Hertha BSC in der Kaderanalyse: Ein Cunha allein macht noch keinen Big-City-Club

Filippo Cataldo
08. August 202012:44
Schwitzen mit Matheus: Jordan Torunarigha (von li.), Matheus Cunha und Niklas Stark.imago images/Contrast
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Hertha BSC könnte dank der Millionen von Investor Lars Windhorst richtig angreifen und fühlt sich ohnehin zu Höherem berufen. Auf dem Transfermarkt denkt Hertha aber bisher eher konventionell.

TOR

  • Personal: Alexander Schwolow (Hertha gibt neuerdings die Vertragslaufzeiten nicht mehr bekannt, der Ex-Freiburger unterschrieb einen "langfristigen Vertrag"), Rune Jarstein (bis 2021), Nils Körber (bis 2021), Florian Palmowski (bis 2022).
  • Fragezeichen: -
  • Kandidaten: -

Situation: Eigentlich wollte Hertha Gregor Kobel (22) verpflichten. Doch der VfB-Aufstiegsheld entschied sich fest nach Stuttgart zu wechseln, vergangene Saison war er noch aus Hoffenheim ausgeliehen. Hertha brauchte also eine Alternative und fand diese im Freiburger Alexander Schwolow (28) - der eigentlich schon mit einem Bein in Gelsenkirchen war. Schalke 04 jedenfalls wähnte sich bei Schwolow schon sehr weit, lockte mit der Perspektive eines Stammplatzes. Weil den Schalkern selbst die, dank Corona-Discount, recht günstigen 3,5 Millionen Euro Ablöse zu viel waren, um sie auf einen Schlag nach Freiburg zu überweisen, platzte der Deal im letzten Moment. Schwolow, dessen Ausstiegsklausel in Freiburg sogar bei acht Millionen Euro lag, unterschrieb schließlich in Berlin. Hertha überwies 3,5 Millionen Euro sofort, laut kicker könnte die Summe noch auf bis zu sieben Millionen steigen.

Hertha BSC will insgesamt fünf Neue holen

Schwolow ist somit der erste von fünf Neuzugängen, die Hertha in diesem Sommer vorstellen möchte. Die von Investor Lars Windhorst aufgepäppelte Alte Dame suchte einen Torwart, einen Rechtsverteidiger, einen Mittelfeldspieler, einen Flügelstürmer und einen Mittelstürmer.

Das Anforderungsprofil an den neuen Torwart hatte Trainer Bruno Labbadia schon lange vor Schwolows Verpflichtung formuliert: "Er soll Rune Jarstein Druck machen. Uns schwebt vor, Spieler mit Potenzial zu holen. Wir suchen keine Nummer zwei."

Jarstein (35) hatte in der vergangenen Saison sogar kurz seinen Stammplatz verloren. Grundsätzlich scheinen beide Keeper ungefähr gleich stark, Labbadia hat seinen offenen Konkurrenzkampf. Körber (23), zuletzt an Osnabrück ausgeliehen und Palmowski (19), der Keeper der zweiten Mannschaft, duellieren sich um die Nummer 3 im Hertha-Tor.

ABWEHR

  • Personal: Niklas Stark (bis 2022), Jordan Torunarigha (langfristig), Dedryck Boyata (bis 2022), Karim Rekik (bis 2021), Marton Dardai (bis 2022), Omar Rekik (2022), Florian Baak (bis 2021), Maximilian Mittelstädt (bis 2023), Marvin Plattenhardt (bis 2023), Luca Netz (bis 2021), Lucas Klünter (bis 2022), Deyovaisio Zeefuik ("langfristig"), Peter Pekarik (unbekannt).
  • Fragezeichen:
  • Kandidaten: Ricardo Rodriguez, Robin Gosens

Situation: "Manchmal braucht es eben länger", schrieb Hertha-Sportchef Michael Preetz auf Twitter am Donnerstag nach der Verpflichtung von Rechtsverteidiger Deyovaisio Zeefuik (22). Seit Juni zogen sich die Verhandlungen zwischen Hertha und Zeefuicks bisherigem Arbeitgeber FC Groningen. Problem vor allem: Die Hälfte der Transferrechte an Zeefuick, der aus der Ajax-Schule stammt, gehörten noch Ajax Amsterdam, Groningen hätte sich darum lieber eine größere Summe als die nun kolportierten insgesamt vier Millionen Euro Ablöse mit Ajax geteilt.

Zeefuik, jung, dynamisch und laut Preetz "leidenschaftlich", duelliert sich mit Hertha-Routinier Peter Pekarik (33) um die Planstelle rechts in der Viererkette. Pekarik, der unter Labbadia wieder aufblühte, erhielt Ende Juni doch noch mal einen neuen Kontrakt in Berlin.

In der Innenverteidigung werden wie gehabt Jordan Torunarigha, gerade 23 geworden und Dedryck Boyata (29) die größten Einsatzchancen haben. Karim Rekik (25) ist Verteter Nummer 1. Gehobenen internationalen Ansprüchen würden die drei nicht unbedingt genügen, aber noch ist die Hertha ja immer noch nur auf dem Weg zum "Big-City-Club".

Für die linke Abwehrseite ist Hertha mit Marvin Plattenhardt (28) und Maximilian Mittelstädt (23) eigentlich ordentlich aufgestellt. Sollte Mittelstädt aber weiter auch offensiver eingesetzt werden müssen - in der abgelaufenen Saison spielte der gebürtige Berliner zwölf Spiele in der Viererkette und zehn auf dem linken Flügel - könnte Hertha noch einen Linksverteidiger verpflichten.

Hertha BSC: Kommt Ricardo Rodriguez vom AC Milan?

Für Atalantas Robin Gosens ist Hertha noch eine Nummer zu klein - Gosens Priorität ist die Champions League, nicht die Big City - jedoch könnte der Ex-Wolfsburger Ricardo Rodriguez (27) ein Thema werden. Der Schweizer wurde von der Corona-Pandemie komplett ausgebremst. Eigentlich war er im Winter leihweise von Milan zu PSV Eindhoven gewechselt und hatte dort auch sechs Spiele gemacht.

Als die Saison in der Eredivisie abgebrochen wurde, kehrte Rodriguez nach Mailand zurück, durfte aber mangels Spielgenehmigung nicht eingesetzt werden. Sein letztes Spiel absolvierte Rodriguez so am 11. März. In Italien wird darüber spekuliert, dass Milan Rodriguez gerne mit Herthas Juwel Lazar Samardzic verrechnen würde: Milan ist stark am Spielgestalter interessiert. Ebenso wie Juventus. Doch damit zum ...

MITTELFELD

  • Personal: Lucas Tousart (bis 2025), Arne Maier (bis 2022), Santiago Ascacibar (bis 2024), Vladimir Darida (bis 2021), Julian Albrecht (unbekannt), Ondrej Duda (bis 2023), Lazar Samardzic (bis 2022).
  • Fragezeichen: Duda, Samardzic
  • Kandidaten: Julian Draxler (PSG), Dominik Szoboszlai (Red Bull Salzburg), Marko Grujic (FC Liverpool)

Situation: Den Königstransfer des Sommers fürs Mittelfeld hat Hertha bereits im vergangenen Winter getätigt. Der damalige Trainer Jürgen Klinsmann ging in der Winterpause auf Shoppingtour, mit ausgegebenen 78 Millionen Euro war Hertha damals der Shoppingkrösus Europas. 25 Millionen Euro davon gingen an Olympique Lyon für Lucas Tousart (23), der aber die Saison in Frankreich zu Ende spielen durfte.

Klinsmann ist lange weg, Tousart jetzt aber in Berlin. Nach einigem Hin und Her willigte Lyon ein, dass der defensive Mittelfeldspieler nicht am Champions-League-Achtelfinalrückspiel bei Juventus teilnehmen muss.

Tousart, Herthas teuerster Neuzugang der Geschichte, ist im zentralen Mittelfeld gesetzt, sein erster Herausforderer ist der im Winter vom VfB Stuttgart gekommene Santiago Aacacibar.

Hertha BSC: Chancen auf Rückkehr von Kevin-Prince Boateng nur gering

Ondrej Duda kehrte von seiner Leihe aus Norwich zurück, soll laut Preetz eine neue Chance erhalten. Sollte Hertha den FC Liverpool zu einer weiteren Leihe oder einen nicht allzu teuren Verkauf von Marko Grujic (24) überreden können, wäre das Hertha-Mittelfeld komplett. Andernfalls würde man sich noch mal umschauen.

Kevin-Prince Boateng würde gerne seine Karriere beim Heimatklub ausklingen lassen, das Interesse scheint aber eher einseitig zu sein.

Bisher machte Lazar Samardzic (18) erst drei Bundesligaspiele. Doch rund um die Hertha ist man sich einig: So einen talentierten Spieler konnte man seit den (un-)seligen Zeiten, als die Boatengs, Eberts, Dejagahs und Co. Berlin unsicher machten, nicht mehr aus der eigenen Jugend hochziehen. Allerdings scheint Samardzic ein wenig der Glaube am Projekt Big-City-Club abzugehen: Beim Trainingsauftakt am 30. Juli fehlte das Juwel, offiziell aus "persönlichen Gründen". Inoffiziell sollen diese mit "Abwanderungs-" beginnen und mit "-gedanken" enden. Juventus, Milan, aber angeblich auch Manchester City sollen sich mit dem Juniorennationalspieler beschäftigen.

STURM

  • Personal: Javairo Dilrosun (bis 2024), Dodi Lukebakio (bis 2024), Mathew Leckie (bis 2021), Palko Dardai (bis 2021), Maurice Covic (langfristig), Matheus Cunha (bis 2024), Krzysztof Piatek (bis 2025), Daishawn Redan (bis 2024), Pascal Köpke (bis 2022), Jessic Ngankam (bis 2023), Muhammed Kiprit (bis 2021)
  • Fragezeichen: Cunha, Leckie, Covic (war schon in Ascoli, der Sohn des Ex-Trainers kann gehen)
  • Kandidaten: Marius Wolf, Luka Jovic, Milot Rashica, Krepin Diatta, Jhon Cordoba.

Situation: Alles hängt an Matheus Cunha. Der 18-Millionen-Winterzugang aus Leipzig hat den Hertha-Fans in kürzester Zeit den Kopf verdreht, selbst in den dunkelsten Klinsmann-Nouri-Stunden war der Brasilianer der Lichtblick. Nicht, weil er nur richtige Entscheidungen auf dem Platz trifft, sondern weil selbst seine fehlgeleiteten Dribblings einfach nur schön sind. Cunha erinnert sogar Spieler, die noch mit diesem zusammengespielt haben, an Marcelinho. Wer ein Big-City-Club sein will braucht unbedingt einen Spieler wie den 21-Jährigen. Problem: Das wissen auch Paris Saint-Germain und Inter Mailand, die beide versuchen sollen, Cunha den Kopf zu verdrehen.

Ansonsten konnte eigentlich kein Hertha-Angreifer vollends überzeugen: Die Flügelstürmer Javairo Dilrosun (22) und Dodi Lukebakio (22) bringen enormes Tempo mit, dürften allein darum neue Chancen erhalten. Marius Wolf (25) dürfte sich auch weiter auf dem Flügel versuchen, wenn der BVB von der koportierten 10-Millionen-Euro-Forderung runtergeht. Krzysztof Piatek konnte die 18 Millionen Euro Ablöse noch nicht rechtfertigen.

Hertha BSC bei Luka Jovic nicht in der Pole-Position

Vedad Ibisevics Vertrag ließ Hertha auslaufen, Mathew Leckie und die Söhne der Ex-Trainer Maurice Covic und Palko Dardai genügten offenbar schon den alten Berliner Ansprüchen kaum mehr.

Zwei neue Angreifer sollen noch kommen, Kölns Jhon Cordoba bescheinigte Preetz im kicker zuletzt ein "interessantes Profil", Krepin Diatta (21) vom FC Brügge, Typ schnell und trickreich, könnte zum Thema werden, sollte Wolf nicht zurückkehren. Bei Werders Milot Rashica (24) ist Hertha nicht in der Pole-Position, noch weniger als beim Ex-Frankfurter Luka Jovic (22). Auch da gilt: Wenn Hertha richtig angreifen will, müssten sie Spieler solchen Kalibers auch bekommen.