Helen Breit war als Fanvertreterin Teil der DFL-Taskforce "Zukunft Profifußball" und ist Vorsitzende des Fanbündnisses "Unsere Kurve", einer Vertretung organisierter Fans in Deutschland. Diese ziehen sich immer weiter zurück. Doch steckt da wirklich nur die Corona-Pandemie dahinter?
Im Gespräch mit SPOX und Goal spricht Breit, selbst Anhängerin des SC Freiburg, über die Gründe für den Rückzug der Anhänger, die derzeitige Attraktivität der Bundesliga, die aus der Pandemie gewonnenen Erkenntnisse und die Definition von Erfolg.
Helen Breit über...
... möglicherweise fehlendes Zuschauerinteresse an Livespielen in den Stadien: Wir haben nach wie vor eine Pandemie, in der sich manche Menschen immer noch gegen Ansammlungen und Kontakt zu anderen entscheiden. Die Leute holen viele Dinge nach, denen sie in den letzten anderthalb Jahren nicht nachgehen konnten.
Das muss man berücksichtigen, wenn man über nicht vollbesetzte Stadien spricht. In organisierten Fanszenen herrscht dennoch weiterhin eine große Enttäuschung darüber, dass bisher keine Reformen umgesetzt worden sind und nur wenige Empfehlungen aus der DFL-Taskforce angegangen wurden. Es wird weiterhin lediglich wie eine historische Zäsur behandelt.
Bundesliga und Fan-Entfremdung: "Höchste Zeit für Änderungen"
... die Erkenntnisse der Fans während der Pandemie: Die Frage nach einer vollen Auslastung der Stadien und einem Erlebnis, wie man es von früher kennt, spielt ebenfalls eine Rolle. Vielen Fans fehlt die Atmosphäre von vollen Stadien. Einige wollen erst wieder ins Stadion, wenn alles so ist wie früher. Ich spüre bei vielen Menschen aus organisierten Fanszenen auch eine gewisse Entwöhnung von dem Ritual. Zuvor war das gesamte Leben nach dem Spielplan getaktet. Durch die Pandemie konnten die Spiele lange nur vor dem Fernseher verfolgt werden. Dadurch entstehen andere Prioritäten und man merkt, dass es wichtigere Dinge als den Stadionbesuch gibt.
Darüber hinaus spielt der - teils sensible - Umgang der Vereine mit den Infektionsschutzgesetzen, ob es nun 2G oder 3G ist, ebenfalls eine Rolle. Der kritische Blick auf die fortschreitende Kommerzialisierung des Fußballs wird mittlerweile auch von mehr Menschen geteilt, als es vor der Pandemie der Fall war. Die symbolische Botschaft der Geisterspiele, die bei einigen Fans ankam, war: "Wir können auch ohne euch Geld verdienen, wir brauchen euch nicht für diesen Sport. Das Spiel und die Übertragungen funktionieren auch so."
Das hat bei viele Fans erst mal dazu geführt, nicht mehr bedingungslos alles für ihren Klub zu geben. Ich würde allen Vereinen und Entscheidungsträgern empfehlen, ihren Fans zuzuhören und nachzufragen, was sie brauchen und dann entsprechende Bedingungen zu schaffen.
... das größte Problem des Fußballs unabhängig von der pandemischen Lage: Wir haben uns in der Taskforce "Zukunft Profifußball" der DFL intensiv mit den notwendigen Veränderungen im Fußball auseinandergesetzt.
Er muss sich wieder an die Gesellschaft binden, bodenständiger werden, wirtschaftliche Stabilität ausstrahlen, er darf nicht mit solch horrenden Summen um sich werfen und in einer eigenen Blase leben. Das sind Aspekte, die bereits lange verhandelt werden, allerdings nie derart transparent gemacht wurden.
Wir diskutieren über eine Entfremdung zwischen Fans und den Vereinen. Es geht weiterhin darum, dass Fußballfans als Konsument*innen betrachtet werden und nicht als Teil des Fußballs. Es ist verständlich, dass Reformen nicht von heute auf morgen umgesetzt werden können, allerdings ist es mittlerweile höchste Zeit für spürbare und sichtbare Änderungen.
Breit: Modus-Reformen? "Nicht noch mehr Geld in den Fußball"
... mögliche Modus-Reformen für eine sportliche und finanzielle Ausgeglichenheit und größere Spannung in der Bundesliga: Ich bin der festen Überzeugung, dass wir nicht noch mehr neue Modelle brauchen, um noch mehr Geld in den Fußball zu bringen. Vielmehr brauchen wir Modelle, die eine gleichmäßigere Verteilung der Erlöse ermöglichen.
Die DFL und die Vereine hatten die Möglichkeit, bei der letzten Vergabe der TV-Rechte eine andere Verteilung zu beschließen. Allerdings ergaben sich daraus nur minimale Veränderungen. Es ist nicht so ausgeglichen, wie es vielleicht dargestellt wurde.
Die Durchlässigkeit der Ligen beziehungsweise das Ligensystem hat einerseits Tradition, andererseits hat es sich über lange Zeit bewährt. Die Spreizung resultiert aus der Verteilung der Gelder, nicht aufgrund eines schlechten Ligasystems. Es wird immer mehr Geld durch Fußball generiert.
Bei Vereinen mit mehr Reichweite und einer besseren Infrastruktur wird es dementsprechend mehr als bei anderen. Der sportliche Wettbewerb wird über den wirtschaftlichen gewonnen, das muss umgekehrt werden.
... den fehlenden Sinn von noch mehr Vermarktung: Die Monotonie des sportlichen Wettbewerbs an der Spitze resultiert aus der Ungleichheit in der Liga. Die Lösung ist allerdings nicht, die Vermarktungsmöglichkeiten noch mehr zu steigern. Damit wird ja keiner Ungleichheit begegnet. Im Gegenteil, sie wird fortgesetzt.
Die Liga ist nach wie vor ein Verbund, der Fußball funktioniert nur gemeinsam. Der FC Bayern muss auch gegen alle anderen Teams spielen. Aufstieg, Abstieg, Meisterschaft - das alles gehört zu einem spannenden Wettbewerb. Das macht die Spannung aus. Da wollen wir wieder hin und nicht zu noch mehr Eintönigkeit.
... die größere Entscheidungsmacht bei größeren Vereinen: Wir haben uns als Fan-Vertreter*innen klar positioniert und Rechnungen zur Verringerung der aktuellen Spreizung bei den TV-Erlösen aufgestellt. Es gab auch Vereine, die sich ganz klar positioniert haben.
Erinnern wir uns beispielsweise an den Auftritt von Karl-Heinz Rummenigge, der erklärt hat, dass die kleineren Vereine nichts zu sagen hätten und sich unsolidarisch verhalten würden. Das war ein Schauspiel und eine Machtdemonstration, die dem Thema nicht würdig war. Man muss gemeinsam überlegen, wo man mit dem Fußball hinmöchte. Wir müssen zunächst den nationalen Wettbewerb stärken und gesund aufbauen, bevor wir auf den internationalen schauen.
... die Rolle kleinerer Vereine und deren Fans: Es besteht keine Gefahr, dass vier Vereine über alle anderen entscheiden, solange die anderen Klubs, die in der Mehrheit sind, gemeinsam gute Lösungen finden. Sie sind aufgefordert, mutig in die Diskussion zu gehen und abzuwägen, was die Liga braucht.
Auch der FC Bayern hat keine sechs Stimmen, sondern nur eine. Die kleineren Klubs sind nicht ohnmächtig, sondern tragen ebenfalls Verantwortung, genauso wie deren Fans, die als Mitglieder aufgefordert sind, sich einzubringen. Diejenigen, die eine Ausgeglichenheit des Wettbewerbs haben wollen, müssen ihre Stimme in den Bereichen erheben, in denen es möglich ist und ihre Vereine dazu auffordern, ihre Stimme in der DFL zu ergreifen.
Sollte man sich entscheiden, nur drei Vereine zu unterstützen damit sie international erfolgreich spielen, während alle anderen zugrunde gehen, fände ich das nicht gut, aber es wäre ehrlich. Ich denke allerdings nicht, dass jemand so abstimmt.
gettyBreit: Investoren? "Mehr Geld ist nicht gleich Chancengleichheit"
... die Vertretbarkeit eines möglichen Einstiegs von Investoren bei kleineren Teams um eine größere Chancengleichheit zu erzielen: Mit noch mehr Geld im System erreicht man keine größere Chancengleichheit. Hier sind klare Rahmenbedingungen über die Verbände und das Lizenzierungsverfahren gefragt. Außerdem ist es für jeden Verein eine wichtige Frage, wie sportlicher Erfolg festgelegt wird.
Ich bin Anhängerin des SC Freiburg. Für Freiburg ist der Erfolg der Klassenerhalt, alles darüber hinaus ist genial. Ich habe in Freiburg noch nie Fans erlebt, die sagen, der Verein müsse alles verkaufen und all seine Werte aufgeben, um einmal Champions League zu spielen. Sie würden auch in der zweiten Liga zum Fußball gehen.
Daran muss man sich als Verein orientieren und sich die Frage stellen, wie man seine Fans langfristig an den Klub binden kann, sodass sie nicht nur als Event-Teilnehmer*innen dabei sind, um den maximalen sportlichen Erfolg zu verfolgen und im umgekehrten Fall alles über den Haufen schmeißen würden.
Der Fußball und seine Vereine leben von den über Jahre hinweg aufgebauten Werten, die dann auch gelebt werden. Dadurch entsteht eine Identifikation mit dem Verein und der Region. Daher bin ich eine Verfechterin des e.V. Kein eingetragener Verein ist gut beraten, schnell auszugliedern, um der Idee hinterher zu laufen, mit schnellem Geld zu schnellem Erfolg zu kommen.