Europa-League-Finale - Frankfurt- und Rangers-Fans feiern gemeinsame Party: Wir finden euch auch geil!

Nino Duit
19. Mai 202211:02
SPOXimago images
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Zehntausende Anhänger von Eintracht Frankfurt und des Rangers FC aus Glasgow haben beim Europa-League-Finale in Sevilla gemeinsam eine riesige Party gefeiert. Während sich die Fanlager größtenteils blendend verstanden, sorgten die Ordnungskräfte für Unmut.

Es ließ sich nichts machen: Der Polizist schüttelte immer wieder vehement den Kopf, zuckte mit den Schultern, er blieb einfach stur und beendete somit eine kurzfristig geschlossene Freundschaft abrupt. "Das ist wohl die härteste Tür Spaniens", klagte der Frankfurter noch, ehe er eben alleine weiterzog. Arm in Arm war er mit einem Rangers-Anhänger zur Eintracht-Fanzone spaziert, mit hineinnehmen durfte er ihn aber nicht.

Eine kleine Episode, die das Ambiente am Finaltag der Europa League in Sevilla ganz wunderbar zusammenfasste: Die beiden Fanlager verbrüderten sich, die Ordnungshüter gaben dagegen zu oft den Spielverderber. Im Unterschied zu anderen Vorgehen im Laufe des Tages leuchtete diese Zutritts-Verweigerung rational gesehen immerhin noch ein, Gefahr gedroht hätte dem Rangers-Anhänger in der Frankfurter Fanzone aber wohl kaum.

Lauschte man dort nämlich hessischen Gesprächen über die Schotten, hörte man nichts als Bewunderung. Endlich gegnerische Fans auf Augenhöhe! "Sie meinten zu uns: 'Wir finden euch geil'", zitierte ein Frankfurter aus einem Austausch mit Rangers-Anhängern. "Und dann meinten wir: 'Wir finden euch auch geil.'" So einfach, so schön. Fußball.

An diesem heißen Mai-Mittwoch in Sevilla bekam man den Eindruck, dass die Fans beider Klubs ihr Glück gar nicht fassen konnten, bei dieser Veranstaltung überhaupt dabei sein zu dürfen. Sie berauschten sich aneinander und an den historischen Ausmaßen des Spiels. Das von Frankfurts Vorstandssprecher Axel Hellmann angekündigte "einzigartige Treffen der lautstärksten und sangeskräftigsten Fans Europas" erfüllte alle Erwartungen.

Europa-League-Finale: Zwei Auseinandersetzungen im Vorfeld

Einzige Ausnahme der Feststimmung waren zwei kleine Auseinandersetzungen im Vorfeld: Eine in der Nacht vor dem Spiel samt Verhaftung von fünf Eintracht-Fans, eine im Zuge des Frankfurter Fanmarschs zum Stadion. Jegliche Probleme sind bei solchen Menschenmassen mit wenig Platz und viel Alkohol wohl generell kaum zu verhindern, großen Widerhall fanden die Vorfälle vor Ort übrigens nicht.

Ein von SPOX und GOAL im Anschluss an das Spiel dazu befragter Eintracht-Sprecher wusste über die Auseinandersetzungen nicht einmal Bescheid, bei den Anhängern beider Fanlager stellte sich die Lage identisch dar. Unisono lobten sie lieber ihre Gegenüber: nette Leute, super Stimmung. So wie wir halt.

Frankfurt gegen Rangers: Die Stille nach dem Spiel

Auch dass Frankfurt im dramatischen Elfmeterschießen den Titel gewann, änderte nichts an der friedlichen Atmosphäre in Sevilla. Nach diesem so herrlich heißen Tag und dem so langen, so nervenaufreibenden Duell waren die einen zu erschöpft zum Feiern, die anderen zu müde zum Trauern. Bei der Frankfurter Fanzone wurde um zwei Uhr nachts nicht mehr gesungen oder getanzt, auf dem Programm standen gemütliche Siegerbiere.

In der malerischen Altstadt hatten unterdessen alle Bars per Verordnung geschlossen, zu trinken gab es gar nichts mehr. Stattdessen schlenderten hier Anhänger beider Klubs ausgelaugt Richtung Unterkunft. Viele unterhielten sich miteinander, zum Beispiel über ihre kuriosen An- und Abfahrtswege. Wegen mangelnder Direktverbindungen und horrenden Preisen brauchte es schließlich kreative Wege, um nach Sevilla zu kommen: Frankfurter reisten beispielsweise über Mallorca an, Schotten über Marokko und dann mit der Fähre weiter nach Andalusien.

Bevor sich die beiden Fangruppen wenige Stunden später auf teils beschwerlichen Wegen zurück in ihre jeweilige Heimat begaben, herrschte eine fast schon gespenstische Stille in der nächtlichen Stadt. Vielleicht wirkte es aber auch nur deshalb so still, weil es hier vorher stundenlang so laut war.

Rangers-Fans in der Stadt deutlich in der Überzahl

Ab der Mittagszeit hatte sich Sevilla zunehmend zum Tollhaus entwickelt. Einem Tollhaus aber mit deutlich mehr blauen Bewohnern. Ja gut, innen drin waren fast alle blau. Die überwiegende Mehrheit zeigte die Farbe aber auch via Trikot. 70.000 Rangers und 50.000 Frankfurter waren erwartet worden, tatsächlich betrug das Verhältnis aber wohl eher 2:1.

Das Stadtzentrum hatten die Rangers-Fans am Nachmittag völlig unter Kontrolle. Überall hissten sie ihre Union-Jack-Flaggen, sangen sie ihre in Sachen Lyrics eher einfach gestrickten Lieder und hüpften in der Gegend umher.

Ein Schotte tat das sogar gemeinsam mit Frankfurtern, die ihm beigebracht hatten: "Wer nicht hüpft, ist Offenbacher! Hey! Hey!" Ob er den Inhalt verstanden hat? Egal, er hüpfte mit und folgte somit nur ordnungsgemäß den Anweisungen des Liedes. Aus Offenbach war er ja offensichtlich nicht.

Frankfurter Fanzone: Baden und tanzen

Während sich die Schotten im Stadtzentrum und bei ihrem Public Viewing im Estadio La Cartuja im Norden der Stadt versammelten, pilgerten die Frankfurter Richtung Südosten zum Park Prado San Sebastian. Hier befand sich die Eintracht-Fanzone, wo abends auch das Spiel übertragen wurde.

Schon ab 13 Uhr herrschte auf der Anlage allerfeinste Festival-Atmosphäre: 35 Grad Celsius verwandelten Brunnen in Schwimmbecken, gebadet und getanzt wurde zu Hip-Hop-Klängen von Celo & Abdi. Bier floss überall, sogar auf der Bühne, wo Frankfurt-Präsident Peter Fischer während seiner Rede ein Dosenbier zugeworfen bekam. Statt wie von den Fans lautstark gefordert exte er es nicht, zugetraut hätte man es ihm aber durchaus.

Erst bei einer Gala-Veranstaltung abends zuvor hatte Fischer schließlich betont, unbedingt "aus diesem Pokal saufen" zu wollen: Und der ausgewachsene Europa-League-Pott hat schließlich ein größeres Fassungsvermögen als die in Spanien üblichen 0,33er-Dosen.

Peter Fischer spricht von Stimmungs-Kriegserklärung

Statt am Glas ging Fischer aber immerhin bei seiner kurzen Rede verbal in die Vollen: Da beklagte er sich etwa über das lediglich rund 44.000 Zuschauer fassende "Micky-Maus-Stadion" Ramon Sanchez Pizjuan. Für das Finale bekamen beide Klubs nur 10.000 Eintrittskarten zugeteilt, 190.000 Eintracht-Interessenten mussten laut Fischer enttäuscht werden.

Die Spendierfreudigsten unter den Ticketlosen fanden aber auch noch vor Ort in Sevilla ihren Weg ins ovale Glück. Euphorisch ließ sich ein Frankfurter für eine um 800 Euro erstandene Eintrittskarte feiern: Schnäppchen! Sein Kollege habe schließlich 1200 Euro gezahlt!

Damit so etwas nie wieder vorkommen müsse, forderte Fischer, dass die Eintracht bei künftigen Finals nur mehr in Riesenstadien wie dem Wembley oder dem Camp Nou auftreten solle. In der Heimstätte des FC Barcelona hatte sich die Mannschaft im Viertelfinale bekanntlich auch dank einer brachialen Fan-Überlegenheit gegen einen qualitativ deutlich besseren Gegner durchgesetzt. Diesen Vorteil gab es in Sevilla nicht.

"Wir waren bisher überall die Heimmannschaft", sagte Fischer mit Blick auf die vorherigen Europa-League-Gegner, in der K.o.-Runde etwa Betis Sevilla, Barcelona und West Ham United. "Heute haben uns die Schotten, was die Stimmung angeht, den Krieg angesagt. Wir haben mit der Fanbase von Glasgow einen Gegner, den wir wahrnehmen und respektieren müssen."

Ehe sich die hessischen Fanmassen aber zum Stimmungskrieg gegen die Rangers ins Sanchez Pizjuan aufmachten, sangen sie im Prado San Sebastian noch einmal inbrünstig all ihre Lieblingslieder: über ihre Stadt im Herzen von Europa und ihre Farben schwarz und weiß wie Schnee.

Händeschütteln mit den Schotten, Dispute mit der Polizei

Schwarz war in Sevilla von den Eintracht-Fans aber kaum etwas zu sehen, wie schon bei den vorangegangenen Europa-League-Spielen dieser Saison feierten die Frankfurter auch beim Finale ihre Fete Blanche. Um 17.30 Uhr bewegte sich das singende, schneeweiße Pulk los in Richtung Stadion.

Auf dem Weg marschierte es auch an vereinzelten blauen Fans vorbei. Einige versuchten akustisch dagegenzuhalten, die meisten aber klatschten nur ab und wünschten viel Spaß. "Enjoy", lautete das Modewort. "Vor dem Spiel hat dir jeder Schotte die Hand geschüttelt", sagte ein Frankfurter zu SPOX und GOAL. "Ich glaube, ich habe mehr Hände geschüttelt als in der ganzen Corona-Zeit."

Weniger freundschaftlich als mit den blauen Schotten war dagegen der Umgang mit den Polizistinnen und Polizisten in Schwarz. Einige hundert Meter vor dem Stadion hielten berittene Beamte den Frankfurter Fanmarsch auf. Von hinten drängten immer mehr Fans nach vorne, doch dort durften in Blockabfertigung nur alle paar Minuten einige Hundert weitergehen.

Die Stimmung wurde hitzig: Ein Pferd trat beinahe in die Fan-Menge aus, woanders kam es zu einer kleinen körperlichen Auseinandersetzung zwischen Polizisten und Frankfurtern. Pfiffe, Buhrufe und: Durst. Frenetischen Jubel gab es für eine Anwohnerin, die den in der Hitze eingepfercht dahindarbenden Frankfurtern von ihrem Balkon aus Wasserflaschen zuwarf.

Eintracht Frankfurt: Zwei Streitpunkte im Stadion

Im Stadion gingen die Dispute zwischen Frankfurtern und Ordnungskräften in die nächste Runde. Für knapp 50.000 Euro hatten die Eintracht-Fans eine Choreografie vorbereitet und in sieben LKWs nach Sevilla fahren lassen.

Den Securities schien der Aufwand aber reichlich egal zu sein: Etwa eine Stunde vor Anpfiff versuchten sie, die weißen Planen zwischen den Rängen zu entfernen. Offenbar, um die darunter befindlichen UEFA-Banner wieder zum Vorschein zu bringen. Den Punkt holten allerdings die Eintracht-Fans. Letztlich blieben die weißen Planen größtenteils dran, stattdessen entfernten die Frankfurter aus Protest die UEFA-Banner in der kompletten Kurve.

Ob es eine Retourkutsche war, was danach folgte? "Nach zehn Minuten wurden im Frankfurt-Block alle Bierstände zugemacht", berichtete ein Fan nach dem Spiel. "Es gab kein Wasser, nichts. Irgendwann sind die Leute auf die Toiletten gegangen, um ihre Flaschen aufzufüllen. Daraufhin haben sie dort den Wasserhahn abgedreht - und Polizisten davor gestellt, die alle kein Englisch sprachen."

Eintracht-Fans dominierten im Stadion trotz Unterzahl

Die Stimmung auf den Rängen beeinträchtigte der Ärger mit den Ordnungshütern aber nicht: Obwohl die Rangers wie schon in der Stadt auch im Stadion in der Überzahl waren, dominierten die Frankfurter akustisch - sogar nach dem zwischenzeitlichen Rückstand durch Joe Aribo (57.). "Auch als es schwierig war, haben unsere Fans die Rangers übertönt", lobte Trainer Oliver Glasner bei der Pressekonferenz nach dem Spiel.

Der Rest ist Geschichte: Rafael Borres Ausgleich in der 69. Minute, die Verlängerung, die beiden grandiosen Paraden von Kevin Trapp, das Elfmeterschießen, der gehaltene Elfer von Aaron Ramsey, der entscheidende Treffer von Borre, die Erlösung, der Jubel, die Pokalübergabe, der goldene Konfettiregen und dann der silberne Pott vor der weißen Wand.

Fast eine Stunde lang feierten die Spieler den Triumph auf dem Platz und bekamen es dabei wie zuvor schon die Fans mit den Ordnungshütern zu tun: Als unter anderem Goncalo Paciencia im Jubelrausch die Querlatte des Tores vor dem Frankfurter Block erklomm, eilten Securities herbei und winkten ihn energisch runter. Damit sowas nie mehr wieder passiert, bildeten sie daraufhin direkt unter der Latte eine Menschenmauer. Das Tor war nun womöglich die zweithärteste Tür Spaniens.