Im September 2019 feierte Christian Groß bei Werder Bremen sein Debüt in der Bundesliga - vollkommen unverhofft und im Alter von 30 Jahren. Schnell stieg der Defensivspieler anschließend zur Stammkraft auf. In der Vorsaison jedoch folgte für Groß und den SVW der bittere Gang in die 2. Liga.
Im Interview mit SPOX und Goal spricht Groß über seine Karriereanfänge beim HSV, den beeindruckenden Ruud van Nistelrooy und verpasste Wechsel zu seiner Zeit als Drittligaspieler.
Zudem erzählt Groß von seinem unverhofften Bundesliga-Debüt, Werders Abstieg und seinem Studium.
Herr Groß, Sie sind gebürtiger Bremer und wechselten nach einem Jahr in der B-Jugend des VfL Osnabrück mit 17 Jahren zum Hamburger SV. Dort spielten Sie in der U17, wurden Leistungsträger der U23 und erhielten 2009 erhielten Ihren ersten Profivertrag. Wie nah an einer Bundesliga-Karriere wähnten Sie sich damals?
Groß: Ich ging von zu Hause weg und in jungen Jahren ins Internat eines Bundesligisten - natürlich träumte ich davon, es eines Tages zu schaffen. 2009/10 war ich unter Bruno Labbadia auch relativ nah dran. Ich stand einmal im Spieltagskader und war regelmäßig im Trainingsbetrieb dabei. Die Mannschaft hatte aber unglaublich viel Qualität, das waren ja gefühlt fast alles Nationalspieler. Da war es als junger Spieler nicht so einfach. Es hat für mich damals auch schlicht nicht gereicht, so ehrlich muss ich sein.
Sie trainierten mit Spielern wie Ze Roberto, David Jarolim oder Ruud van Nistelrooy. Welchen Eindruck haben die auf Sie gemacht?
Groß: Es gibt viele kleine Geschichten, an die ich mich erinnere. Ich erinnere mich, wie ich Frank Rost mal als kleiner Knirps beim Tag der Fans traf. Ruud van Nistelrooy war auch total beeindruckend. Er hatte ja alles gesehen und erreicht. Dass er dann trotzdem nach dem Training mit den Co-Trainern draußen geblieben ist, um mit den jungen Spielern Torschuss zu üben, war wirklich beeindruckend.
Was haben Sie durch dieses Verhalten für sich selbst mitgenommen?
Groß: Dass Fleiß Talent immer besiegt und Spieler auf ganz hohen Niveau einfach unglaublich viel investieren, um dieses Level zu erreichen. Irgendwann reicht das Talent alleine nicht mehr. Mich hat beeindruckt, dass ein van Nistelrooy nach all den Jahren immer noch eine solche Einstellung vorgelebt hat. Das hat bei mir wirklich Spuren hinterlassen.
Sie mussten 2011 schließlich in die 3. Liga nach Babelsberg wechseln, um zu Ihrem Profidebüt zu kommen. Wie schwer war es für Sie, die Möglichkeit beim HSV aufzugeben?
Groß: Da ich dicht an einem Bundesliga-Debüt dran war, fing ich natürlich schon an, zu schnuppern und mehr zu wollen. Daher war das ein Stück weit enttäuschend, zumal sich auch ein, zwei Transfers zerschlagen haben, die auf dem Papier besser als die 3. Liga ausgesehen hätten. Ich wollte aber in einer der drei ersten Ligen spielen. Manchmal muss man diesen Schritt zurück einfach gehen, um dann zwei nach vorne zu kommen.
In den nächsten neun Jahren spielten Sie jedoch nie höher als in der 3. Liga. Hatten Sie sich zu diesem Zeitpunkt bereits damit abgefunden, dass es für die 1. oder 2. Liga nicht reichen würde?
Groß: Nein. Mit Mitte 20 gab es den einen oder anderen Moment, wo es hätte klappen können. In den vier Jahren in Osnabrück zwischen 2014 und 2018 waren wir eigentlich auch immer nah dran, in die 2. Liga aufzusteigen.
Anstatt eine Liga höher ging es für Sie 2018 jedoch aus der 3. Liga eine Stufe tiefer zum Regionalliga-Team des SV Werder Bremen. Warum dieser Schritt?
Groß: Ich habe mich irgendwann gefragt, was nach dem Fußball kommt. Ich wollte ihm verbunden bleiben und habe daher geschaut, welche Perspektiven es für mich nach dem Karriereende gibt. Bremen hat mir in diesem Moment als großer, starker Traditionsverein die Tür geöffnet. Ich sollte nicht nur in der U23 spielen, sondern konnte mich auch darüber hinaus im Verein etablieren und hinter die Kulissen zu schauen.
Wie hat sich der Kontakt ergeben?
Groß: Es begann, als Werders U23 in der 3. Liga spielte. Die Gespräche liefen dann gut und ich konnte mich mit der angedachten Rolle identifizieren, den jungen Spielern noch etwas mitzugeben. Die Mannschaft stieg dann jedoch ab, aber ich hatte mich unabhängig davon bereits für Werder entschieden.
Als gebürtiger Bremer spielten Sie dann erstmals für Werder 2018 - wieso hatte das nicht schon früher geklappt?
Groß: Weil die Scouting-Abteilung damals noch nicht gut genug war, um mein Talent zu erkennen. (lacht) Nein, der Bezug zu Bremen ging etwas verloren, als ich mit sechs nach Cloppenburg zog. Als ich dann zum HSV in die Akademie ging, hätte ich auch nach Bremen gekonnt. In Hamburg war das Gesamtpaket HSV aber damals schlicht attraktiver.
Vor drei Jahren durften Sie bei Werder die Vorbereitung absolvieren, da einige Innenverteidiger fehlten. Wann haben Sie erstmals davon erfahren, dass Sie dort mitmachen sollen?
Groß: Die erste Trainingswoche war ich noch bei der U23. Dann kam mein Coach und sagte, dass ich mit ins Trainingslager der Profis fahren sollte. Florian Kohfeldt wollte noch einen Spieler haben, der etwas älter ist und dennoch eine gewisse Trainingsqualität mitbringt. Und dann waren wir erst einmal zehn Tage im Zillertal.
Was wäre denn passiert, wenn man Sie nicht dorthin mitgenommen hätte?
Groß: Keine Ahnung, wahrscheinlich wäre ich Kapitän der U23 geblieben und hätte ungefähr 100 Regionalliga-Spiele gemacht. Weder der Verein, noch ich dachten ja, dass es anders kommen würde.
Sie schafften es sogar auf Anhieb in die Startelf. Ab wann dämmerte Ihnen, dass Sie tatsächlich gute Chancen hatten, bald Ihr Bundesligadebüt zu geben?
Groß: Das kann ich nicht mehr genau sagen. Ich weiß noch, dass ich das erste Mal für einen Kurzeinsatz in der 93. Minute eingewechselt wurde. Allein davon hatte ich als Kind immer geträumt - und jetzt habe ich mittlerweile 37 Bundesligaspiele gemacht. Nach und nach wurde mir im Training und den Spielen klar, dass es funktioniert und ich auf dem Niveau mithalten kann.
Wie sind Sie in der Folge mit den Veränderungen umgegangen, die Ihnen als Bundesligaprofi blühten: höhere Bekanntheit, größerer Druck, mediale Präsenz?
Groß: Das Privatleben verändert sich insofern, dass man im Urlaub mal erkannt wird oder ich nach einem Autogramm gefragt werde, wenn ich meine Kinder in die Kita bringe. Das Spiel in München war ja nicht so gut - auf solche Sachen wird man dann natürlich angesprochen. Man wird leider oft auf den Fußballer reduziert und interessiert sich nicht so sehr für den Menschen hinter mir. Das vermisse ich manchmal. Der Fußball polarisiert halt sehr stark, ob bei Sieg oder Niederlage.
Als Werder im Vorjahr am 20. Spieltag in Bielefeld gewann, war das für viele gleichbedeutend mit dem vorzeitigen Klassenerhalt. Anschließend gab es keinen Sieg mehr und man stieg am letzten Spieltag ab. Inwiefern war man sich auch in der Mannschaft zu sicher, dass das mit dem Klassenerhalt schon irgendwie reichen würde?
Groß: Sicher war keiner. Wir wussten, dass wir noch lange um den Klassenerhalt spielen würden. In dem Moment sah es vielleicht nicht so aus, aber das war uns schon allen bewusst. Wir sind dann in eine Negativspirale geraten, aus der wir uns einfach nicht mehr befreien konnten.
Am vorletzten Spieltag kassierten Sie dann in Augsburg einen Platzverweis, welcher zu einer bitteren 0:2-Niederlage und zur Entlassung von Kohfeldt führte. Wenn Sie heute daran zurückdenken, was würden Sie anders machen?
Groß: Es ist einfach so: Manchmal trifft man Entscheidungen, die man im Nachhinein bereut. Diese Szene war so eine, das hätte ich besser machen können. Ich war aber nicht der Auslöser für den Abstieg. Es gab auch die ganzen Spiele zuvor, in denen uns leider kein Sieg gelang.
Kam für Sie die anschließende Entlassung von Kohfeldt einen Spieltag vor Saisonschluss überraschend?
Groß: Nach einem solchen Trend ist es logisch, dass der Trainer irgendwann gehen muss. Ich hatte ein sehr gutes Verhältnis zu ihm, dank ihm bin ich ja doch noch Bundesligaspieler geworden. Ich hoffe deshalb, dass er bald wieder auf die Bildfläche zurückkehren wird. Wir hatten anschließend minimalen Kontakt, aber ich glaube, dass er etwas zeitlichen Abstand braucht, um die Dinge für sich selbst zu verarbeiten. Wir werden aber sicherlich noch einmal über alles im Detail reden.
Sie waren der erste Spieler, der bekanntgab, auch in der 2. Liga für Werder spielen zu wollen. Nebenbei studieren Sie noch Betriebswirtschaftslehre und Management. Funktioniert beides zusammen?
Groß: Es ist schon schwierig, den Fußball, die Familie mit zwei Kindern und das Studium vernünftig zu verbinden. Abends bleiben nur noch ein, zwei Stunden übrig, um etwas dafür zu machen - und bei den Online-Vorlesungen turnen bei mir eben zwei kleine Kinder im Hintergrund herum.
gettyWie läuft's denn dann insgesamt?
Groß: Ich habe Mitte Juli zwei Klausuren geschrieben und mich mal wieder etwas aktiver gezeigt. Mathe lief super, in Statistik hatte ich so meine Schwierigkeiten. Ich hoffe jetzt, dass ich das Studium in naher Zukunft beenden kann. Die Corona-Zeit hat mir geholfen, die Vorlesungen online zu besuchen und so auch an den Prüfungen teilzunehmen. Die Türen sind jetzt wieder etwas geöffneter als zuvor.
Werders Sport-Geschäftsführer Frank Baumann bestätigte bereits, dass es mit Ihnen eine Vereinbarung gibt, wonach Sie nach dem Karriereende bei Werder im sportlichen Bereich beschäftigt werden. Wie wird das genau aussehen?
Groß: Während meiner Zeit in der U23 habe ich ein Jahr lang ein Praktikum in der Scoutingabteilung gemacht. Das hat mir total gut gefallen und kann ich mir sehr gut vorstellen. Ich versuche, mich neben dem aktiven Fußballspielen breit aufzustellen.