Fußball-Kolumne: Bobic tritt bei Hertha auf der Stelle - geht es nur zusammen mit Kovac aufwärts?

Martin Volkmar
21. Januar 202218:29
Beschreibt die Machtverhältnisse in Berlin ganz gut: Unions Robin Knoche (l.) und Herthas Dedryck Boyata.getty
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Trotz der Windhorst-Millionen steckt Hertha im dritten Jahr in Folge im Abstiegskampf, Underdog Union Berlin ist spätestens nach dem Derbysieg im Pokal die Nummer 1 in der Hauptstadt. Um das wieder zu drehen, muss Sportchef Fredi Bobic eine Herkulesaufgabe bewältigen. Die Fußball-Kolumne.

An markigen Worten vor dem Spiel des Jahres hat es nicht gefehlt. "Man muss den Pokal mit vollem Herzen angehen, sonst macht man schon den ersten Fehler", sagte Hertha-Boss Fredi Bobic vor dem Pokalderby gegen Union Berlin: "Die Spieler müssten mit dem Messer zwischen den Zähnen rausrennen."

Sollte es tatsächlich so gewesen sein, muss es sich allerdings um ein sehr kleines Kindergarten-Brotmesserchen gehandelt haben. Denn im Stadtduell am Mittwoch waren die Blau-Weißen in allen Belangen unterlegen und ein echtes Aufbäumen war über die gesamte Spielzeit nicht zu erkennen.

Und das ausgerechnet in einem Spiel, in dem es nicht nur ums Prestige und die Vorherrschaft in der deutschen Hauptstadt ging. Sondern auch um die vielleicht einmalige Chance für die Hertha, angesichts der zahlreichen ausgeschiedenen Topklubs endlich erstmals das DFB-Pokalfinale im Olympiastadion zu erreichen, was seit der Vergabe dorthin vor 37 Jahren noch nie gelang.

"Dass Union Hertha überholt hat, ist nicht mehr nur eine Momentaufnahme"

"Die Niederlage war für Hertha in mehrfacher Hinsicht ein echter Tiefschlag: weil der Traum vom Pokalfinale in der eigenen Stadt und im eigenen Stadion wieder einmal zu früh zu Ende ist; weil die Schwächen der Mannschaft und die Unwucht im Kader erneut deutlich zu Tage traten", analysierte der Berliner Tagesspiegel: "Dass Union Hertha tabellarisch überholt hat, ist nicht mehr nur eine Momentaufnahme. Der Emporkömmling aus dem Südosten der Stadt hat den satten und fast selbstgefälligen Platzhirsch erst einmal abgehängt. "

Und der nächste Tiefschlag droht am Sonntag gegen Rekordmeister FC Bayern, gegen den man schon in den vergangenen vier Spielen (3:14 Tore) chancenlos war. Der letzte Hertha-Sieg datiert vom September 2018 (2:0). Damals wähnte man sich auf Augenhöhe mit den Münchnern, während Union in der 2. Liga kickte.

Szene aus der Saison 2017/2018: Manager Fredi Bobicf (l.) und Trainer Niko Kovac gemeinsam bei Eintracht Frankfurt.imago images

Union ist Hertha in allen Bereichen überlegen

Seitdem haben die "Eisernen" zunächst rasant auf- und dann den Rivalen überholt, das steht spätestens seit dem Triumph im Pokal fest. "Union ist jetzt der Big City Club! Und Hertha nur noch die Nummer 2 in Berlin. Daran gibt es nichts mehr zu rütteln", kommentierte die Bild.

Nicht nur, dass die Köpenicker vom Pokalsieg in der Heimatstadt träumen dürfen und die Alte Dame bei der Mitgliederzahl wieder knapp überholt haben, in der Bundesliga-Tabelle liegen mittlerweile fast schon Welten zwischen beiden Teams.

Union hat aktuell als Tabellenfünfter mit einem Punkt Rückstand auf Rang drei sogar Chancen auf die Champions-League-Teilnahme, während Hertha als 13. im dritten Jahr hintereinander gegen den Abstieg spielt.
Der Grund dafür, etwas plakativ zusammengefasst: Union hat alles, was Hertha fehlt.

  • Erfolgreiche Kaderplanung

Sportchef und Mastermind Oliver Ruhnert hat seit seinem Wechsel von Schalke zu Union 2017 mit wenig Mitteln eine Mannschaft zusammengebaut, in der mittlerweile ein Rad ins andere greift.

Dafür könnte man zahlreiche Namen nennen, als Beispiele seien nur die beiden Torschützen im Derby, Andreas Voglsammer (kam von Arminia Bielefeld) und Robin Knoche (in Wolfsburg aussortiert) erwähnt, oder der kürzlich verpflichtete Freiburger Ersatzmann Dominique Heintz, der sich sofort nahtlos eingefügt hat.

"Bei Union haben Manager Oliver Ruhnert, der reihenweise Volltreffer landet, und der klare Trainer-Stratege Urs Fischer einen Zaubertrank gefunden", schrieb die Bild. "Sie machen aus Spielern, die fast niemand mehr haben wollte, oder die niemand erkannt hatte, eine der heißesten Mannschaften der Bundesliga."

Hertha wollte Max Kruse nicht

Der größte Charakterkopf im Team ist sicherlich Ex-Nationalspieler Max Kruse, den auch die Hertha 2020 nach seinem Gastspiel bei Fenerbahce hätte haben können. Doch der damalige Sportchef Michael Preetz befand den 33-Jährigen für zu alt und unberechenbar.

Nicht die einzige Fehleinschätzung des ehemaligen Hertha-Geschäftsführers, den viele hauptverantwortlich machen für den unrunden, überteuerten und in der Bundesliga trotzdem ohne echte Führungspieler oft überforderten Kader.

"Preetz hat eine Mannschaft ohne Sinn und Verstand zusammengestellt"

"Preetz hat eine Mannschaft ohne Sinn und Verstand zusammengestellt, das ist ein Trümmerhaufen", sagt ein Insider. "Fredi Bobic braucht mindestens eins, eher zwei Transferfenster, um das Team nach seinen Vorstellungen umzubauen und wieder wettbewerbsfähig zu sein."

Letzteres bestätigt der vergangenen Sommer aus Frankfurt als großer Hoffnungsträger geholte Preetz-Nachfolger. "Wir müssen anerkennen, dass wir noch sehr hart arbeiten müssen, um diesen Kader zu drehen", sagte Bobic, und ergänzte in der Süddeutschen Zeitung: "Hertha war wie ein gemischter Salat. Der aber nicht schmeckte."

Seit Dienstbeginn hat Feinschmecker Bobic daher vier Spieler abgegeben und gleich elf verliehen, zuletzt den vor zwei Jahre für 24 Millionen Euro verpflichteten polnischen Nationalstürmer Krzysztof Piatek. Auf der Gegenseite kamen zwölf neue Spieler und in der Winterpause könnten drei bis vier weitere hinzukommen, unter anderem werden der Stuttgarter Marc-Oliver Kempf und der Freiburger Ermedin Demirovic gehandelt.

Runderneuerung des Hertha-Kader hat bisher fast nichts gebracht

Ähnlich radikal veränderte Bobic auch die Frankfurter Eintracht, bekanntlich mit Erfolg. Doch in Berlin hat die Runderneuerung bislang fast nichts gebracht. "Fredi macht alles aus dem Bauch und im Ergebnis sind 50 Prozent gut und 50 Prozent weniger gut", erklärt ein jahrzehntelanger Begleiter die fehlende Treffsicherheit bei der Hertha.

Exemplarisch steht für ihn Rückkehrer Kevin-Prince Boateng, mit dem zusammen Bobic 2018 mit Frankfurt den DFB-Pokal gewann. Mittlerweile ist der verletzungsanfällige 34-Jährige jedoch nur noch zweite Wahl. Er sei aber als Routinier "wichtig für die Kabine", heißt es immer wieder aus dem Verein. Kritiker bezeichnen die Rückholaktion dagegen als Folklore ohne sportlichen Effekt.

  • Kontinuität auf dem Trainerstuhl

Als Urs Fischer 2018 bei Union anheuerte, fragten sich viele, ob der Schweizer zu den "Eisernen" passen und mit seiner Art im deutschen Fußbalkl ankommen würde. Als "beleidigten LeberwURSt" bezeichnete ihn 2017 die Boulevardzeitung Blick, weil er sich als Opfer einer Medienkampagne in seiner Heimat sah. Unter anderem wurden ihm fehlende Ideen und Sicherheitsfußball vorgeworfen.

In Berlin hat der 55-Jährige aber voll eingeschlagen: In der ersten Saison führte er den Traditionsklub zum lang ersehnten Bundesliga-Aufstieg, dann zum souveränen Klassenerhalt und im zweiten Jahr sogar in die Conference League. Jetzt ist mindestens die Euopa League möglich, auch wenn Tiefstapler Fischer noch immer den Ligaverbleib als Saisonziel ausgibt.

Und zugleich überzeugen die Ostberliner mit attraktivem, schnörkellosem Spiel nach vorne. So lobte der Tagesspiegel nach dem Derby: "Union hatte an diesem Abend all das, was Hertha fehlt und Hertha gerne hätte: einen Plan, eine Struktur, eine funktionierende Mannschaft und die Überzeugung in die eigene Stärke."

Hertha: "Korkut ist nur der Platzhalter für Niko Kovac"

Kontinuität, von der Hertha nur träumen kann: Seit Fischers Dienstantritt bei Union gab es beim Konkurrenten sechs Trainerwechsel. Und auch der blasse Tayfun Korkut, seit seiner Entlassung als Tabellenletzter in Stuttgart im Oktober 2018 mehr als drei Jahre ohne Job, gilt für die meisten nur als Übergangslösung. "Korkut ist nur der Platzhalter für Niko Kovac", glaubt ein Hertha-Kenner - auch wenn das alle Beteiligten noch abstreiten.

Doch die Rückkehr des gebürtigen Berliners, der als Profi zusammen mit Bobic bei den Blau-Weißen spielte und gerade in Monaco entlassen wurde, wäre die Wunschlösung fast aller Anhänger. Natürlich verbunden mit der Hoffnung, dass das Duo an die erfolgreiche gemeinsame Zeit in Frankfurt anknüpfen kann.

  • Ausverkauftes Stadion und Top-Stimmung

Vor der Corona-Pandemie war die Alte Försterei mit ihren nur 22.012 Plätzen praktisch immer ausverkauft, der Ausbau wurde 2009 durch tausende freiwillige Helfer realisiert. Diese Treue spiegelt sich auch in der Begeisterung wider, die zu normalen Zeiten in der engen Arena herrscht. Bei einer Umfrage wurde das Stadion an der Wuhlheide 2019 zum zweitbeliebtesten Bundesliga-Stadion nach dem Dortmunder Signal Iduna Park gewählt.

Da aber der geplante Ausbau auf 37.000 Zuschauer seit Jahren stockt, gibt es ein Problem: Selbst wenn Union aufgrund des sportlichen Höhenflugs derzeit neue Fans gewinnen sollte, etwa im Berliner Westen, so ist die Aussicht auf ein Ticket in der Alten Försterei nahe null.

Genau umgekehrt ist die Situation bei der Hertha: Das unter Denkmalschutz stehende Olympiastadion von 1936 ist mit seinen 75.000 Plätzen total überdimensioniert für einen seit Jahren eher mittelmäßigen Verein wie die Hertha. So bekam man vor der Pandemie meist selbst am Tag des Gastspiels der Bayern noch eine Eintrittskarte.

Doch beim Neubau eines rund 50.000 Fans fassenden reinen Fußballstadion geht nichts voran, weil nach wie vor ein Standort fehlt. Das "beschissene Olympiastadion" sei Herthas größtes Problem, sagt ein früherer leitender Angestellter des Klubs.

  • Effektives Arbeiten mit wenig Geld

Das Lob kam aus berufenem Munde. "Ich glaube nicht, dass es ein Bundesligist besser als Union hinbekommen hat, das, was man an Geld eingesetzt hat, in Punkte umzusetzen", sagte der stellvertretende Hertha-Aufsichtsratschef Andreas Schmidt dem kicker. "Das hat Hertha nicht so gut hinbekommen, und so ist die Situation so, wie sie ist."

Damit hat der Ex-Profi die regelrechte Geldverbrennung seines Vereins noch höflich umschrieben. 374 Millionen Euro hat Milliardär Lars Windhorst bekanntlich reingepumpt, um die Alte Dame zum "Big City Club" zu machen.
Der Erfolg ist dennoch bis jetzt ausgeblieben und der Großteil der Investitionen ist offenbar bereits weg, da er einerseits in den Abbau der ursprünglich 142 Millionen Euro Verbindlichkeiten gesteckt wurde. Andererseits verweist Bobic auf die Verluste durch Corona: "Die Spielräume sind aktuell jedenfalls durch die Umstände nicht da."

Windhorst-Träume von Mourinho, Özil und Tesla längst passe

Von den großen Träumen nach dem Einstieg von Windhorst, als ernsthaft über Mourinho als Trainer, Götze und Özil im Team und Tesla oder Amazon auf dem Trikot gesprochen wurde, ist nichts mehr übrig. Vielmehr sieht sich Bobic, nach dem unerwarteten Rückzug von CEO Carsten Schmidt der alleinige Boss im Westend, nicht nur sportlich und wirtschaftlich vor einer Herkulesaufgabe.

Auch die über die Jahre unter Preetz und dem "ewigen" Präsidenten Werner Gegenbauer verkrusteten Strukturen müssen nach seiner Meinung aufgebrochen werden.

Bobic: "Bei Hertha war es wie auf dem Amt"

"Bei Hertha war es wie auf dem Amt: Das haben wir immer so gemacht, also machen wir es weiter so. Man ist fast eingeschlafen", sagte Bobic und bestätigte damit mehr oder minder die vernichtende Kritik von Jürgen Klinsmann in dessen geleaktem Report ("Lügenkultur", "keine Leistungskultur", "katastrophale Versäumnisse in allen Bereichen").

Seitdem versuche der neue Chef, der im Sommer gleich sieben Vertraute für den sportlichen Bereich mitbrachte, den Verein "auf links zu drehen", wie langjährige Beobachter berichten. Dazu hat er trotz der jüngsten Rückschläge nach wie vor die volle Rückendeckung der Vereinsführung um Gegenbauer. Er sehe "viele Fortschritte", sagte der ehemalige Nationalspieler am Wochenende auf der virtuellen Mitgliederversammlung.

Wesentlich kritischer sieht es ein Insider: "Das System Preetz ist vom System Bobic abgelöst worden - aber ob es besser wird, weiß man nicht."