München - Erinnern wir uns doch mal gute 20 Jahre zurück. Franz Beckenbauer war damals auch schon der Kaiser. Und im Nebenberuf noch Teamchef der Nationalmannschaft.
Franz Beckenbauer musste sehr geschichtsbewandert sein. Denn er wusste, dass nur ein Kaiser, der sich Rat bei seinen Untertanen holte, auch ein guter Kaiser war.
Also holte sich Beckenbauer Rat. Bei Uli Hoeneß, bei Fritz Scherer, bei der Südkurve im Olympiastadion. Und als es dann an die Nominierung der 22 Teilnehmer für die WM 1986 ging, rutschte auf einmal ein ungelenker Schwabe in den Kader, den vorher nur wenige Insider auf der Rechnung hatten.
Hoeneß statt Klinsmann
Dieter Hoeneß durfte neben den gesetzten Klaus Allofs, Kalle Rummenigge und Rudi Völler als vierter Stürmer mit nach Mittelamerika. Trotz nur 15 Saisontoren beim deutschen Meister.
Illustre Spieler wie Frank Neubarth, Jürgen Klinsmann, Torschützenkönig Stefan Kuntz oder Klaus Täuber - die allesamt mehr Treffer erzielt hatten als Hoeneß - konnten dagegen getrost den Urlaub in Rimini buchen.
Was uns das sagt? Nun, die Nominierung des Spielerkaders für ein großes Turnier ist mitunter nicht rational zu erklären und erfordert vom Entscheidungsgremium eine Melange aus Wissen, Bauchgefühl und Mut. Oder wie anders wäre sonst die Nominierung von David Odonkor für die WM im letzten Jahr zu erklären?
Wen mitnehmen, wen ausladen?
Insofern kommt auf den heutigen Bundestrainer Joachim Löw Mitte Mai 2008 seine vielleicht schwierigste Aufgabe überhaupt zu. Da muss nämlich der EM-Kader stehen.
Aber wen mitnehmen? Und wem die traurige Botschaft übermitteln? Sechs Monate und zwei Testspiele vor dem Tag X hat SPOX.com sich Gedanken gemacht und eine kleine Hilfestellung für Löw gebastelt.
Das Gerüst steht
Das Gerüst aus 18 Spielern steht, bleiben also noch fünf Planstellen. "Wir kennen unseren Stamm", sagt Löw und verweist auf jene Spieler, "die schon bei der WM 2006 und jetzt in der Qualifikation Leistungsträger waren".
Auf Mannschaftsteile bezogen hieße das nach heutigem Stand: Ein rechts- und ein Innenverteidiger, zwei Mittelfeldspieler und ein Stürmer werden noch gesucht.
"Der Kampf um einige Plätze wird schon richtig entbrennen", bemerkte Löw nach dem Spiel gegen Wales, dem letzten im Jahr 2007. "Die Spieler müssen sich jetzt in erster Linie über die internationalen Spiele und die Bundesliga bewähren", erklärte Löw.
Castro ist wohl raus
Gegen die Briten und einige tage zuvor gegen Zypern testete er seine Wackelkandidaten - mit unterschiedlichem Erfolg.
Für Gonzalo Castro etwa ist die EM-Teilnahme nach der dürftigen Vorstellung gegen Wales in weiter Ferne gerückt. Viel bessere Chancen hat dagegen Clemens Fritz auf der rechten Verteidigerposition.
Könnte sich Jogi Löw einen Spieler schnitzen, er müsste wie Fritz sein. Der Bremer passt perfekt ins Schema des dynamischen und eloquenten Teamplayers, den Löw sucht. Fritz' Chancen stehen besser denn je - trotz des ebenfalls mageren Auftritts gegen Wales.
Borowski muss zittern
Als Innenverteidiger kommt momentan nur Manuel Friedrich in Betracht. Der spielt in Leverkusen eine solide Saison und hat zudem noch den großen Vorteil der mangelnden Konkurrenz.
Im Mittelfeld ist die Lage schon schwieriger. Momentan hat Thomas Hitzlsperger einen der 18 fixen Plätze reserviert. Dagegen muss Tim Borowski ein wenig zittern. Der Bremer ist noch meilenweit weg von seiner alten Form. Da aber noch ein halbes Jahr vergeht bis zum Start, bleibt Borowski genügend Zeit. Fazit: Ist dabei.
Bliebe noch ein Platz, um den sich Roberto Hilbert, Piotr Trochowski, Simon Rolfes und Jermaine Jones balgen. Hilbert und Trochowski haben den Nachteil, dass sie auf ihren jeweiligen Positionen (rechte Außenbahn und zentrales Mittelfeld) zu viel Konkurrenz haben. Von den Gesetzten kann immer mindestens einer diese Position ausfüllen. Also Fritz das rechte Mittelfeld, Schweinsteiger, Ballack oder Schneider die Kreativzentrale.
Jones sticht Rolfes aus
Auf der Sechsposition ist das anders. Da war Sebastian Kehl bei der WM noch eine Option für Torsten Frings. Jetzt streiten sich Jones und Rolfes um das Kronprinzenamt. Und obwohl Jones noch gar nicht gespielt hat, dürfte er doch die besseren Chancen besitzen. Rolfes ist einfach zu brav, Jones dagegen ein echter Pitbull. Entscheidung pro Jones.
Und dann noch der Angriff. Mike Hanke, Patrick Helmes, Oliver Neuville und Stefan Kießling streiten sich um den fünften Stürmerplatz. Helmes und Neuville haben es als Zweitligaspieler dabei sicherlich ein bisschen schwerer.
Hanke ist ein ganz passabler Knipser, kann aber nichts so richtig gut. Schon 2006 hat seine Nominierung überrascht. Kießling ist eher der mitspielende Stürmer, trifft dafür aber das Tor viel zu selten.
Da gibt's noch einen bei Bayern
Vielleicht sollte Löw noch mal einen Blick auf den Kader von 1986 richten. Da nahm der Kaiser nämlich nur vier Stürmer mit - und dafür einen Mittelfeldspieler mehr. Den 19-jährigen Olaf Thon. Ein Spielertyp, der frisch war und unverbraucht. Stark im Eins gegen Eins und bei Standards. Wuselig und mit tollem Auge.
So einen hat die Bundesliga. Er spielt nur leider zu selten. Neulich hat man ihn bei den Amateuren in der Regionalliga Süd gesehen. Er spielt für den FC Bayern München. Sein Name ist Toni Kroos.