Borussia Dortmund ist mit schwankenden Auftritten in die Rückrunde gestartet. Vor dem Hinspiel im Champions-League-Achtelfinale gegen Benfica (20.45 Uhr im LIVETICKER) drehen sich die Schlagzeilen um Einzelschicksale, die Sperrung der Südtribüne oder das "gnadenlose Durchfallen" im Mentalitätstest. Hinter der Leistungsfähigkeit der jungen Mannschaft steht ein dickes Fragezeichen. Doch eines gibt dem BVB Hoffnung: das zweite Gesicht in magischen Europanächten.
Santiago Bernabeu, 80.000 Zuschauer, Mittwochabend, Flutlicht. Es ist wieder einmal eine magische Europapokal-Nacht in Schwarz-Gelb. Tanzende Dortmunder. Ein feiernder Auswärtsblock. Lachende Gesichter.
Durch einen Kraftakt in den letzten 30 Minuten hat Borussia Dortmund dem großen Real Madrid nach 0:2-Rückstand noch ein 2:2-Remis abgerungen. Und die Vorrunde damit als Gruppensieger beendet. Vor dem Titelverteidiger. Ungeschlagen. Der BVB gehört Anfang Dezember zu den heißesten Teams in Europa.
Kontrastprogramm Jonathan-Heimes-Stadion am Böllenfalltor, 17.400 Zuschauer, Samstagnachmittag. Es ist wieder einmal eines dieser verflixten Bundesliga-Auswärtsspiele für Schwarz-Gelb. Enttäuschte Dortmunder. Hängende Köpfe. Ratlosigkeit, niemand weiß so richtig, was das gerade eigentlich war. Grimmige Gesichter.
gettyNach einem der schwächsten Auftritte seit dem Amtsantritt von Thomas Tuchel hat der BVB "verdient" (Tuchel) mit 1:2 beim SV Darmstadt 98 verloren. Beim Tabellenschlusslicht, das zuvor elf Spiele in Folge nicht gewann. Und dabei ist Dortmund Mitte Februar mit der knappen Niederlage noch gut bedient.Gnadenlos durchgefallen
"Wir sind hier gnadenlos durchgefallen", sagte ein enttäuschter Tuchel nach dem Spiel. Durchgefallen sei sein Team durch den Mentalitätstest. Genau ein solcher sei die Partie in Darmstadt gewesen nach den überzeugenden Auftritten im Topspiel gegen RB Leipzig und im Pokalachtelfinale gegen Hertha BSC.
"Wir sind einfach nicht in der Lage, an unser Leistungsoptimum zu gehen, wenn man es von uns erwartet." In der Vorsaison hatte der BVB unter Tuchel auf beeindruckende Weise gelernt, als Favorit dominant und erfolgreich zu spielen. Im Übergangsjahr zwei mit der noch einmal verjüngten Truppe gehört diese Qualität bislang nicht zum Portfolio. Topleistungen gab es nur in den großen Spielen, in denen nicht unbedingt jeder zwangsläufig mit einem Sieg rechnet. Statt Tempofußball, gut herausgespielten Chancen und Spielwitz gab es gegen die kleinen Gegner zuletzt Magerkost, vor allem auswärts.
Nach dem nächsten Rückschlag im Ligaalltag prangerte der Trainer die interne Zielsetzung an: "Wir sind nicht nur das, was wir gegen Leipzig oder Bayern zeigen, sondern auch das, was wir gegen Darmstadt zeigen. Es wäre hilfreich, wenn das mal durchsickern würde. Ich dachte, das ist intern schon angekommen."
Durch die Blume kritisierte der Coach die hohen Erwartungen - völlig unabhängig von den zweifelsohne gegebenen Möglichkeiten des BVB-Kaders.
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Verzerrte Bewertung des Ist-Zustandes
Möglichkeiten. Dieses Stichwort ist in diesen Tagen ein ungern gesehener Gast bei der Borussia. Denn es verwischt, so Tuchels Sicht der Dinge, den Blick auf den Ist-Zustand.
Bei kaum einem Team in der Bundesliga liegt das Leistungsniveau zwischen den Sternstunden und den Tiefpunkten so weit auseinander wie beim BVB. Die Suche nach der wahren Identität der Borussen ist seit dem Wochenende ein Leitmotiv.
Vor dem Start in die K.o.-Phase der Königsklasse muss der BVB auch mit Themen abseits des Platzes umgehen. So verkündete der Verein am Montagmittag, das Urteil des DFB über die Sperrung der Südtribüne für das nächste Heimspiel gegen den VfL Wolfsburg zu akzeptieren. Heißt im Klartext: Am kommenden Wochenende sind die Schwarz-Gelben beim Duell gegen die Wölfe ihres großen Heimvorteils beraubt. Angesichts der jüngsten Entwicklung der Formkurve in der Liga keine rosigen Vorzeichen.
Das Nervthema Götze
Auch das Thema Mario Götze schwelt über Dortmund. "Wegen anhaltender muskulärer Probleme" verzichtete Tuchel auch im Spiel gegen Benfica auf eine Berufung des Nationalspielers in seinen Kader. "Für ihn käme ein Einsatz in Lissabon noch zu früh", sagte Sportdirektor Michael Zorc vor dem Abflug über die Nichtnominierung der Nummer 10. "Er hat nur einmal mit der Mannschaft in einer Einheit trainiert, in der die Intensität höchstens bei 50 Prozent lag. Das reicht leider einfach nicht. Wir hätten ihn sehr gerne dabei gehabt", führte Tuchel am Montagabend auf der Abschluss-PK aus.
Die Interpretation des Umgangs mit der Personalie einmal dahingestellt, ist klar: Sie ist ein Nervthema. Für den Trainer, für die Verantwortlichen, für die Fans, für die Medien, für die Mannschaft, für den Spieler selbst. Ein Nervthema mit der inhärenten Gefahr, von der Wichtigkeit der sportlich saisonentscheidenden Phase abzulenken.
In diesen Tagen sehnt sich der BVB geradezu nach der nächsten Aufgabe im Lieblingswettbewerb: "Es ist viel Unruhe im Verein in vielen verschiedenen Themen. Im Auge des Sturms ist es jedoch meistens am ruhigsten. Es ist unsere und meine Aufgabe, die Dinge bestmöglich zu beeinflussen", sagte Tuchel.
Laut Kapitän Marcel Schmelzer geht der Blick nach dem Darmstadt-Debakel "nur nach vorne": "Wir wollen auswärts ein gutes Ergebnis erzielen, aber dafür müssen wir viel, viel besser spielen als am Wochenende."
Ballspektakel in der Champions League
Besagtes "viel, viel besser" brachten die Dortmunder im Herbst in Europas Prestigewettbewerb auf die Platte. Wenn an Dienstag- oder Mittwochabenden um 20.45 Uhr die Champions-League-Hymne durch die Stadien hallte, stand der BVB plötzlich wieder für Ballspektakel.
Zum vierten Mal nacheinander beendeten die Schwarz-Gelben ihre Gruppe bei Königsklassen-Teilnahmen als Sieger. Und das auf beeindruckende Weise: Mit 21 geschossenen Toren stellte die Tuchelelf einen neuen Rekord auf. Außer beim 1:0-Heimsieg gegen Sporting schoss der BVB immer zwei oder mehr Tore (gegen Legia Warschau sogar sechs und acht) - mit den Höhepunkten der beiden späten 2:2-Unentschieden gegen Real Madrid. Lange Partynächte der Fans inklusive.
Zumindest Träumer erinnerte die Gruppenphase an die Sahnesaison 2012/2013, die im Finale in Wembley gipfelte. Auch damals spielten die Westfalen eine Vorrunde mit 14 Punkten. Auch damals als Gruppensieger vor Real Madrid. Auch damals feierte der internationale Blätterwald die spektakulären Abende mit Dortmunder Beteiligung.
Tuchel auf CL-Rekordkurs
Bislang zeigte der BVB in den Highlight-Spielen seine besten Saisonleistungen. BVB-Legende Theo Redder, beim Dortmunder 5:0-Sieg gegen Benfica 1963 auf dem Rasen stand, sagte im Interview mit SPOX: "International haben wir bis jetzt hervorragend gespielt. Vielleicht klappt das am Dienstag auch und man kann sich so das nötige Selbstvertrauen für die restlichen Spiele holen."
Die Champions League also als Wohlfuhloase, um Selbstvertrauen für die Bundesliga zu tanken? Was nach verkehrter Welt klingt, könnte im Fall Borussia Dortmund Realität werden.
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Den Schalter nach der schwachen Leistung in Darmstadt umzulegen und wieder in den Champions-League-Modus überzutreten, ist allerdings eine maximal schwierige Aufgabe. Zu inkonstant waren die Auftritte im Jahr 2017 bislang. Die Körperspannung, das teamtaktische Auftreten, die individuellen Performances - in allen Bereichen hat der BVB nach dem vergangenen Samstag Luft nach oben.
Mit welchem Gesicht des BVB Benfica rechnen muss? Tuchel jedenfalls äußerte am Montag eine Wunschvorstellung: "Hoffentlich mit der Borussia aus den Spielen gegen Leipzig und Berlin. Wir müssen schnell kombinieren und sauber passen. Wir müssen mit Kompaktheit und Leidenschaft auftreten. Ich hoffe, dass Benfica mit dem besten BVB klar kommen muss, den es derzeit gibt."
In Zeiten der sportlichen Berg- und Talfahrt kommt dem BVB die anstehende Partie gegen Benfica recht. Als Aufputschmittel. Dienstagabend, Flutlicht, die Champions-League-Hymne. Ein feiernder Auswärtsblock...
Das Champions-League-Achtelfinale in der Übersicht