Mohamed Salah hat beim FC Liverpool gehörig eingeschlagen und sich in kurzer Zeit zu einem der wichtigsten Spieler der Reds entwickelt. Die Geschichte des Ägypters handelt - unter anderem - von einer wahnsinnigen Bus-Tortur, zwei Toren als Einwechselspieler, einem Anruf von Jose Mourinho und einem beschenkten Einbrecher.
Es ist ziemlich selten, dass ein Fußballklub einen Spieler in Afrika selbst entdeckt. Die afrikanischen Länder werden von einem äußerst geringen Prozentsatz der Vereine abgedeckt, dort wird im Vergleich zu jedem anderen Kontinent fast nicht gescoutet.
Eher stehen Scoutingreisen an, bei denen man in kurzer Abfolge so viele Spiele wie möglich beobachtet. Oder aber man fährt zu Turnieren. So hat es auch Sascha Empacher gemacht.
2008 war das. Der Spielerberater von der Agentur Spocs flog damals nach Ghana, um sich beim Afrika Cup umzuschauen. Als Begleiter hatte er Lothar Matthäus im Gepäck. Beim Duell zwischen dem Gastgeber und Ägypten fiel beiden auf, dass gerade im Kader der Ägypter sehr viele gute, aber unbekannte Spieler standen.
Wahnsinnige Bus-Tortur für Salah
Das führte letztlich zur Gründung einer Dependance in Kairo, da der ägyptische Spielermarkt als spannend eingestuft worden ist. Gelohnt hat es sich in jedem Fall: Spocs, das auch ein Büro in der ghanaischen Hauptstadt Accra besitzt, ist Europas führende Agentur, wenn es um afrikanische Spieler geht. So gut wie alle ägyptischen Spieler, die jemals nach Europa gewechselt sind, haben die Macher bei Spocs entdeckt und den Transfer für sie abgewickelt.
Mohamed Salah war damals noch nicht dabei. Der heutige Starspieler des FC Liverpool war erst 15 Jahre jung und kickte bei einem Verein, der auf den wunderschönen Namen Nadi El Mokawloon El Arab El Riyadi hört.
Der Klub, auch unter dem an den Sponsor angelehnten Namen Arab Contractors bekannt, ist sesshaft in Nasr City in der Peripherie der Hauptstadt Kairo - und liegt viereinhalb Stunden von Salahs Geburtsort Basyoun entfernt. Salah zog aber nicht etwa um, sondern tat sich fünf Tage die Woche eine unglaubliche Bus-Tortur an. Und das über drei, vier Jahre.
Salah-Debüt in Ägypten mit 17
Sein Tagesplan zu jener Zeit: Schule von sieben bis neun Uhr, in den Bus steigen, umsteigen und wieder umsteigen - "drei, vier oder manchmal sogar fünf Mal pro Strecke", wie sich Salah erinnert. Gegen 14 Uhr kam er an, das Training begann um 15.30 Uhr, Rückkehr nach Hause nicht vor 22 Uhr.
Die Schinderei lohnte sich. Im Mai 2010 kam der 17-jährige Salah zu seinem Debüt in Ägyptens höchster Spielklasse. Und es dauerte nicht lange, bis Empachers Team vor Ort auf den schnellen Rechtsaußen stieß. 2011 wurde Salah von den beiden damaligen Studenten Ibrahim Azab und Yahia Aly, die mittlerweile das Spocs-Büro in Kairo leiten, entdeckt.
Seitdem vermarktet die Agentur, die auch die Wege von Arsenals Mohamed Elneny und Schalke-Leihspieler Abdul Rahman Baba ebnete, den Spieler Salah.
Salah: Zwei Tore gegen Basel - Wechsel zu Basel
Dessen Weg führte bald nach Europa. Als es am 1. Februar 2012 im nordägyptischen Port Said infolge von Ausschreitungen zur größten Katastrophe in der Fußballgeschichte des nordafrikanischen Landes kam, stellte die Liga vorübergehend den Betrieb ein.
Da traf es sich gut, dass kurz darauf der FC Basel anbiss und ein Probetraining für Salah abnickte. Aus gutem Grund: Bei einem Freundschaftsspiel im Stadion Rankdorf erzielte Salah als Einwechselspieler der ägyptischen Olympiaauswahl zwei Tore gegen den Schweizer Serienmeister. Dort war man begeistert, ein ebenfalls anwesender Scout eines Bundesligavereins war der Meinung, der Spieler sei nicht gut genug für seinen Arbeitgeber.
Was schließlich folgte, waren intensive Verhandlungen mit dem FCB über einen Wechsel. Zu diesem Zeitpunkt war Salah in Ägypten noch keine große Nummer. Der zweitgrößte Klub des Landes, Zamalek SC, meldete zeitweise Interesse an, verfolgte die Spur aber nicht weiter. Auch der SC Braga aus Portugal war mit im Rennen.
Das machten letztlich doch die Baseler, die am 1,4 Millionen Euro teuren Salah ihre helle Freude hatten und mit ihm 2013 bis ins Halbfinale der Europa League vorrückten. Nach eineinhalb Spielzeiten war die Freude wieder vorbei, denn dann kam der FC Liverpool um die Ecke.
gettyKlopps Co-Trainer Krawietz erinnert sich an das erste Aufeinandertreffen
Doch anders als im vergangenen Sommer schlugen die Reds nicht zu. Es heißt, Liverpool habe damals zu langsam verhandelt, beinahe drei Monate lang. Basel wollte eine höhere Ablösesumme erzielen, der LFC zierte sich und Chelsea wurde lachender Dritter - ein höheres Gehalt sowie ein persönlicher Anruf von Trainer Jose Mourinho bei Salah machten es möglich.
Diesmal schielte man auch aus der Bundesliga auf Salah, der Youngster war damals auch bei Borussia Dortmund und Bayer Leverkusen ein Thema. Die 16,5 Millionen Euro, die Chelsea im Januar 2014 an Basel überwies, erschienen für einen ägyptischen Spieler allerdings happig.
"Mir persönlich ist er bei unserem ersten Testspiel mit dem BVB vor der Saison 2013/2014 gegen den FC Basel aufgefallen", erinnert sich Peter Krawietz, aktuell Salahs Co-Trainer in Liverpool, im Gespräch mit SPOX an das erste Aufeinandertreffen. "Da hat er auf dem rechten Flügel alles durcheinandergewirbelt. Seitdem war uns der Name ein Begriff."
Salahs Durchbruch in Rom hält bis heute an
Viel gewirbelt hat Salah in London nicht. Ähnlich wie Romelu Lukaku oder Kevin de Bruyne kam Salah unter Mourinho auf nur wenige Einsätze. Einzig aus Gründen der Spielpraxis schloss er sich ein Jahr nach Ankunft an der Stamford Bridge dem AC Florenz an, von wo aus er zum AS Rom weiterverliehen und anschließend fest verpflichtet wurde.
In der ewigen Stadt drehte Salah auf. 34 Tore und 24 Vorlagen in 83 Pflichtspielen kamen am Ende heraus - und seitdem hat Salah, der über eine stabile Physis verfügt und in seiner gesamten Karriere noch keine schwere Verletzung überstehen musste, nicht nachgelassen.
"Nach seiner starken Saison beim AS Rom ist er für uns in Liverpool wieder richtig interessant geworden, so dass wir ihn in unsere Scouting-Maschinerie aufgenommen haben", sagt Krawietz. "Ab dem Zeitpunkt, wo wir ihn richtig auf dem Schirm hatten, schoss er fast in jedem zweiten Spiel ein Tor. Wir haben ihn auch in der Nationalmannschaft beobachtet, damit wir ein Gefühl dafür bekommen, was eigentlich seine beste Position ist und inwiefern das bei uns ins Schema passt."
Salah besorgte einem Einbrecher einen Arbeitsplatz
Salah passt ziemlich gut ins Liverpooler Jürgen-Klopp-Schema. 42 Tore in 37 Pflichtspielen hat der mittlerweile 25-Jährige geschossen. Das wichtigste erzielte er im Oktober 2017, allerdings nicht für die Reds. Salah schoss das Nationalteam Ägyptens per Elfmeter nach 28 Jahren wieder zu einer WM - in der fünften Minute der Nachspielzeit.
In der Heimat wird Salah seitdem wie ein Heiliger verehrt. Der selbstbewusste Rechtsaußen gilt als sehr heimatverbunden und religiös, er engagiert sich viel in sozialen Projekten. Eine für sich sprechende Anekdote: Als Salah mit seinem Elfmetertreffer endgültig zum Helden eines ganzen Landes aufstieg, wurde zeitgleich in das Haus seiner Eltern eingebrochen. Die Polizei ergriff den Täter, eine Anzeige gab es aber nicht. Salah schenkte dem Kriminellen stattdessen Geld und unterstützte ihn dabei, einen Arbeitsplatz zu finden.
"Er ruht in sich und weiß genau, was er will", beschreibt Krawietz Salahs Charakter. "Er ist sehr ausgeglichen und schafft es, seinen Körper in eine Verfassung zu bringen, die es ihm erlaubt, alle drei Tage seine Leistung abzurufen. So etwas ist natürlich ein wertvoller Faktor für jeden Trainer, wenn man dieses Leistungsniveau sozusagen garantieren kann. Er ist trotz des aktuellen Hypes total geerdet und zeigt keinerlei Starallüren. Mit ihm haben wir einen absoluten Top-Transfer getätigt."
Salah und Englands Spieler mit den meisten Treffern in einer Debüt-Saison
Saison | Liga | Spieler | Spiele | Tore |
2017-2018 | Premier League | Mohamed Salah | 41 | 36 |
2007-2008 | Premier League | Fernando Torres | 46 | 33 |
1977-1978 | Division 1 | Kenny Dalglish | 62 | 31 |
1946-1947 | Division 1 | Albert Stubbins | 42 | 28 |
1895-1896 | Division 2 | George Allan | 26 | 28 |
1967-1968 | Division 1 | Tony Hateley | 52 | 27 |
1914-1915 | Division 1 | Fred Pagnam | 31 | 26 |
1991-1992 | Division 1 | Dean Saunders | 54 | 23 |
1959-1960 | Division 2 | Roger Hunt | 38 | 23 |
1929-1930 | Division 1 | Jimmy Smith | 38 | 23 |
1961-1962 | Division 2 | Ian St John | 45 | 22 |
1960-1961 | Division 2 | Kevin Lewis | 36 | 22 |
1959-1960 | Division 2 | Dave Hickson | 29 | 21 |
1933-1934 | Division 1 | Sam English | 31 | 20 |
Salah auf dem Weg in die Riege Messi/Ronaldo?
Top-Transfer Salah steht nun das erste Mal in seiner Karriere im Viertelfinale der Champions League. Zwar erreichte der FC Chelsea zu seiner Zeit dort sogar die Runde der letzten Vier, doch Salah durfte nicht mitwirken, weil er in derselben Saison bereits für Basel in der Königsklasse aktiv gewesen war.
Wann die Senkrecht-Karriere des Ägypters mal einen Durchhänger abkriegt, ist im Moment nicht abzusehen. Fest steht: Salahs Busfahrten haben sich gelohnt. Er ist auf dem Weg, in die Riege der ganz Großen und ganz Teuren aufzusteigen.
Auch das Trainerteam um Klopp, Zeljko Buvac und Krawietz hat "den Eindruck, dass er dahingehend auf dem richtigen Weg ist", wie Letzterer einschätzt. "Dieses Limit über einen solch langen Zeitraum konstant abzurufen, wie es beispielsweise Lionel Messi und Cristiano Ronaldo gelingt: Das ist die Kunst. Die Fähigkeiten zu haben, sich an bestimmte, vielleicht auch neue Situationen anzupassen, gewissermaßen neu zu lernen, hungrig zu bleiben - das zeichnet die richtig großen Spieler aus. Sie können praktisch nie verteidigt werden", sagt Krawietz.