Es ist der große Transferhammer kurz vor Weihnachten: Mario Gomez kehrt nach achteinhalb Jahren zum VfB Stuttgart zurück und unterschreibt einen Vertrag bis 2020. Was verspricht sich der VfB von der Rückholaktion? War es für den VfL Wolfsburg sinnvoll, den 32-Jährigen abzugeben? Und birgt der Deal auch Risiken? SPOX stellt die wichtigsten Fragen.
Was verspricht sich der VfB Stuttgart von der Rückholaktion von Mario Gomez?
Für den VfB klingt die Rechnung auf den ersten Blick geradezu märchenhaft: Als Kompensation für den Abgang von Simon Terodde kommt Mario Gomez - und sogar ein finanzieller Überschuss (kolportierte vier Millionen Ablöse für Terodde, drei für Gomez). Ein verdienter Stürmer aus Zweitligazeiten geht, der in der Bundesliga aber nie richtig Fuß gefasst hat. Dafür kommt ein Angreifer mit der Empfehlung von 155 Bundesligatoren und emotionaler Bindung zum Verein.
Die sportliche Führung um Trainer Hannes Wolf und Sportdirektor Michael Reschke hat die Offensive offenbar auf der Agenda ganz nach oben gesetzt. Zu Recht: Weil Daniel Ginczek immer wieder mit Verletzungen und Terodde mit der Anpassung an das Spiel in der Bundesliga zu kämpfen hatte, war die Torgefahr in der Hinrunde ein großes Problem. Die Ausbeute mit nur 13 Treffern ist bislang dürftig, einzig der abgeschlagene 1. FC Köln traf seltener (10).
Die Rückkehr von Gomez hatte sich nicht abgezeichnet und kam aus heiterem Himmel. Offenbar auch für den Verein selbst: "Manchmal gibt es Konstellationen im Fußball, die man vorher nicht für möglich gehalten hat. Wir freuen uns sehr, dass es uns gelungen ist, Mario Gomez für die Rückkehr zum VfB zu begeistern", erklärte Reschke, der auch direkt das Anforderungsprofil an den Neuzugang erklärte, indem er Gomez als "Torjäger der Extraklasse" bezeichnete.
Da Gomez als Spielertyp ähnlich agiert wie der nun zum 1. FC Köln gewechselte Terodde, hofft der VfB auf keine allzu große Umstellung der spielerischen Abläufe. Auch die Tatsache, dass der Neuzugang den Verein aus seiner Jugend und fünf Jahren Bundesliga-Erfahrung kennt (oder zumindest die infrastrukturellen Gegebenheiten, personell und vereinsstrukturell hat sich in den letzten Jahren ja einiges geändert), dürfte bei der Assimilation helfen.
Der VfB verspricht sich von Gomez eine klassische Soforthilfe. Die Voraussetzungen dafür sind gegeben.
"Wir werden in der Vorbereitung alles dafür tun, ihn schnell zu integrieren. Wir sind davon überzeugt, dass er uns helfen kann, eine erfolgreiche Rückrunde zu spielen und freuen uns auf die Zusammenarbeit mit ihm", sagte Wolf.
Dass die Rückholaktion eines Ehemaligen nicht nur nostalgischen, sondern auch sportlichen Wert haben kann, unterstreicht auch das jüngste Beispiel Andreas Beck. Der Außenverteidiger stand in dieser Saison bereits 13 Mal in der Startelf und ließ die Kritik an dem Transfer zumindest leiser werden.
Ergibt der Transfer für den VfL Wolfsburg Sinn?
Aus Wolfsburger Sicht muss der Verlust von Gomez aus zwei Blickwinkeln betrachtet werden: aus dem persönlichen und aus dem sportlichen.
Die Persönlichkeit Gomez wird Wolfsburg enorm fehlen. In einem Verein und einer Mannschaft, die häufig mit dem Problem der Profilschärfe zu kämpfen hat, war der Kapitän ein Typ, der voranging. In der vergangenen Krisensaison wählte er immer wieder klare Worte. Er forderte Spieler mit Wechselwunsch auf, sich entweder für den VfL den Allerwertesten aufzureißen oder das Weite zu suchen.
Besagten Allerwertesten riss er sich für die Wölfe auf, überzeugte im Abstiegskampf und hatte mit seinen 16 Saisontoren und seinem Treffer in der Relegation gegen Eintracht Braunschweig einen riesigen Anteil am Klassenerhalt.
Durch seinen starken Charakter hat sich Gomez in Wolfsburg zum Publikumsliebling entwickelt, zum Gesicht der Mannschaft. Entsprechend kam seine Ernennung zum Kapitän nicht von ungefähr.
"Mario hat sich in seinen eineinhalb Jahren unschätzbar um den VfL Wolfsburg verdient gemacht. Als Kapitän war er für seine Mitspieler und die Fans ein echtes Vorbild", resümierte Sportdirektor Olaf Rebbe.
Auf der hierarchischen Ebene wird Gomez deshalb schwierig zu ersetzen sein.
Sportlich ist die Situation jedoch eine andere. In der Hinrunde lief der Kapitän bislang seiner Form hinterher, erzielte bei zwölf Ligaeinsätzen gerade einmal ein mageres Törchen und verschoss darüber hinaus zwei Strafstöße.
Besonders seit dem Trainerwechsel von Andries Jonker zu Martin Schmidt wirkte Gomez in der Offensive häufig wie ein Fremdkörper. Während das Wolfsburger Spiel bei Jonker noch komplett auf Zielspieler Gomez zugeschnitten war, setzt Schmidt eher auf Umschalten, die Torgefahr soll über schnelle Kombinationen kommen und eher auf viele Schultern verteilt werden.
Zuletzt blühten Spielertypen wie Yunus Malli oder Daniel Didavi auf, während die Formkurve von Gomez weiter nach unten zeigte. Dass der VfL Gomez nun keine Steine für seine Rückkehr zum VfB in den Weg legte, deutet darauf hin, dass Schmidt in seiner Spielidee keine Zukunft für den 32-Jährigen sah.
Dass in den Deal eine frühzeitig Beendigung der Leihe von Josip Brekalo enthalten ist, passt ins Bild: Der schnelle, wendige Kroate hat deutlich passendere Anlagen für den Schmidt-Fußball.
Welche Gründe hatte Mario Gomez persönlich für eine Rückkehr zum VfB Stuttgart?
Für den 32-Jährigen ist es eine Rückkehr zu seinen fußballerischen Anfängen. Beim VfB debütierte der damals 18-Jährige im Mai 2004 in der Bundesliga und entwickelte sich in den fünf folgenden Jahren zum internationalen Star, wurde Nationalspieler, Deutscher Meister und Deutschlands Fußballer des Jahres 2007.
Gomez bezeichnet den VfB als den "Verein, der mich als Spieler zu dem gemacht hat, der ich war und bin." Der Rückkehrer freut sich "auf den Verein, die Stadt, auf die Menschen, auf das Umfeld, auf meine Familie. Ich kann es nicht erwarten, bis es wirklich losgeht."
Zwar hat Gomez speziell in Zeiten des Abstiegskampfs eine überdurchschnittliche Identifikation mit dem VfL Wolfsburg vorgelebt, die Bindung zu seinem Jugend- und ersten Profiverein ist dennoch eine tiefere.
"Ich weiß natürlich, dass die Erwartungen groß sind und die Situation sehr herausfordernd. Es heißt ab jetzt, alles für den Klassenerhalt zu geben", sagt Gomez und fügt eine besondere Motivation hinzu: Für ihn persönlich gehe es darum, "mein Ziel die Weltmeisterschaft zu erreichen."
Zuletzt war Gomez in der Nationalmannschaft ins Hintertreffen geraten. Timo Werner hat sich klar als Stürmer Nummer eins positioniert, auch Sandro Wagner erarbeitete sich im Jahr 2017 einen guten Status bei Bundestrainer Joachim Löw. Außerdem spielte sich in der Hinrunde auch Bayer Leverkusens Kevin Volland zumindest wieder auf den Radar.
Ganz schön viel Konkurrenz für Gomez, der zwar seit Jahren fester Bestandteil der Nationalmannschaft ist, jedoch in der Hinrunde im Formtief steckte - auch bedingt durch die geänderte Spielweise beim VfL Wolfsburg unter Schmidt.
Ein Vereinswechsel zu einem Klub, bei dem die Anpassung schnell gehen dürfte, weil er das Umfeld, die Stadt und die Bedingungen kennt, und bei dem er (zumindest zunächst) sicher spielt, dürfte seine Perspektive stärken. Zumal Joachim Löw in der Vergangenheit immer ein besonderes Auge auf den VfB warf. Und zumal Sandro Wagner seine Einsatzzeiten durch seinen Wechsel zum FC Bayern wahrscheinlich nicht erhöhen wird.
Neben der sportlich-nostalgischen hat Gomez' Wechsel-Entscheidung wohl auch eine private Komponente. In der Bild bestätigte der Angreifer im Dezember, dass er und seine Frau Carina ihr erstes Kind erwarten. Gebürtig aus Riedlingen in der Schwäbischen Alb, ist es zumindest nicht ausgeschlossen, dass es für Gomez auch eine Rolle spielte, sein Kind nahe der Heimat aufziehen zu wollen.
Welchen Stand hat Mario Gomez bei den Fans des VfB Stuttgart?
So romantisch die Heimkehr ist - sie ist auch nicht völlig ohne Risiko.
Bei den Fans des VfB Stuttgart haben Spieler, die den Verein in Richtung des großen Rivalen Bayern München verlassen haben, traditionell einen schweren Stand. Zuletzt erlebte das Sven Ulreich. Auch Gomez ist in den vergangenen Jahren bei Duellen mit den Schwaben immer wieder ausgepfiffen und beschimpft worden.
Dabei hat ihm auch nicht unbedingt geholfen, dass er im DFB-Pokal-Finale 2013 mit dem FC Bayern gegen den VfB zwei Tore erzielte.
Natürlich ist es über Leistung möglich, dass sich der Nationalspieler wieder in die Herzen der VfB-Fans ballert. Sollte jedoch nicht von Anfang an alles rund laufen, läuft Gomez auch Gefahr, den schweren Stand bei den eigenen Anhängern nicht loszuwerden.
Gomez selbst hat diesbezüglich keine Bedenken: "Ich hatte schon beim Länderspiel gegen Norwegen im September gesagt, dass es für mich etwas ganz Besonderes ist, in diesem Stadion zu spielen", ließ er bei der Verkündung des Deals mitteilen.
Welche Auswirkungen hat die Verpflichtung von Mario Gomez auf die Team-Hygiene beim VfB?
Auch für die Team-Hygiene könnte der Transfer gravierende Auswirkungen haben. In der Hinrunde kam der VfB vor allem über das Kollektiv.
Herausgestochen haben Arbeiter wie Santiago Ascacibar, Führungsspieler wie Christian Gentner oder Holger Badstuber, Leistungsträger wie Chadrac Akolo oder Ron-Robert Zieler. All diese Spieler haben aber eines gemeinsam: Sie sind keine so schillernden Stars wie Mario Gomez.
Gomez polarisiert mehr als jeder andere Spieler im VfB-Kader. Alleine deswegen dürfte er - zumindest in den ersten Wochen - qua Status und Name erst einmal unantastbar sein. Womöglich könnte darin, sollte Gomez sportlich nicht voll einschlagen, eine Gefahr für die Stimmung im Team liegen.
Dagegen spricht: Gomez hat in den letzten Jahren unter Beweis gestellt, ein echter Teamplayer zu sein. In der Nationalmannschaft rückte er ins zweite Glied und tat im Vorfeld der EM alles für den Erfolg der Mannschaft. Nach der Erfüllung seines Herzenswunsches, nach Stuttgart zurückzukehren, darf bezweifelt werden, dass er sich als Superstar gerieren und im Misserfolgsfall Stunk machen wird.