Kevin Kuranyis Wechsel zu Dynamo Moskau wirft Fragen auf: Warum geht der Torjäger des Bundesliga-Vizemeisters zu einem russischen Mittelfeld-Klub? Mit was lockt Moskau außer vielen Millionen? Wie schwer wird die Eingewöhnung? Der ehemalige deutsche Nationalspieler Malik Fathi (26), vor zwei Jahren von Dynamos Stadtrivale Spartak verpflichtet und im Winter für ein halbes Jahr an Mainz ausgeliehen, erklärt das Phänomen Moskau - und spricht über seine eigene Rückkehr nach Russland.
SPOX: Schalkes Kevin Kuranyi gab bekannt, in diesem Sommer ablösefrei zu Dynamo Moskau zu gehen. Sind Sie genauso überrascht wie die deutsche Öffentlichkeit?
Malik Fathi: Mittlerweile ist es nicht ungewöhnlich, dass Spieler aus Westeuropa einen Wechsel nach Moskau ins Auge fassen. Dennoch bin ich erstaunt. Schalke ist immerhin ein Topklub und Kuranyi hat sich spätestens diese Saison ein hohes Standing erarbeitet. Aber ich kann mir als Außenstehender kein Urteil erlauben, da ich nicht weiß, welche Möglichkeiten Kuranyi hatte.
SPOX: Gefährdet Kuranyi seine Chancen auf ein Nationalmannschaftscomeback, weil Dynamo in der russischen Liga nur auf Platz zehn liegt und international nicht vertreten ist? Sie selbst spielen keine Rolle mehr, seit Sie zu Spartak gegangen sind.
Fathi: Kuranyis Situation kann ich nicht einschätzen, sie ist auch nicht mit meiner damals vergleichbar. In Russland steht man prinzipiell nicht so im Fokus der Öffentlichkeit. Daher ist es von entscheidender Bedeutung, dass sich der eigene Klub für einen internationalen Wettbewerb qualifiziert, um sich im besten Fall in der Champions League präsentieren zu können. Und selbst dann ist es schwer genug, Aufmerksamkeit zu erregen.
SPOX: Wie sehr muss sich Kuranyi fußballerisch umstellen?
Fathi: Die russische Liga hat ein gutes Niveau, auch dank der ausländischen Trainer, die in den letzten Jahren verpflichtet wurden. ZSKA Moskau und Zenit St. Petersburg haben in Europa bewiesen, was in Russland heranwächst. Taktisch wird die Liga von One-Touch-Football geprägt. Viele Teams wollen sehr schnell spielen und nehmen es in Kauf, hohes Risiko einzugehen. Was einerseits Spaß macht, andererseits aber auch eine gewisse Anpassung erfordert, weil die Spieler nicht immer taktisch diszipliniert agieren.
SPOX: Und wie schwierig ist es, sich als Mensch auf Russland einzustellen?
Fathi: Ganz wichtig: die Sprache erlernen. Da die meisten kein Englisch können, muss man die Eigenmotivation haben, sich Russisch anzueignen, um mit den Menschen kommunizieren zu können. Ich habe vor meinem Wechsel von meiner Mutter ein sehr gutes Übersetzungsbuch und eine CD geschenkt bekommen, so dass ich mir die zugegeben sehr schwere Sprache recht schnell selbst beibringen konnte.
SPOX: Wie verläuft der Alltag in Moskau?
Fathi: Moskau versprüht mit all den Häusern mit goldenen Türmen und all dem Kitsch einen gewissen Charme und hat unglaublich viel zu bieten: ein riesiges Kulturprogramm, etliche Weltklasse-Restaurants, tolle Zirkus-Vorstellungen und ein abwechslungsreiches Nachtleben. Wer das nötige Kleingeld hat, kann in Moskau das Gleiche erleben wie in Berlin.
SPOX: Neben Geld ist aber auch eine Menge Zeit nötig, um Moskau zu genießen.
Fathi: Das ist der große Minuspunkt. Das Leben in Moskau ist unglaublich zeitaufwendig. Erst jetzt weiß ich zu schätzen, was ich in Deutschland hatte. Es ist eine Frage der Lebensqualität, wenn ich wie in Mainz nach dem Training innerhalb von zehn Minuten zuhause bin - während ich in Moskau ein, zwei Stunden einplanen muss, weil der Verkehr so krass ist. Wenn ich zurückkehre, wartet wieder das Chaos auf mich.
SPOX: Ist es wirklich so schlimm?
Fathi: Wenn wieder einmal ein Politiker durch Moskau chauffiert wird und deswegen ganze Straßenzüge gesperrt werden, kann es vom Spartak-Gelände ins Appartement auch mal drei Stunden dauern. Ich bin ein geduldiger Typ, in Moskau jedoch erreicht auch meine Geduld ihre Grenzen. Es ist kaum zu beschreiben, was man in Moskau erlebt. Ich hatte gedacht, meine Heimatstadt Berlin wäre eine Metropole - im Vergleich zu Moskau ist sie nur ein Dorf.
SPOX: Dementsprechend gefällt Ihnen Mainz besser? Oder Ist Ihnen Mainz zu klein?
Fathi: Moskau und Mainz sind zwei Extreme. Wenn ich jedoch wählen dürfte, würde ich lieber in Mainz leben. Dort geht es sehr familiär und gemütlich zu.
SPOX: Dabei hieß es, dass Sie nach Moskau zurückkehren wollen, weil sie mit Spartak in der Champions League spielen können.
Fathi: In der Champions League zu spielen, ist für mich der absolute Traum. Ich will mich bei Spartak Moskau durchsetzen. Falls das nicht klappt, bin ich offen für alles. Allerdings läge meine sportliche Zukunft nicht nur in meinen Händen, das müsste auch zwischen den jeweiligen Vereinen geklärt werden.
SPOX: Wie sehen Ihre Einsatzchancen aus, sollten Sie bei Spartak bleiben?
Fathi: Das Problem ist, dass in Russland nur sechs Ausländer spielen dürfen - und an dieser Situation hat sich im letzten Halbjahr nichts verändert. Daher wird es für mich wohl genauso schwer wie vor der Ausleihe nach Mainz. Ich muss in Moskau zunächst mit Trainer Waleri Karpin reden und seine Pläne hören, damit ich abschätzen kann, wie er mit mir plant.
SPOX: In Mainz hingegen wären Sie unumstritten.
Fathi: Ich habe gleich nach meinem Wechsel gemerkt, welche Erwartungshaltung, aber auch welches Vertrauen mir entgegengebracht wird. Als ich zum FSV kam, hatte ich noch nicht den richtigen Fitnesszustand, dennoch setzte Trainer Thomas Tuchel sofort auf mich und stellte mich immer auf. Das weiß ich zu schätzen.
SPOX: Sie haben in Moskau mit Michael Laudrup sowie Karpin und in Mainz mit Tuchel drei unterschiedliche Vertreter der jungen Trainer-Generation kennengelernt. Wie schneidet Tuchel im Vergleich ab?
Fathi: Natürlich haben Laudrup und Karpin wegen ihrer Vergangenheit als Nationalspieler einen größeren Namen. Beide bringen die Ausstrahlung von ehemaligen Weltstars mit. Thomas Tuchel muss sich dennoch in keiner Weise verstecken. Weder in der Trainingslehre, noch als Typ. Was mir an ihm besonders gefällt: Wie er seine Fachkompetenz mit Menschlichkeit kombiniert. Er macht sich sehr viele Gedanken, wie er auf jeden Spieler einzeln eingeht. Diese Art der Kommunikationsfähigkeit kenne ich von Karpin und Laudrup nicht.
SPOX: Ihre Erwartungen wurden demnach übertroffen?
Fathi: Nicht nur beim Trainer. Als ich nach Mainz kam, habe ich gesagt, dass es geil sei, wieder in der Bundesliga zu spielen. Jetzt wurde es sogar besser als geil. Ich fühle mich sehr wohl in Mainz. Das Beste beim FSV ist die Geschlossenheit, die der gesamte Verein ausstrahlt. Es gibt keine Spannungen, irgendwie scheint alles zusammenzupassen. Die Mannschaft, Thomas Tuchel, die Fans, alles harmoniert.
SPOX: Dabei wäre das Ausleih-Geschäft fast geplatzt. Angeblich gab es einen achtstündigen Verhandlungsmarathon, bevor sich alle Parteien einigen konnten.
Fathi: Ich habe gar nicht gezählt, wie viele Stunden es am Ende tatsächlich waren. Es dauerte auf jeden Fall sehr lange, weil nicht nur ich und der FSV einig werden mussten, sondern eben auch Spartak mitverhandelt hat. Daher mussten alle miteinander und untereinander sprechen und alle Details in Deutsch, Englisch und Russisch übersetzt werden - was ein Heidenaufwand war. Aber am Ende hat es sich ja gelohnt.