"Müssen uns nicht kleiner machen als wir sind"

Florian Regelmann
07. März 201319:14
Christian Gentner trifft mit dem VfB Stuttgart in der Europa League auf Lazio Romgetty
Werbung
Werbung

Christian Gentner hat sich in Stuttgart zu einem unumstrittenen Führungsspieler entwickelt. Im Interview spricht der 27-Jährige über lange NBA-Nächte, die Vision des VfB und ein mögliches Comeback in der Nationalmannschaft.

SPOX: Herr Gentner, bevor wir zum Fußball kommen, müssen wir über die NBA sprechen. Mit Tim Ohlbrecht hat es jetzt mal wieder ein Deutscher in einen NBA-Kader geschafft. Sie haben es sicher verfolgt, dass die Houston Rockets Ohlbrecht geholt haben. Wie intensiv können Sie die NBA in dieser Saison verfolgen?

Gentner: Schon sehr intensiv. Nach Europa-League-Spielen kommt es vor, dass man nicht so gut einschläft, da ist die NBA immer eine wunderbare Abwechslung. Und sonntags bin ich generell immer dabei. Wir spielen ja häufig sonntags und sitzen dann gerne mal bis in die Nacht zusammen, um NBA zu schauen. Ich weiß natürlich, dass Ihr bei SPOX jetzt immer einen LIVE-STREAM habt, aber ich muss zugeben, dass ich dann doch bei meinem persönlichen League Pass bleibe.

SPOX: Einen schönen Tag noch!

Gentner: (lacht) Das Angebot eines LIVE-STREAMS ist aber natürlich eine richtig tolle Geschichte, weil es die NBA in Deutschland wieder mehr in den Fokus rückt. Diese Saison ist ja auch wieder richtig spannend. Es gibt spektakuläre Teams mit Miami, den Clippers, OKC natürlich. Das wird noch heiß werden. Schade ist es natürlich, dass Dallas wahrscheinlich schon zu viel Boden verloren hat. Der Zug ist abgefahren. Ich hoffe aber noch so ein wenig, dass Derrick Rose zurückkommt und die Bulls etwas bewegen können. SPOX

SPOX: Ist denn auch ein NBA-Trip in Planung?

Gentner: Fest geplant ist noch nichts. Aber ich stehe mit Marcel Schäfer, Daniel Baier und ein paar anderen in Kontakt und wir überlegen, uns nach Saisonende in die USA aufzumachen. Wir müssen dann einfach spontan schauen, wer noch drin ist und wo es uns hinziehen könnte. L.A. wäre sicher reizvoll, dann wohl eher mit den Clippers als den Lakers. In Chicago war ich noch nie, um die Bulls spielen zu sehen, New York kann sicher was erreichen - wir schauen mal.

SPOX: Okay, wir wechseln zum Fußball. Sie stehen mit dem VfB im DFB-Pokal-Halbfinale und im Europa-League-Achtelfinale. In der Bundesliga stehen Sie aber im totalen Niemandsland. Muss der Fokus jetzt nicht brutal auf die Pokale gelegt werden?

Gentner: Nein, auf keinen Fall. Erst mal ist es eine tolle Sache, dass wir noch überall dabei sind. Da müssen wir uns auch nicht kleiner machen als wir sind. Wir sind neben den Bayern immerhin die einzige Mannschaft, die noch auf drei Hochzeiten tanzt. Trotzdem wissen wir, dass die Liga unser Tagesgeschäft ist. Wir hinken da hinterher und können sicher nicht zufrieden sein im Moment. Wir wollen in der Liga auf keinen Fall den Anschluss verlieren. Im Gegenteil. Wir wollen gerne eher wieder nach oben schauen. Es ist so brutal eng, dass es auch relativ schnell nach oben gehen kann, wenn wir es mal hinbekommen, eine kleine Serie zu starten. Wir dürfen uns da nicht total auf die Pokale konzentrieren, die Liga hat immer noch die höchste Priorität.

SPOX: Ist es nicht besonders frustrierend, wenn man sieht, dass den so wichtigen vierten Platz scheinbar niemand so wirklich haben will, und als VfB kommt man einfach nicht vom Fleck in der Tabelle?

Gentner: Wir wissen, dass wir zu dem größeren Kreis von fünf, sechs Teams dazugehören können, die nach den Top 3 kommen. Diese Qualität haben wir grundsätzlich. Aber die Mannschaft muss dafür abrufen, was in ihr steckt und das ist uns in der laufenden Saison noch nicht über einen langen Zeitraum gelungen.

SPOX: Was ist im Moment Ihrer Meinung nach das größte Problem? Die mangelnde Konstanz?

Gentner: In der Hinrunde war die Konstanz da. Es war einfach bitter, wie wir in die Rückserie gestartet sind. Wir hatten in einigen Spielen sehr gute Ansätze, haben einen großen Aufwand betrieben, wir haben uns dann aber immer wieder durch individuelle Fehler um den Lohn gebracht. Fehler, die spielentscheidend waren. So was kratzt natürlich auch am Selbstvertrauen, das sah man dann in einigen Spielen wie in Düsseldorf oder gegen Bremen. Auch wenn die Niederlage in Leverkusen jetzt extrem ärgerlich war, haben wir uns in letzter Zeit wieder verbessert. Wir konnten den Fokus wieder mehr darauf legen, wenig zuzulassen. Das müssen wir zwingend so beibehalten.

SPOX: Sie haben Ihren Vertrag im Winter um drei Jahre verlängert. Wie ist Ihre Vision des VfB in den kommenden Jahren?

SPOXspox

Gentner: Zunächst einmal glaube ich, dass wir in Stuttgart sehr gute Voraussetzungen haben. Was für eine gute Jugendarbeit der VfB macht, ist bekannt. Wir hoffen natürlich, dass sich in den nächsten Jahren daraus auch einige Verstärkungen für uns ergeben. Dazu kommt, dass der VfB ein sehr gesunder Verein ist. Klar kann man jetzt anfangen von Sparsamkeit zu sprechen und davon, dass man im Vergleich zu anderen Klubs finanziell hinterher hängt. Aber ich sehe den Weg als einen gesunden und guten an. Der VfB hat es immer wieder hinbekommen, um die internationalen Plätze mitzuspielen. Ich bin optimistisch, dass das auch in Zukunft so sein wird. Ich habe bestimmt nicht meinen Vertrag verlängert, um in meinem besten Fußballeralter um Rang 11 oder 12 zu spielen. Das ist nicht mein Anspruch und nicht der Anspruch des Vereins. Ich gehe davon aus, dass wir in den nächsten Jahren zu der Gruppe gehören werden, die sich hinter den Topteams um die Plätze streitet.

Das EL-Achtelfinale im Überblick

SPOX: Dann wäre vielleicht auch mal wieder eine Champions-League-Teilnahme drin und man müsste nicht in einem leeren Stadion gegen Teams wie Molde oder Genk spielen, bei allem Respekt. Das hat ja mit Europapokalstimmung nicht wirklich etwas zu tun. Ganz ehrlich: Wie schwierig ist das?

Gentner: Jeder Fußballer hat die Champions League als großes Ziel. Wir wissen auch, dass wir in der Europa League noch nicht die namhaften, aber dennoch gute Gegner hatten. Da ist Lazio ein ganz anderes Kaliber. Aber die Fans, die da waren, haben uns immer hervorragend unterstützt. Das wissen wir auch zu schätzen. Ich bin ganz zuversichtlich, dass die Fans jetzt gemerkt haben, dass es sich lohnt, ins Stadion zu kommen, und dass die Stimmung gegen Lazio dementsprechend top sein wird. Und dass wir dann hoffentlich noch ein paar schöne Europapokalabende in Stuttgart erleben können. Dass wir beim Rückspiel in Rom ein Geisterspiel haben werden, ist unglaublich schade. Bitte nicht falsch verstehen, ich bin absolut der Meinung, dass solche Dinge bestraft werden müssen, aber so trifft es eben viele Leute, die es eigentlich nicht treffen sollte. Wie undankbar es darüber hinaus für uns und für die Lazio-Spieler ist, vor leeren Rängen zu spielen, sollte jedem bewusst sein.

SPOX: Wie beurteilen Sie sportlich die Chancen gegen Lazio?

Gentner: Wir treffen auf eine Top-Mannschaft der Serie A. Man muss sich nur anschauen, wie Milan gegen Barca gespielt hat, oder wie Juve bei Celtic durch Glasgow spaziert ist, dann weiß man um die Qualität dieser Liga. Miro Klose fällt leider aus. Er ist ein Stürmer von Weltklasse-Format, aber die Mannschaft hat auch ohne ihn große Qualitäten. Nichtsdestotrotz bin ich davon überzeugt, dass wir in zwei Spielen gegen Lazio bestehen können. Das wollen und werden wir zeigen.

Seite 2: Gentner über seine Führungsrolle, das DFB-Team und seinen NBA-Meistertipp

SPOX: Eine leidige Diskussion, nach der man die Uhr stellen kann, ist die Debatte um die Spielpläne. Kaum muss ein Bundesligist zwei Tage nach einem EL-Spiel in der Bundesliga antreten, geht das Gejammer los. Sie als NBA-Fan kennen zum Beispiel die Spielpläne in den USA. Wie ist Ihre Meinung?

Gentner: Ich kann nicht genau einschätzen, wie intensiv ein Basketball-Spiel ist, dadurch dass man jederzeit durchwechseln kann. Es ist schon hart für uns. Nach dem Spiel in Genk waren wir erst in der Nacht Freitagfrüh wieder zuhause, da bleibt wenig Zeit, um bis Samstagmittag so zu regenerieren, dass man wieder hundert Prozent abrufen kann. Es ist sicher nicht ganz glücklich, wenn eine andere Mannschaft dann drei, vier Tage Zeit hat, um sich auf das Spiel vorzubereiten. Aber wir wollen auf keinen Fall jammern. Wir haben uns gute Grundlagen erarbeitet, um diesen Rhythmus gehen zu können. Und ich persönlich mag es, viele Spiele zu haben.

SPOX: Was man ja auch an Ihren guten Leistungen sieht. Sie sind ein klarer Fixpunkt im VfB-Spiel und stehen so gut wie immer von der ersten bis zur letzten Minuten auf dem Feld. Das sah in der letzten Saison noch ganz anders aus.

Gentner: Das stimmt. Ich musste einen Prozess durchlaufen. Nach meiner Rückkehr nach Stuttgart lief sicher nicht alles optimal für mich, vor allem sportlich nicht. Mittlerweile habe ich mich aber dahin entwickelt, wie ich es mir vorstelle. Für mich war vor der Saison völlig klar, dass ich mich so durchsetzen werde, dass ich nicht mehr aus der Mannschaft wegzudenken sein werde. Diese Rolle möchte ich haben. Ich will eine feste Größe sein.

SPOX: Haben Sie speziell etwas verändert im Vergleich zur letzten Saison?

Gentner: Nein, das habe ich nicht. Wenn Dinge jahrelang gut laufen, sollte man nicht gleich panisch werden und von heute auf morgen alles über den Haufen schmeißen. Das ist vielleicht der wichtigste Punkt. Ich bin nicht mehr so ungeduldig, wie es Anfang der Karriere noch der Fall war. Ich weiß um meine Qualitäten. Ich musste den einen oder anderen Tag, die eine oder andere Woche, geduldiger sein als sonst, aber das habe ich gut hinbekommen. Das zahlt sich jetzt aus. Außerdem habe ich viele Gespräche geführt mit Freunden und engsten Vertrauen, das hat mir auch geholfen.

SPOX: Sind Sie vom Typ jemand, der gerade in so einer schwierigen Zeit wie in der letzten Saison, die Probleme abstreifen kann, wenn er zur Haustür reinkommt?

Gentner: Schwierig. Bei mir ist das ganz unterschiedlich. Auch je nachdem, wie das Spiel gelaufen ist. Manchmal brauche ich länger, um Dinge zu verarbeiten. Da kommen dann nachts die vergebenen Chancen noch einmal hoch. Oder im positiven Fall erinnert man sich an die Erfolgserlebnisse, das gibt es ja zum Glück auch. Man ist einfach emotional noch sehr drin und es dauert, bis der Körper runterfährt. Da ist wie gesagt Basketball eine tolle Ablenkung für mich. Oder auch mit der Familie bis spät abends zusammenzusitzen, um den Kopf frei zu bekommen. Das Gute ist gerade aber auch, dass die Abstände so kurz sind zwischen den Spielen, es geht immer sofort weiter.

SPOX: Einen Druck, den Sie sicher gerne wieder hätten, wäre der Druck in der Nationalmannschaft. Ihr letztes Spiel im DFB-Dress war 2010. Thema abgehakt?

Gentner: Warum sollte ich es abhaken? Ich bin 27 und habe hoffentlich meine besten Jahre vor mir. Wenn es für mich persönlich gut läuft und wir als Mannschaft Erfolg haben, glaube ich schon, dass die Nationalmannschaft wieder ein Thema für mich werden kann. Aber es ist nichts, was mir täglich im Kopf herumschwirrt. Komme ich da wieder rein? Oder war es das? So denke ich nicht. Fakt ist, dass die Nationalmannschaft gerade im Mittelfeld eine unheimliche Qualität besitzt. Ich sehe das ganz entspannt. Ich weiß, dass der Bundestrainer mich kennt, meine Stärken und Schwächen. Und wer weiß, vielleicht ist es mir ja noch vergönnt, bei einem großen Turnier dabei zu sein. Ein Traum wäre es sicher.

SPOX: Ganz zum Schluss noch einmal zurück zur NBA. Wie sieht Ihr Meistertipp aus?

Gentner: Ich hoffe auf die Clippers, aber ich glaube, dass es OKC macht.

Christian Gentner im Steckbrief