Hertha BSC hat vor der zweiten Saison nach dem Wiederaufstieg neue Reizpunkte gesetzt und den Konkurrenzkampf ausgerufen. Hinten experimentiert Jos Luhukay mit der Dreierkette, vorne hat der Abgang der Topstürmer eine noch zu schließende Lücke hinterlassen. Hertha BSC in der Kaderanalyse.
Tor: Der kalte Atem aus Norwegen
Zugänge: -
Abgänge: -
Die Situation: Bei der Hertha kann sich in dieser Saison nahezu niemand seines Stammplatzes sicher sein - nicht einmal Stammtorhüter Thomas Kraft, der sich dem im Winter verpflichteten Rune Jarstein stellen muss. "Thomas kann Rune als echten Konkurrenten wahrnehmen. Ich habe noch nicht vor der Mannschaft gesprochen, wer die Eins ist", so Trainer Jos Luhukay.
Es ist die dominierende Sprachregelung in Berlin in diesem Sommer: Jeder muss kämpfen, jeder sich beweisen. Doch intern gilt Kraft als unumstritten. Der frühere Münchner geht in seine vierte Saison bei der Hertha und agiert mittlerweile auf einem konstanten Niveau. Mit 48 Gegentoren ließ Kraft die mit Abstand wenigsten in der unteren Tabellenhälfte zu.
Der norwegische Nationalkeeper Jarstein dürfte also zunächst Nummer zwei sein, während die Rolle des dritten Keepers wohl Marius Gersbeck zufällt. Sascha Burchert wird den Verein wohl nach zwölf Jahren im Verein und fünf Bundesligaspielen verlassen. "Ich schaue von der ersten bis zur dritten Liga. Hauptsache, ich kriege Spielpraxis", so Burchert im "Berliner Kurier".
Abwehr: Heitinga und die Dreierkette
Zugänge: Johnny Heitinga (FC Fulham), Marvin Plattenhardt (1. FC Nürnberg)
Abgänge: Fabian Holland (Darmstadt 98, Leihe), Levan Kobiashvili (Karriereende)
Die Situation:"Wenn wir als Hertha uns in der Bundesliga etablieren wollen, ist es wichtig, die Mannschaft Jahr für Jahr durchzuselektieren", sagt Luhukay in der "Berliner Morgenpost" und betont: "Selektiert man nicht durch, bleibt man stehen oder macht sogar einen Schritt zurück." Das Credo des Niederländers greift diesmal besonders in der Abwehr.
In der Defensive, die in der Vorsaison eigentlich gut harmonierte, setzte die Hertha neue Reize. Aus Nürnberg kam Marvin Plattenhardt, von Fulham Johnny Heitinga. Besonders der international profilierte Niederländer dürfte künftig eine zentrale Rolle spielen. "Er soll die Rolle des Organisators übernehmen, egal in welchem System", so Luhukay, der mit mehreren Varianten plant.
Die Mannschaft studierte im Trainingslager neben dem bewährten 4-2-3-1 auf ein System mit Dreierkette ein, dass die Berliner noch variabler machen soll. Heitinga wäre dann der zentrale Mann, flankiert von John Brooks und Sebastian Langkamp, denen "diese Rollen wie auf den Leib geschnitten" sind.
Zudem dürfte in den kommenden Wochen Fabian Lustenberger wieder zur Option werden. Der Schweizer Innenverteidiger fiel monatelang mit muskulären Problemen aus und feierte erst in der Vorbereitung sein Comeback, genießt aber das Vertrauen seines Trainers: "Fabian ist und bleibt mein Kapitän."
Da die Dreierkette wohl nur situativ zum Tragen kommt, wird wohl weiter die geläufige Formation mit zwei Außenverteidigern erste Wahl bleiben, von Luhukay um die 4-3-2-1-Option im Training ergänzt. "Links in der Abwehr hatten wir keine echte Alternative für Johannes van den Bergh, deshalb haben wir Marvin Plattenhardt geholt", so der Coach.
Es ist nicht auszuschließen, dass Plattenhardt dem Platzhirsch direkt den Rang ablaufen wird. Der 22-Jährige macht sich gut in der Vorbereitung, auch wenn er sagt: "Ich weiß nicht, was die Stammformation sein wird. Der Konkurrenzkampf ist schon hart." Auf rechts ist Peter Pekarik gesetzt, zudem soll Felix Bastians noch abgegeben werden.
Mittelfeld: Upgrade zulasten des Juwels?
Zugänge: Jens Hegeler (Bayer Leverkusen), Valentin Stocker (FC Basel), Roy Beerens (AZ Akmaar)
Abgänge: Per Skjelbred (Hamburger SV, Leih-Ende), Peer Kluge (Arminia Bielefeld)
Offene Position: zentrales Mittelfeld
Die Situation: Auch dem Mittelfeld haben die Hauptstädter eine Frischzellenkur verpasst. Peer Kluge verließ den Klub, auch Per Skjelbred ging. Dafür kam Jens Hegeler für das Zentrum. "In der vergangenen Rückrunde hatten wir nicht ausreichend Möglichkeiten, um auf Verletzungen oder Formschwankungen reagieren zu können. Jetzt kann Jens Hegeler Tolga Cigerci direkt ersetzen", so Luhukay
Da das Tannenbaumsystem in den Überlegungen des Trainers eine Rolle spielt, könnte noch ein weiterer Mittelfeldmann kommen. Nach wie vor arbeitet Michael Preetz daran, den zum HSV zurückgekehrten Skjelbred doch noch ins Olympiastadion zurückzubekommen. Gesetzt und unverzichtbar scheint in der Zentrale bislang nur Hajime Hosogai.
Auch im offensiven Mittelfeld geht es rund, wo sich mit Valentin Stocker und Roy Beerens mittlerweile zwei weitere Spieler tummeln. "Wir sind vier Jungs, die um eine Position kämpfen", so Stocker, der auf dem linken Flügel zuhause ist und gute Chancen auf einen Platz in der Startelf hat.
Der leidtragende des noch einmal verschärften Konkurrenzkampfs könnte Hany Mukhtar sein. Der Siegtorschütze aus dem U-19-EM-Finale will mehr Spielzeit und schiebt seine Verlängerung in der Hauptstadt auf die lange Bank. Preetz fordert vom Spielmacher: "Hany muss sich anbieten und sich empfehlen, um auf Bundesliga-Einsätze zu kommen."
Sturm: Wer flankiert die japanische Wundertüte?
Zugänge: Julian Schieber (Borussia Dortmund), Genki Haraguchi (Urawa Red Diamonds)
Abgänge: Adrian Ramos (Borussia Dortmund), Pierre-Michel Lasogga (Hamburger SV)
Offene Position: Sturmspitze
Die Situation: Während in den anderen Mannschaftsteilen Luhukays Devise vom leistungsfördernden Konkurrenzdruck mittlerweile realisiert ist, drückt der Schuh der Hertha weiter im Angriff. Adrian Ramos verließ den Verein in Richtung Dortmund, Pierre-Michel Lasogga band sich fest an den HSV.
Einen Stürmer, der eine gewisse Torquote garantiert, dürfte es gern noch sein an der Spree. Doch Luhukay weiß um die Schwierigkeit, auf dem überhitzten Markt etwas Passendes zu finden: "In vielen Ligen suchen Vereine nach einer Nummer neun, wir auch. Das dauert noch etwas."
"Gelingt das nicht, dann hätte ich kein Problem, mit dem jetzigen Kader in die Saison zu gehen", so der Niederländer. Bislang kamen mit Julian Schieber ein Strafraumstürmer und mit Genki Haraguchi eine hängende Spitze in der laufenden Transferperiode zur Hertha. Doch das Leistungsniveau der beiden gibt Rätsel auf.
Schieber konnte sich beim BVB nie durchsetzen und will sich nun in Berlin beweisen. Der 25-Jährige hofft, in Berlin von der Dortmunder Spielweise zu profitieren: "Das Presssing, das Offensivspiel, das hohe Tempo. Da musstest du täglich einhundert Prozent geben." Dennoch: 16 Tore in 113 Spielen sind kein Bewerbungsschreiben für einen Stürmer.
Haraguchi indes, in Europa noch ein unbeschriebenes Blatt, konnte sein Potenzial schon in den Testspielen (besonders gegen Eindhoven) andeuten. Laufstark und wendig, kann der Japaner im Sturm und auf den Außen spielen. "Ich möchte in dieser neuen Liga gerne meine dynamische Spielweise zeigen und meine Dribblings ansetzen", so Haraguchi.
Trotzdem: Die Integration braucht Zeit. "Die Laufwege, die Verteidigung - einige Dinge sind in Japan unterschiedlich", erklärt der 23-Jährige. Der Japaner bleibt vorerst eine Wundertüte, daher ist ein neuer Stürmer unverzichtbar. Treffsicher sollte er sein, dann klappt es auch mit dem Stammplatz - eine flüchtige Ressource in Berlin.
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