Emre Can führt die deutsche U-17-Nationalmannschaft bei der WM als Kapitän aufs Feld. Der Youngster vom FC Bayern ist ein Paradebeispiel für gelungene Integration und träumt den Traum vom kommenden Nachwuchs-Star, der Talent voraussetzt, aber eben auch Entbehrungen mit sich bringt. Trotz großer Sprünge ist der Sohn türkischer Eltern bescheiden geblieben - und zieht im Teamhotel den Swimmingpool der Spielkonsole vor.
Wer Emre Can gegenübersteht, denkt nicht, dass der junge Mann gerade mal so alt ist wie Pop-Sternchen Justin Bieber. Mit 1,84 Meter besitzt der im Januar 1994 geborene Kapitän der deutschen U-17-Nationalmannschaft bereits Gardemaß und überragt viele seiner Altersgenossen.
"Meine Mutter kocht eben überragend", sagt ein lachender Can im Gespräch mit SPOX auf seine gute körperliche Entwicklung angesprochen. "Nein, im Ernst: Ich weiß nicht, woran das liegt", fährt er fort. "Meine Familie ist sonst eigentlich eher kleingewachsen: mein Vater ist 1,70 Meter, meine Mutter nur 1,55 Meter."
"Habe gelernt, Verantwortung zu übernehmen"
Wer Can zuhört, kommt ebenfalls nicht auf die Idee, dass der junge Mann gerade erst 17 Jahre alt ist. Bereits mit 15 verließ der Deutsch-Türke das Elternhaus in Frankfurt, um für den FC Bayern zu spielen.
Eintracht-Nachwuchschef Armin Kraaz attestierte Can damals schon eine "grandiose Begabung", Frankfurt hatte gegen die Verlockungen des FC Bayern jedoch keine Chance.
"Ich bin jetzt seit zwei Jahren alleine in München, meine Familie wohnt immer noch in Frankfurt", berichtet Can heute. Man kennt das: Jugendspieler zieht es zu größeren Vereinen, die ersten Monate fern der Familie sind hart. Manche schaffen es nicht, bei anderen geht das "Mann werden" fortan schneller voran. Can ist einer von denen, die die Uhr vordrehten.
"Beim FC Bayern habe ich gelernt, selbstständig zu sein und Verantwortung zu übernehmen", sagt Can. Im Jugendinternat des FCB muss er sein Zimmer ordentlich halten, die Sperrstunde respektieren und mit vielen anderen Spielern unter einem Dach klar kommen. Keine unmenschlichen Regeln, aber auch nicht leicht für einen Teenager fern des Elternhauses.
Jetzt schon in Jonkers Team
In der U-17-Nationalmannschaft ist er im zentralen Mittelfeld der Chef, nimmt die Schweinsteiger-Rolle neben Robin Yalcin ein. "Beide sind hochtalentierte Fußballer, die technisch und taktisch sehr weit sind und auch Verantwortung übernehmen", lobt Trainer Steffen Freund seine Schaltzentrale.
Obwohl Can beim FCB auch schon in der Innenverteidigung gespielt hat, sieht er seine Zukunft im Zentrum. "Dort fühle ich mich am wohlsten, egal ob offensiv oder defensiv", sagt er. Im Verein spielte er in der vergangenen Spielzeit schon in der U 19, trainierte sogar schon bei den Profis mit.
Kommende Saison nimmt ihn kein geringerer als Andries Jonker unter die Fittiche, Can soll im Regionalliga-Team spielen. Trotzdem ist Can aber bescheiden geblieben. "Ob es jetzt mein linker Fuß oder mein Kopfballspiel ist - ich kann noch einiges verbessern", sagt er.
Sein Körper ist dabei sein Faustpfand. "Ich profitiere da natürlich vom Kraft- und Stabilisationstraining, auf das beim DFB viel Wert gelegt wird", sagt er, er weiß aber auch: Seine gute körperliche Verfassung kommt ihm in den Jugendklassen jetzt noch zugute, bei den Erwachsenen ist er später nur einer von vielen Kleiderschränken.
Achtelfinale - und mehr?
Momentan gilt Cans Konzentration aber nur der U-17-Weltmeisterschaft.
Seit dem 12. Juni ist der DFB-Tross in Santiago de Queretaro stationiert, dort finden auch die Gruppenspiele gegen Ecuador (6:1), Burkina Faso (23.06.) und Panama (25.06.) statt.
Trainer Freund schwärmte bereits vor dem Turnier von einer "unbezahlbaren Erfahrung" für seine 21 Youngster. Das erklärte Ziel: Achtelfinale. "Wenn wir das erreicht haben, werden wir sehen, was noch möglich ist", sagt der Coach.
Eine einfache - wie auch einleuchtende - Botschaft in Richtung seiner Spieler lautet: "Die Teilnahme an internationalen Turnieren wie EM und WM erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass der Traum, Fußball-Profi zu werden, wahr werden könnte."
Als Beispiele nennt er gerne Toni Kroos, der bei der U-17-WM 2007 in Südkorea zum besten Spieler gewählt wurde, und Mario Götze, dessen Stern bei der U-17-EM 2009 aufging. "Für meine Spieler sind sie die perfekten Vorbilder", so Freund.
Vom Azteken-Stadion träumen...
Und wem das noch nicht genug Motivation ist: Halbfinale und Finale der WM finden diesmal im kolossalen Azteken-Stadion in Mexico City statt - ein hoher Anreiz für die Spieler. "Das ist sicher irre, dort aufzulaufen", sagt Can, und dann, wieder ganz fokussiert: "Aber wir schauen jetzt erstmal auf uns und können später noch davon träumen."
Bislang stand in Queretaro vor allem eins auf der Agenda: Akklimatisierung. 30 Grad im Schatten auf 1820 Metern über dem Meeresspiegel steckt nicht jeder leicht weg. Dazu kommt das Ungewisse, weil man die Vorrunden-Gegner kaum kennt. "Bis jetzt sind wir alle cool drauf, aber die Anspannung wächst und ist bis zum ersten Spiel auf jeden Fall voll da", sagt Can.
Wo man sich früher mit Kartenspielen und Tischtennis die Zeit zwischen den Trainings vertrieb, stehen nun Computer und Konsolen ganz oben auf der Beschäftigungsliste. "Ich weiß, dass sie auf ihren Zimmern am PC sitzen und Freunde über Facebook anmailen. Manche spielen PlayStation bis zum Abwinken", witzelte Freund im Gespräch mit SPOX.
Can drückt es diplomatisch aus: "Wir haben hier einen schönen Pool, da muss ich nicht unbedingt die ganze Zeit auf dem Zimmer sein." Pflichten als Kapitän nimmt er jedoch jetzt schon wahr: "Wenn ich merke, dass einer gar nicht bei der Sache ist, dann sage ich auch was."
Acht Spieler mit türkischen Wurzeln
Als Deutsch-Türke liegt Can voll im Trend der U 17. Mit Levent Aycicek, Okan Aydin, Kaan Ayhan, Koray Günter, Koray Kacinoglu, Robin Yalcin, Samed Yesil und eben Can haben acht der 21 Spieler im Kader einen türkischen Migrationshintergrund.
Methode steckt aber nicht dahinter. "Das ist Zufall. Wir sind hier bei der Nationalmannschaft, weil wir gute Fußballer sind. Wir unterscheiden auch nicht, ob jemand türkische Vorfahren hat oder nicht. Das ist uns egal", sagt Can, wohlwissend, dass man in der Türkei sehr genau beobachtet, wer eines Tages vielleicht auch für das eigene A-Team interessant werden könnte.
Auch Can wurden schon vom türkischen Verband Avancen gemacht. Der stellt aber klar: "Ich will meinen Weg beim DFB gehen." Auch, wenn man natürlich nicht wissen könne, was die nächsten Jahre bringen werden. Beim DFB werden sie jedenfalls alles tun, die Spieler bei der Stange zu halten. Freund spricht als ehemaliger Profi die Sprache der Jungs. "Jeder Spieler kommt sehr gut mit ihm zurecht. Er ist ein sehr guter Trainer. Bei uns kann jeder zwischen Spaß und Ernst unterscheiden. Die Mischung stimmt", sagt Can.
Ein Ritual hat das Team auf dem Weg zur WM in Qualifikation, Eliterunde und U-17-EM schon gefunden: nach jedem Sieg schmettern die Spieler dem Trainer "Ein Freund, ein guter Freund" entgegen. "Ein Lehrer beim DFB hatte uns das mal beigebracht", sagt Can und lacht.
Comedian Harmonists immer dabei
Die U-17-Nationalmannschaft ist siegeshungrig. Favoriten auf den Titel gibt es allerdings viele. "Brasilien muss eine sehr starke Mannschaft haben. Ansonsten zählt Europameister Niederlande für mich zu den besten Teams. Und auch wir wollen zeigen, dass wir eine sehr gute Mannschaft haben", sagt Can.
Dass sich Freunds Schützlinge in Mexiko nicht verstecken brauchen, stellte dieser schon gegenüber SPOX klar: "Ich glaube, dass einer dieser 21 Jungs bereits nächstes Jahr in der Bundesliga spielen wird."
Ob es Can sein wird? "Natürlich wäre ich das gerne", sagt er. "Mal schauen, wie es kommt - ich gönne es jedenfalls jedem!"
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