Der FC Bayern München verpennte beim 5:2-Sieg gegen den FSV Mainz 05 (die Highlights im Video) die erste Hälfte. Umstellungen und ein beispielloses Selbstverständnis bringen die Wende. Die Erkenntnisse.
Als Schiedsrichter Markus Schmidt die Begegnung zwischen dem FC Bayern und Mainz 05 für beendet erklärte, trennten die beiden Teams drei Treffer (5:2). Nicht wirklich überraschend, sondern standesgemäß, betrug die tabellarische Diskrepanz im Vorfeld doch immerhin 16 Plätze sowie 24 Punkte.
Ganz so deutlich, wie es schließlich anmutete, war es jedoch nicht. Weil die Rheinhessen dem Klassenprimus lange Paroli boten, zwischenzeitlich mit zwei Toren führten und kurz nach dem Seitenwechsel sogar die Riesenchance aufs 3:0 hatten. Dass der deutsche Rekordmeister jedoch einmal mehr die Oberhand behielt und zum sechsten Mal hintereinander mit einem Dreier ins neue Jahr startete, hatte allerdings altbekannte Gründe.
1.: FC Bayern verpennt die Anfangsphase (mal wieder)
Den negativen Vereinsrekord hatte der FC Bayern bereits kurz vor Weihnachten gegen Leverkusen eingestellt. In der BayArena waren die Münchner zum siebten Mal in Serie in Rückstand geraten. Die Tradition des verpennten Starts hielt die Mannschaft von Trainer Hansi Flick im ersten Spiel 2021 bei, kassierte diesmal sogar zwei Gegentore, ohne selbst Zählbares auf die Anzeigetafel zu bringen.
Eine Tatsache, die Flick und seine Mannen merklich beschäftigte. "Fahrlässig" sei man in die Zweikämpfe gegangen, man habe nicht agiert wie ein Spitzenteam monierte der Coach im Anschluss der Begegnung auf der Pressekonferenz, Mainz sei dementsprechend "verdient in Führung" gegangen.
Leroy Sane, der mit seinem sehenswerten Tor zum 2:2 die Weichen auf Comeback gestellt hatte, erklärte bei Sky: "Im Moment brauchen wir immer einen Weckruf, um Vollgas zu geben und Tore zu machen. Im Endeffekt kostet das Kraft, wir müssen von der ersten Minute an wacher sein."
Auch Joshua Kimmich kritisierte die abermaligen Schläfrigkeit: "Wenn man sieht, wie viele Spiele wir haben, ist es sehr anstrengend, wenn du immer wieder einem Rückstand hinterherlaufen musst", sagte er. Zwar stimme die Mentalität, allerdings müsse es das Ziel sein, "dass wir mal wieder eine Führung herausspielen."
2.: Joshua Kimmich wird zum Sieggaranten (mal wieder)
Erstmals seit dem 7. November stand Kimmich wieder in der Startelf der Münchner. Damals hatte sich der Nationalspieler im Spitzenspiel bei Borussia Dortmund verletzt und musste sich einer Operation am rechten Außenmeniskus unterziehen. Nachdem Kimmich schon nach seiner Einwechslung in Leverkusen kurz vor Schluss zum siegbringenden Balleroberer avanciert war, nahm er auch gegen Mainz eine Schlüsselrolle ein.
Zunächst - wie mittlerweile gewohnt - im defensiven Mittelfeld aufgeboten, gelang es dem 25-Jährigen nicht, die gewünschte Ruhe ins Spiel zu bekommen. Flicks Schachzug, Kimmich zur Pause für den offensivschwachen Benjamin Pavard als Rechtsverteidiger einzusetzen, entpuppte sich jedoch als goldrichtig. Mit unbändigem Willen agierte der Bayern-Stabilisator auf seiner alten, neuen Position und blies mit seinem Kopfballtor kurz nach dem Seitenwechsel zur Aufholjagd.
Die Hausherren konzentrierten sich fortan mehr und mehr auf ihre rechte Seite, fuhren Angriff um Angriff über Kimmich und den ebenfalls aufblühenden Sane. Kimmich, der sich quasi ausschließlich dem Spiel nach vorne widmete, leitete auch Sanes 2:2 ein und brachte die Ecke zum 3:2. Kimmich verbuchte darüber hinaus die meisten Ballaktionen (108), sechs Balleroberungen, eine starke Zweikampfquote von 71,4 Prozent und schlug elf Flanken (Spitzenwert).
"Wir haben über die rechte Seite nicht allzu viele Situationen in der ersten Halbzeit gehabt, mit denen wir zufrieden waren. Deshalb haben wir getauscht", begründete Flick seine Entscheidung im Nachgang und schob nach: "Er hat gezeigt, wie man den Außenverteidiger interpretiert. Wir wissen, dass die Sechs seine Lieblingsposition ist, aber er hat sich in den Dienst der Mannschaft gestellt."
3.: Bayerns doppeltes Selbstverständnis
Nein, der FC Bayern glänzt in dieser Saison nicht unbedingt mit einer verlässlichen Hintermannschaft, das belegt nicht zuletzt die bereits aufgeführte Bilanz von acht Rückständen in Folge. Die Defensivspezialisten wechselten sich in der jüngeren Vergangenheit mit Fehlern ab, wirklich konstant war zuletzt keiner der Viererketten-Protagonisten.
Gegen Mainz war es diesmal Jerome Boateng, der einen einigermaßen gebrauchten Abend erwischte. Der Innenverteidiger rechnete nach einem leichten Schubser von Youngster Jonathan Burkardt mit einem Freistoß zu seinen Gunsten, musste jedoch dabei zusehen, wie sein Gegenspieler alleine auf Manuel Neuer zulief und die Nerven behielt, kurz vor der Halbzeit verursachte der Weltmeister von 2014 den Freistoß zum 0:2.
Boatengs Arbeitszeugnis nach 45 Minuten: kein gewonnener Zweikampf und eine Gelbe Karte wegen Meckerns (weil er den erhofften Freistoß gegen Burkardt nicht bekam). Grund genug für Flick, den Routinier in der Kabine zu lassen. Süle brachte deutlich mehr Stabilität in den Verbund, behielt in all seinen vier Duellen die Oberhand und traf mit seinem schwachen Linken technisch fein und etwas glücklich zum 3:2. Ein Umstand, der das Selbstverständnis der Münchner bestens widerspiegelt.
Hat ein Spieler Probleme, kommt eben ein anderer Akteur, der in der Lage ist, es besser zu machen. Flicks Kader umfasst ausreichend Profis, die die Qualität, Mentalität und Erfahrung besitzen, auch von der Bank entscheidende Akzente zu setzen.
Dessen sind sich die Bayern bewusst und genau so treten sie auf. "Das ist brutal wichtig und ein überragendes Gefühl, wenn man weiß, dass wir das Spiel drehen können", sagte Kimmich. Sane pflichtete ihm bei: "Wir sind entschlossen, die Tore zu machen, wenn wir zurückliegen."
Tatsächlich verlor der FCB nach den viel beachteten acht Rückständen zuletzt keine einzige Begegnung. Auch das gehört - bei aller Kritik - zur Wahrheit. Deshalb grüßt der Dauerdominator der vergangenen Jahre auch in dieser Saison nach 14 Spieltagen von der Tabellenspitze.
4.: Willensstärke und Spielwitz: Mainz verkauft sich teuer
Lediglich zwei Punkte beträgt der Vorsprung der Mainzer auf Schlusslicht Schalke 04, an diesem Wochenende trennten die beiden Abstiegskandidaten allerdings spielerisch sowie in puncto Kampfbereitschaft Welten. Während sich die Knappen in Berlin erneut ihrem Schicksal ergaben und mit einem 0:3 im Gepäck nach Hause fuhren, verkauften sich die Nullfünfer beim haushohen Favoriten teuer.
Kurzzeit-Interim Jan Siewert, der beim einst heillos überforderten England-Klub Huddersfield Town immerhin einige Monate Premier-League-Luft als Trainer schnuppern durfte, mittlerweile aber als Jugendchef in der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt arbeitet, hatte sein Team bestmöglich auf die Münchner Schwächen eingestellt.
Dabei wussten die Mainzer nicht bloß als giftige Fighter zu gefallen, sondern setzten auch fußballerische Nadelstiche in Form von technisch sauber vorgetragenen Angriffen. Pech aus Sicht der Siewert-Elf, dass Danny Latza und Robin Quaison jeweils am Aluminium scheiterten und somit ein besseres Ergebnis verpassten.
"Wir wussten, dass wir einen guten Plan brauchen, um uns bestmöglich in München zu verkaufen. Das haben wir insbesondere in der ersten Halbzeit getan", sagte Siewert auf der Pressekonferenz. Er ergänzte: "Wir haben uns viele Möglichkeiten erspielt und sind mit guten Bällen in die Tiefe gekommen. Es war unglücklich, dass die Bayern so kurz nach der Pause getroffen haben. Vielleicht wäre das Spiel anders gelaufen, hätten wir die Chance zum 3:0 genutzt."
Gelingt es den Mainzern, den Schwung mit in die nächsten Wochen zu nehmen, dürften die Chancen auf den Klassenerhalt deutlich steigen. Bei dieser Mission wird jedoch fortan nicht Siewert an der Außenlinie die Geschicke leiten, sondern aller Voraussicht nach Ex-Mainz-Profi und -Jugend-Trainer Bo Svensson, dessen Engagement am Dienstag offiziell bekanntgegeben werden soll.