Der Bundesligastart war ein Fest für die Fans: Underdogsiege und viele Tore. Das nicht alles rosig ist, zeigte allerdings ein Angriff von HSV-Anhängern auf Fans des FC St. Pauli und dessen Keeper Benedikt Pliquett. Am 4. Spieltag kommt es nun zum Duell zwischen den Hamburger Klubs und zwei weiteren Derbys in Berlin und auf Schalke. Ausschreitungen sind nicht auszuschließen.
Ob Fans gegen Fans oder Fans gegen Polizei: Immer wieder ist der Fußball Ausgangspunkt für überflüssige Gewalt. Bei SPOX berichten zwei Polizisten, ein ehemaliger Ultra und der Sprecher der Fanbeauftragten von Ihren Erfahrungen.
Wenn Henning Schmidtke* am Wochenende aus dem Haus geht, ist er mental meist schon auf eine Schlägerei eingestellt. Körperliche Auseinandersetzungen gehören für ihn fast schon zum Alltag. Denn Schmidtke ist Bundespolizist und als solcher regelmäßig für Fußballspiele eingeteilt.
"Für mich sind das alles Neandertaler", beschreibt der Beamte aus Nordrhein-Westfalen die häufigen Konfrontationen mit den Fans. "Wenn es um Fußball geht, Bier im Spiel ist und viele Menschen zusammenkommen, dann werden selbst Leute, die unter der Woche völlig normal sind, zu Steinzeitmenschen."
Pöbeleien, Flaschen- und Steinwürfe sowie Tritte gegen den Brustpanzer sind laut Schmidtke keine Besonderheit mehr.
Obwohl der Fokus eindeutig auf der Bundesliga liegt, geht die Polizei mit ihrer Spieltagsbegleitung runter bis in die Oberliga. Und je niedriger das Spielniveau, desto gewaltbereiter die Fans und desto dramatischer die Szenen in und ums Stadion.
Eigenes Sicherheitspersonal statt polizeilicher Hilfe
"Viele Erstligaklubs haben ihre eigenen Sicherheitsleute, die mit den Fans zu den Spielen reisen und den Leuten, die sich daneben benehmen, sofort Stadionverbot erteilen", erläutert Schmidtke das Erfolgsrezept der Bundesligisten. "Das schreckt die meisten Fans ab. Leverkusen ist da ein positives Beispiel, mit denen kann man sehr gut zusammenarbeiten."
Schwarze Schafe gebe es aber auch hier: "Den Kölnern scheint das komplett egal zu sein. Die haben zwar auch Sicherheitstrupps, aber mein Gefühl ist, dass die sich vor allem aus alten Hooligans zusammensetzen. Die schlagen sich im Streitfall eher auf die Seite der Gewaltbereiten."
"Das ist doch völliger Quatsch", entgegnet Rainer Mendel diesem Vorwurf entrüstet. Der 45-Jährige ist seit 1989 Fanbeautragter des 1. FC Köln und erklärt: "Seit fünf Jahren nehmen wir unseren Ordnungsdienst mit, zu allen Auswärtsspielen. Da waren wir bundesligaweit Vorreiter. Keiner von unseren Leuten kommt aus der Ultraszene. Den Vorwurf kann ich nicht nachvollziehen. Im Gegenteil: Die Arbeit unseres mitgereisten Ordnungsdienstes wird von den FC-Fans, aber auch von den Ordnungsbehörden, durchweg gut angenommen und anerkannt."
Kompetenzgerangel zwischen Land und Bund
Dass die Arbeit mit den Fans schwieriger wird, je tiefer man im Spielniveau geht, kann aber auch Mendel, der auch gesamtdeutscher Sprecher der Fanbeauftragten ist, nicht abstreiten.
"Weiter unten hat man das Problem, dass die Klubs finanziell nicht die Ressourcen für eine intensive Fanbetreuung haben. Dazu sind die Stadien nicht so modern. Sicherlich ist die Gefahr deshalb in den unteren Ligen höher, dass etwas passiert", so Mendel.
Problem erkannt, Problem gebannt? Mitnichten. Denn obwohl die Polizei oftmals weiß, wann und wo es krachen könnte, werden Präventivmaßnahmen aufgrund des Kompetenzgerangels zwischen Bundes- und Landespolizei zum Teil schon im Keim erstickt.
Erstere ist grob gesagt für die Arbeit an Bahnhöfen und Flughäfen verantwortlich und begleitet die Fans somit auf Auswärtsreisen, zweitere übernimmt dann im und ums Stadion.
"Es gibt Momente, in denen wir kurzfristig handeln müssten", sagt Schmidtke. "Aber ich habe es schon erlebt, dass die jeweiligen Chefs drei Stunden diskutiert haben: 'Machen wir es, macht ihr es, machen wir es gemeinsam, macht es keiner.' Bis die ein Ende gefunden haben, haben sich die Leute schon längst die Köpfe eingeschlagen."
Überforderter Sicherheitsdienst
Dies sei aber nur eine Facette der Probleme rund um das Thema Fußball. Die Situation sei auch im Stadion kompliziert. "Viele Stadionbetreiber wollen keine Polizei mehr im Stadion, weil sie glauben, dass das nur unnötig Aggressionen schürt", weiß Schmidtke von Erzählungen der Kollegen von der Landespolizei.
"Eigentlich ist es andersherum", kontert Mendel. "Die Polizei ist es doch, die - durchaus zu Recht - sagt, dass im Stadion der Veranstalter für die Sicherheit verantwortlich ist und die Polizei nur bei Bedarf eingreift. Grundsätzlich funktioniert das auch gut. Das Vertrauen zu Leuten vom Verein ist auf Seiten der Fans sicher größer als zur Polizei."
Julian Wagner* bestätigt Schmidtkes Eindruck. "Die Zusammenarbeit mit den Stadionbetreibern ist schwierig", sagt der 30-jährige Landespolizist, der die Situation genau kennt.
"Sie sind auf die Polizei angewiesen, gleichzeitig wollen sie die Polizei nicht im Stadion haben. Kommt es zu Zwischenfällen, dann dauert es oft lange, bis die Polizei von außen im Stadion ist. Der Sicherheitsdienst ist - so mein Eindruck - oftmals überfordert und personell absolut unterbesetzt."
Das sei aber kein Wunder: Schließlich müsse man den Sicherheitsdienst bezahlen, die Polizei dagegen nicht. Positiv sei immerhin, dass die Stadien mittlerweile mit einer so guten Videotechnik ausgestattet sind, dass Straftaten durch das aufgezeichnete Material oftmals im Nachhinein aufgeklärt würden.
Schmuggeln leicht gemacht
Vom Gebrauch von Pyrotechnik hält das die Fans allerdings nicht ab. Die Wege, Rauchbomben und Feuerwerkskörper ins Stadion zu schmuggeln, sind vielfältig. "Die Ultras dürfen meist schon ein bisschen früher rein, um Plakate aufzuhängen und Choreographien vorzubereiten. Die Kontrollen werden da meist von den Security-Kräften der Stadien vorgenommen. Da haben wir keine Handhabe", so Schmidtke.
Oft fungieren Frauen als Kuriere. "Rauchpulver in Tütchen, vaginal einführen - und schon hast du als Polizist keine Chance mehr." Es gibt Pulver, das man entzünden kann, indem man darauf spuckt.
"Vielen ist dabei egal, dass sie mit ihrem selbst zusammen gemischten Zeug, das zum Teil hochgiftige Stoffe enthält, Körperverletzung an den anderen Fans begehen", ärgert sich Schmidtke. Und selbst wenn es der Polizei doch einmal gelänge, einen Täter zu stellen, sei die Aufgabe für die Beamten extrem undankbar.
Denn meist würde in solchen Fällen die Polizei außerhalb des Stadions eine Täterbeschreibung bekommen: "Dann ziehen wir den Schuldigen erst nach dem Spiel aus der Gruppe heraus. Die anderen Fans wissen natürlich nicht, worum es geht, und denken gleich wieder an übertriebene Polizeigewalt."
Schlechtes Verhältnis zwischen Fans und Polizei
Das Verhältnis zwischen Polizei und Fans habe sich in den letzten Jahren "massiv verschlechtert, weil immer weniger Kommunikation stattfindet", kritisiert Mendel. "Das ist auf Seiten der Ultras ein Problem, weil die in der Regel leider jede Zusammenarbeit mit der Polizei ablehnen."
Schmidtke bestätigt: "Früher war es so, dass die zivilen Beamten engen Kontakt mit den Fans hatten und sogar deren Namen kannten. Inzwischen werden unsere Leute zum Teil nicht einmal mehr zu Fantreffen eingeladen."
Die Polizei stehe nun mal für den Staat und sei an Spieltagen unerwünscht. Die nordrhein-westfälische Polizei würde von den gewaltbereiten Fans gar nicht mehr ernst genommen. Rowdys hätten bei Flaschenwürfen, Schlägen und Tritten vor Gericht wenig zu befürchten.
Schmidtke: "Über Gewalt gegen die Polizei lachen viele Richter nur noch und sagen: 'Das ist doch ihr Beruf, damit müssen sie sich abfinden. Beleidigungen? Da müssen sie eine dickere Haut haben.'"
*Namen von der Redaktion geändert
Teil II: Berüchtigte Frankfurter Fans und Maßnahmen zur Vermeidung von Gewalt
Das schlechte Verhältnis zwischen Polizei und Fans bestätigt einer, der es wissen muss. Jonas Hofmann* war bis vor kurzem Mitglied bei den Ultras von Eintracht Frankfurt, wenn auch nur passives. Als solches hat er die Vereinigung finanziell unterstützt und mit seinem Geld zur Vorbereitung von Choreographien beigetragen, im Gegenzug kam er leichter an Dauerkarten.
"Es gibt von Seiten der Ultras und vor allem von den Hooligans überhaupt kein Interesse, das Verhältnis zur Polizei zu verbessern", sagt Hofmann.
"Der harte Kern sehnt sich vielmehr nach dem Fußball-Erlebnis von vor 20 Jahren zurück, als deutlich weniger Polizei aufgeboten wurde. Da konnte man sich irgendwo treffen und sich prügeln, ohne dass man dabei gestört wurde."
Seine Frankfurter seien besonders heißblütig. "Allein auf die Bundesliga bezogen gehören die Frankfurt-Fans bestimmt zu den schlimmsten. Die haben ein paar gute Jungs dabei", so Hofmann.
"Ultras nicht gewaltbereit"
Allerdings legt er Wert auf die Feststellung, dass Ultras in keinem Fall mit Hooligans gleich zu setzen seien. Hooligans seien gezielt auf Schlägereien aus, Ultras seien besonders loyale Fans.
"Die Ultras sind eine große Vereinigung. Sie sind der harte Kern", erläutert Hofmann. "Natürlich sind auch bei den Ultras schwarze Schafe dabei. Aber Ultra zu sein hat eigentlich nichts mit Gewalt zu tun."
Laut Landespolizist Wagner sind die Zeiten der klassischen Hooligans ohnehin vorbei. "Das Bild, das die Leute von den Fußballfans haben, die nur Randale machen, kommt aus den 80er Jahren. Heute sind eher die 'erlebnisorientierten Jugendlichen' das Problem. Kuttenträger, die sich in der Gruppe stark fühlen und der Polizei gegenüber aggressiv sind."
Gefährdung Unbeteiligter
Die Respektlosigkeit der Fans sei in den letzten Jahren gestiegen.
"Die steigen in einen sauberen Zug ein und hinterlassen eine Müllkippe. Da wird geraucht, mit Bier gespritzt und Aufkleber an die Decken und Wände geklebt", sagt Schmidtke. Außerdem würden viele nicht begreifen, dass sie mit ihrem Verhalten Unbeteiligte gefährden.
Ex-Ultra Hoffmann meint dazu nur lapidar: "Es kommt schon vor, dass Unbeteiligte in eine Schlägerei geraten. Wenn in der U-Bahn Ultras, Polizei und Normalos aufeinandertreffen, kann es schon passieren, dass ein Familienvater eine abbekommt."
Reger Austausch zwischen Vereinen und Fans
An diesem Derby-Wochenende kann es zu diesen unliebsamen Kontakten zwischen gewaltbereiten Fans, echten Fans und der Polizei kommen.
Mendel ist sich der Problematik bewusst: "Bei Derbys ist das Problem, dass dort auch Leute dabei sind, die sonst wenig mit Fußball am Hut haben und explizit auf Gewalt aus sind. "Die Geschehnisse vor einigen Wochen machen das Hamburger Duell natürlich besonders brisant", sagt Mendel.
Mendel bestätigt allerdings, dass "der Austausch zwischen den Vereinen und den Fangruppen besonders rege war. Auch im Bezug auf das Derby zwischen Schalke und Dortmund. Im Ruhrgebiet ist das sowieso längst Standard vor einem Derby. Es sieht nicht so aus, als müsste man große Ausschreitungen befürchten."
Gut für die Städte, gut für die Fangruppen und gut für den Fußball an sich. Denn es wäre doch zu schade, wenn ein Sport aufgrund der Aussetzer einiger Querdenker in Verruf geraten würde. Denn, so betont Wagner: "Die meisten Fans wollen immer noch einfach nur ein Fußball-Spiel sehen."
*Namen von der Redaktion geändert