Seit 2007 arbeitet Andreas Beck als Athletiktrainer im Profifußball. Nach seinem Start beim 1. FC Nürnberg zog es den 45-Jährigen zu Borussia Dortmund, im Sommer wechselte er nach acht Jahren beim BVB zu Eintracht Frankfurt.
Im Interview mit SPOX und Goal spricht Beck über seinen Einstieg beim Club, ein Gespräch bei Jürgen Klopp zu Hause und seinen Nachbarn, der ihm eine Schalke-Fahne ans Gerüst seines Hauses hängte.
Zudem erklärt Beck, wie die Zusammenarbeit mit Klopp und Thomas Tuchel aussah, wie er den Anschlag auf den BVB-Mannschaftsbus erlebte und weshalb es ihn von Dortmund zur SGE zog.
Herr Beck, Sie sind in Frankfurt geboren und haben dort ein Magisterstudium in Sportwissenschaft mit dem Nebenfach Sportmedizin und Pädagogik abgeschlossen. Anschließend wollten Sie eine wissenschaftliche Karriere einschlagen, Ihre Promotion war bereits in Planung. Im Jahr 2007 gab es aber plötzlich, Sie waren 31 Jahre alt, einen Anruf vom 1. FC Nürnberg...
Andreas Beck: Am anderen Ende war Dr. Andreas Schlumberger, der in der Abteilung Trainingswissenschaften promoviert hat und zum Club ging. Andreas war damals regelmäßig zwei, drei Tage beim FCN und hatte den Auftrag, jemanden zur Unterstützung im Athletik- und Rehabereich zu suchen. Ich wurde dann unmittelbar vor meiner mündlichen Prüfung in Trainingswissenschaften von meinem Mentor Prof. Dr. Klaus Wirth gefragt, ob ich mir so etwas vorstellen könne. Das kam sehr überraschend, da ich mit ihm eigentlich schon meine weitere Zukunftsplanung in die Wege geleitet hatte.
Zusammen mit zwei Kollegen haben Sie schon während des Studiums eine Agentur für Personal Training und Leistungsdiagnostik gegründet. Half dies, um für einen Job im Profifußball in Frage zu kommen?
Beck: Definitiv. Ich habe mich früh sehr intensiv mit diesen Themen auseinandergesetzt und im Kraft- und Athletikbereich beispielsweise mit Jugendtennisspielern gearbeitet. Später kamen noch die ersten Herren des SC Frankfurt 1880 hinzu, die in der 2. Hockey-Bundesliga gespielt haben. Ich deckte also Team- und Individualsport ab, nebenbei arbeitete ich noch in der medizinischen Trainingstherapie einer Physiotherapeutenpraxis mit. So kam vieles zusammen, was mich für das Profil Athletiktrainer im Profifußball in Stellung gebracht hat.
IMAGO / Bernd MüllerIn Nürnberg wurden Sie Reha- und Fitnesscoach und sollten das Athletiktraining auf ein professionelles Niveau heben. Wie lange mussten Sie überlegen, um von der Uni direkt auf den Fußballplatz zu wechseln?
Beck: Es war eine schwierige Entscheidung, da sie meine gesamte Planung verändert hat. Ich war zwar Lokalpatriot und der Eintracht zugetan, aber gewiss kein Fußballfan und kannte nur wenige Spieler. Dieser Bereich war aber der einzige, von dem klar war, dass man dort wohl seinen Lebensunterhalt bestreiten könnte. Um die Sache Vollzeit zu betreiben, wäre sonst nur noch die Arbeit beim Olympiastützpunkt in Frage gekommen. Daher bot sich mir beim Club eine große Chance, auch um sport- und trainingswissenschaftlich wirklich in der Praxis arbeiten zu können.
Wie ging es dann in Nürnberg genau los?
Beck: Ich habe Andreas zunächst zwei Tage in seinem Alltag als sportwissenschaftlicher Leiter bei Eden-Reha in Donaustauf begleitet, dabei haben wir uns sehr viel inhaltlich unterhalten. Er wollte dem Verein nur einen Kandidaten präsentieren und die Wahl fiel zum Glück auf mich. Ich durfte mit ins Trainingslager fahren, um die Mannschaft und Trainer Hans Meyer kennenzulernen. Dort wurde ich gefragt, ob ich nicht zwei Tage die Woche für den FCN arbeiten könne. Und zwar Dienstag und Mittwoch, ausgerechnet die beiden umsatzstärksten Tage bei meinem Personal Training. Die Aufwandsentschädigung beim Club hat das nicht annähernd kompensiert. Ich bin das finanzielle Risiko aber wegen der Aussicht auf den Einstieg in den Profisport eingegangen. Es war letztlich auch kein langes Minusgeschäft, denn nach rund drei Wochen fragte mich Hans Meyer, ob ich nicht Vollzeit arbeiten möchte. Das war zwar überhaupt nicht absehbar, aber ich musste nicht lange überlegen.
Nach etwas mehr als einem halben Jahr wurde Meyer durch Thomas von Heesen ersetzt, der sechs Monate später auch schon wieder Geschichte war. Inwiefern war Ihr Einstiegtrotz Ihrer Kompetenzen auch ein Sprung ins kalte Wasser?
Beck: Total. Damals wurden Athletiktrainer eingestellt, ohne dass man eine Idee hatte, was sie eigentlich machen - gerade, wenn ich das mit den heutigen Aufgaben vergleiche. Das erste halbe Jahr war eine einzige Lehrzeit für mich. Ich habe viel beobachtet und vor allem überprüft, ob denn die Ideen, die ich im Laufe des Studiums entwickelt habe, in der Praxis überhaupt anwendbar sind. Anfangs war ich außer beim Aufwärmen und ab und zu einmal eine Sprintform zu leiten auch nicht viel auf dem Platz gefragt.
Beck: "Bei Hans Meyer war alles enorm strukturiert"
Wie war Ihr erster Eindruck von Fußballprofis und der Branche?
Beck: Bei Hans war alles enorm strukturiert. Man konnte genau sagen, an welchem Tag was trainiert wird. In diesem festen Ablauf hatte ich meinen Platz und konnte mich ausprobieren. Das war sehr berechenbar, aber so konnte ich mich auch problemlos auf die Zusammenarbeit mit den Spielern einstellen. Ich habe sie gerade im Trainingslager als ganz normal wahrgenommen. Mittlerweile würde ich sagen: Je älter und erfahrener die Spieler sind, umso entspannter werden sie im Umgang.
Nachdem Sie die längste Zeit beim Club unter Dieter Hecking arbeiteten, zog es Sie im Sommer 2012 nach fünf Jahren zu Borussia Dortmund. Weshalb?
Beck: Es ging mir nicht um ein höheres Gehalt oder eine bessere Mannschaft, sondern darum, weniger Kompromisse machen zu müssen. Ich bin beim BVB dafür sozusagen einen Schritt zurückgegangen: In Nürnberg war ich mein eigener Herr und habe mit dem Trainerteam alles selbst besprochen. In Dortmund rückte ich unter meinem alten Bekannten Dr. Andreas Schlumberger, der damals Chef der Athletikabteilung war, ins zweite Glied. Das war für mich aber keinesfalls ein Rückschritt, weil wir dort im Team die Dinge besser und effektiver umsetzen konnten. Auch die Arbeitsbedingungen und persönlichen Möglichkeiten, sich weiter zu entwickeln, waren beim BVB noch einmal andere.
Wie kam es überhaupt zum Angebot der Borussia?
Beck: Andreas rief mich im Oktober an. Ich erbat mir Zeit bis Januar, da meine Motivation, Nürnberg zu verlassen, nicht besonders groß war. Ich hatte dort ein großes soziales Umfeld, habe meine Frau kennengelernt, mein Sohn war gerade geboren, ich fühlte mich im Trainerteam sehr wohl und der Verein war im Begriff, ein neues Funktionsgebäude zu bauen, bei dem ich mich hätte einbringen können. Doch ich hätte eben gerne eine Unterstützung gehabt, was sich in den Gesprächen mit dem FCN leider nicht herauskristallisierte.
IMAGO / MISWelche Rolle spielte der damalige Trainer Jürgen Klopp bei Ihrer Verpflichtung?
Beck: Ich wurde im Februar zu einem Gespräch mit Andreas und Jürgen eingeladen. Das fand bei Kloppo zu Hause statt und war ein sehr, sehr tolles, angenehmes und lustiges Gespräch - so wie man es sich halt auch bei Kloppo vorstellt. (lacht) Wir fanden uns schnell sympathisch. Kurz darauf traf ich mich mit Michael Zorc, der mir ein Angebot unterbreitete und letztlich auch immer dafür verantwortlich war, dass ich mich in all den Jahren in verschiedenen Aufgaben einbringen und entwickeln durfte.
In Ihrer letzten Saison beim FCN wurde der Club Zehnter, in Dortmund kamen Sie zum amtierenden Doublesieger und standen am Ende Ihres ersten Jahres im Champions-League-Finale. Wie anders, wie aufregend war es für Sie zu Beginn bei der Borussia?
Beck: Ich weiß noch genau, als ich zum ersten Mal durch Dortmund gefahren bin und dort überall die BVB-Aufkleber und -Fahnen gesehen habe. Nicht nur die Stadt, das gesamte Ruhrgebiet erschlägt einen ja mit Fußballkultur. Mir wurde schnell sehr deutlich, welche Bedeutung der Klub für die Stadt hat. Als ich ein Haus in Lünen bezog, wusste mein Nachbar offenbar schon Bescheid, wo ich arbeite und hatte mir zum Einzug eine Schalke-Fahne ans Gerüst gehängt. Das erste Jahr war natürlich eine unglaubliche Reise. Als ich beim Finale im Wembley-Stadion auf dem Platz stand, hat es sich aber ehrlich gesagt nicht einmal besonders angefühlt. Wenn man sich in dieser Blase bewegt, realisiert man oft nicht so sehr, wie groß die Außenwirkung ist.
BVB: Die kommenden Partien von Borussia Dortmund
Termin | Wettbewerb | Gegner | Heim/Auswärts |
03.04.2021 | Bundesliga | Eintracht Frankfurt | H |
06.04.2021 | Champions League | Manchester City | A |
10.04.2021 | Bundesliga | VfB Stuttgart | A |
14.04.2021 | Champions League | Manchester City | H |
17.04.2021 | Bundesliga | Werder Bremen | H |
Wie ging's denn mit dem Nachbar weiter?
Beck: Der kam schnell vorbei und löste auf, dass die Fahne ihm gehört. Er hat sie dann wieder mitgenommen. Das war alles sehr sympathisch. Keine Ahnung, wie viele Bierchen wir beide über die Jahre noch miteinander gezischt haben. (lacht)
Was hat sich durch das größere Team in Dortmund in Ihrer Arbeit verändert?
Beck: Die Teamarbeit war ein großer Vorteil. Von der inhaltlichen Arbeit eines Athletiktrainers geschieht viel vor und nach dem eigentlichen Training. Man hat die Trainingsplanung, die Trainingsvorbereitung im Kraftraum, dann das Aufwärmen auf dem Platz, anschließend die Nachbereitung. Macht man all dies alleine wie ich beim Club, ist das kaum zu leisten. Das Aufgabenprofil ist im Laufe der Zeit immer umfangreicher geworden. Um dem gerecht zu werden, ist es notwendig, die Aufgaben zu verteilen, denn sonst muss man eben viele Kompromisse eingehen, obwohl man seine Arbeit eigentlich noch viel besser machen möchte.
Wie war die Zusammenarbeit mit Klopp, der ja gerade rund ums Training auch mal recht unbeherrscht reagieren kann?
Beck: Er verstellt sich nicht und ist, wie er ist. Genauso, wie er herzlich und sehr witzig sein kann, kann er auch mal aufbrausend sein. Er hatte eine sehr starke Meinung und es kam ein bisschen auf die Situation an, ob und wann man mit ihm diskutiert - das ist als Journalist wohl nicht anders. In einem ruhigen Rahmen war es aber immer problemfrei, diskussionswürdige Dinge anzusprechen. Unsere Argumente wurden gehört und angenommen. Auf dem Trainingsplatz in Brackel gibt es aber bestimmt noch ein, zwei Löcher, in die er mich mal kurzfristig eingestampft hat. Reibung bleibt ja im Laufe einer produktiven Zusammenarbeit nicht aus.
Was war los?
Beck: Einmal ging es um die Trainingsvorbereitung eines Spielers, der dann am Ende der Fußballeinheit muskulär etwas gespürt hat. Dies brachte Kloppo dann in Zusammenhang mit meiner individuellen Trainingsvorbereitung und meinte: Warum hat der Spieler diese konkrete Übung gemacht? Er ließ in dem Moment einfach Dampf ab. Ich empfand seinen Zorn als sehr unberechtigt, denn die Information, die er hatte, war nur sehr allgemein. Vereinfacht gesagt: Ich hatte mit dem Spieler im Vorfeld des Trainings etwas für die obere Extremität gemacht, verletzt hat er sich aber an der unteren. Nur hatte ich in der Situation keine Chance, Kloppo das auch nur annähernd darzulegen. Das wäre ohnehin sehr unklug gewesen, weil ich mich sonst wohl nicht mehr hätte ausbuddeln können. (lacht)
Als 2015 Thomas Tuchel zum BVB kam, brachte er mit Rainer Schrey seinen eigenen Fitnesstrainer mit. Sie gingen daraufhin in den Rehabereich.
Beck: Rainer übernahm die Führung der Athletikabteilung von Andreas, hat aber mehr mit der Mannschaft auf dem Platz gemacht und war auch bei den Spielen vor Ort. Durch Andreas' Abgang zum FC Bayern entstand im Rehabereich ein großes Vakuum, das ich gerne gefüllt habe, weil ich mich so weiter verwirklichen und neue Erfahrungen sammeln konnte. Ich habe diesen Bereich dann langfristig neu strukturiert. Meine Aufgabe beinhaltete vor allem die Betreuung von verletzten Spielern vom Tag der Verletzung bis zur Reintegration in das Mannschaftstraining und den Spielbetrieb.
Beck: Tuchel? "Da gab es überhaupt keine Probleme"
Der ehemalige BVB-Physiotherapeut Peter Kuhnt war von der Zusammenarbeit mit Tuchel sehr angetan, wie er 2017 im SPOX-Interview erklärte. Wie empfanden Sie?
Beck: Genauso, es war toll. Die größte inhaltliche Schnittmenge hatte ich mit Rainer. Wir beide haben sehr viel, auch teils kontrovers, aber immer produktiv diskutiert. Ich habe dann später in meiner neuen Rolle einiges übernommen. Was auch sehr wichtig war, jedoch enorm viel zusätzliche Arbeit und Zeit erforderte: Unter Thomas wurde das Monitoring per GPS eingeführt, um das Training hinsichtlich externer Parameter wie Gesamt- und Sprintdistanzen oder die Anzahl an Beschleunigungen zu überprüfen und mit den erhobenen Daten zu arbeiten.
Wie sah Ihr Verhältnis zu Tuchel aus?
Beck: Wir hatten im Trainingsalltag aufgrund meiner Aufgaben im Rehabereich wenig miteinander zu tun. Es gab aber persönlich keine Distanz. Natürlich habe ich mit der Zeit wahrgenommen, dass es Spannungen mit anderen Mitarbeitern des Vereins gibt. Das Klima und der alltägliche Umgang miteinander in unserem Mikrokosmos wurden von den Diskussionen aber auf jeden Fall nicht beeinflusst, da gab es überhaupt keine Probleme.
Zieht man die beiden Supercup-Siege 2014 und 2015 ab, feierten Sie Ihren einzigen Titel in Dortmund mit dem Gewinn des DFB-Pokals unter Tuchel 2017. Waren Sie überrascht, dass er nur wenige Tage später entlassen wurde?
Beck: Wir waren alle mit diesem Thema konfrontiert, da es uns über einen längeren Zeitraum begleitete und durch den Anschlag auf den Mannschaftsbus noch einmal eine neue Dynamik angenommen hatte. Was die Geschäftsführung mit dem Cheftrainer bespricht, nehmen wir letztlich öffentlich zwar wahr, aber können es in den meisten Fällen nicht beurteilen. Seine Entlassung hat mich daher nicht überrascht, aber ich fand sie trotzdem schade, weil ich mich in meiner Rolle und im Team unter dem Chef Thomas Tuchel recht wohlgefühlt habe.
Sie sprechen den Anschlag vom 11. April 2017 an, der im Vorfeld des Champions-League-Spiels gegen die AS Monaco geschah. Wie erinnern Sie sich daran?
Beck: Da ich in der Zeit im Rehabereich keine Spieltagsbetreuung mehr gemacht habe und es sich um ein Heimspiel handelte, habe ich alles zum Glück nur passiv im Stadion miterleben müssen. Anfangs hieß es in unserem mannschaftsinternen Chat nur, dass sich die Ankunft des Teams verspätet. Da war noch gar nichts klar. Wir saßen dann mit den Familien und Verwandten der Spieler in einem eigenen Bereich und haben versucht, uns auf dem Laufenden zu halten. Irgendwann ist alles durchgesickert, aber lange wusste keiner, wie schlimm es wirklich war.
Wann sind Sie dann das nächste Mal wieder auf die Mannschaft getroffen?
Beck: Am folgenden Morgen am Trainingsgelände. Da das eine sehr persönliche Geschichte für alle Beteiligten war, möchte ich dazu aber nichts weiter sagen. Ich weiß aber noch, dass ich Monate später bei unserem Champions-League-Spiel gegen Nikosia auf Zypern mit einem der damals im Bus Anwesenden in einem Cafe saß. Als dann in der Nähe ein Moped eine Fehlzündung hatte und es zu einem großen Knall kam, hat sich derjenige enorm erschrocken. In diesem Moment habe ich so richtig wahrgenommen, wie viel da kaputt gegangen ist und was das für ein Trauma war.
Zurück zu Ihrer Arbeit in Dortmund, wo Sie in Ihren beiden letzten Jahren zum leitenden Athletiktrainer aufstiegen. Der BVB hat es sich über die Jahre angewöhnt, nicht mehr detailliert über Verletzungen der Spieler zu informieren. Kürzlich hieß es beim Ausfall von Jadon Sancho beispielsweise, er habe sich eine "nicht leichte Muskelverletzung" zugezogen. Wieso ist das so vage geworden?
Beck: Es ist völlig klar, dass es die Öffentlichkeit interessiert, warum und wie lange ein Spieler ausfällt. Mir wäre es persönlich aber am liebsten, überhaupt keine Diagnosen öffentlich zu machen. Das unterstützt nur Spekulationen und setzt den Spieler unter Druck.
Inwiefern?
Beck: Oft fällt es dem Mannschaftsarzt aufgrund der Komplexität von Verletzungen schlichtweg schwer, diese in einer einfachen Diagnose darzustellen. Wer sich einmal fachlich mit der Diagnose Schambeinentzündung auseinandersetzt wird sehen, wie kompliziert eine seriöse Prognose zur Wiederherstellung der Wettkampfleistungsfähigkeit ist. Fällt ein Spieler länger aus, ist die Rückkehr auch von seiner Position oder dem Spielsystem abhängig.
Wie meinen Sie das?
Beck: Ein Außenverteidiger, der viel in offensive Aktionen eingebunden ist, benötigt beispielsweise eine andere Sprintkapazität als ein Innenverteidiger mit der gleichen Verletzung. Dadurch kann sich der Rehaprozess verlängern, da er sie sich diese Kapazität erst wieder erarbeiten muss, um das Risiko einer erneuten Verletzung zu minimieren. Grundsätzlich kann man Heilung auch nicht beschleunigen, sondern nur optimieren.
Das Spielsystem eines Trainers und auch die Intensität seines Fußballs hat also enorm große Auswirkungen auf die Arbeit im Athletikbereich?
Beck: Natürlich. Wir müssen genau wissen und darauf reagieren, welche Kapazitäten von den Spielern für die jeweilige Art von Fußball verlangt werden. Mit Hilfe eines engmaschigen Monitoringsystems wollen wir ans Maximum gehen, ohne die Grenze zu überschreiten, an der Verletzungen auftreten. Dazu müssen wir die akkumulierte Ermüdung im Griff haben, hoch intensive Bereiche trainieren und viele weitere Faktoren berücksichtigen, damit die Spieler die Anforderungen des Trainers regelmäßig sicher und robust abrufen können, während sie dabei noch so frisch und gut vorbereitet wie möglich sein sollten. Das ist ein sehr komplizierter Prozess, bei dem man gerade in Phasen mit vielen Spielen und Reisen Kompromisse machen muss. Man sucht quasi nach dem heiligen Gral.
Beck über seinen Wechsel vom BVB zu Eintracht Frankfurt
Nach insgesamt acht Jahren in Dortmund gingen Sie im vergangenen Sommer zurück in die Heimat und schlossen sich Eintracht Frankfurt an, wo Sie als Leiter des Bereichs Athletik, Prävention und Rehabilitation fungieren. Weshalb?
Beck: Vor allem aufgrund persönlicher Überlegungen und mit etwas Glück und Zufall. Nach 13 Jahren wollte ich mich dem Rhythmus, den der Fußball vorgibt, stärker entziehen. Dadurch, dass mir eine Wissenschaftslaufbahn verwehrt geblieben ist, hat sich bei mir der Drang entwickelt, diese Arbeit künftig stärker akzentuieren zu wollen und mehr inhaltlich-konzeptionell Einfluss auf die Prozesse zu nehmen. Die Wissenschaft produziert aktuell noch zu wenig praxisrelevante Inhalte für den Fußball. Es gibt zwar Modelle, um die Trainingsdaten auszuwerten, doch die sind oft nicht fein genug und müssen immer wieder angepasst werden. Die Forschung dabei zu unterstützen, noch effizienter im Fußballkontext zu werden, geht nur, wenn ich mich aus der aktiven Arbeit zurückziehe und mehr in eine koordinierende Rolle begeben würde.
Und dies wurde Ihnen bei der Eintracht nun möglich gemacht?
Beck: Ja. Frankfurt ist ja meine Heimat und bei einem Besuch von Familie und Freunden saß einmal auch ein Eintracht-Verantwortlicher mit am Tisch. Ich warf mit Ideen um mich und im Laufe mehrerer zwangloser Treffen entstand sozusagen meine heutige Jobbeschreibung. Irgendwann wurde ich gefragt, ob ich das in dieser Art und Weise bei der SGE umsetzen könnte. Dazu entstand das neue Trainingszentrum, wo ich gestalterischen Einfluss auf die Infrastruktur und Ausrichtung des Athletikbereichs haben durfte. Da das eine einzigartige Möglichkeit für mich in diesem Geschäft war, habe ich gerne zugesagt.
Sie erhofften sich aber zugleich auch eine höhere Zufriedenheit in Ihrem sozialen Leben.
Beck: Absolut. Ich arbeite nun nicht weniger, sondern vor allem inhaltlicher und habe weiterhin einen Einfluss, nur ohne alles selbst machen oder auf dem Platz stehen zu müssen. Wenn beispielsweise am Tag nach einem Spiel die individuellen Abläufe für die Spieler klar sind, muss ich nicht mehr vor Ort sein und habe so mehr Zeit für die Familie. Ich bin derzeit zwar noch täglich da, aber wir befinden uns in dem Prozess, dass das alles von meinen hervorragenden Kollegen umgesetzt wird und ich mit dem Wissenschafts- und Forschungsthema langfristig in eine andere Rolle schlüpfen kann.
Wie viel Privatleben bleibt denn als Athletiktrainer im Profifußball auf der Strecke?
Beck: Eine Menge. Man muss sehr viel zurückstecken, hat nur wenige freie Tage und Wochenenden bedeuten Arbeit. Ich habe die Arbeitskollegen häufiger gesehen als meine eigene Familie. Das ist daher ein nicht zu vernachlässigender Punkt, denn es tut schon weh, wenn man am Wochenende nie daheim ist und nicht beim Fußballspiel seines Sohnes zuschauen kann. Da fragt man sich schon hin und wieder, ob es das wert ist.
Wie hat man beim BVB auf Ihren Wechselwunsch reagiert?
Beck: Sie waren nicht begeistert, aber konnten es aus den genannten Gründen verstehen und akzeptieren. Mein Vertrag lief auch aus. Ich habe Dortmund nur deshalb schweren Herzens verlassen, weil ich diese Chance hier als besonders empfand.
Am Samstag kommt es in Dortmund zum Duell mit der Eintracht, das Spiel hat im Kampf um die Champions-League-Plätze vorentscheidenden Charakter. Werden Sie diese Gelegenheit wahrnehmen und mal wieder mit zu einem Spiel reisen?
Beck: Das steht noch nicht fest, kann aber sein. Aus persönlich-nostalgischen Gründen wäre ich gerne dabei, bin mir trotz der regelmäßigen Testungen aber auch der Pandemie-Problematik bewusst. Es war beim Hinspiel zwar kurz, aber sehr schön, die vielen bekannten Gesichter wieder zu sehen und mit ihnen zu quatschen.
Und wie soll das Spiel ausgehen?
Beck: Am liebsten wäre mir vor allem: Wir werden am Ende Dritter und Dortmund Vierter.