Er soll den TSV 1860 München in die erste Liga führen, steckt aber mitten im Abstiegskampf: Löwen-Trainer Friedhelm Funkel im Interview über die Gründe für die sportliche Misere, mögliche Nachbesserungen im Winter und die Gefahren des Trainerberufs.
SPOX: Herr Funkel, 1860 ist nur noch einen Punkt vom Relegationsplatz entfernt. Wo liegen die Gründe für die sportliche Misere?
Friedhelm Funkel: Die Ursachen waren von Spiel zu Spiel unterschiedlich. In den drei Partien vor dem Dresden-Spiel sind wir deutlich verbessert aufgetreten, haben aber nur zwei von neun Punkten geholt. Da lag es vor allem an der mangelnden Chancenverwertung. Die Niederlage gegen Dresden hatte andere Gründe: Wir sind durch unnötige individuelle Fehler zweimal in Rückstand geraten. Daraufhin hat die Mannschaft zu überhastet reagiert. Besonders in der zweiten Halbzeit, als wir auf den Ausgleich gedrängt haben, gab es zu viele Abspielfehler. Wir haben verloren, weil wir zu hektisch und zu nervös aufgetreten sind.
SPOX: Wie erklären Sie sich diese enorme Verunsicherung, nachdem die Mannschaft gegen Karlsruhe laut Ihrer Aussage noch ihr bestes Spiel gezeigt hat?
Funkel: Die beiden Gegentore zu Beginn des Spiels haben die Mannschaft zurückgeworfen. Zudem hat Dresden wahnsinnig aggressiv gespielt und uns zu Fehlern gezwungen. Darauf hat die Mannschaft, wie gesagt, zu nervös reagiert und ist unkonzentriert aufgetreten.
SPOX: Sie haben nach der Dresden-Niederlage den Abstiegskampf ausgerufen. War es nicht blauäugig, dass vor der Saison seitens der Vereinsführung der Aufstieg als Ziel ausgegeben wurde?
Funkel: Was heißt denn blauäugig? Die Vereinsführung hat diese Marschroute nach bestem Wissen und Gewissen ausgegeben. Solch eine Zielsetzung wirkt wie ein Bumerang, wenn die Saison nicht so läuft wie erwartet. Der Start verlief stotternd und uns fehlt noch immer die Konstanz. Das lässt sich im Laufe der Saison natürlich korrigieren, aber es wäre vermessen, das Wort Aufstieg derzeit in den Mund zu nehmen. Wir sind in einer sehr ernsten Situation.
SPOX: Präsident Gerhard Mayrhofer hat auch gesagt, der Kader sei gerade einmal gut genug für Platz zehn. Teilen Sie seine Meinung?
Funkel: Im Moment hat es den Anschein. Aber das kann sich schnell ändern, sobald die Mannschaft durch Siege wieder Selbstvertrauen gewinnt. Siege sind durch nichts zu ersetzen. Ob die Qualität dann zu mehr ausreicht, wird sich im Saisonverlauf zeigen.
SPOX: Bei 1860 ist nicht nur die Erwartungshaltung im Umfeld enorm. Auch Investor Hasan Ismaik hat ambitionierte Ziele. Wie nehmen Sie das als Trainer wahr?
Funkel: Ich weiß nicht, wie genau seine Erwartungshaltung aussieht. Aber er investiert sehr viel in den Verein, also ist es absolut okay, dass er mitredet und mitgestaltet. Das ist sein gutes Recht. Der Präsident hat ein vertrauensvolles Verhältnis aufgebaut, das ist ganz wichtig. Sie sind auf einer Linie. Ich habe zuletzt ein Interview von Hasan Ismaik gelesen, in dem er versprach, dem Verein weiterhin helfen zu wollen. Das ist großartig.
SPOX: Für Sie als Trainer bedeutet das, dass Sie im Winter womöglich nachrüsten können, falls es weiter so schlecht läuft.
Funkel: Das ist natürlich ein gutes Gefühl, das man im Hinterkopf hat. Aber wir dürfen uns darauf nicht ausruhen. Mich interessiert die jetzige Situation. Wir müssen in den nächsten Spielen da unten raus kommen, wir dürfen nicht einfach bis zum Winter warten.
SPOX: Gleichzeitig sitzt man als Trainer bei 1860 quasi ständig im Schleudersitz. Hatten Sie nie Bedenken angesichts der enormen Fluktuation in den letzten Jahren?
Funkel: Nein, überhaupt nicht. 2004 war es in Frankfurt die gleiche Situation. In den zehn Jahren vor mir gab es 14 Trainer. Dann kam ich und bin für fünf Jahre geblieben. Eine solche Kontinuität muss auch bei den Löwen einkehren und zwar in den gesamten Verein. Man muss voller Überzeugung am eingeschlagenen Weg festhalten - egal, was passiert. Dann wird es auch wie gewünscht laufen.
SPOX: Spüren Sie denn ausreichende Rückendeckung in der jetzigen Situation?
Funkel: Ich spüre eine breite Rückendeckung. Wir wollen viel zum Positiven verändern, sind ständig in Gesprächen. Aber das Wichtigste ist, dass sich zuerst auf dem Platz etwas ändert. Von dort aus müssen die ersten Anzeichen kommen, dass eine positive Entwicklung stattfindet.
SPOX: Ihre letzten Trainerstationen nach Frankfurt waren allesamt von kurzer Dauer. Können Sie mit 1860 überhaupt langfristig planen?
Funkel: Man kann heute als Trainer nicht mehr langfristig planen. Das ist Wunschdenken. Allerdings möchte ich lange hier bleiben, weil mir der Verein und meine Aufgabe hier gefallen. Ich werde alle Kraft darin investieren, dass die Fans, die jetzt zu Recht unzufrieden sind, wieder Freude mit den Löwen haben.
SPOX: Nicht nur die Mannschaft steht gewaltig unter Druck, sondern auch Sie. Belastet Sie der Druck sehr?
Funkel: Für mich gibt es überhaupt keinen Druck. Ich habe so viele Situationen durchlebt, ich kann damit umgehen. Ich mache die bestmögliche Arbeit. Natürlich sind mein Trainerteam und ich verantwortlich, aber letztendlich muss es die Mannschaft auf dem Platz umsetzen.
SPOX: Wenn Sie keinen Druck spüren: Inwiefern lassen Sie es zu, dass der Fußball Einfluss auf Ihr Privatleben nimmt?
Funkel: Dieser Einfluss ist natürlich groß. Schon deshalb, weil ich sehr viel Zeit mit Fußball verbringe. Aber ich habe gelernt, mit kritischen Situationen umzugehen. Natürlich gibt es Abende wie am Sonntag nach dem Dresden-Spiel, an denen man schlechter einschläft als sonst. Aber ich bin dann nicht schlecht gelaunt oder missmutig, sondern blicke sofort nach vorne und konzentriere mich auf das nächste Ziel. Berufliches und Privates kann ich ganz gut trennen.
Funkel: Nicht komplett, aber ich kann es in vernünftige Bahnen lenken. Es gibt Kollegen, die können das überhaupt nicht trennen. Dann wird es für die Gesundheit gefährlich. Kein Job der Welt ist es wert, dass man gesundheitliche Schäden davon trägt.
SPOX: Es gibt das mahnende Beispiel Ralf Rangnick, der als Schalke-Trainer ein Burnout-Syndrom erlitt. Hatten Sie einmal das Gefühl, dass es bei Ihnen zu weit ging?
Funkel: Nein, nicht einmal annähernd. Weder als Spieler noch als Trainer.
SPOX: Sind Sie denn abergläubisch?
Funkel: Nein, das habe ich mir abgewöhnt. Wenn man vernünftig denkt, macht Aberglaube keinen Sinn.
SPOX: Bei Ihren letzten beiden Stationen in Bochum und Aachen sind Sie jeweils nach einer Niederlage gegen Dresden entlassen worden...
Funkel: Das stimmt, ja. Aber ich blicke grundsätzlich nie zurück, ich denke immer positiv. Negative Gedanken werfen dich zurück, sie belasten dich. Gerade in schweren Situationen wie jetzt versuche ich, dass meine eigene Arbeit dadurch nicht beeinflusst wird.
Friedhelm Funkel in der Zusammenfassung