Darauf muss der FC Bayern achten

Daniel Börlein
07. April 201012:54
Der FC Bayern München gewann das Hinspiel gegen Manchester United in der Allianz Arena 2:1Imago
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Seit 2001 stand der FC Bayern München nicht mehr im Halbfinale der Champions League. Jetzt stehen die Chancen allerdings gar nicht schlecht. Im Viertelfinalhinspiel verschafften sich die Münchner mit einem 2:1-Erfolg gegen Manchester United eine ordentliche Ausgangsposition für die Partie im Old Trafford (20.30 Uhr im LIVE-TICKER, auf Sat.1 und SKY). Doch nicht umsonst sind die Red Devils einer der Top-Favoriten. Das Team von Sir Alex Ferguson in der Analyse.

Das Zentrum ist nur schwer zu knacken

In den letzten 19 Pflichtspielen hat United immer mindestens einmal getroffen. Die Bayern sollten sich also nicht nur darauf verlassen, dem Druck der Engländer standzuhalten, sondern ihrerseits versuchen, für Entlastung und möglichst einen eigenen Treffer zu sorgen.

Das Herzstück von ManUnited ist das defensive Zentrum mit zwei starken Innenverteidigern (wenn auch derzeit nicht in absoluter Top-Verfassung) und einem spielintelligenten Mittelfeldtrio vor der Abwehr, aus dem jeder einzelne Teil Spielsituationen enorm gut antizipieren kann.

Diese drei Akteure agieren meist in einer Art Dreieck vor der Viererkette. Aus zwei Varianten wählt Ferguson dabei in der Regel aus. Möglichkeit eins: Fletcher und Scholes oder Carrick bilden eine klassische Doppelsechs, davor agiert meist Park, der zwischen der einzigen Spitze und den eigenen Sechsern pendeln darf.

Möglichkeit zwei: Ein Sechser vor der Abwehr wird quasi von zwei weiteren Sechsern, die im Halbfeld davor platziert sind, flankiert (Bild 1). In dieser Ausrichtung schickte Ferguson seine Elf in München aufs Feld.

In der Regel übernimmt Carrick dabei den zentralen Part. Er ist der defensive Taktgeber, versucht, sich nicht aus dem Zentrum ziehen zu lassen, dem Gegner also nie Platz und Raum in der gefährlichen Zone mittig vor dem eigenen Strafraum zu geben und zeichnet sich im Spielaufbau durch eine extrem geringe Fehlpassquote aus.

Bei gegnerischer Ballkontrolle agiert Carrick häufig nur wenige Meter vor der eigenen Innenverteidigung (Bild 2), wodurch dieser Raum (zentral vor dem Tor) für den Gegner quasi tot ist, weil sowohl Carrick als auch die beiden Innenverteidiger schnell zugreifen können und damit dem Gegner kaum Zeit bieten, den Ball zu kontrollieren.

Fletcher und Scholes: Erster Verteidigungswall

An Carricks Position orientieren sich vor allem die anderen beiden Teile des Mittelfeldtrios (Fletcher und Scholes), die in gleichen Abständen leicht halblinks und halbrechts nur wenige Meter davor versetzt positioniert sind. Durch beide soll der Raum im Zentrum noch mehr verknappt werden, wobei dieses Duo so etwas wie den ersten Verteidigungswall der eigenen Zentrale bildet.

Denn: Fletcher und Scholes sind in der Regel die ersten, die den Gegner in Empfang nehmen, wenn er durch die Mitte in die United-Hälfte vorstößt. Die vordringlichste Aufgabe der beiden ist es, den ballführenden Akteur nicht zu tief durchs Zentrum in die eigene Hälfte kommen zu lassen. Etwa zehn Meter vor der Mittellinie wird darum aggressiv gegen den Ball verteidigt (Bild 3).

Teil 2: Überzahl auf der Außenbahn

Überzahl auf der Außenbahn

Über den unmittelbarsten Weg zum Tor, die Mitte, ist United in der Regel also nur äußerst schwer zu bezwingen. Kein Wunder deshalb, dass Thomas Müller, Bayerns hängende Spitze im Hinspiel, völlig auf verlorenem Posten war und kaum Ballkontakte hatte.

Wählt Ferguson die Variante mit Doppelsechs und einem vorgezogenen Park (Bild 1), weicht das Abwehrverhalten nur unwesentlich ab. Auch hierbei geht es darum, den Raum vor der Abwehr zu schließen, indem Park sich fallen lässt, sobald die Doppelsechs aufbricht und Fletcher oder Carrick/Scholes herausrücken müssen.

Allerdings ist das Zentrum bei dieser Variante nicht ganz so engmaschig und kompakt besetzt. Der Abstand zwischen Innenverteidigung und defensivem Mittelfeld ist bisweilen etwas größer (Bild 1 und 2), weil Park als alleiniger Störspieler vor der Doppelsechs nicht jeden ballführenden Akteur aufnehmen kann und deshalb immer wieder Fletcher oder Scholes/Carrick den Gegner stellen müssen (Bild 2 und 3). Der Vorteil: Park ist dadurch schneller für eigene offensive Aktionen verfügbar.

Durch sein Mittelfelddreieck bekommt Ferguson sein Zentrum gesichert. Mit der räumlichen Anordnung der Akteure geht allerdings noch ein weiterer, positiver Nebenaspekt einher, der gerade gegen Teams mit offensiven Flügelspielern hilfreich ist: Auf den Außenbahnen kann schnell gedoppelt, teilweise sogar mit drei Spielern verteidigt werden.

In diesem Fall bekommen der Außenverteidiger (rechts Neville) und der eigene offensive Flügelspieler (rechts z.B. Nani oder Valencia) Unterstützung aus dem Zentrum (Bild 4) - ein weiteres Defensivdreieck (Bild 6) wird aufgebaut, wodurch dem gegnerischen Offensiv-Außen weniger Raum geboten wird.

Der Unterschied zum 4-4-2 mit Doppelsechs: Rückt dort einer der beiden defensiven Mittelfeldspieler als Verstärkung auf den Flügel, bleibt im Zentrum nur ein Sechser zurück. Im United-System hingegen soll beispielsweise Scholes bzw. Park die Zentrale auffüllen, wenn Fletcher zur Überzahl Richtung rechter Flügel schiebt.

Teil 3: Wunder Punkt Außenbahn

Wunder Punkt Außenbahn

Dennoch sind die Flügel Manchesters wunder Punkt. Vor allem die beiden Außenverteidiger neigen dazu, den Abstand zu ihrem jeweiligen Innenverteidiger zu groß werden zu lassen und schaffen dadurch Lücken. Damit United diese Schwächen allerdings offenbart, muss die attackierende Mannschaft einige Dinge zwingend umsetzen.

Grundvoraussetzung eins: Die/der Stürmer sowie die offensiven Außenspieler müssen das Feld beim Spielaufbau aus der eigenen Abwehr heraus zunächst möglichst groß machen. Heißt: Mindestens ein Stürmer lauert an der Abseitsgrenze und erlaubt es der Innenverteidigung, die auf einen langen Ball vorbereitet sein muss, damit nicht, zu weit herauszurücken. Die Flügelspieler hingegen kleben an der Außenlinie und schaffen somit den größtmöglichen Raum für die Spieleröffnung (Bild 1).

Grundvoraussetzung zwei: Sobald der erste druckvolle Pass nach vorne gespielt bzw. die erste offensiv ausgerichtete Aktion vollzogen wird, muss auf den Außenbahnen Tempo und Bewegung erzeugt werden.

Der Grund: In Uniteds kompaktem System, in dem bei gegnerischem Ballbesitz zehn Mann hinter dem Ball stehen, die Außen doppelt besetzt sind und aus dem Zentrum durch Fletcher oder Scholes schnell Hilfe für den Flügel kommen kann, ist es ohne Tempo und Bewegung kaum möglich, starken Individualisten (wie Ribery und Robben) Zeit und Raum für aussichtsreiche Dribblingsituationen zu ermöglichen (Bild 2).

Folglich müssen vor allem die Außenverteidiger (bei Bayern Lahm und Badstuber) immer wieder anlaufen, um einen Außenbahnspieler Uniteds (entweder Außenverteidiger oder Flügelspieler) zu binden und ihn damit für das Doppeln der eigenen offensiven Flügel (Ribery und Robben) aus dem Spiel zu nehmen (Bild 3 bis 7).

Würden die Außenverteidiger (Lahm und Badstuber) nun ständig auf ihrem Platz der Viererkette verharren, würden sie keine unmittelbare Gefahr für United darstellen, wodurch sich Manchesters zwei Außenbahnspieler auf den einzigen Flügelspieler des Gegners (Ribery oder Robben) konzentrieren könnten.

Teil 4: Spielaufbau durchs Zentrum suchen

Spielaufbau durchs Zentrum suchen

Um die Ferguson-Elf über die Flügel zu knacken, ist das Anlaufen der Außenverteidiger Pflicht. Um den eigenen Offensiv-Außen (Ribery und Robben) noch etwas mehr Zeit und Raum zu verschaffen, ist es zudem von Vorteil, wenn die Innenverteidiger regelmäßig den Spielaufbau durchs Zentrum anschieben, immer wieder selbst mit dem Ball am Fuß in die United-Hälfte stoßen (Bild 1 bis 3) und dadurch die zentralen Mittelfeldspieler Manchesters im Zentrum beschäftigen.

Im Idealfall ergibt sich folgende Situation: Fletcher und Scholes/Carrick sind im Zentrum gebunden, Valencia/Nani bzw. Neville/Evra auf der Außenbahn mit den anlaufenden Außenverteidigern beschäftigt. Dadurch bietet sich für einen Moment die Gelegenheit, den eigenen Offensiv-Außen (Ribery und Robben) ins unmittelbare Duell gegen einen von Uniteds Außenspielern zu bringen.

Stichwort Außenverteidiger: Sowohl Neville (rechts) als auch Evra (links) sind sehr auf die beiden gegnerischen offensiven Flügelspieler fokussiert, folgen diesen häufig ungewöhnlich weit und lassen dadurch die Abstände der Viererkette zu groß werden.

Dadurch entstehen Lücken für den Ball in die Tiefe auf einen der aus dem Zentrum weichenden Angreifer oder für den mit Tempo nachrückenden Außenverteidiger (Bild 5). Nicht unwichtig daher, dass der offensive Flügelspieler (Robben und Ribery) immer wieder einrückt, auch ohne den Ball zu bekommen.

Teil 5: Angriff aus der zweiten Reihe

Angriff aus der zweiten Reihe

In der Defensive glänzt Manchester durch Ordnung und Kompaktheit, in der Offensive richtete in dieser Saison bislang vieles Wayne Rooney. 33 Pflichtspieltreffer erzielte der Angreifer in dieser Saison bereits, und ist damit natürlich nur schwer zu ersetzen.

Doch Rooneys hohe Trefferquote ist auch ein Ergebnis der Arbeit der ganzen Mannschaft, in der gegen die Bayern wahrscheinlich Dimitar Berbatow Rooneys Platz einnehmen wird.

Der Bulgare ist zweifellos ein anderer Spielertyp als Rooney. Während der englische Nationalstürmer im Zentrum verharrt, bei Ballgewinn häufig sofort steil geht, damit den langen Pass in die Spitze fordert und selbst den schnellen Abschluss sucht, will Berbatow eher den Ball in den Fuß und lässt sich dafür auch mal ins Mittelfeld fallen oder weicht auf den Flügel aus.

United muss Druck aufbauen

In Manchester wird Berbatow für seine Spielweise bisweilen kritisiert, gegen Bayern allerdings könnte darin ein Schlüssel zum Erfolg liegen, sofern Berbatow seine Stärken auch tatsächlich einbringen kann.

Denn: United muss nach der 1:2-Niederlage - wenn auch nur ungern - das Spiel machen, um wenigstens einen Treffer zu erzielen. Sprich: Manchester muss versuchen, konstanten Druck auf die Bayern-Defensive aufzubauen und den Ball möglichst lange in der Gefahrenzone zu halten.

Berbatows Aufgabe dabei: Er muss den Ball im Sturmzentrum als einziger Angreifer festmachen, solange halten, bis Spieler aus der zweiten Reihe nachrücken und dann passend verteilen oder immer wieder Fouls in Tornähe provozieren.

Durch das Anspiel ins Zentrum auf Berbatow wird mindestens ein Innenverteidiger gebunden (Bild 3 bis 5). Je länger Berbatow den Ball mittig vor dem gegnerischen Tor behaupten kann, desto schneller werden ihn weitere Gegenspieler attackieren. Die Folge: Lücken entstehen, wobei die Lücke, die der Innenverteidiger im Zentrum der Viererkette hinterlässt, besonders gefährlich ist.

In den Raum im Abwehrzentrum stößt dann aus der Tiefe Uniteds zweite Reihe in Person von Park, Scholes und vor allem Fletcher (Bild 5 und 6) und/oder ein einlaufender offensiver Flügelspieler von der Außenbahn, dem wiederum der eigene Außenverteidiger hinterher schiebt.

Die Idee dahinter: Möglichst viele gegnerische Abwehrspieler sollen mit Aufgaben beschäftigt werden (Bild 4), damit der nachrückende United-Spieler den Vorteil des höheren Tempos ausspielen kann.

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