Innerhalb von 13 Tagen hat der FC Bayern München seine verloren geglaubte Souveränität zurückgefunden, die beiden Champions-League-Spiele gegen die PSV Eindhoven sind dabei der zeitliche Rahmen (Di., 20.45 Uhr im LIVETICKER). Die "Krisen"-Bewältigung der vergangenen zwei Wochen liefert kleine Erkenntnisse über den neuen FCB unter Carlo Ancelotti und dessen Auffälligkeiten.
Es reicht ein Blick auf das letzte Mal, als es passiert ist, um die geschichtsträchtige Tragik erst zu verstehen. In einer längst vergangenen Zeit, damals, als sich im Bayern-Sturm noch Mario Gomez und Miroslav Klose um einen Startplatz balgten, damals, als Daniel van Buyten entweder die Münchner Abwehr koordinierte oder bei eigenem Rückstand in letzter Verzweiflung als Stoßstürmer eingewechselt wurde, damals war es, als der FCB zuletzt drei relevante, nicht wegen-vorzeitigem-Meisterschaftsgewinn-irrelevanten Spiele in Serie sieglos blieb.
Verantwortlich dafür waren einst unter anderem ein aktueller Zweitligist, ein Weltstar im Trikot des FC Schalke 04 und ein aktueller Bayern-Verteidiger. Das kurios anmutende Trio: Hannover 96, Raul Gonzalez Blanco und Mats Hummels. Diese illustre Runde war im Frühjahr 2011 mitverantwortlich für drei relevante Spiele in Serie ohne Bayern-Sieg.
Am 15. Oktober 2016, nach dem 2:2 bei Eintracht Frankfurt (in Folge eines 0:1 bei Atletico Madrid und eines 1:1 gegen den 1. FC Köln) und der Wiederholung dieser nicht mehr für möglich gehaltenen Schmach, herrschte also latente "Krisen"-Stimmung an der Säbener Straße. "Das war des FC Bayern nicht würdig", sagte Vorstands-Boss Karl-Heinz Rummenigge. Die Bild fand die Münchner "zu langsam, zu satt, zu ungefährlich", die FAZ "merkwürdig uninspiriert" und die SZ fragte gar: "Kann Ancelotti auch das Kerngeschäft Bundesliga?"
Rampe als Spiegelbild
Nun, 13 Tage später, wissen wir: Klar kann er das. Die Rampe für die "Krisen"-Beseitigung stellte aber Carlo Ancelottis Lieblingswettbewerb, die Champions League, dar. Ja, vor dem Heimspiel gegen die PSV Eindhoven stand der FC Bayern gehörig unter Druck. Zum ersten Mal seit Langem bereits zu einer Zeit, als die Blätter von den Bäumen fallen und nicht gerade erst grünen. Eine Niederlage, und es wäre wohl nötig gewesen, eine Steigerung für das Wort "Krise" zu finden.
Wortakrobaten waren nach Abpfiff jedoch nicht gefragt, bereits nach 21 Minuten war die Partie vermeintlich entschieden. Thomas Müller 1:0, Joshua Kimmich 2:0, alles wie früher, alles gut. Am Ende siegten die Münchner mit 4:1. Dieses Spiel vor knapp zwei Wochen war nicht nur die Befreiung aus einem am eigenen Selbstverständnis nagenden Negativlaufs, sondern gleichzeitig ein Spiegelbild der aktuellen Situation. Und das in zweierlei Hinsicht. spox
Zuckerpässe und Schlendrian
Da wäre einerseits das Defensivspiel. Im Sommer verpflichteten die Bayern mit Hummels das aus ihrer Sicht entscheidende Puzzleteil zur Komplettierung der nominell weltbesten Defensive. Diese neue Defensive überzeugt zwar konsequent im Aufbauspiel, und glänzt gar mit "Pässen aus Zucker", aber defensiv ist alles etwas instabiler als in den vergangenen Jahren. Fahrige Aktionen, individuelle Schnitzer stehen derzeit fast an der Tagesordnung.
Der "Schlendrian" war eines der am meisten und liebsten bedienten Worte der vergangenen Tage. Egal ob Rummenigge oder Hummels, der "Schlendrian" hat gerade Hochsaison in München.
Fünf Gegentreffer kassierte Bayern in dieser Bundesliga-Saison bereits. Sehr wenige, klar, aber doch mehr als in den vergangenen fünf Jahren zu diesem Zeitpunkt. Überboten wurde dieser Wert am 9. Spieltag letztmals in der Spielzeit 2010/11. Klose-, Gomez- und van-Buyten-Zeiten also. Auch gegen Eindhoven setzte der Schlendrian ein, Bayern zermürbte die PSV nach der 2:0-Führung nicht, sondern ließ sie durch defensive Nachlässigkeiten zum Anschlusstreffer und somit zurück ins Spiel kommen.
Von Individuen und Systemen
Und da wäre andererseits das Offensivspiel. Dabei wurde einmal mehr deutlich: Arjen Robben ist wichtig für die Münchner, sehr wichtig sogar. Einen Treffer und zwei Assists steuerte er zum 4:1-Sieg gegen Eindhoven bei. Viel wichtiger ist aber: Sein Wille und sein Zug zum Tor suchen trotz der hochkarätig besetzten Münchner Offensivabteilung ihresgleichen. Ein fitter Arjen Robben reißt seine Mannschaft mit und gibt ihr stets den Glauben an den Sieg. Auch seine Mitspieler setzten ab und an Glanzlichter, aber Robbens permanente Präsenz ist außergewöhnlich.
Beim 3:1-Erfolg am Samstag gegen den FC Augsburg wurde dies einmal mehr deutlich. Deutlich wurde dabei gleichzeitig auch eine gewisse Abhängigkeit von Stürmer Robert Lewandowski zu dessen Hinterleuten. Schaffen es Thomas Müller, Douglas Costa oder Kingsley Coman nicht, den Polen entsprechend in Szene zu setzen, hilft die individuelle Klasse Lewandowskis im und um den gegnerischen Strafraum wenig.
Das ist natürlich auch taktisch bedingt. Bayern unter Pep Guardiola war permanentes Positionsspiel. Es agierten keine Spieler, sondern sich bewegende Aufgaben. Passen, passen, passen hieß es unter Pep, und auch verschieben, verschieben, verschieben. Die individuelle Klasse der einzelnen Spieler kommt jetzt mehr zur Geltung, ist oftmals spielentscheidender. "Es gibt kein bestimmtes System, um zu gewinnen. Es ist wichtig, ein System aufzubauen, in dem sich die Spieler wohlfühlen", sagte Ancelotti bereits kurz nach seiner Ankunft in München. Unter dem Italiener bestimmen die Individuen das System und nicht umgekehrt.
Heldenfußball
Ancelotti vertraut weniger auf millimetergenaue Vorgaben und mehr auf Eigenentwicklungen. Die Spieler sind freier und dürfen mehr und selbstständiger entscheiden. Vielleicht ist der Zeitpunkt der Wortkeation "Robbandowski" genau jetzt kein Zufall. Zwei Spieler, die exemplarisch für den Gesamterfolg einer Mannschaft stehen - unter Ancelotti-Vorgänger Guardiola war das eher undenkbar, es ging stets um das große Ganze.
Es kommt nicht von ungefähr, dass Lewandowskis Torsperre mit der Rückkehr eines komplett fitten, eingespielten Robben korrespondierte. Nun heißt es im Notfall plakativ gesagt: Ball auf Robben und von dort entweder direkt oder über den Umweg Lewandowski ins Tor. "Robbandowski" regelt das schon.
Das Duo reiht sich dabei in eine hochkarätig besetzte Vorgänger-Reihe ein. "Kloni" bescherte einst Ottmar Hitzfeld Titel, "Robbery" (aka "Rib & Rob") und "Golic" später Louis van Gaal. Womöglich deutet sich unter Ancelotti nun eine Rückkehr zum von Guardiola 2013 n.Chr. abgeschafften Münchner Heldenfußball an.
Kleine Erkenntnisse aus 13 Tagen. 13 Tagen, in denen sich die Bayern aus einer "Krise" gewunden haben. Erst fanden sie in der Champions League in die Erfolgsspur zurück, dann fuhren sie auf nationaler Ebene drei relativ souveräne Siege gegen Gegner ein, mit denen sie in den vergangenen Spielzeiten mit Vorliebe Probleme hatten. 2:0 gegen Gladbach, 3:1 gegen Augsburg, 3:1 in Augsburg.
Dreifacher Fokus
Vor dem "Rückspiel" gegen die PSV Eindhoven steht nun erneut Arjen Robben im Fokus, und das aus mehreren Gründen. Da wäre erstens sein überragendes Spiel am Samstag, das es zu bestätigen gilt. Da wäre außerdem seine anstehende Vertragsverlängerung, in Fachkreisen derzeit trotz Rummenigges Dementi ("Ich bin keine Hebamme") unter dem Terminus "Geburt" diskutiert, sowie abschließend die Rückkehr in seine fußballerische Heimat, das "Philips-Stadion".
Erwarten werden ihn dort nicht nur "viele Leute", die er aus seiner PSV-Zeit von 2002 bis 2004 persönlich kennt, sondern auch freundschaftliche Beklatschungen der Leute auf den Tribünen, die er persönlich zwar wohl eher nicht kennt, die ihn als ehemaligen Meisterspieler aber immer noch verehren.
Schon beim Duell in München wurde der Niederländer nicht nur von den Heim-, sondern auch von den Auswärtsfans gefeiert. "Das hat mir sehr gut getan, es war wirklich schön", sagte Robben im Anschluss. Beklatscht wird er auch nun sicherlich wieder werden, an ihm liegt es lediglich, es den PSV-Fans so schwer wie möglich zu machen, das übers Herz zu bringen. Am besten geht das mit Treffern und Vorlagen für den FC Bayern.
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