Während die Fans das Mailänder-Derby trotz sportlicher Nichtigkeit zu einem besonderen Ereignis machen, wird die Jugendarbeit in Italien weiterhin unterbunden. In Spanien jagt einer den Pleiten-Pech-und-Pannen-Rekord von Martin Skrtel und die Premier League feiert den heiligen Esteban.
Serie A
Oliver Birkner
Weit, weit entfernte Galaxie des Spieltags: 108,5 Meter über Milano schluchzte die Madonnina auf ihrem Thron des Doms bitterlich. Einst verlieh sie dem Stadtvergleich stolz ihren Namen und würde diesen Großmut gerne wieder annullieren. Pikiert schrieben die Gazetten vom "Derbino della Madonnina", dem kleinen Derby. So weit ist es also schon gekommen. Interisti und Milanisti nahmen den 162. Ligavergleich seit Einführung der eingleisigen Serie A 1929 notgedrungen mit Humor. Laut Anhänger stieg definitiv ein besonderes Ereignis, denn die Begegnung war das letzte Stadttreffen in San Siro ohne direkte U-Bahn-Verbindung. Ab nächster Saison stoppt die neue Linie nämlich direkt vor den Türen des Giuseppe Meazza. Immerhin. Inter und Milan machten der sportlichen Misere am Sonntagabend alle Ehre. Beim anonymen 0:0 sorgte ein zu Unrecht verweigerter Handelfmeter für Inter für die aufregendste Szene. Einst nannte man das San Siro das Wohnzimmer der Champions League, aktuell ist der Europapokal für beide Klubs so entrückt wie eine weit, weit entfernte, geheimnisvolle Galaxie und die internationalen Wettbewerbe drohen in der kommenden Saison zum ersten Mal nach 60 Jahren ohne Mailänder Beteiligung stattzufinden. Sky Italia entdeckte wie üblich trotzdem ein kolossales Highlight. Als die Kameras durch die Kabinen huschten, wisperte ein Kommentator aufgeregt: "Und hier sehen wir die Schienbeinschoner von Vidic. Sie haben das Logo von Manchester United! Weiter zu meinem Kollegen in die Milan Kabine." Der setzte noch einen drauf. "Das sind die Schienbeinschoner von Menez - mit dem Symbol des Mailänder Doms!" Gänsehaut-Emotionen, die nur das Mailänder Derby liefern kann.
Sägen des Spieltags Den Begriff Ultras zu verallgemeinern und über sie unreflektiert zu richten, ist eine allzu vereinfachte Prozedur. Dennoch existiert unter den italienischen Ultras eine Strömung, die im Stadion nichts verloren hat. Das unterstrich die vergangene Woche. In Cagliari drangen 30 Delinquenten in die Kabine, forderten "Spuckt Blut, ihr Söldner, ansonsten geht's euch an den Kragen" und verteilten zum Nachdruck schallende Ohrfeigen an einige Profis. Trainer und Spieler des Drittligisten Ischia erstatteten wegen massiver Drohungen gegen sich und ihre Familien Anzeige gegen eine Ultra-Gruppe. In Mailand hoben Polizisten den Keller eines Mannes aus, der nicht bloß 30 Jahre Knast auf dem Buckel hat, sondern auch ein Maschinengewehr, eine abgesägte Schrotflinte, sieben Pistolen, drei Revolver und eine kugelsichere Weste. Er sei ein bekanntes Mitglied einer der Milan-Gruppen und brauche das alles für die Spieltags-Wochenenden, lautete dessen Verteidigung. Dieses entwaffnende Argument kann ja nur zum Freispruch führen. Noch surrealer wurde es im lombardischen Varese, wo Ultras über Nacht ins Stadion eindrangen, Torpfosten und Trainerbänke zersägten, den Rasen vollends ramponierten und die Nachricht hinterließen: "Das war erst der Anfang vom Krieg, wenn die Klubführung nicht endlich abhaut!" Das angesetzte Spiel musste verschoben werden. Man bekommt eine leise Ahnung, warum Roma-Präsident James Pallotta gewaltbereite Ultras kürzlich "fucking idiots" nannte. Idioten, die für Sperrungen der Fankurven im Calcio sorgen, und jene Mehrheit in Verruf bringen, der tatsächlich etwas am Fußball und ihrem Verein liegt.
Und sonst? Um die Zukunft italienischer Talente muss man sich sorgen. Zumindest wenn die Politik des toskanischen Städtchens Seravezza Schule machen sollte. Dort erließ der Bürgermeister eine Anordnung, die das Kicken auf der zentralen Piazza verbietet. Das gilt für jeden ab elf Jahren, Zuwiderhandlung wird mit Konfiszierung des Spielgerätes plus 50 Euro Bußgeld bestraft. Es wäre eine Überlegung wert, diesen Beschluss zumindest bis Saisonende auf das Stadion San Siro auszuweiten.
Serie A: Gänsehaut-Emotionen beim Mailand-Derby und fehlgeleitete Ultras
Primera Division: Kroos' Seitenhieb Richtung Gott und der Eigentor-Rekord-Jäger
Premier League: Der Cambiasso-Feiertag, optische Täuschungen und die Moralkeule
Primera Division
Frank Oschwald
Partycrasher des Spieltags: Toni Kroos haben sie in Spanien schon wirklich ins Herz geschlossen. Er spielt zwar ähnlich unspektakulär wie dieser andere Bald-Schalker, doch irgendwie agiert er eher effektiv und ist nicht so ein Holzer. Und auch generell scheint man das Gefühl zu bekommen, dass die spanischen Medien inzwischen entdeckt haben, dass unser Toni eigentlich ein ganz ein lieber und lustiger Zeitgenosse ist. Unter der Woche gab der Deutsche der Zeitung AS beispielsweise ein langes Interview und sprach darin über Gott und die Welt. Also tatsächlich über Gott. Also Ronaldo. Eh klar. Jedenfalls sprach man Kroos darauf an, warum er denn nicht auf die Fete zum 30. Geburtstag des Portugiesen gegangen sei. Der Weltmeister antwortete seriös und ernsthaft. Nach der 0:4-Klatsche im Derby gegen Atletico sei er nicht in der Laune gewesen. Einen kleinen Seitenhieb in Richtung Ronaldo konnte sich dann auch Kroos nicht verkneifen. Er habe CR7 bereits im Voraus darauf hingewiesen, dass an dem Tag auch das Spiel gegen Atletico sei. In Zukunft wäre es gut, wenn Ronaldo seine Feten ein bisschen besser timen könnte, kicherte Kroos.
Doppelpacker des Spieltags: Wir wissen nicht ganz genau, wie oft Andreas Brehme mit dem wohl am inflationärst benutzten Zitat der Welt schon wiedergegeben wurde. Doch genau an dieser Stelle fühlen wir uns berechtigt, das Ding noch mal zu bringen: "Haste Scheiße am Fuß, haste Scheiße am Fuß". Er hat ja so Recht. Das sagten auch: Werner Schulze-Erdel und Diego Mainz. Zweiter kann nämlich ein Liedchen davon zwitschern. Sofern das in diesem Falle möglich ist. Denn der Granada-Verteidiger ist in dieser Saison auf dem besten Weg, einen Pleiten-Pech-und-Pannen-Rekord von Martin Skrtel zu brechen. Im Spiel gegen Sevilla erzielte der Innenverteidiger bereits das dritte Eigentor in dieser Saison. Das schaffte in der La-Liga-Geschichte vor ihm noch keiner. Und auch zum Skrtel-Rekord fehlt ihm nur noch eine Hütte. Gegen Sevilla machte das mit dem Eigentor ja aber eigentlich gar nichts. Schließlich endete das Spiel 1:1. Tore: 1:0 Mainz (16.), 1:1 Mainz (70.). Dieser verdammte Doppelpacker...
Algo mas? Genug um den heißen Brei gequatscht, jetzt müssen hier nochmal harte Fakten auf den Tisch gefeuert werden. Rotstift raus und im Kalender folgende Daten dick umkreisen: 1. Mai 2005, 17. Januar 2010, 2. November 2011, 17. Februar 2013, 18. April 2015. Denn an den oben genannten Daten wurde Fußball-Geschichte geschrieben, die jeder von uns dem Ur-Enkel noch eintrichtern sollte. Besser gesagt: Lionel Messi erreichte an diesen Tagen Meilensteine. Vom ersten Tor im Jahr 2005 bis zum 400. Tor in La Liga am vergangenen Wochenende. Wir ziehen alle verfügbaren Hüte und versuchen uns das 400. Tor ins Gedächtnis zu brennen, sodass wir es dem Enkel originalgetreu nacherzählen können. Dass es Messi beim Torjubel zu seinem Jubiläumstor auf die Nase gelegt hat, können wir dabei ja dezent verschweigen.
Serie A: Gänsehaut-Emotionen beim Mailand-Derby und fehlgeleitete Ultras
Primera Division: Kroos' Seitenhieb Richtung Gott und der Eigentor-Rekord-Jäger
Premier League: Der Cambiasso-Feiertag, optische Täuschungen und die Moralkeule
PREMIER LEAGUE
Frank Oschwald
Heiliger des Spieltags: Es soll den einen oder anderen Engländer geben, der nicht wirklich gern zur Arbeit geht und viel lieber zu Hause auf der Couch sitzt und Fußball schaut. Da jedoch jede kleine Muskelverspannung im unteren Lumbalbereich nach einem interessanten Fußballspiel ins Fantasiereich geschickt wird, wird man auf der Insel jetzt schon einfallsreicher. Ein Fan von Leicester City hat in der letzten Woche bei der Personalabteilung seiner Firma eine offizielle Anfrage auf einen freien Tag eingereicht. Er sei Argentinier und habe einen religiösen Tag zu feiern. Dabei handle es sich um den Tag des "Cambiasso". Die HR-Abteilung antwortete verständnisvoll. Also so wirklich viele Infos habe man über den Feiertag "Cambiasso" jetzt noch nicht gefunden. Ob er denn einen Link schicken könne. Schließlich sei es interessant zu wissen, wie "Cambiasso" denn gefeiert werde. Ob der gute Mann schließlich faul seine Beine hochlegen konnte, ist bislang noch ungeklärt. Doch die Personalabteilung war im abschließenden Statement äußerst zuvorkommend: "Ich bin mir sicher, dass wir da etwas machen können." Gepriesen seist du, großer Esteban.
Fieses Ding des Spieltags: Das ist aber auch immer fies und jeder Fußball-Fan kennt diese Situation eigentlich nur zu gut. Diese fiesen Bälle, die entweder hinten diesen scheinbar nutzlosen Hintertor-Pfosten treffen, das ganze Netz erzappeln lassen und im schlimmsten Fall hinter dem Tor noch im Netz landen. Jedem noch so abgezockten Fan fährt's da gelegentlich bis in den kleinen Zeh und sorgt so für den ein oder anderen peinlichen Moment in der Kurve. Während manch ein Adlerauge den Ball direkt im Aus gesehen hat, schreit der Nebenmann die halbe Tribüne kaputt. David de Gea erging es im Topspiel gegen Chelsea so. Beim Schuss von Wayne Rooney, der sich hinter dem Tor von links nach rechts am Netz entlang zwirbelte, drehte der Keeper schnell ab und riss beide Arme hoch. Ein kräftiges "VAMOS" folgte. Als er knapp drei Sekunden später merkte, dass auf der Tribüne weder Chelsea-Fans in Trauer versanken noch United-Fans sich Bier über die Köppe leerten, machte de Gea eine erneut 180-Grad-Drehung und musste feststellen, dass es sich um einen dieser fiesen Hypochonder-Bälle handelte. Auch wenn man ihm zugutehalten muss, dass er naturgemäß weit vom Schuss entfernt war, hörte man auf der Tribüne dennoch zahlreiche leise Lacher nach dem Jubel.
Anything else? Abschließend holen wir noch die Moralkeule heraus und schwingen ein wenig in der Gegend herum. Denn die Firma "Kick it out" hat es sich zur Aufgabe gemacht, sämtliche bösen Social-Media-Einträge auf sämtlichen Plattformen zu scannen. Kurz vor Saisonende gab das Unternehmen die erschreckenden Ergebnisse heraus: Alleine in dieser Saison wurden 130.000 beleidigende Posts in England abgesetzt. Dankenswerterweise splittete die Firma die einzelnen Posts auch gleich auf die Vereine. So wurde der Leser informiert, dass der FC Chelsea mit 20.000 beleidigenden Posts am meisten Häme im Internet abbekam - dicht gefolgt von Liverpool (19.000). Von einem eindeutigen Ergebnis bei den Spielern zu sprechen, wäre noch eine himmelweite Untertreibung. Dort thront, oh Wunder, oh Wunder, Mario Balotelli auf Rang eins. Er siegte mit 8.000 Hass-Predigten vor dem Zweitplatzierten Danny Welbeck (1700 Posts). Glückwunsch.
Serie A: Gänsehaut-Emotionen beim Mailand-Derby und fehlgeleitete Ultras
Primera Division: Kroos' Seitenhieb Richtung Gott und der Eigentor-Rekord-Jäger
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