Fischer: "Spaniens Erfolg ist kein Zufall"

Florian Regelmann
10. Dezember 201109:18
SPOX-Redakteur Florian Regelmann (l.) traf Holger Fischer zuhause in Balingenspox
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Leistungsdruck im Profisport: Es ist eine der großen Debatten der letzten Wochen. SPOX hat jemanden besucht, der genau in dieser Thematik schon mit Sportlern gearbeitet hat: Holger Fischer. Der 49-jährige "Guru" über Fremdwertgefühle, emotionale Macht und Burnout-Prophylaxe. Außerdem: Warum es die Elite in Deutschland besonders schwer hat.

SPOX: Herr Fischer, was denken Sie, wenn Sie die angesichts der Häufung der Burnout- und Depressionsfälle entstandene Debatte über (zuviel) Druck im Leistungssport in der letzten Zeit verfolgen?

Holger Fischer: Na ja, es ist ein Teil des Menschseins. Ich kann mich noch erinnern, als Robert Enke starb und sein behandelnder Professor sagte, dass jeder fünfte Deutsche psychisch krank ist oder psychische Probleme hat. Da ist es doch klar, dass das auch im Profisport vorkommt. Momentan kommen viele dieser Fälle ans Licht, das ist für mich aber nichts Erstaunliches.

SPOX: Man hört viele "Experten" über dieses Thema reden, aber wohl die wenigsten haben schon tatsächlich mit Profisportlern in dieser Thematik zusammengearbeitet. Sie aber schon. Über was für eine Problematik sprechen wir Ihrer Meinung nach überhaupt?

Fischer: Wenn wir schauen, was genau stattfindet, dann ist das doch sehr diffus. Was ist eigentlich ein Burnout? Was ist ein vegetatives Erschöpfungssyndrom? Wo fängt eine Depression an? Die Psyche ist ja ein Paradoxum an sich. Man muss es sich so vorstellen: Das zentrale Nervensystem macht irgendwann einmal schlapp, aber das geschieht nicht von jetzt auf gleich. Es ist ein schleichender Prozess. Weil die meisten Menschen aber den normalen Ausschalter ignorieren, kommt dann der Not-Ausschalter. Es ist einfach die Reaktion auf eine bestimmte Situation.

Holger Fischer Coaching - Sie sind Ihr bester Coach

SPOX: Was führt denn ursächlich dazu, dass das Nervensystem schlapp macht?

Fischer: Wenn Menschen anfangen, das Selbstwertgefühl durch ein Fremdwertgefühl zu ersetzen, kommen wir in diese Problematik hinein. Fremdwertgefühl heißt, dass ich es allen recht machen will, für sie Leistung bringen will. Ich entferne mich von mir selbst. Burnout ist für mich deshalb auch keine Krankheit im eigentlichen Sinne. Das Thema ist, dass wir uns verlassen und vom Selbstwert- in ein Fremdwertgefühl übergehen. Wir geben die emotionale Macht ab, wir übergeben die Wertung und Bewertung von uns anderen.

SPOX: Man würde aber eigentlich denken, dass erfolgreiche Menschen, ob aus dem Sport oder aus anderen Bereichen, ein gutes Selbstwertgefühl haben müssten.

Fischer: Es gibt das Selbstwertgefühl, das von innen heraus kommt. Und ein aufgesetztes. Das sind zweierlei Stiefel. Viele dieser Stars haben ein aufgesetztes Selbstwertgefühl. Sie identifizieren sich nicht über sich selbst, sondern über Erfolg, Ansehen, Geld. Das ist der Unterschied. Selbstwertgefühl ist immer etwas Schwankendes, alles, was gefühlt ist, kann nie konstant sein. Baue ich mein Selbstwertgefühl über das auf, was ich tue? Oder über das, was ich bin? Meine Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass sich meine Sportler nicht als Profisportler identifizieren. Dass sich Andrea Petkovic nicht als Tennisspielerin identifiziert, sondern als Mensch. Das ist ein völlig anderer Ansatz. Leider wird dieses "Ja zu sich selbst sagen" häufig mit Egozentrik verwechselt. Aber wenn ich ein ausgeprägtes Selbstwertgefühl entwickle, dann ist es nahezu unmöglich, einen Burnout zu bekommen oder depressiv zu sein.

SPOX: Wenn Sportler aus der Bundesliga oder aus anderen Bereichen zu Ihnen kommen: Was schildern sie Ihnen für eine Problematik, ganz konkret?

Fischer: Man kann das nicht pauschalisieren, weil jeder andere Themen hat, aber es ist schon so, dass wir hier über Antriebslosigkeit reden. Kein Bock mehr auf gar nichts zu haben, sich über den Sinn des Lebens Gedanken zu machen. Ist das, was ich mache, wirklich das, was ich will? Häufig kommen Formkrisen dazu, Probleme mit dem Trainer, Probleme mit der Presse. Niemand ist davor gefeit. Die deutschen Medien gehen ja teilweise nicht gerade schonend mit den Sportlern um. Dass sie sensibel sind, Schwächen und Ängste haben - das will ja niemand sehen.

SPOX: Das mag sicher so sein. Aber man kann es auch von einer anderen Seite sehen. Hat nicht jeder Mensch in seinem Beruf Druck? Gibt es nicht Menschen, die in ihrem Beruf deutlich mehr Druck haben als ein Fußballprofi? Ich denke ja.

Fischer: Die Zeiten haben sich allerdings schon verändert in den letzten Jahren. Die mediale Berichterstattung hat eine ganz andere Dimension als noch vor 20, 30 Jahren. Es hat früher ausgereicht, wenn man Talent gehabt hat. Das reicht heute nicht mehr, um eine Karriere als Fußballer zu machen. Da gehören noch eine Menge weiterer Faktoren dazu. Außerdem hat die Hirnforschung belegt, dass sich die neuronalen Strukturen im Gehirn seit den 60ern verändert haben. So wird das Thema bei der Generation, die nach 2000 geboren wurde, wieder weniger werden. Weil sich die Hirnstrukturen auch anpassen. Man sieht ja, was auf der Welt passiert. Der Mensch rückt wieder mehr in den Vordergrund, es wird sich einiges verändern in den nächsten Jahren. Was jetzt alles so hoch kommt, sind die normalen Begleiterscheinungen in so einem Prozess.

SPOX: Wenn diese Sportler dann bei Ihnen sind und Ihre Hilfe benötigen, was stellen Sie mit denen an?

Fischer: Grundsätzlich gilt es als erstes herauszufinden, welche Themen vorliegen und dann Lösungen zu erarbeiten. Damit sie die emotionale Macht wieder zurückbekommen. Dafür gibt es eine bestimmte Methodik, bestimmte Techniken und unterstützend kommt auch die Energetik hinzu. Häufig reicht da schon ein Tag, um sie wieder fit zu machen.

Teil 2: Holger Fischer über Burnout-Prophylaxe und Hochbegabung a la Federer

SPOX: Müsste man nicht viel mehr vorbeugend eingreifen?

Fischer: Das ist der entscheidende Punkt. Das Problem ist ja nicht der Sport, das Problem ist, wie ich mit den Facetten außerhalb des Sports umgehe. Wenn ein Spieler morgen drei Tore gegen die Bayern schießt, dann wird er in der Wahrnehmung aller Menschen innerhalb von 90 Minuten zu einem anderen Menschen. Das große Problem vor allem im Fußball ist aber, dass der Spieler überhaupt nicht auf Erfolg vorbereitet wird. Es wird immer erst angefangen, etwas zu unternehmen, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. Burnout-Prophylaxe ist ein Riesenthema momentan, gerade im Business-Bereich. Einige Vereine versuchen inzwischen auch, pro-aktiv zu handeln, indem sie Psychologen anstellen. Dadurch kann man sich viel ersparen. Das geht grundsätzlich in die richtige Richtung.

SPOX: Im Fall Rafati ist eine Diskussion entstanden, ob es unmenschlich ist, den schlechtesten Schiedsrichter wählen zu lassen. Ist das nicht eine unsinnige Herangehensweise?

Fischer: So eine Wahl ist mittlerweile Teil des Business. Wer heute einen Vertrag als Schiedsrichter im Profi-Bereich unterschreibt, der weiß, was er tut. Also kann er sich auch nicht darüber beschweren. Da kann man nicht von den armen Schiris sprechen, das müssen sie sich schon vorher überlegen.

Holger Fischer: "Ich bin für viele die letzte Rettung"

SPOX: Was ist mit der Benotung von Spielern? Die Noten liest ja eh keiner, wenn man den Herren Fußballern glauben darf...

Fischer: Das sagen sie, aber am Ende gibt es nur ganz wenige Fußballer, die sich nicht anschauen, was sie für eine Note bekommen haben. Wenn einer mal eine Woche durch den Kakao gezogen wurde, schaut er vielleicht eine Zeit lang nicht mehr rein, aber grundsätzlich interessieren sie sich doch alle dafür.

SPOX: Matthias Sammer ist der Vorreiter beim DFB, der die Persönlichkeitsentwicklung immer wieder in den Vordergrund rückt. Damit müsste er Ihnen eigentlich sehr nahe kommen, oder?

Fischer: Das stimmt. Die Persönlichkeitsentwicklung ist etwas, das im Fußball noch zu wenig passiert. Da gibt es noch viel Luft nach oben, vor allem wenn es um die spezielle Betrachtung des Themas Hochbegabung angeht. Denn Weltklasse-Athleten, die nicht hochbegabt sind, gibt es nicht.

SPOX: Das müssen Sie mir genauer erklären.

Fischer: Mit Hochbegabung meine ich nicht, dass die in der Schule nur Einser schreiben. Hochbegabte haben aber ganz andere Denkstrukturen. Es sind oft schwierige Menschen, in positiver aber auch negativer Hinsicht. Menschen, die ein bisschen anders ticken. Die vielleicht sogar etwas komisch wirken. In Deutschland sind solche Hochbegabte im Sport schon einige Male unterwegs auf der Strecke geblieben. Weil sie eben so schwer zu packen sind. Da liegen noch enorme Ressourcen. Nur: Um mit diesen Hochbegabten zu arbeiten, muss ich selbst auf eine bestimmte Art hochbegabt sein, sonst verstehe ich diese Menschen nicht. Es gibt zwar Literatur über Hochbegabung, aber die wurde oft von Leuten geschrieben, die selbst nicht hochbegabt sind. Auf dieses Thema wird noch zu wenig Wert gelegt.

SPOX: Sind Sie hochbegabt?

Fischer: Ohne überheblich klingen zu wollen: Ich habe den Vorteil, dass ich inzwischen weiß, dass ich auf gewissen Feldern hochbegabt bin. Aber noch mal: Du hast keine Chance, ein Weltklasse-Athlet zu werden, wenn du das nicht bist. Es gibt auch Hochbegabungen verschiedener Natur. Gerd Müller war ein klassisches Beispiel für eine emotionale Hochbegabung, weil er einfach das Gefühl dafür hatte, im richtigen Moment das richtige zu machen. So etwas habe ich, oder ich habe es nicht. Roger Federer ist hochbegabt auf mehreren Ebenen. Er ist jemand, der sich selbst immer wieder vor neue Herausforderungen stellt. Der das auch braucht. Solche Leute interessiert Druck dann wenig. Ob es Federer, Zinedine Zidane, oder Lionel Messi ist, man kann bei so extrem hochbegabten Sportlern feststellen, dass ihr Privatleben in der Öffentlichkeit kaum stattfindet. Das ist alles sehr authentisch. Sie haben alle ein intaktes Umfeld, da gibt es wenig Brimborium, solche Leute haben es geschafft, sich ihr Leben so aufzubauen, dass es stimmig ist.

SPOX: Das Thema Elite ist in Deutschland aber ein eher schwieriges. Warum eigentlich?

Fischer: Wenn man sieht, dass es inzwischen Kindergärten oder spezielle Klassen für Hochbegabte gibt, dann sieht man ja, dass sich in der Hinsicht langsam etwas tut. Aber es bleibt zugespitzt formuliert dennoch ein deutsches Problem. Hochbegabte merken ja, dass sie anders sind als die anderen. Aber oft denken sie dann, dass die anderen alle normal sind und sie einen an der Murmel haben. Sebastian Deisler ist ein Beispiel für einen Hochbegabten im Fußball, der mit sich selbst nicht klar gekommen ist.

SPOX: In den USA oder auch in anderen Ländern scheint es diese Problematik gar nicht zu geben.

Fischer: Wenn jemand in den USA Millionär wird, dann machen sie ein Straßenfest. Und in Deutschland? Bloß niemandem erzählen. Der Sozialneid ist bei uns extrem ausgeprägt. Wir wollen die Elite, aber wenn wir sie dann haben, dann vernichten wir sie, böse ausgedrückt. Warum gehen die meisten Stars aus Deutschland weg? Nicht wegen der Steuern. Ich habe ausländische Stars bei mir gehabt, die mir gesagt haben, dass es so nicht geht. Da wirst du angepöbelt, da gibt's kein "bitte" beim Autogramm-Wunsch, solche Dinge. Ohne Deutschland jetzt schlecht zu machen, wir haben einen Nachholbedarf, wie wir mit Elite umgehen. In Spanien werden die Sportler auch viel mehr geschützt. Der Erfolg von Spanien in so vielen Sportarten ist ja kein Zufall. Da herrscht eine ganz andere Denkweise. Das sieht man schon alleine daran, dass die spanischen Tennisspieler zwar Rivalen, aber größtenteils auch befreundet sind.