Seit Mai 2016 besitzt der Schwabe Edin Rahic gemeinsam mit einem Investoren-Partner den englischen Drittligisten Bradford City - 2026 will er in der Premier League spielen. Im Interview erzählt er seine Geschichte, berichtet von Schwierigkeiten, Überraschungen und dem Alltag in Bradford. Rahic arbeitete einst in Stuttgart als Scout für Ralf Rangnick, womöglich macht das Duo bald wieder gemeinsame Sache: Rahic kann sich eine Kooperation zwischen Bradford und RB Leipzig vorstellen. Was er sonst noch plant? Die Wiedereinführung der Stehplätze, Premier-League-Tickets für ein Pfund und neue Flugrouten, um deutsche Fans anzulocken.
SPOX: Herr Rahic, gemeinsam mit Ihrem Investoren-Partner Stefan Rupp besitzen Sie den englischen Drittligisten Bradford City. Wie kam es dazu?
Edin Rahic: Ich wollte einst Fußballprofi werden und war auch relativ talentiert, habe sogar für die Württemberg-Auswahl und die Stuttgarter Kickers gespielt. Nach zwei Achillessehnenrissen musste ich meine Karriere aber früh beenden und seitdem ist es mein Traum, einen Klub zu besitzen.
SPOX: Den Traum dürften viele Menschen haben. Wie sind Sie die Sache angegangen?
Rahic: Ich habe zwei Studiengänge absolviert und begonnen in der freien Wirtschaft zu arbeiten, um das nötige Geld dafür zu verdienen. Im Jahr 2000 hatte ich so viele Überstunden angesammelt, dass ich mir sechs Monate freinahm und unter Ralf Rangnick als Scout für den VfB Stuttgart arbeitete, um Erfahrungen zu sammeln und mein Fußballnetzwerk aufzubauen. Später war ich ein Jahr lang Vorstand der Stuttgarter Kickers und half, den Klub vor der Insolvenz zu retten. Als Vorstand muss man aber immer Kompromiss-Entscheidungen treffen und deshalb wurde mein Wunsch nach einem eigenen Klub nur noch größer.
SPOX: Was waren die nächsten Schritte?
Rahic: Weil Klubs in Deutschland wegen der 50+1-Regel nicht in Frage kamen, musste ich mir erst überlegen, wohin es gehen soll. 2010 hatte ich starkes Interesse am Grasshopper Club Zürich, aber der Preis war mir letztlich zu hoch. Zwei Jahre später scheiterte ich knapp mit einem Übernahmeversuch der Glasgow Rangers. Ab dann habe ich mich voll auf den englischen Markt fokussiert.
SPOX: Warum fiel die Wahl auf Bradford?
Rahic: Ich habe mit meiner Familie und meinem Investoren-Partner Stefan Rupp auf einer Karte alle englischen Profi-Klubs eingetragen und dann mit einem Kriterienkatalog typisch deutsch analysiert. Wir wollten unbedingt in eine Stadt, in der es nur einen großen Verein gibt, somit fielen London und einige andere Städte weg. Und es sollte ein schlafender Riese sein, der mal ganz oben war, dann abgestürzt und nun wieder im Aufwärtstrend ist. Letztlich blieben vier, fünf Vereine übrig und dann waren wir bei zwei Spielen von Bradford. Das Stadion ist mitten in der Stadt, die Stimmung war unglaublich und es hat sofort gefunkt. Außerdem war der Klub schuldenfrei, was in England sehr unüblich ist.
SPOX: Wie lief die Übernahme?
Rahic: Die Verhandlungen mit den damaligen Eigentümern dauerten ein Jahr, weil wir bei jeder Kleinigkeit sehr pingelig waren und außerdem gleichzeitig ein Konsortium um Flavio Briatore und Bernie Ecclestone Interesse an einem Kauf hatte. Wenn die Verhandlungen gescheitert wären, hätte ich meinen Traum erstmal begraben müssen, weil ich so viel Geld in Anwälte und Berater investiert habe. Als alles unterschrieben war, hatte ich ein überwältigendes Gefühl und war stolz, dass ich eine provozierende Ankündigung wahrgemacht habe.
SPOX: Welche Ankündigung?
Rahic: An meinem 40. Geburtstag sagte ich meinen Gästen, dass ich mit 50 einen Fußballverein besitzen würde. Manche lachten mich aus, aber das hat mich nur angetrieben und motiviert. Ich stellte mir zu dieser Zeit immer wieder vor, wie eine Lobrede über mein damaliges Leben anfangen würde: "Edin, wir sind stolz auf Dich. Du hast eine tolle Familie gegründet und bist Hauptbereichsleiter bei Bosch." Diese Vorstellung fand ich etwas langweilig.
SPOX: Wie haben die Fans in Bradford auf die Übernahme reagiert?
Rahic: Die hielten das erst für einen Witz. Was wollen Deutsche in West Yorkshire? Ich begegne allen Fans aber sehr offen und bin auch viel in der Stadt unterwegs, um Präsenz zu zeigen. Weil wir alles im Sinne des Klubs machen, habe ich keinen Bammel vor persönlichen Gesprächen mit den Leuten - und die scheinen das wertzuschätzen. Seit unserer Ankunft erhöhte sich der Saisonkartenverkauf von 16.000 auf unglaubliche 19.000 und der Trikotverkauf von 10.000 auf fantastische 16.000. Wir wollen aber nicht das schnelle Geld machen und den Klub in drei Jahren wieder verkaufen. Wir wollen in die Premier League!
SPOX: Haben Sie einen Zeitplan?
Rahic: Innerhalb der nächsten beiden Jahre müssen wir unbedingt in die zweitklassige Championship aufsteigen. In unserer ersten Saison sind wir im Playoff-Finale leider knapp am FC Millwall gescheitert. Unsere Zielvorgabe bei der Übernahme war, es innerhalb von zehn Jahren in die Premier League zu schaffen. Die Fans guckten wie die Aliens.
SPOX: Warum denn das?
Rahic: Langfristige Pläne sind im englischen Fußball kaum vorhanden. Gewinnt man daheim gegen den Letzten steigt man auf, verliert man auswärts gegen den Ersten steigt man ab. Dieses kurzfristige Denken ist hier viel ausgeprägter als beispielsweise in Deutschland. Als Bradford 2001 das letzte Mal in der Premier League war, hat sich der Klub völlig übernommen. Zwei Insolvenzen später stand er kurz vor dem Sturz in die fünfte Liga.
spoxSPOX: Was hat Sie außer dem fehlenden langfristigen Denken bisher noch überrascht?
Rahic: Die immense Anzahl an Spielen kann man sich in Deutschland nicht vorstellen. Wir spielen vom Saisonstart bis Ende April an jedem einzelnen Samstag, dazu mehrmals unter der Woche und in drei verschiedenen Pokalwettbewerben. Es gibt keine Länderspielpausen und keine Winterpause. Problematisch ist daran vor allem, dass die Plätze ab Dezember schwer bespielbar sind. Wir wollen einen schönen Fußball spielen, aber im Winter geht oft einfach nur Kick'n'Rush.
SPOX: Welche Philosophie verfolgen Sie mit Ihrem Klub?
Rahic: Bei unserer Übernahme hatten wir nur acht Spieler mit einem Altersdurchschnitt von 28 Jahren, die wir dann sukzessive durch Talente ausgetauscht haben. Wir zahlen keine hohen Gehälter, aber dienen jungen Spielern mit unserem Umfeld als perfekte Präsentationsplattform. Bei jedem Spiel sind rund 20 Scouts von Erst- und Zweitligisten da, weil sie sehen wollen, wie die Talente mit einer Kulisse von 20.000 Zuschauern umgehen. Sobald wir in die Championship aufgestiegen sind, werden wir europaweit nach Talenten suchen und somit in der Folge auch europaweites Interesse von Scouts auf uns ziehen. Wenn wir aber ein Talent verkaufen, reinvestieren wir die Transfersumme natürlich.
SPOX: Kann man in der dritten Liga eigentlich Geld verdienen?
Rahic: Das geht nur, wenn man sehr gute Transfers macht oder einen Lauf im Pokal hat. Wenn wir im FA Cup Manchester United zugelost bekommen würden, wäre die Saison wegen der TV- und Ticket-Einnahmen mit einem einzigen Spiel gerettet. Und wenn wir 0:8 verlieren, wäre es völlig egal.
SPOX: Die Premier League hat einen extrem hochdotierten TV-Vertrag, im Unterhaus kommt relativ wenig Geld an. Ärgert Sie die mangelhafte Umverteilung?
Rahic: Am Anfang fand ich das schon ungerecht, aber mittlerweile habe ich meine Meinung etwas geändert. Wenn alle Drittligisten statt aktuell einer Million Pfund fünf Millionen bekämen, würde sich an der allgemeinen finanziellen Situation letztlich nichts ändern. Die Vereine würden fünfmal höhere Gehälter zahlen und genauso viel Verlust machen wie zuvor. Nur die Spieler würden sich freuen. Interessant ist aktuell der immense Gehaltssprung zwischen der zweiten und dritten Liga. Wenn die Klubs in der Championship wüssten, was unser Top-Stürmer Charlie Wyke verdient, wäre er innerhalb weniger Tage weg.
SPOX: Kümmern Sie sich um die Transfers Ihres Vereins selbst?
Rahic: Ja, denn ich bin nicht nur Besitzer, sondern auch eine Art Sportdirektor. In England ist das sehr ungewöhnlich, weil die Sportdirektorenaufgaben anders als in Deutschland normalerweise vom Trainer übernommen werden. Das deutsche Modell ist aber besser, weil sich der Trainer dann nur auf den Fußball konzentrieren kann. Seine Aufgabe ist es, das Beste aus dem Spielermaterial zu machen, das wir ihm zur Verfügung stellen. Für unseren Trainer war diese Struktur anfangs natürlich gänzlich neu und es hat eine Zeit lang gedauert, bis sich das eingependelt hat. Es hilft aber, dass ich Ahnung von Fußball habe und mich mit ihm kompetent austauschen kann.
SPOX: Was haben Sie in Ihrer Zeit als Scout beim VfB Stuttgart gelernt?
Rahic: Das war eine sehr gute Schule für meine Arbeit hier. Ein halbes Jahr lang war ich gemeinsam mit Wolfgang Geiger und Stephan Schwarz in ganz Europa unterwegs. Sie sind sehr gute Fußballkenner und brachten mir bei, wie man die Körpersprache von Spielern und ihr Verhalten ohne Ball beurteilt. Unser damaliger Vorgesetzter Rangnick nahm Wolfgang später nach Leipzig mit. Stephan arbeitet heute erfolgreich mit Stefan Reuter für den FC Augsburg.
SPOX: Was für ein Typ ist Rangnick?
Rahic: Er hat am liebsten nur wenige Vertraute um sich und alles selbst unter Kontrolle. Ralf ist sehr, sehr ehrgeizig und weiß genau, was er will. Seinen Vereinen bringt er nicht nur große Erfolge, sondern auch eine klare Spielphilosophie. Er hat seinen Stil im Kopf und arbeitet sehr strukturiert an der Umsetzung - ganz unabhängig von Gegenwind.
SPOX: Wie viel Kontakt haben Sie noch zu ihm?
Rahic: 2012 hätte er mich fast nach Leipzig geholt, aber das wurde nichts. Vor unserem Playoff-Finale im Mai wünschte er mir viel Glück. Falls Red Bull irgendwann Interesse an einem Engagement in England haben sollte, könnten wir mit unseren beiden Vereinen vielleicht kooperieren.
SPOX: Wie würde so eine Kooperation aussehen?
Rahic: Wir haben nicht unendlich viel Geld und somit wäre es ideal für uns, geliehene Talente zu bekommen und weiterzuentwickeln. Gleichzeitig wären wir für einen Klub wie Leipzig die perfekte Plattform, um Spieler zu testen. Vergleichbar mit deren Kooperation mit Salzburg würden wir dann natürlich denselben Fußballstil und ähnliche Trainingsinhalte praktizieren. So etwas kann ich mir aber nicht nur mit Leipzig, sondern prinzipiell mit jedem interessierten Verein vorstellen.
SPOX: Wie könnte man solch eine Kooperation den Fans vermitteln?
Rahic: Der Klub bleibt immer das Wichtigste, während Spieler kommen und gehen - ganz egal, ob sie gekauft oder geliehen sind. So ist der Fußball nun mal.
SPOX: Freuen wird die Fans dagegen Ihre Ankündigung, wonach Sie bei einem möglichen Aufstieg in die Premier League Tickets für ein Pfund anbieten würden.
Rahic: Wenn Ersatzspieler in der Premier League fünf Millionen Pfund verdienen, dann könnte man auch Tickets für ein Pfund anbieten. Aktuell verkaufen wir mit 149 Pfund die günstigsten Saisontickets im englischen Profifußball. Ich war neulich bei Manchester City im Stadion und da zahlt man bei einem Spiel für die schlechtesten Plätze 70 Pfund. Deswegen sind keine Arbeiter im Stadion, sondern Businessleute aus China oder den USA und die Stimmung ist nicht annähernd so gut wie bei uns. Das ist langweilig und bestätigt mich in meinen Ansichten. Der Fußball muss für die wahren Fans, die Arbeiter bezahlbar sein und wenn das die großen Klubs nicht begreifen, gibt es bald einen gewaltigen Knall.
SPOX: Sie scheinen mit der Kommerzialisierung der Premier League nicht einverstanden zu sein.
Rahic: Die Premier League ist Show und Zirkus. Wir wollen da hin und es anders machen.
SPOX: Befürworten Sie die Wiedereinführung von Stehplätzen?
Rahic: Wir würden sofort ein Pilotprojekt angehen. Das Hooliganproblem ist doch längst gelöst und Stehplätze würden die Stimmung überall schlagartig verbessern. Bei uns würde es dann zugehen wie in Klein-Dortmund.
SPOX: Besuchen aktuell viele deutsche Fans die Spiele von Bradford?
Rahic: Noch nicht so viele wie wir das gerne hätten, aber das liegt an den schlechten Flugverbindungen. Wir sind in Gesprächen mit den Betreibern des Flughafens Bradford/Leeds und setzen uns für direkte Flüge nach München und Stuttgart ein. Sobald das geregelt ist, werden viele Deutsche kommen, weil sie hier den echten Fußball sehen. In der vergangenen Saison wurde unser Stadion zum drittstimmungsvollsten aller englischen Ligen gekürt (hinter Sheffield United und West Bromwich Albion, Anm. d. Red.).
SPOX: Bei Huddersfield Town ist in den vergangenen Monaten eine deutsche Enklave entstanden. Haben Sie viele Landsleute in den Verein geholt?
Rahic: Mit Rouven Sattelmaier und Lukas Raeder haben wir zwei deutsche Torhüter, mit Joel Grodowski einen Stürmer; meine Frau arbeitet als Club Secretary. Am Anfang hatten wir in dieser Position jemand anderen, aber das funktionierte nicht so gut. Dann habe ich gesagt: "Frau, Du musst einsteigen!" Sie hat früher in der Revision einer Bank gearbeitet und kümmert sich jetzt um alle Verträge.
SPOX: Wie oft reisen Sie noch nach Deutschland?
Rahic: Das letzte Mal war ich im Sommer daheim, aber aktuell plane ich eine längere Reise, um meine Kontakte zu pflegen. Ich will bei Fredi Bobic in Frankfurt und bei Stefan Heim in Stuttgart vorbeischauen und sehen, wie sie etwa in den Bereichen Scouting und Ticketing arbeiten.