"Riberys Ausfall hat etwas Positives"

Daniel Reimann
04. Juli 201409:07
Seit Sommer 2013 ist Horst Hrubesch (l., mit Emre Can) Trainer der deutschen U 21getty
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1980 bescherte er Deutschland mit zwei Toren im Finale den EM-Sieg, 1982 schoss er das DFB-Team gegen Frankreich vom Punkt ins Endspiel. Heute trainiert Horst Hrubesch die U-21-Nationalmannschaft. Im Interview mit SPOX vor dem WM-Viertelfinale zwischen Deutschland und Frankreich (18 Uhr im LIVE-TICKER) spricht über über die Lehren aus dem Algerien Spiel, Frankreichs Ribery-Effekt und Toni Schumachers üblen Aussetzer.

SPOX: Herr Hrubesch, viele waren vom Auftreten der DFB-Elf gegen Algerien überrascht - Sie auch?

Horst Hrubesch: Kaum jemand wollte im Vorfeld glauben, dass es ein schweres Spiel werden würde. Dabei lief es so, wie ich es erwartet hatte. Nur hatte ich nicht gedacht, dass uns derart viele Abspielfehler in der Anfangsphase unterlaufen und dass es so schwer sein würde, das Spiel in den Griff zu bekommen. In der zweiten Halbzeit war es dann besser. Deutschland hat das Spiel diktiert, hatte die klareren Torchancen. Zu diesem Zeitpunkt hätten sie das Spiel auch entscheiden müssen. In der Verlängerung haben sie es dann zum Glück - von ein paar kleineren Aussetzern abgesehen - souverän zu Ende gespielt.

SPOX: Effektivität statt Schönspielerei: Hat das DFB-Team in dieser Hinsicht dazugelernt?

Hrubesch: Ja, natürlich. Doch nicht nur als Mannschaft, viele haben auch auf individuellem Wege dazugelernt. Spieler wie Mario Götze, Philipp Lahm oder Mesut Özil, die so technisch versiert sind, die mit solch hoher Geschwindigkeit spielen... Wenn du dann gegen Mannschaften wie Algerien spielst, die jeden einzelnen körperlich bearbeiten, dann musst du dagegenhalten. Das haben sie getan. Mich hat es sehr gefreut, wie Özil damit umgegangen ist. Das hat man bis zum Schluss und vor allem bei seinem Tor gesehen. Da war viel Wille dabei, wie er den Ball zum 2:0 reingehauen hat. Diesen unbedingten Willen muss er bei der WM weiterhin mitnehmen.

SPOX: Es wurde viel diskutiert, ob es die richtige Entscheidung war, körperlich schwächere Spieler wie Götze oder Özil gegen Algerien zu bringen. Hätte Löw auf robustere Spieler setzen sollen?

Hrubesch: Nicht, wenn man einmal seine Mannschaft zusammengestellt und diese für gut befunden hat. Diese Mannschaft muss dann einfach ihre Fähigkeiten ausspielen. In unserem Fall heißt das: Über eine hohe Ballgeschwindigkeit zielstrebig zum Abschluss kommen. Das ist der entscheidende Faktor. Man würde sich selbst schwächen, wenn man eine eingespielte Mannschaft auseinanderreißt, nur um körperbetonter Fußball zu spielen. Es kann ja gegen Frankreich auch wieder ein sehr körperbetontes Spiel werden.

SPOX: Das heißt, Sie sehen Löw auf dem richtigen Weg? Seine Aufstellung gegen Algerien wurde von vielen Seiten kritisiert.

Hrubesch: Wir haben zu Hause 80 Millionen Bundestrainer, zudem die Medien. Man kann nur aus eigener Überzeugung heraus aufstellen. Davon ausgehend, wie man trainiert hat, was am besten passt. Man hat ja auch in der zweiten Halbzeit gesehen, dass diese Mannschaft solche Situationen lösen kann. Das hat sie am Ende getan. Die Diskussionen kann ich nicht nachvollziehen.

SPOX: Eine andere häufig geführte Diskussion dreht sich um die falsche Neun. Wie verfolgen Sie diese als ehemaliger Mittelstürmer?

Hrubesch: Was ist schon eine falsche Neun? Thomas Müller ist ein sehr guter Mittelstürmer, mit Miroslav Klose haben wir noch einen auf der Bank. Das System wurde über die Qualifikation bis hin zur WM ausprobiert und einstudiert. Man kann nicht einfach jetzt das System großartig verändern, denn es ist abhängig von den Spielertypen. Wenn man mit den eigenen Spielertypen in der Lage ist, die Stärken des eigenen Systems auszuspielen, ist es egal, ob mit oder ohne Mittelstürmer. Das Personal stellt das System.

SPOX: Deutschlands Viertelfinalgegner Frankreich musste beim Personal einen schweren Rückschlag verkraften: Franck Ribery fiel kurz vor WM-Beginn aus. Dennoch spielt Frankreich bisher souverän auf. Hat Sie das überrascht?

Hrubesch: Nein, von ihrer spielerischen Qualität war ich überzeugt. Was mich überrascht hat, ist die Geschlossenheit. Sie sind wieder eine Mannschaft. Dafür war Riberys Ausfall vielleicht ausschlaggebend. Daraufhin haben sie sich erst recht zusammengerauft. Das ist nicht anders, als wenn jemand einen Platzverweis bekommt oder sich verletzt und man nur noch zu zehnt spielt. Das schweißt die Mannschaft zusammen, jeder macht noch einen Schritt mehr. Die Franzosen wollen genau das beweisen und das gelingt ihnen gut. Insofern hat Riberys Ausfall etwas Positives.

SPOX: Was ist den Franzosen bei dieser WM zuzutrauen?

Hrubesch: Frankreich ist für mich definitiv ein Titelkandidat. Das wird eine offene Partie gegen Deutschland, ein sehr schweres Spiel. Aber ich bin mir sicher, dass wir mit unseren technischen Fähigkeiten und dem schnellen Spiel die Franzosen schlagen werden.

SPOX: In der Vorrunde sind bereits Spanien und Italien rausgeflogen, im Achtelfinale mussten mehrere Geheimfavoriten wie Chile oder Uruguay dran glauben. Ist der Weg zum Titel dieses Jahr einfacher als sonst?

Hrubesch: Im Gegenteil: Es war lange nicht mehr so schwer, eine WM zu gewinnen. Gerade für die europäischen Mannschaften, die mit den klimatischen Bedingungen zu kämpfen habe. Nicht umsonst wurde noch nie eine europäische Mannschaft in Südamerika Weltmeister. Gleichzeitig macht es Spaß zu sehen, mit welcher Mentalität und mit welcher Freude die Südamerikaner bei dieser WM auftreten. Dazu sind Teams wie Argentinien und Brasilien noch längst nicht am Limit angekommen, da geht noch mehr. Und Frankreich wird, wie bereits erwähnt, auch eine wichtige Rolle spielen.

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SPOX: Was verbinden Sie denn persönlich mit Frankreich?

Hrubesch: Kurz formuliert: Eine Runde weiter und im Finale! Da kommt natürlich sofort das Halbfinale 1982 gegen Frankreich und das Elfmeterschießen in Erinnerung. Ich habe ja damals den entscheidenden Elfmeter geschossen.

SPOX: Wie sind Sie an den Elfmeter herangegangen?

Hrubesch: Das war eine absolut eindeutige Situation. Ich war mir total sicher. Was konnte schon passieren? Selbst wenn ich verschossen hätte, wäre es weitergegangen. Aber ich wusste: Wenn er reingeht, ist es vorbei! Ich war mir von vornherein komplett sicher, dass ich treffe.

SPOX: Wussten Sie denn vorher schon, wo Sie hinschießen?

Hrubesch: Ich hatte vorher schon mal einen Elfmeter gegen Jean-Luc Ettori geschossen. In einem Freundschaftsspiel, als er bei Bordeaux im Tor stand. Dort und auch bei den ersten Elfmetern gegen Frankreich habe ich gesehen: Er entscheidet sich schnell für eine Ecke. Ich musste also nur ein bisschen warten, dann war es einfach.

SPOX: Hatten Sie denn während des Spiels überhaupt noch an ein Elfmeterschießen geglaubt? Deutschland lag zwischenzeitlich 1:3 zurück.

Hrubesch: Es war eigentlich von Anfang an eine total offene Partie, dann haben uns die Franzosen erwischt. Aber es war unsere Mentalität, die uns immer ausgezeichnet hat. Wir sind immer wieder zurückgekommen. Dazu haben Klaus Fischer und ich bewiesen, dass zwei Mittelstürmer auch zusammenspielen können. Dass das 3:3 in letzter Minute gleich so ein Traumtor wird... na gut, gerne! Dass wir das Spiel dann im Elfmeterschießen gewonnen haben, beweist unsere mentale Stärke.

SPOX: Einen negativen Höhepunkt gab es aber auch: Toni Schumachers Einsatz gegen Patrick Battiston, der mit angebrochenem Halswirbel und ein paar Zähnen weniger runter musste. Wie haben Sie die Szene erlebt?

Hrubesch: Ich habe die Aktion ehrlich gesagt erst später im Fernsehen gesehen. Während des Spiels habe ich das kaum mitbekommen. Aber es war eine unschöne Geschichte.

SPOX: In der Folgezeit wurde Schumacher heftig von französischen Medien kritisiert. Wie ist die Mannschaft damit umgegangen?

Hrubesch: Er hat sich ja danach noch etwas unglücklich dazu geäußert und er weiß, dass das nicht in Ordnung war. Wir haben damals nur kurz darüber gesprochen, weil ja das Finale vor der Tür stand. Vieles ging in dem großen Trubel erst einmal unter. Aber dass das keiner in Ordnung fand, kann sich jeder vorstellen.

SPOX: Hat ihn die Kritik belastet? SPOX

Hrubesch: Wenn man ein Halbfinale im Elfmeterschießen gewinnt, kann man sich erst einmal nur auf das Finale freuen, dann schiebt man alles andere beiseite. Man blendet alles aus.

SPOX: Damals war das womöglich gar nicht so leicht, oder? Die Nationalmannschaft war nicht im Ansatz so abgeschottet, wie sie es heute ist.

Hrubesch: Bei uns war das noch ganz anders. Früher kam man im Trainingslager überhaupt nicht vor die Tür. Heute sind die Spieler zwar abgeriegelt, aber es gibt gemeinsame Unternehmungen, die es einem erleichtern, mit der Situation klarzukommen. So eine WM dauert fünf Wochen. Wenn man fünf Wochen lang nur aufeinander sitzt, dann kommt irgendwann der Lagerkoller. Deshalb ist es gut, dass die Spieler zumindest abgeschottet sind und sich in Ruhe auf ihre Ziel vorbereiten können.

SPOX: Was glauben Sie: Wie geht die WM für Deutschland aus?

Hrubesch: Wir schlagen die Franzosen, dann nehmen wir die Brasilianer raus und werden schließlich Weltmeister. Weil ich weiß, dass unsere Jungs Charakter haben! SPOX

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