FC Basel und die verlorene Dominanz: Obacht, Bayern! So schnell kann die nationale Vormachtstellung verloren gehen

Nino Duit
07. Juli 202210:30
Trainer Urs Fischer führte den FC Basel 2017 zum achten Meistertitel in Folge.imago images
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Der FC Bayern München gewann in der Bundesliga zehn Titel in Folge und scheint der Konkurrenz uneinholbar enteilt. Eine ähnliche Situation gab es vor einigen Jahren auch in der Schweiz, ehe erstaunliche Entwicklungen einsetzten.

Nach zehn Meistertiteln in Folge wird der sportlich und finanziell enteilte FC Bayern München einmal mehr mit dem besten Kader aller Bundesligisten in die neue Saison starten, begleitet von der seit Jahren schwelenden Langweiligkeits-Debatte. Warum überhaupt spielen, wenn der Meister eh schon vorher feststeht?

Die gleiche Frage stellte sich 2017 auch in der Schweiz (und 2016 und 2015 und 2014 und 2013 und 2012 und 2011 und 2010 mit zunehmender Dringlichkeit). Verantwortlich für all die eidgenössische Eintönigkeit war ebenfalls ein FCB. Der FC Basel wirkte genau wie hierzulande der FC Bayern für alle Zeit uneinholbar.

Doch dann geschah das Wunder: Der rote FCB stürzte nach acht Titeln in Folge ab, der schwarz-gelbe Herausforderer stoppte die Meisterserie - und startete seine eigene. Bis heute holte Basel keinen Meistertitel mehr, nach vier Triumphen der Young Boys Bern gewann zuletzt überraschend der FC Zürich unter Trainer Andre Breitenreiter. Wie konnte das passieren?

FC Basel 2017: Wie derzeit beim deutschen FCB

Basels letzter Meistertitel in der Saison 2016/17 war der dominanteste überhaupt. Die Mannschaft von Trainer Urs Fischer führte die Tabelle vom ersten bis zum letzten Spieltag an, am Ende stand ein Punkterekord von 86. "Nirgendwo auf der Welt ist die Meisterschaft langweiliger als in der Schweiz", klagte die Basler Zeitung bz.

Die langjährigen Macher Präsident Bernhard Heusler und Sportdirektor Georg Heitz "haben mit dem FCB einen Koloss geschaffen, der im heimischen Markt alles verschlingt, was er verschlingen will. Eigentlich zu gefräßig, zu groß und zu reich für die Schweiz", schrieb die Aargauer Zeitung. Der nächste Basler Titelgewinn käme "etwa so überraschend wie ein Schokoladenhase zu Ostern".

"So eine Dominanz ist echt langweilig: aus Perspektive der anderen Klubs, aber auch aus der des eigenen", sagt Beni Pfister zu SPOX und GOAL. Er führt die Basler Fußball-Kneipe "Didi Offensiv" und verfasste ein Buch über die Fan-Geschichte seines Lieblingsklubs. "Die Emotionen waren nicht mehr vergleichbar mit denen bei den ersten Titeln. Alles war ein bisschen abgestumpft." Ein Spiegelbild der aktuellen Situation in München, wo bei Meisterfeiern am Marienplatz längst keine Eskalationsgefahr mehr besteht.

Trainer Urs Fischer führte den FC Basel 2017 zum achten Meistertitel in Folge.imago images

Die Schweizer Liga änderte den Modus

Entscheidend für Basels finanzielle Überlegenheit waren die regelmäßigen Einnahmen aus den internationalen Wettbewerben. Bis dahin hatte der Serienmeister seit Einführung der Champions League rund 100 Millionen Franken verdient, alle Schweizer Rivalen kamen zusammen auf 36 Millionen. Fast jährlich verkündete Basel Umsatz- und Gewinn-Rekorde.

Auf gewohnten Wegen schien die Dominanz unbrechbar, also setzte in der Schweiz eine öffentliche Debatte über Alternativen ein. Diskutiert wurden Solidaritätszahlungen und natürlich die Einführung von Playoffs, um künstliche Spannung zu erzeugen. Wie derzeit in Deutschland. "Die jetzige Situation in der Bundesliga erinnert mich sehr an unsere 2017", sagt Pfister.

Die Schweizer Liga beauftragte damals die niederländische Firma Hypercube, den nationalen Fußball zu durchleuchten und Reformvorschläge zu machen. Zur Saison 2023/24 wird tatsächlich ein neues System samt Best-of-Three um den Titel implementiert, Basels Meisterserie endete aber schon lange vorher.

Verantwortlich dafür waren einerseits die schwarz-gelben Young Boys, die kontinuierlich gute Arbeit leisteten und trotz zweier Vize-Meisterschaften an Trainer Adi Hütter festhielten. Verantwortlich dafür war aber vor allem auch der FC Basel selbst, der sich einem folgenschweren Umbruch verschrieb und damit den Absturz einleitete.

FC Basel: Der Umbruch nach dem Titel 2017

Die Erfolgsgaranten Heusler und Heitz traten im Zuge des achten Titelgewinns zurück, was ein Großteil der Fans nachvollziehen konnte. "Das Präsidium hat sich im Niemandsland bewegt: zu stark für die nationale Liga und international das Maximum herausgeholt. Es gab keine Ziele mehr", erinnert sich Pfister. "Deshalb war es gut, dass ein Wechsel mit neuem Konzept und neuen Leuten erfolgt ist."

Zum Präsidenten gewählt wurde der Medienunternehmer Bernhard Burgener. Ihm zur Seite standen Basler Klub-Ikonen: Marco Streller übernahm das Amt des Sportdirektors, Alex Frei und Massimo Ceccaroni bekamen Posten als Verwaltungsräte. Auf der Trainerbank ersetzte der bisherige Jugendtrainer Raphael Wicky Fischer, der in seiner zweijährigen Amtszeit den besten Punkteschnitt der Klubgeschichte erreicht hatte und mittlerweile erfolgreich bei Union Berlin arbeitet. Alles Identifikationsfiguren. Aber auch: Novizen.

Im offiziellen Klub-Magazin wurde unter dem Titel "Der Umbau eines blitzsauberen Hauses" die Philosophie der neuen Führung dargelegt. "Ein Ziel ist, dass wir nicht mehr ganz so viele Spieler im Kader haben - dafür aber vermehrt junge Akteure aus den eigenen Reihen, sodass wir eines Tages hoffentlich wieder rund sechs bis acht Basler in der ersten Mannschaft haben", wurde Burgener zitiert.

FC Basel und das Problem mit den Nachwuchsspielern

Auf allen Ebenen ging es der neuen Führung um mehr Identifikation. So sollte die Begeisterung im Umfeld neu entfacht werden - selbstverständlich bei Fortsetzung des Erfolgslaufs. "Ich war sehr positiv gestimmt, habe viele Sachen davon gut gefunden", erinnert sich Pfister. Die Aussicht auf noch mehr Xherdan Shaqiris, Granit Xhakas und Breel Embolos war reizvoll. Nur: Wo waren sie denn?

"Man hat versucht, Nachwuchsspielern Chancen zu geben, musste dabei aber feststellen, dass ihre Qualität nicht ausreicht. Wenn man sagt, man will Nachwuchsspieler einbauen, heißt das nicht automatisch, dass man auch gute Nachwuchsspieler hat", sagt Pfister. Abgesehen vom jungen Stürmer Albian Ajeti startete kaum einer durch, gleichzeitig wurden die Leistungsträger Manuel Akanji, Renato Steffen und Marc Janko abgegeben.

In der Meisterschaft hechelte der neue FC Basel von Beginn an den Young Boys hinterher, die letztlich souverän den Titel holten. Tatsächlich! Das Undenkbare war passiert. In der Champions League gelang Basel noch der beachtliche Sprung ins Achtelfinale. Ein letztes Hurra.

Young Boys Bern avancierten zum Serienmeister

Als im darauffolgenden Sommer das Qualifikations-Hinspiel gegen PAOK Saloniki verloren ging, brach Panik aus. Wicky musste nach nur zwei Saisonspielen Ende Juli gehen. "Ein Fehler", wie Pfister findet. Unter Interimstrainer Alex Frei wurde die Champions League verspielt, unter Nachfolger Marcel Koller die Europa League.

Während Basel erstmals seit 16 Jahren international zuschaute, begannen die Young Boys mit ihrer ersten Champions-League-Teilnahme die finanzielle Lücke zum Rivalen mit dem teureren Kader zu schließen - und schließlich umzudrehen. In Deutschland wäre eine solche Entwicklung übrigens deutlich unwahrscheinlicher, müsste der Serienmeister doch konstant aus den Top-Vier fallen. Basel halfen einige Vizemeistertitel unterdessen nichts, der einstige Königsklassen-Dauergast fehlt seit 2018 im Wettbewerb.

"Dass YB den FC Basel so schnell und so deutlich überholt, kam wirklich überraschend. Ich habe nicht mit so einem krassen Absturz gerechnet", sagt Pfister. Seit dem Umbruch gelang mit dem Pokalsieg 2019 nur ein Titel. Überschattet wurde er jedoch von Ungereimtheiten zwischen Präsident Burgener und Sportdirektor Streller, der letztlich zurücktrat.

FC Basel: Abschied von Burgener

In Anbetracht immer größer werdender Kritik verkaufte Burgener 2021 seine Anteile an den 36-jährigen Ex-Profi David Degen. Zuvor hatten Gerüchte über eine Übernahme eines ausländischen Investoren-Konsortiums zu großem Widerstand der Anhänger geführt. Als Zeichen des Protests legten sie ihre Fanartikel am zentralen Barfüsslerplatz nieder. Dort, wo der Klub sonst seine Titel feiert.

Von der einst ausgerufenen Identifikations-Strategie war auch auf dem Platz kaum mehr was zu sehen: In der Saison von Burgeners Abschied umfasste der Kader zwar fünf Spieler mit dem Geburtsort Basel, von denen aber nur Taulant Xhaka mehr als 500 Pflichtspielminuten sammelte - und er stand bereits 2017 im Kader.

Debatten über eine neue strategische Ausrichtung gibt es derzeit übrigens auch beim deutschen FCB. Das Zukunfts-Projekt des neuen Vorstandsvorsitzenden Oliver Kahn FC Bayern AHEAD wird aber eher sanft implementiert statt im Basler Hauruck-Modus, so scheint es zumindest. Trotz Kritik am Kommunikationsverhalten der neuen Führung verläuft auch der personelle Übergang von Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge hin zu Herbert Hainer und eben Kahn halbwegs reibungslos.

Niedergelegte Fanartikel am Barfüsserplatz: Proteste der Anhänger gegen die Klubführung um Bernhard Burgener im Frühling 2021.imago images

Neue alte Trainer und mehr Emotionalität

Nach vier Titeln in Folge endete in der vergangenen Saison unterdessen auch die Meisterserie der Young Boys, den Thron übernahm überraschend Andre Breitenreiters FC Zürich. Er wechselte nun zur TSG Hoffenheim und wurde durch den ehemaligen österreichischen Teamchef Franco Foda ersetzt.

Auch die vorherigen Serienmeister holten sich diesen Sommer neue Trainer, beide hatten einst Anteil am Basler Absturz: Wicky bekommt bei den Young Boys eine zweite Chance bei einem Schweizer Spitzenklub, in Basel übernimmt der ehemalige Funktionär und Interimstrainer Frei.

Aufgrund all dieser Entwicklungen verspricht die neue Saison große Spannung, was auch Basel-Fan Pfister gefällt. Das Treiben in der Liga verfolgte er schon in den vergangenen Jahren mit mehr Interesse und Emotionalität, als noch während der Meisterserie seines eigenen Klubs. "Definitiv" sei er jetzt wieder emotionaler dabei.

"Wenn man nicht automatisch Meister wird, interessiert man sich auch wieder viel mehr für die ganze Meisterschaft", sagt Pfister. "Ich erwische mich mittlerweile immer wieder dabei, wie ich bei anderen Spielen reinschaue, weil sie für Basel wichtig sind. Vor 2017 war mir das eigentlich egal." Den Titel holte man ja sowieso, wie bisher der deutsche FCB in der Bundesliga.