Seit einem Jahr spielt Shinji Kagawa für die VV Sint-Truiden in Belgien. Wie läuft es dort für den ehemaligen BVB-Profi?
Shinji Kagawa sprach nicht um den heißen Brei herum. "Ehrlich gesagt nicht. Aber es ist passiert", antwortete der ehemalige Spieler von Borussia Dortmund auf die Frage, ob er gedacht hätte, in seiner Karriere jemals in Belgien zu kicken.
Womöglich hätte Kagawa, der im März 34 Jahre alt wird, eine sehr ähnliche Antwort gegeben, hätte man ihn im Januar 2021 dieselbe Frage gestellt und statt Belgien das Wort "Griechenland" benutzt. Da nämlich war Kagawa zu PAOK nach Thessaloniki gewechselt, nachdem sein Vertrag zuvor bei Real Saragossa vorzeitig aufgelöst wurde.
Es läuft schon seit ein paar Jahren nicht mehr rund in Kagawas Laufbahn. Der Japaner hatte häufig mit Verletzungen zu kämpfen, die es ihm nicht erlaubten, in einen vernünftigen Rhythmus zu kommen und kontinuierlich Spielpraxis zu sammeln. Aus diesem Grund brach er auch bei PAOK vorzeitig die Zelte ab, auch hier wurde das Arbeitsverhältnis vor Ende des Kontrakts beendet. Kurz darauf, am 10. Januar vergangenen Jahres, unterschrieb er beim belgischen Erstligisten VV St. Truiden.
Dass es Kagawa in die Stadt in der Provinz Limburg geschafft hat, liegt an DMM.com. Das ist ein in Japan ansässiges E-Commerce- und Internetunternehmen, das im November 2017 alle Anteile des Klubs kaufte. Das Ziel: Mit einer Mischung aus einheimischen jungen Spielern und japanischen Profis eine wettbewerbsfähige Mannschaft aufzubieten, die sich größtenteils durch japanische Sponsorengelder finanziert.
imago imagesShinji Kagawa spielt in Sint-Truiden unter Bernd Hollerbach
Bereits Takahiro Tomiyasu, der aktuell für den FC Arsenal aufläuft, und der Frankfurter Daichi Kamada spielten dort, im Sommer holte man auch den aus der Bundesliga bekannten Shinji Okazaki. Mit Kagawa gelang den Besitzern ein echter Coup für den Klub, schließlich gehört er dank seiner Erfolge beim BVB und der Zeit bei Manchester United zu den größten japanischen Spieler jemals.
Entsprechend erwartungsfroh waren Fans und Öffentlichkeit nach Kagawas Transfer, doch es standen zugleich große Fragezeichen hinter seinem Fitnesszustand, nachdem er zuvor in Griechenland kaum zum Einsatz gekommen war. Trainer in Sint-Truiden ist mit Bernd Hollerbach zudem ein Vertreter der harten Schule, der viel Physis von seinen Spielern verlangt. Kagawa hatte also noch viel Nachholbedarf und wurde schrittweise an die Mannschaft herangeführt.
Bis zum Saisonende kam Kagawa in sechs von zehn Spielen zum Einsatz, durfte jedoch nur einmal von Beginn an ran. Es war jedoch von Anfang zu erkennen, dass der Zehner kaum etwas von seinen Fähigkeiten eingebüßt hat - starke Technik, hohe Ballsicherheit, ein gutes Auge und blitzschnelle Drehungen.
Shinji Kagawa hoffte auf eine WM-Teilnahme mit Japan
Obwohl er nur 175 Spielminuten sammelte, war in belgischen Medien bereits vom Kagawa-Effekt die Rede: Nachdem der 33-Jährige nämlich erstmals auf der Bank saß, blieb Sint-Truiden in den finalen neun Saisonspielen ungeschlagen, gewann vielmehr sieben davon und stellte den Vereinsrekord für die meisten Auswärtssiege in einer Spielzeit auf. Im letzten Heimspiel gegen Standard Lüttich feierte Kagawa schließlich sein Startelfdebüt und überzeugte nicht nur mit einem brillanten Pass, der das Führungstor beim 3:0-Erfolg einleitete.
Die einhellige Meinung nach Saisonschluss: Wenn Kagawa die gesamte Vorbereitung mitmacht, wird er häufiger von Beginn an auflaufen und dem Team definitiv weiterhelfen können. Er selbst, obwohl letztmals im Juni 2019 nominiert, schielte sogar noch auf eine Berufung in die Nationalmannschaft für die WM in Katar. "Ja, natürlich. Warum nicht? Ich werde mein Bestes geben", sagte der 97-malige Nationalspieler.
Kagawa war tatsächlich auf einem guten Weg. In sieben der ersten acht Partien der laufenden Saison stand er in der Anfangsformation, mit einem Treffer per Elfmeter konnte er sich erstmals in die Torschützenliste seines neuen Vereins eintragen. Anschließend entschied sich Hollerbach aus taktischen Gründen auch einige Male dafür, auf Kagawa zu verzichten, um ein defensiver formiertes Mittelfeld aufzubieten.
Direkt verwandelte Ecke: Kagawas Highlight in Sint-Truiden
Mitte Oktober fabrizierte Kagawa dann sein größtes und vorläufig auch letztes Highlight im Dress der Belgier: Gegen Charleroi traf er zur Führung - mit einem direkt verwandelten Eckball. Absicht? "Ja, das war es!", sagte Kagawa. "Ich hatte ein bisschen Glück. Ich habe gesehen, dass der Torwart etwas weiter vorne stand, also habe ich es versucht. So etwas ist mir noch nie gelungen."
Nur zwei Wochen später jedoch der Schock: Nach der Partie gegen Westerlo, in der der eingewechselte Kagawa entscheidend am späten Siegtreffer beteiligt war, verkündete der Verein eine nicht näher spezifizierte Fußverletzung beim Japaner. Erneut machte ihm sein Körper einen Strich durch die Rechnung. Die Blessur soll ihm schon länger zu schaffen gemacht haben.
Kagawa wurde genauer untersucht und musste sich schließlich in seiner Heimat einer Operation unterziehen. Die ohnehin geringen Chancen auf eine Teilnahme bei der Weltmeisterschaft waren dahin. Seitdem hat er kein Spiel mehr für Sint-Truiden absolviert.
Shinji Kagawa vor Comeback nach OP am Fuß
Doch es ist nun wieder Licht am Ende des Tunnels zu sehen: Am vergangenen Wochenende schaffte es Kagawa erstmals zurück in den Kader. Seine Aussichten auf Spielzeit sind gut, mit Christian Brüls verließ zu Jahresbeginn einer seiner Kontrahenten - der vereinsinterne MVP der vergangenen Saison - den Klub. Die Zehn ist also vakant, zumal sie nicht die Paradeposition des derzeit dort eingesetzten Okazaki ist.
Es ist nicht bekannt, wann Kagawas Vertrag in Sint-Truiden ausläuft. Allerdings wird gemunkelt, dass es bereits am Saisonende so weit sein soll. "Ich bin schon etwas älter, aber ich habe Erfahrung. Ich habe immer noch Qualitäten, die einen Unterschied machen. Ich bin hungrig zu spielen", sagte er bereits im Vorjahr bei seiner Vorstellung.
Ob das diesmal mit größerer Konstanz als in den vergangenen Jahren gelingt? Wieder einmal stellt sich bei Kagawa die Frage, ob der willige Geist das schwache Fleisch besiegen kann.
gettyShinji Kagawa: Seine bisherige Karriere im Überblick
Verein | Zeitraum | Pflichtspiele | Tore | Vorlagen |
Cerezo Osaka | 2006-2010 | 127 | 57 | 17 |
Borussia Dortmund | 2010-2012 und 2014-2019 | 216 | 60 | 55 |
Manchester United | 2012-2014 | 57 | 6 | 10 |
Besiktas | 2019 | 14 | 4 | 2 |
Real Saragossa | 2019-2020 | 36 | 4 | 2 |
PAOK Thessaloniki | 2021-2022 | 12 | - | 1 |
VV Sint-Truiden | seit 2022 | 18 | 2 | 1 |