2010 klopfte Inter Mailand an, doch Stefan Bell entschied sich für 1860 München. Nach verletzungsgeprägten Monaten bei Eintracht Frankfurt steht der Rheinländer nun bei seinem Ausbildungsverein Mainz 05 vor dem Durchbruch. Gegen seinen Ex-Verein steht er wohl erneut in der Startelf (Sa., 15.30 im LIVE-TICKER). Stefan Bell über Selbstzweifel, das Kolpinghaus und seinen ehemaligen Konkurrenten Jan Kirchhoff.
SPOX: Vor einem Monat forderte Ihr Trainer Thomas Tuchel: "Stefan muss sich breit machen. Es ist an der Zeit, dass er nach vorne tritt." Nach fünf Bundesliga-Einsätzen in Folge: Haben Sie sich breit gemacht?
Stefan Bell: Ich lese nicht jedes Interview vom Trainer durch, daher weiß ich nicht genau, was er gemeint hat. Was ich vermute: Dass ich noch offensiver auftreten soll und verbissener meinen Platz verteidigen soll. Diesem Ziel bin ich näher gekommen. Das hatte bereits in der Rückrunde der Vorsaison angefangen, seitdem veränderte sich meine Rolle. Ich bin nicht mehr der Jugendspieler von vor zwei Jahren, der bei den Profis nur mittrainieren und in der Zweiten spielen durfte. Meine Position im Mannschaftsgefüge ist anders als früher.
SPOX: Fühlen Sie sich jetzt als echter Bundesliga-Profi?
Bell: Irgendwie schon, irgendwie nicht. Ich komme regelmäßig zum Einsatz, aber zusammengerechnet sind es erst 13 Bundesliga-Spiele. Da gibt es teils deutlich jüngere Spieler als mich, die sich gemessen daran eher als Bundesliga-Profis bezeichnen dürfen. Ich habe noch einiges vor mir.
SPOX: Im Sommer 2010 sorgten Sie für Furore: Inter Mailand wollte Sie verpflichten, allerdings sagten Sie ab und blieben in Mainz. Wie sieht das Resümee der letzten drei Jahre aus?
Bell: Ich ließ mich nach der Inter-Geschichte gleich in die 2. Liga zu 1860 München ausleihen. Bis auf die Verletzung am Ende der Saison lief es richtig gut und ich wurde regelmäßig aufgestellt. Danach ging es für ein halbes Jahr zu Eintracht Frankfurt - doch das war eine unglückliche Zeit. Ich erhoffte mir mehr, aber dann riss ich mir im Winter 2011/12 auch noch das Innenband, so dass ich noch vor der Rückrunde zurück nach Mainz ging. Ich benötigte Zeit, den Rückstand aufzuholen. Seit ich wieder fit bin, geht es stetig bergauf.
SPOX: Am Sonntag kommt es zum direkten Duell gegen Frankfurt. Wie erinnern Sie sich an die schwersten sechs Monate Ihrer jungen Karriere?
Bell: Grundsätzlich bin ich immer noch überzeugt, dass es zu dem Zeitpunkt die richtige Entscheidung war. Es bestand eine große Chance, Stammspieler zu werden und im Optimalfall als Leistungsträger in die Bundesliga aufzusteigen. Im Nachhinein ist es schwer, die Gründe zu finden, warum es anders kam. Nach der Verletzung bei 1860 musste ich den Anschluss finden - und als mir das gelang, war es schon zu spät. Mit Anderson und Gordon Schildenfeld fand sich die Innenverteidigung. Und weil die Mannschaft erfolgreich spielte, musste ich mich hintenanstellen und warten.
SPOX: Kamen Selbstzweifel hoch?
Bell: Nicht direkt. Im Fußball ist es eben so: Wenn es läuft, ist man der Held. Wenn nicht, ist man der Depp. Deswegen muss jeder für sich selbst einen Weg finden, um gefühlsmäßig auf einem Level zu bleiben. Sonst würde man verrückt werden.
SPOX: Sie sind es gewohnt, mit einer gewissen Skepsis bewertet zu werden. Selbst Thomas Tuchel hatte Ihnen anfangs der A-Jugend-Zeit den großen Durchbruch nicht zugetraut. Dennoch setzten Sie sich durch und wurden im Jahr darauf, nach der deutschen U-19-Meisterschaft, sogar Kapitän der A-Jugend.
Bell: Es ist einfach wichtig, immer an sich selbst zu glauben. Ich weiß, dass man keinen Einfluss darauf nehmen kann, was andere von einem halten. Deswegen versuche ich, mein Ding durchzuziehen und darauf zu hoffen, dass die anderen einen so sehen, wie man sich selbst sieht.
SPOX: Über mehrere Jahre konkurrierten Sie mit Jan Kirchhoff um einen Platz: Erst in der A-Jugend, später im Bundesliga-Team. Seit diesem Sommer ist er plötzlich weg - beim FC Bayern. Hätten Sie das für möglich gehalten?
Bell: Auf jeden Fall ist es verrückt. Damit konnte keiner rechnen. Überhaupt zu den Bayern zu kommen, ist nicht einfach. Hut ab, dass er sogar noch seine Einsätze bekommt und häufig im Kader steht. Ich bin auch überrascht, dass er mittlerweile von allen vordergründig als Sechser und nicht als Innenverteidiger gesehen wird.
SPOX: Verbindet Sie wegen der gemeinsamen Vergangenheit eine besondere Rivalität?
Bell: Eine gesunde Rivalität - trotzdem war es nichts, was ins Negative ging. Wir haben zum Beispiel zusammen unser Abitur gemacht und wir verstehen uns gut. Diese Rivalität brachte uns beide weiter und wir pushten uns seit der A-Jugend gegenseitig. Man zieht sich gemeinsam hoch und schaut sich vom anderen etwas ab.
SPOX: Wer sind Ihre Vorbilder?
Bell: Es gibt nicht das eine Vorbild, wobei es natürlich Spieler gibt, von denen ich gewisse Elemente übernehmen möchte. Wie bei Bo Svensson: Was das Aufbauspiel anbelangt, macht er uns alle noch frisch. Oder Mats Hummel und sein Zweikampfverhalten. Oder Dante mit seinen Diagonalbällen.
SPOX: Wenn Sie kritisiert werden, dann häufig wegen Ihrer Zurückhaltung bei eigenem Ballbesitz. Warum versuchen Sie sich nicht häufiger als passender Spielgestalter von hinten?
Bell: Von der Technik kann ich den öffnenden Pass ganz ordentlich spielen. Gegen Hoffenheim leitete ich so einen Konter über Niki Zimling ein, der alleine aufs Tor laufen konnte, aber leider keinen Elfer bekam. Mit mehr Einsätzen und mehr Sicherheit, wie die Mitspieler laufen, kommen solche Aktionen bestimmt regelmäßiger. Im Moment spiele ich manchmal noch lieber den weiten Ball, um gefährliche Ballverluste im Zentrum zu vermeiden.
SPOX: Wo sehen Sie Steigerungspotenzial?
Bell: Im Grunde in allen Bereichen. Es hängt viel von der Routine und der Abgeklärtheit ab. Ich glaube, ich bin auf einem guten Weg.
SPOX: Sie sprechen den anbahnenden Generationswechsel in der Mainzer Defensive an. Die Verträge von Nikolce Noveski und Svensson laufen aus. Ihrer allerdings auch.
Bell: Bis Sommer ist es eine lange Zeit und es bringt mich nicht weiter, wenn ich mir zu viele Gedanken darum mache. Ich lasse es auf mich zukommen. Klar ist natürlich, dass ich mich in Mainz sehr wohlfühle und gerne bleiben würde. Nikolce und Bo sind alte Hasen und werden nicht fünf weitere Jahre spielen. Deswegen hoffe ich natürlich, dass ich mich als Nachfolger positionieren kann. Der FSV ist mein Heimatverein.
SPOX: Sie und Kirchhoff gehören zu den Vorreitern der Mainzer Nachwuchsförderung. Mittlerweile zählt der FSV zu den Vorbildern der Jugendarbeit. Wie haben Sie den Wandel erlebt?
Bell: Es tat sich einiges. Als ich anfing, gab es kein modernes Nachwuchsleistungszentrum und es arbeiteten viel weniger Festangestellte. Die Zahl der Spieler, die es über Mainz in den Profifußball geschafft haben, spricht dafür, dass die beiden Verantwortlichen Volker Kersting und Stefan Hofmann einiges richtig machen. Kersting war es ja, der Tuchel damals verpflichtet hatte.
SPOX: Die Besonderheit in Mainz: Der Klub verzichtet auf ein reines Internat für Talente, stattdessen werden sie im sogenannten Kolpinghaus untergebracht. Was steckt dahinter?
Bell: Ich lebte selbst drei Jahre im Kolpinghaus. Das ist eine Einrichtung, in der Auszubildende aus den verschiedensten Bereichen günstig wohnen können. Viele arbeiteten in Rüsselsheim bei Opel, der Großteil waren aber angehende Steinmetze. Mein damaliger Zimmerkollege, mit dem ich noch in Kontakt stehe, machte eine sehr seltene Lehre zum Blechblasinstrumentenmacher. Für mich persönlich war es eine tolle Sache, weil ich so viele Leute außerhalb des Fußballs kennenlernen durfte. Es gab andere Gesprächsthemen und ich konnte meinen Horizont erweitern. Es war vermutlich nicht so eindimensional wie in einem klassischen Jugend-Internat auf dem Trainingsgelände. Und was mir gefallen hat: Ich konnte im Alltag untertauchen und war einer von Vielen und nicht immer das Fußball-Talent.
Stefan Bell im Steckbrief