Scheitern in der Scheinwelt

Jannik Schneider
26. Juli 201720:00
Geldsorgen im Fußball sind weit verbreitet. Selbst Großverdiener geraten immer wieder in Notimago
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Trotz immer horrender werdender Millionen-Zahlungen im Spitzenbereich des Fußballs geraten regelmäßig Profis nach dem Ende Ihrer Laufbahn in finanzielle Nöte. Im Rahmen der Themenwoche "Tabus im Fußball" berichten Experten und ehemalige Spieler bei SPOX von ihren Erfahrungen. Und einer, dessen Traum längst geplatzt ist, spricht Klartext. Eine Reportage von Jannik Schneider mit Unterstützung von Christian A. Hoch.

Tom überlegt lange, sehr lange, bevor er in ruhigem Ton antwortet: "Nein, frustriert bin ich nicht mehr. Ich kann nicht darüber frustriert sein, dass ich an meinen Traum geglaubt habe." Dann schweigt er.

Tom ist Anfang 30 und heißt eigentlich anders. Er hat vor etwas mehr als einem Jahr einen neuen Weg eingeschlagen und möchte diesen unbeschwert und ohne dümmliche Kommentare oder Nebengeräusche beschreiten. Diesen öffentlichen Stress wolle er sich in Berlin nicht antun, sagt er zu Beginn. Also bleibt er im Gespräch mit SPOX anonym. Tom ist in die Hauptstadt gezogen, um zu studieren. Bis er fertig ist, dauert es noch drei Jahre, bis "ich dann richtiges Geld verdiene, wohl noch etwas länger".

Tom ist ehemaliger Fußball-Profi. Aber nicht die Marke Bundesliga-Star, wie sie auf den TV-Bildschirmen der Nation glänzen. Und auch keiner von einem der zahlreichen Traditionsvereine, die aufgrund der neuen Kräfteverhältnisse mittlerweile in Liga zwei oder drei um Punkte und Anerkennung kämpfen.

Gut, Tom hat einige wenige Einsätze in der 3. Liga vorzuweisen. Den Löwenanteil seiner Karriere brachte er nach vielen Einsätzen in der Junioren-Bundesliga aber in der Regionalliga und der Oberliga zu. In Letzterer waren es über 150 Spiele. "Zwischenzeitlich dachte ich, dass es für Liga drei perspektivisch reichen würde", sagt er und tatsächlich wechselte er mit 22 Jahren dorthin. Aber richtig viel Geld verdient hat er nach eigenen Angaben nie. Und rasch wurde er auch wieder ausgemustert.

"Nach dem Abitur habe ich alles auf die Karte Profi-Fußball gesetzt. Ich habe genug verdient, um davon leben zu können, mit Anfang 20 sogar besser als die meisten meiner Freunde. Nur während die studiert oder eine Ausbildung absolviert haben, habe ich nur Fußball gespielt", beschreibt er eine jahrelang andauernde, etwas zu bequeme Situation. Die Zeit für Studium oder Ausbildung hätte er gehabt. Eigentlich. Mit Mitte 20 dann verlor er die Perspektive auf höherklassigen Fußball. Drei Jahre später zog die eigene Einsicht nach. Er hörte zum Ende der Saison auf und schrieb sich zum Wintersemester an einer Universität ein.

Verband vertragsloser Fußballer hat viel zu tun

Tom ist mit seinem Lebenslauf beileibe kein Einzelfall. Er steht stellvertretend für die andere Seite der Medaille Profifußball. Eine verstaubte und von der Öffentlichkeit weitestgehend nicht beachtete Seite. Viele Fußballer wie Tom haben gegen Ende ihrer Laufbahn Probleme finanzieller und mentaler Natur. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Gesprochen wird darüber in der Scheinwelt Profifußball, wie über so viele andere heikle Themen ebenfalls, viel zu selten.

Einer, der von Berufs wegen transparent mit dieser Problematik umgeht, ist Ulf Baranowsky, der Chef des Verbands der Vertragsfußballer in Deutschland (VDV). Er und sein Team kümmern sich um beide Seiten: Da sind zum einen die Lizenzspieler, die in den ersten beiden Profiligen aktiv sind und parallel eine Lizenz-Vereinbarung mit der deutschen Fußballliga (DFL) eingegangen sind. Und dann sind da Fußballer wie Tom, sogenannte Vertragsspieler, die in allen Ligen professionell tätig sein dürfen. Während bei Lizenzspielern ein höheres Mindestgehalt gilt, ist bei Vertragsfußballern lediglich der Mindestlohn zu beachten.

Peter Neururer war unter anderem beim VfL Bochum, Hannover 96 und dem MSV Duisburg tätiggetty

Die Sommerpause ist für Baranowsky naturgemäß eine intensive Phase, gilt es doch, arbeitslos gewordene Profis wieder in Lohn und Brot zu bringen. Das praktizierte in der Vergangenheit keine Organisation in Europa so erfolgreich wie der deutsche VDV.

Medienwirksame Mini-EM: Neururer überrascht

Vor zwei Wochen richten sein Team und er medienwirksam eine Mini-Europameisterschaft für vertragslose Fußballer in Duisburg aus. Mittendrin der deutsche Kader des alljährlichen VDV-Camps für vertragslose Fußballer. Die Gegner: Teams aus Belgien und Österreich und als Sparringspartner der kurzfristig eingesprungene Regionalligist KFC Uerdingen. Das Ziel ist klar. Die Vertragslosen sollen Matchpraxis erhalten und sich den zahlreich anwesenden Scouts für eine neue Festanstellung empfehlen.

Da als Trainer ausgerechnet der langzeitarbeitslose Kulttrainer Peter Neururer verpflichtet wurde, kann sich auch das Medienaufkommen sehen lassen. Am Rande des Events, da ist auf den 62-Jährigen zunächst Verlass, lästert er der Reihe nach über seine alten Arbeitgeber. Die Reporter notieren fleißig mit, die Aufnahmegeräte laufen. Die Aufmacher in den nordrhein-westfälischen Tageszeitungen des Folgetages scheinen gerettet.

Dass ausgerechnet Neururer beeindruckende Worte für die Situation finanziell in Nöte geratener Profis findet, überrascht da fast. Gegenüber SPOX bekennt er: "Ich habe in meiner Karriere eine ganze Menge Profis mit Geldsorgen erlebt, leider! Im Fußball leben wir in einer unglaublichen Scheinwelt. Und nicht selten bricht diese Scheinwelt schon während einer Karriere zusammen."

Neururer: "Geldsorgen werden unter den Tisch gekehrt"

Ein Problem der Gesellschaft und speziell des Fußballs sei, dass Probleme unter den Tisch gekehrt werden, wenn Menschen Schwäche zeigen. "Ob das jetzt Geldsorgen sind, eine vermeintlich falsche sexuelle Neigung oder der mentale Aspekt. Diese Scheinwelt kann brutal werden, wenn du raus bist und die Karriere beendest. Dann verlierst du nicht nur die Aufmerksamkeit, sondern auch die finanziellen Vergünstigungen", so Neururer.

Baranowsky weiß, dass die Öffentlichkeitsarbeit über das Camp und die Probleme, mit denen diese Sportler zu kämpfen haben, groß geschrieben werden müssen. Bereits von 2011 bis 2015 gewährte er dem Dokumentarfilmer Mehdi Benhadj-Djilali uneingeschränkten Zugang zum Camp. Der Regisseur dankte es mit einer der sehenswertesten Langzeit-Dokumentationen im Sport über die Schicksale von vier ehemaligen Fußballprofis, darunter Christian Mikolajczak, der heute bei der Berufsfeuerwehr Oberhausen arbeitet.

Mikolaijczak und seine Kollegen besuchen heute in regelmäßigen Abständen die deutschen Nachwuchsleistungszentren (NLZ). Dort zeigen sie den aufstrebenden jugendlichen Kickern "ihren" Film und der verfehlt seine Wirkung meist nicht, heißt es.

Baranowsky gerät ins Schwärmen, wenn er auf diese Ausflüge und eben diese Laufbahn angesprochen wird. Denn wie im Falle des ehemaligen Schalke-Profis und später erfolglosen Mikolajczak kümmern sich auch bei der diesjährigen Ausgabe des Camps sogenannte Laufbahncoaches rund um die Uhr um die Teilnehmer.

Und so mancher ist aufgrund akuter Geldsorgen auf diese Soforthilfe dringend angewiesen. Wie melde ich Arbeitslosengeld korrekt an? Was habe ich bei meinem letzten Vertrag falsch gemacht? Wie plane ich die Karriere nach der Karriere?

Zwar hat der VDV dank der guten Bedingungen im Camp 2016 fast 90 Prozent der Teilnehmer wieder vermittelt, doch oftmals kommt das nur einer kurzfristigen Verzögerung des Karriereendes gleich. Und unter den 26 Spielern des diesjährigen Camps tummeln sich ausnahmslos Drittliga- und Regionalligaspieler. Selbst der prominenteste unter ihnen, der ehemalige Drittliga-Rekordspieler Fabian Stenzel, kam trotz Kontakten in die Heimat und Probetraining nicht direkt unter Vertrag. Dann aber, zwei Wochen nach der EM, schloss er sich dem Regionalligisten Meuselwitz an. Stenzel ist 30 Jahre alt.

VDV-Chef: Drei goldene Regeln für Karriereplanung

Umso notwendiger scheint die rechtzeitige Vorbereitung auf die Karriere nach der Karriere. Baranowsky selbst predigt im Gespräch mit SPOX drei grundlegende Regeln, die jeder Profi beachten sollte: "Erstens: Sichere deine Risiken - beispielsweise die Spielunfähigkeit aufgrund einer Verletzung - vernünftig ab! Zweitens: Spare, was du sparen kannst, um dir ein Finanzpolster für die Übergangszeit in die nachfußballerische Berufslaufbahn zu sichern. Drittens: Arbeite schon während der Karriere an deinem beruflichen Plan B."

Zwar hält die Gewerkschaft in den Nachwuchsleistungszentren und bei Profiteams regelmäßig Vorträge mit Tipps zur Verzahnung von Fußball und Bildung. Sie bietet darüber hinaus ein DFB-VDV-Versorgungswerk und eine sportpsychologische Netzwerkinitiative sowie dank des Laufbahncoachings die Möglichkeiten, sich in maßgeschneiderten Fernstudiengängen der VDV-Bildungspartner für den beruflichen Übergang fit zu machen. "Die Klausuren können dabei teilweise sogar an spielfreien Tagen unter Aufsicht in den Räumen unserer Geschäftsstelle geschrieben werden", erklärt Baranowsky nicht ohne Stolz.

Und dennoch liefert eine gemeinsam durchgeführte Tendenzstudie des Instituts für Sportmanagement der Hochschule Koblenz und des VDV aus dem Jahr 2015 ernüchternde Zahlen. Darin wurden Fußballprofis der ersten drei Ligen sowie von einigen Lizenzteams aus der Regionalliga befragt.

Ernüchternde Studie

"Rund zwei Drittel dieser Spieler legen ihren Fokus voll auf den Fußball. Unsere Aufgabe ist es daher, die Spieler für die Problematik zu sensibilisieren und passgenaue Unterstützungsprogramme anzubieten. Sinnbildlich gesagt, haben wir die Türen weit und einladend geöffnet; wir können und wollen aber niemanden hindurchpeitschen", erklärt der VDV-Chef.

Den Fokus zur richtigen Zeit auf das runde Leder zu legen, kann zwar die richtige Entscheidung sein. Oftmals geht es in diesen kritischen Jahren um Nuancen - und - die richtige, objektive Beratung und Selbsteinschätzung. Was das richtige Stichwort ist, um zu Tom zurückzukehren. Der jedenfalls hatte nie einen richtigen Berater oder echten Mentor. "Nur meine Freunde, die stolz waren und fleißig ins Stadion kamen, wenn ich in Liga drei im Kader stand." Danach, gibt er zu, ging es nicht selten mit den Freunden und etablierten Spielern ins Nachtleben. Er schmunzelt.

Doch für Spieler, die an der Schwelle oder vor dem Beginn einer Bundesliga-Karriere stehen, ist die Fokussierung auf den Fußball oftmals die vorerst richtige Entscheidung. Sagen zumindest zwei, die es miterlebt haben: die beiden ehemaligen Nationalspieler Carsten Ramelow, heute bei der VDV aktiv, und Simon Rolfes. Letzterer hat nach seinem selbstgewählten frühen Karriereende mit 33 Jahren 2015 eine Agentur mitgegründet, die Fußballer vor allem bei Finanzanlagen mit Expertise unterstützt.

Rolfes und Ramelow: Zweite Karrierephase entscheidend

Ramelow sagt gegenüber SPOX: "Dass sich Spieler, die in der Bundesliga Anschluss gefunden haben, am Anfang nur auf ihre sportliche Karriere konzentrieren, ist total legitim. Je länger sie in diesem Geschäft sind, desto eher sollten sie sich aber weiterbilden."

Mittlerweile hat Rolfes das Trikot gegen das Sakko getauscht (hier im Gespräch mit Oliver Bierhoff) und führt gemeinsam mit einem Partner eine Agenturgetty

Das gelte auch für die absolute Elite, konkretisiert Rolfes: "In der zweiten Phase einer Karriere sollte aber Stück für Stück ein Gefühl dafür entwickelt werden, was danach kommen soll, welche Qualitäten man hat. Recht wenige nutzen die durchaus vorhandene Zeit. Als Profi gibt es durch die Bekanntheit und andere Privilegien ja auch Türöffner für die Karriere danach. Die muss man aber auch nutzen."

Diese Gespräche zu suchen ist auch für Ramelow ein wichtiger Punkt. Er selbst habe dieses Timing nicht gehabt. "Ich habe das alles vor mir hergeschoben und am Karriereende gedacht: Siehst du, du hast den Zeitpunkt doch verpasst. Ich wollte immer meine Fremdsprachen-Kenntnisse verbessern, doch am Ende sind die Bücher in der Ecke gelandet."

Karriereende: 80 Prozent wollen im Fußball bleiben

Damit war und ist der Vize-Weltmeister von 2002 beileibe nicht allein. 90 Prozent der in der Studie Befragten haben sich nach eigenen Angaben zwar schon mal mit der Karriere nach der Karriere beschäftigt. Zwei Drittel davon gaben aber an, niemals zielgerichtet und intensiver gegrübelt und Maßnahmen ergriffen zu haben. 80 Prozent wollen dem Profi-Fußball erhalten bleiben. 70 Prozent der Befragten denken, ihre erworbenen Qualifikationen wären dafür ausreichend.

Dass die Trainer- und Funktionärsplätze im professionellen Bereich arg begrenzt sind, scheint nicht jedem bewusst zu sein. Haben Profis einfach ein unrealistisches Bild davon, was sie nach der Karriere erwartet?

"Der Anteil der Profis, die nach der Karriere ähnlich gut verdienen wie währenddessen, der ist ja sehr gering. Da reden wir vielleicht von einem Prozent. Da muss also auch der Drittligaprofi entweder von seinem hohen Lebensstandard herunter, oder er hat den Standard gar nicht so hochgefahren. Damit er sich mit einem normalen Job, was auch immer er macht, gut halten kann. Dann ist der weitere Lebensweg unproblematisch. Denn vielleicht hat er sich etwas angespart, vielleicht ist das Haus schon abbezahlt", erklärt Rolfes.

Das seien großartige Dinge, eine Ausgangsposition, die andere Menschen mit Anfang 30 noch nicht hätten. "Das müssen Fußballer für sich nutzen. Disziplin während der Karriere und Disziplin dann auch für eine neue Sache."

Fußballer aus dem absoluten Spitzenbereich sollten dagegen zumindest so viel auf der Seite haben, um sich neu orientieren zu können. Wenn sie sich nicht mit falscher Geldanlage verspekuliert oder total über ihren Verhältnissen gelebt haben. Beides kam und kommt vor. Schlecht oder gar nicht beraten trotz Millionengehältern ist so mancher Fußballer komplett von der Bildfläche verschwunden.

Und Spieler wie Eike Immel, Ailton oder Thomas Häßler landeten alle im Dschungel-Camp. Der ehemalige Dortmunder Günter Breitzke lebt von Hartz IV in Köln und der ehemalige Bundesligaprofi Jimmy Hartwig musste erst ganz unten ankommen, um wieder bessere Zeiten zu erleben. Heute ist er schauspielerisch aktiv und DFB-Integrationsbeauftragter.

Ramelow erinnert auch an die eigene Generation. "Weder im Verein noch in der Nationalmannschaft wurde über Geld gesprochen oder was die anderen verdienen. Das Einzige, was man mitbekam, waren die Zahlen aus den Medien." Finanzielle Sorgen bei Kollegen gab es und gibt es dennoch, sagt Ramelow.

Rolfes: "Fußballer von problematischen Investments betroffen"

Rolfes erklärt dazu: "Es gab Mitspieler, die in Schwierigkeiten waren und mich um Rat gefragt haben, weil sie wussten, dass ich mich mit dem Thema Geldanlage intensiv beschäftige. Die Fußballer sind von den problematischen Investments genauso betroffen gewesen wie viele andere auch."

Neben falschen finanziellen Entscheidungen spielt die mentale Komponente im absoluten Spitzenbereich des Profifußballs eine wohl immense Rolle.

Der so offenherzige Jimmy Hartwig war es auch, der bereits 2016 im kicker Talk eine bemerkenswerte Aussage zu seiner Herkunft und zu seiner mentalen Belastung während seiner fußballerischen Laufbahn traf: "Mein Opa war Nazi, meine Mutter war den ganzen Tag arbeiten. Ich habe bei allen Menschen immer die Anerkennung gesucht. Und als Fußballer bekam ich plötzlich diese Anerkennung. Ich war William Georg Hartwig, genannt Jimmy. Die Leute haben gesagt 'Jimmy hier, Jimmy da, was ein geiler Typ!' und dann schwillt die Brust aber ganz breit an."

Jimmy Hartwig spielte von 1978 bis 1984 für den Hamburger SVgetty

Auf einmal komme aber der Schlag zwischen die Beine, wenn die Karriere vorbei sei. "Warum sagen die Leute nicht mehr hallo? Warum werde ich nicht mehr eingeladen? Wieso bekomme ich nicht mehr diese ganzen Vergünstigungen? Was passiert denn hier gerade? Ich bin doch immer noch die gleiche Person", haderte Hartwig damals rückblickend. Dann falle man regelrecht in ein Loch. Seine Erkenntnis: "Jeder Mensch benötigt jeden Tag Anerkennung."

Knackpunkt Karriereende: das fehlende Adrenalin

Ehemalige Profifußballer aus dem absoluten Spitzenbereich berichten immer wieder, dass der Übergang in ein normales Leben nach der aktiven Laufbahn alles andere als leicht ist. Für Ramelow waren vor allem die ersten beiden Jahre "eine schwierige Zeit".

Rolfes, der als Paradebeispiel für eine stringente Planung gilt, gibt vor allem das zu kompensierende Adrenalin als Problematik an.

"Jeder normal arbeitende Mensch wird sagen: Mein Gott, das ist die Normalität, ohne diese ständigen Hochs. Natürlich ist das so. Für uns ist das aber eben nicht so. Alle drei Tage ein Spiel - die Adrenalinkurve geht hoch, wieder runter. Diese Achterbahnfahrten sind für Fußballer normal. Genau das ist die Schwierigkeit nach dem Karriereende. Dass wir diese Adrenalinspitzen nicht mehr haben und uns der Alltag zu träge vorkommt. Das ist mental, aber auch körperlich eine Herausforderung. Weil der Körper nicht daran gewöhnt ist."

Die mentale Komponente beschäftigte lange Zeit auch Tom, obwohl er am anderen Ende der Nahrungskette Fußballprofi stand. Oder gerade deswegen?

Mehr Abiturienten, weniger Ausbildungen

Darüber hinaus wurde ihm sein hoher Bildungsabschluss nach Ende der fußballerischen Laufbahn fast zum Verhängnis. Eine Problematik, die ulkig klingt, aber Fußballer, vor allem aus den unteren Ligen, am Ende ihrer Laufbahn dennoch vor Probleme stellt, ist tatsächlich das verbesserte Bildungsniveau.

Der erwähnten Tendenzstudie zur Folge machen mehr als 72 Prozent der angehenden Profis mindestens Fachabitur (2012 waren das noch 60 Prozent). Dagegen schließen eine Ausbildung nur noch knapp etwas weniger als 14 Prozent der Befragten ab (2012 26 Prozent).

Hat ein durchschnittlicher Profi also nicht wie von Simon Rolfes beschrieben gelebt, oder schlichtweg nicht ausreichend finanzielle Polster, wird es in Zeiten der Aus- oder Fortbildung womöglich problematisch. Denn nur mit dem Abitur wird es schwer, direkt in ein Berufsleben einzusteigen. Die Studienberechtigungsquote ist bei Fußballern deutlich höher als beim Rest der Gesellschaft. Aber das Verlangen nach einem Studium ist sowohl am Anfang als auch am Ende der Karriere bei diesem Berufsstand nicht gerade ausgeprägt.

Ex-Profi: "Lebe wie ein normaler Student"

Tom hatte zu Studienbeginn gar nichts auf der Habenseite. "Ich lebe ganz normal wie ein Student auf ganz kleinem Fuß. Ein ehemaliger Teamkollege hat während der Regionalligazeit sein Studium abgeschlossen und verdient jetzt schon ordentlich." Der sei aber die Ausnahme gewesen. Er kenne einige seiner Kollegen, die momentan ebenfalls ohne Zusatzqualifikation dastehen würden.

Etwas anders sieht das sicherlich im absoluten Spitzenbereich aus. Mitleid braucht man sicher nicht zu haben, aber auch in der Bundesliga gibt es Fallstricke. Die Kernzeit der Karrieren scheint sich verschoben zu haben. Zu Zeiten eines Ramelow oder Rolfes begann eine Profilaufbahn durchschnittlich mit 21, 22 Jahren, dauerte bis 35 Jahre und hatte die Kernzeit zwischen 28 und 30 Jahren. Heutzutage verlassen hunderte gut ausgebildete Fußballer bereits mit 18 die Nachwuchsleistungszentren, die Karrieren dauern von 18 bis 30 und die Kernzeit liegt grob um das 27. Lebensjahr.

In solch jungen Jahren gilt es, sich finanziell abzusichern. "Es ist noch mehr Geld im Spitzenbereich und normalerweise reichen heute ein, zwei große Verträge, um auszusorgen, wenn man sich einigermaßen clever anstellt. Aber in der Realität gibt es immer wieder Fälle, wo es nicht funktioniert und die Spieler in Nöte geraten", verrät Ramelow. In der Familie käme es dann häufig zu Problemen. "Wo viel Geld im Spiel ist, läuft es nicht immer harmonisch ab und es passieren schräge Dinge."

"Das sind aber alles keine Fußballer"

Eine allzu passive Einstellung nach der Laufbahn könne laut Rolfes tatsächlich zu Problemen führen. "Dann verrinnt die Zeit sehr schnell und es kann zu Antriebsproblemen oder allgemein dazu kommen, dass man nicht weiß, wohin es gehen soll." Von dort ist es auch zu finanziellen Problemen nicht mehr weit.

Szenarien, die der VDV als eine der wenigen Instanzen aktiv versucht einzudämmen, ohne zu verheimlichen, dass es diese Fälle immer wieder gibt.

Tom war einer dieser kolportierten knapp 400 Fußballer, die jährlich ihre mal mehr, mal weniger erfolgreichen und bekannten Karrieren beendeten. 2016 war das. Geld hat er momentan nur wenig. Er selbst reflektiert heute mit Anfang 30 deutlich intensiver als noch vor zehn Jahren. Kontakt mit dem VDV hatte er nie.

Er sei also nicht frustriert. Das Zitat vom Anfang steht. Nach dem Schweigen erklärt er ziemlich treffend, warum er dazu keinen Grund zu haben scheint. "Ich treffe an der Uni viele ehemalige oder aktuelle Leistungssportler. Das waren oder sind aber alles keine Fußballer. In anderen Sportarten ist es völlig normal, dass man nicht oder nur schlecht davon leben kann, geschweige denn vorsorgen. Nur die wissen das von Anfang an."

Informationen über den Verband der Vertragsfußballer