematik bleibt eben, dass in Kommissionen meist Personen lungern, die lange nicht mehr für eine Karte zahlen mussten, geschweige denn jemals in einer Kurve standen.
Serie A: Diegos Weitsicht und Contes Mum
Premier League: Pellegrini, der Lügner
Primera Division: "Don't mess with the Ebert!"
Premier League
Von Raphael Honigstein
Spiel des Spieltags: Chelsea gegen Cardiff City hatte alles, was man für einen echten Premier-League-Knüller braucht. Tolle Tore? Check. David-Luiz-Fehler? Check. Schiedsrichter-Kontroverse? Check. Mourinho-Eklat? Check.
Aber an der Stamford Bridge wurden nicht nur schöne Treffer wie das 2:1 von Samuel Eto'o und brasilianische Abwehrbolzen - David Luiz winkte vor dem 0:1 Jordan Mutch durch - sondern auch etwas für das Regelverständnis auf der Insel getan. Wer hatte gewusst, dass Eto'o laut den FA-Statuten Torhüter David Marshall den Ball beim Prallenlassen auf den Boden nicht wegspitzeln durfte? Der Schiedsrichter Anthony Taylor wusste es, sagte aber später aus, Marshall habe das Leder fallen lassen (Stimmt nicht). Nicht Cardiff-Trainer Malky Mackay, sondern Jose Mourinho wurde später auf die Tribüne geschickt. Der Portugiese hatte sich darüber aufgeregt, dass Taylor Branislav Ivanovic ermahnt hatte, einen Einwurf schneller auszuführen. "Cardiff hat das ganze Spiel über auf Zeit gespielt, aber Branislav hatte den Ball nur zwei Sekunden in der Hand", erklärte später Assistenztrainer Steve Holland. Mourinho alias "The Unhappy One", war aus Wut nicht zur Pressekonferenz erschienen.
Mann des Spieltags: Beim FC Arsenal hatten sich nach dem berauschend schönen 4:1 gegen Norwich City viele diese Auszeichnung verdient. Aber als Einzelner ragte am Wochenende ganz besonders Andros Townsend von den lieben Nachbarn von Tottenham heraus. Der Nationalspieler traf beim 4:1 gegen Montenegro, war der beste Mann beim 2:0 gegen Polen und krönte am Sonntag seine Woche mit einem Tor beim 2:0-Auswärtssieg der Spurs bei Abston Villa. Townsends Gegenspieler hieß übrigens, wie der Zufall es wollte, Antonio Luna, der Nachname heißt übersetzt Mond. Unter der Woche war Townsend, der eine oder andere wird es mitbekommen haben, in den sogenannten "Space-Monkey-Gate"-Skandal verwickelt. Nationaltrainer Roy Hodgson hatte in der Kabine den Uraltwitz vom Weltraumaffen und Astronauten ausgepackt. Pointe: der einzige Job des Astronauten ist es, den Affen zu füttern. Damit wollte Hodgson sagen, dass alle Bälle zu Townsend kommen sollten. Ein Freund oder Familienmitglied steckte die harmlose Anekdote der Sun, und fertig war der neuste Skandal. Townsend selbst twitterte übrigens, dass er Hodgsons Rede nicht als anstößig empfand.
Anything else? Pellegrini, Tottenham, Cardiff City: Manuel Pellegrini ist ein Lügner. Das kann man wirklich so sagen: der Man-City-Trainer erzählte seinen Spielern vor dem Match bei West Ham, dass Manchester United gegen Southampton 1:0 gewonnen hatte. (Endergebnis 1:1) Bei Villa gegen Spurs wurde außerdem ein Linienrichter von einer Rauchbombe getroffen, aber David Bryan war hart im Nehmen und lief weiter die Linie entlang. Die schönste Geschichte lieferte jedoch Cardiff-City-Eigentümer Vincent Tan. Der Milliardär aus Malaysia ersetzte in der Länderspielpause den renommierten Sportdirektor Ian Moody mit einem 23-jährigen namens Alischer Apsaljamow, der im Sommer als Praktikant die Wände im Cardiff-City-Stadium gestrichen hatte. Der Kasache ist ein enger Freund von Tans Sohn. Tan, 61, soll sich auch schon in Taktik und Aufstellung eingemischt haben.
Serie A: Diegos Weitsicht und Contes Mum
Premier League: Pellegrini, der Lügner
Primera Division: "Don't mess with the Ebert!"
Primera Division
Von Frank Oschwald
Spieler des Spieltags: Hätte man sich nach dem Spiel von Real lediglich das Ergebnis und die Torfolge angeschaut, wären die meisten wohl davon ausgegangen, dass die Königlichen sich zu Hause mal wieder zu einem schnöden und lustlosen 2:0 gerettet haben. Schnell das Tor nach der Pause gemacht, im Anschluss königlich lässig zurückgelehnt, bei aller Überheblichkeit fast den Ausgleich kassiert und schmierig kurz vor Schluss durch einen fragwürdigen Elfmeter den Sieg eingetütet. Weit gefehlt. Real Madrid zeigte vielleicht erstmals in dieser Saison guten und ansehnlichen Fußball. So richtig. Ohne One-Man-Show. Mit Chancen. Und Kombinationen. Und so.
Dass Gegner Malaga die Gegentore an einer Hand abzählen konnte, lag vor allem an einer Person: Keeper Caballero, genannt Willy. 13 Mal parierte der Argentinier Schüsse, die stets die Kragenweite ordentlich bis unhaltbar hatten. Das hatte einerseits zur Folge, dass Real-Mittelfeldspieler und Landsmann Angel di Maria ihn nach dem Spiel sofort in die Nationalmannschaft reden wollte. Andererseits aber auch, dass der Keeper von der spanischen Presse mit Lob zugeschüttet wurde. Der knuffige Name Willy, der auch auf dem Trikot prangt, werde der Leistung und dem Talent des Torhüters überhaupt nicht gerecht, schrieb die "AS". Man solle in ihn in Zukunft vielmehr bei seinem richtigen Vornamen rufen: Wilfredo. Und zudem habe er ein "Don" vor dem Namen verdient. Malaga-Keeper Don Wilfredo... kann man machen. Muss man aber nicht.
Team des Spieltags: Ein wirklich einfaches Fan-Dasein hat man als Anhänger des FC Getafe generell nun wirklich nicht. In der Liga pendelt der Klub aus dem Vorort Madrids in den letzten Jahren mit traumwandlerischer Sicherheit im Mittelfeld der Liga, hatte meistens wenig mit dem Abstieg zu tun, die internationale Bühne verfolgte man zuletzt jedoch auch eher vom Wohnzimmer aus. Zudem herrscht im Estadio Coliseum Alfonso Perez selbst für spanische Verhältnisse meist beängstigende Stille, der schlechteste Zuschauerschnitt der Liga spricht für sich. Kurzum: Für den Blinddarmklub Madrids, den in der Hauptstadt eigentlich niemand so richtig braucht, wäre es schon von Vorteil, überhaupt einmal im Schatten von Real und Atletico zu stehen, statt völlig außen vor zu sein.
Doch langsam, aber sicher schaut hinter den beiden Übermächten ein scheues Reh hervor. Denn in den letzten sechs Spielen gab's für Getafe satte fünf Siege. Während man am dritten Spieltag noch auf dem vorletzten Platz schlummerte, festigte Getafe durch den 2:0-Auswärtssieg bei Granada gar Rang fünf. "Das ist eine gewaltige Serie, die so in dieser Liga enorm schwer zu erreichen ist", erklärte Getafe-Coach Luis Garcia. Hut ab, Platz fünf, trotz des Verkaufs von wichtigen Stammspielern wie Barrada und Torres, würde der Spanier sagen. Hut ab, Platz fünf, trotz der Verpflichtung von Ciprian Marica, würden die gehässigen Fans aus Gelsenkirchen und Stuttgart sagen.
Spiel des Spieltags: Nach schwachem Ligastart hatte sich der FC Sevilla mit sieben Punkten aus den drei Spielen zuletzt recht ordentlich präsentiert. Der potenzielle Viertplatzierte der Liga schien wieder auf Kurs gekommen zu sein. Wäre, ja, wäre da nicht die chronische Auswärtsschwäche der Andalusier. Während es in der letzten Saison in der Fremde nur einen einzigen Dreier gab, wartet man auch aktuell noch auf den ersten Auswärtssieg.
Doch in Valladolid lief's von Beginn an dufte: 2. Minute, Bacca, 1:0 für Sevilla. 31. Minute, Moreno, 2:0 für Sevilla. Da es bei diesem Zwischenstand auch noch bis zehn Minuten vor Schluss blieb, würden wohl auch die größten Kritiker von einem komfortablen Polster sprechen. Jetzt noch zehn Minuten die Pille halten und bei Gefahr aus dem Stadion kloppen. Aber! Don't mess with the Ebert! Nachdem Manucho in der 81. Minute bereits den Anschluss herstellte, versenkte der Deutsche drei Minuten später einen direkten und blitzsauberen Freistoß. Die 2:0-Führung? In drei Minuten pulverisiert. Ebert? Der gefeierte Held. Sevilla? Auswärts mal wieder versagt - in Perfektion.
Serie A: Diegos Weitsicht und Contes Mum