Am Freitag ist für alle bei Norwich City ein ganz besonderer Tag: Nach dem Aufstieg im Frühsommer und der Rückkehr in die Premier League dürfen die Canaries am Abend (21 Uhr im LIVETICKER) die neue Saison in Englands Oberhaus eröffnen. Und das auch noch gegen Vizemeister und Champions-League-Sieger Liverpool.
Für Mittelfeldspieler Moritz Leitner, seit Anfang 2018 bei Norwich, ist der Tag vielleicht sogar noch etwas spezieller als für seine Mitspieler. Schließlich trifft der 26-jährige Deutsche mit Jürgen Klopp auch noch auf seinen Ex-Trainer, unter dem er 2012 mit Borussia Dortmund die Deutsche Meisterschaft und den DFB-Pokal gewann.
Im exklusiven Interview mit Goal und SPOX spricht Leitner vor dem Premier-League-Auftakt über seine Zeit unter Klopp, die Wahrnehmung als ewiges Talent, Ziele mit Norwich und sein unglückliches Intermezzo bei Lazio Rom.
Herr Leitner, wie haben Sie den Aufstieg mit Norwich in der vergangenen Saison erlebt?
Moritz Leitner: Das war ein ganz großartiges Erlebnis, eine Mega-Party. Die ganze Stadt war im Ausnahmezustand, einfach der Wahnsinn. Diesen kollektiven Freudentaumel werde ich nie vergessen.
Wie haben Sie als Mannschaft den Aufstieg gefeiert?
Leitner: Sehr laut und fröhlich. Wir hatten ja die ganze Saison über einen tollen Spirit in der Mannschaft, haben uns alle untereinander sehr gut verstanden. Mit so einem Erfolg im Rücken ist es dann mit diesen Jungs nicht schwer, maximal Spaß zu haben. Wir waren auf jeden Fall danach ganz schön heiser, so viel wie wir gesungen haben ...
Was war das Verrückteste, das Sie während der Feierlichkeiten erlebt haben?
Leitner: Da gab es ganz viele tolle Erlebnisse mit den Fans. Die Leute lieben ihre Canaries, haben alle wie die Wilden mitgefeiert in zum Teil total irren Kostümen. Manche sahen selbst aus wie Kanarienvögel und machten auch solche Geräusche (lacht).
gettyMoritz Leitner: "Daniel Farke ist ein Bessermacher"
Wie wurde es in England wahrgenommen, dass der Klub seit der Ankunft von Daniel Farke so viele deutsche Spieler verpflichtet hat?
Leitner: Naja, es gibt ja hier inzwischen einen eigenen Song dafür. "Parklife" von Blur wurde extra umgetextet und die Fans singen jetzt: "All the germans, so many germans." Das klingt schon sehr witzig, aber es ist auch ein Kompliment. Daniel Farke genießt hier höchste Anerkennung, man vertraut ihm. Bei den Spielern geht es aber nicht in erster Linie darum, wo sie herkommen, sondern was sie draufhaben. Wenn du es bringst und für den Verein alles gibst, dann bist du hier sehr akzeptiert.
Wie groß ist Farkes Anteil am Erfolg?
Leitner: Sehr groß. Er ist der Vater dieses Erfolges.
Was zeichnet Ihn als Trainer aus?
Leitner: Er ist charakterlich und fachlich ein Super-Typ, ein echter Leader und ein Vorbild.
Was für ein Trainertyp ist er denn?
Leitner: Er ist ein Bessermacher. Er erkennt die Potenziale eines jeden Einzelnen und hilft dir, dich kontinuierlich zu verbessern. Und die einzelnen Spieler formt er dann zu einem Team, das für ihn durchs Feuer geht. Das ist schon klasse, wie er das macht.
Mit welchem großen Trainer kann man ihn vergleichen?
Leitner: Ich finde er ist auf seine Art eine ganz eigene und besondere Persönlichkeit. Ein Vergleich mit jemand anderem würde ihm nicht gerecht werden.
Wie hat sich die Wahrnehmung von Norwich City im Verlauf der vergangenen Monate verändert?
Leitner: Wir waren schon etwas länger unter Beobachtung, man hatte uns auf dem Radar. Durch den Aufstieg sind wir jetzt natürlich ganz anders im Fokus. Die Premier League ist schließlich ein weltweites Top-Produkt - auch in Deutschland gibt's die ja live zu sehen. Da freuen sich auch viele meiner Weggefährten. Ich winke dann auch mal. (lacht)
Anders als Norwich hat Mit-Aufsteiger Aston Villa weit über 100 Millionen Euro für Neuzugänge ausgegeben. Wie bewerten Sie das?
Leitner: Das sollte man aus meiner Sicht nicht überbewerten. Der Markt hier ist schon auch ein bisschen verrückt. Vor allem die Ablösesummen. Die Summe der Investments alleine ist keine Garantie dafür, dass eine Mannschaft auch funktioniert. Eine eingespielte Truppe, die sich gut kennt gezielt zu verstärken kann auch viel Sinn machen. Abgerechnet wird sowieso nach Saisonende, dann werden wir wissen, ob sich die Investments gelohnt haben oder nicht.
Leitner meldet Ansprüche auf Stammplatz an
Können Sie auch die Klasse halten, ohne derart viel Geld zu investieren?
Leitner: Möglich ist alles, gerade wenn eine Mannschaft maximale Leidenschaft an den Tag legt.
Mit welchem Ziel starten Sie als Verein in die kommende Saison?
Leitner: Wir wollen natürlich die Klasse halten.
In der Rückrunde der vergangenen Spielzeit standen Sie kaum noch in der Startelf. Wie sehen Sie Ihre Rolle im Team?
Leitner: In der Vorrunde war ich immer drin. Eine Saison ist immer auch eine Achterbahnfahrt. Wenn du verletzt pausieren musst, übernimmt ein anderer deinen Job. Und wenn der es gut macht, gibt es keinen Grund, ihn wieder rauszunehmen. Damit muss man als Spieler umgehen können. Wir sind ein Team und jeder wird in einer langen Saison gebraucht. Auf und neben dem Platz. Aber in der neuen Saison geht es wieder bei null los für alle. Wenn ich gesund bin habe ich den Anspruch, dem Trainer jede Woche gute Argumente zu liefern, mich einzusetzen. Daniel Farke ist ein absolut fairer und kommunikativer Trainer, jeder weiß immer woran er ist. Das ist mir wichtig.
Am ersten Spieltag treffen Sie direkt auf Champions-League-Sieger FC Liverpool mit Jürgen Klopp. Sie kennen Ihn aus Dortmunder Zeiten bestens. Welche Rolle hat er in Ihrer Karriere gespielt?
Leitner: Eine wichtige, denn unter ihm habe ich mich beim BVB enorm weiterentwickelt.
Was ist die prägendste Szene Ihrer gemeinsamen Zeit mit Klopp?
Leitner: Das war natürlich mein erster Einsatz in der Champions League. Da habe ich als Junge von geträumt und plötzlich stand ich da auf dem Platz. Das war der Wahnsinn.
Inwieweit hat er sich seit seiner Zeit in Dortmund verändert?
Leitner: Ich finde, er ist immer noch der, der er war. Ein super Trainer und besonderer Mensch mit Ecken und Kanten und viel Humor.
Wie wird er in England wahrgenommen?
Leitner: Die Leute und die Medien lieben ihn. Sie sehen ihn als einen echten Gewinn für die Liga. Und nach dem Triumph in der Champions League ist er natürlich noch populärer.
gettyMoritz Leitner über die Gefahren von Erfolg
Schon in jungen Jahren durften Sie mit Borussia Dortmund miterleben, wie es sich anfühlt, Erfolge zu feiern. Direkt in Ihrer ersten Bundesligasaison haben Sie unter Jürgen Klopp das Double gewonnen. Welche Erinnerungen haben Sie an diese Zeit?
Leitner: Das war natürlich damals völlig irre, so richtig habe ich das gar nicht begriffen damals. Das war wie ein Film, der ablief und ich habe mich eher gewundert, dass ich da mitspiele.
Was war damals der Schlüssel zum Erfolg?
Leitner: Es war eine tolle Mannschaft, eine echte Einheit. Und wir hatten natürlich einen Trainer, der uns unfassbar motiviert hat.
Welche Rolle hatte Mario Götze damals in dieser Mannschaft?
Leitner: Mario war Teil dieser Truppe und hatte natürlich besondere Fähigkeiten. Der konnte an einem Sahnetag ein Spiel ganz alleine entscheiden.
Welche Geschichte über Mario erzählen Sie besonders gern?
Leitner: Die soll er lieber selber erzählen, ich freue mich, wenn er happy ist.
Nach Ihren ersten zwei Jahren beim BVB lief es für Sie persönlich in Deutschland allerdings nicht mehr so gut. Was sind die Gründe dafür?
Leitner: Da kam einiges zusammen. Fußball ist ein komplexes Gebilde. Verein, Mannschaft, Trainer, aktuelle Situation - es gibt so viele Faktoren, die einen Einfluss auf die eigene Situation haben. Und man selbst ist schließlich auch nicht immer perfekt. Wenn da ein paar Dinge nicht optimal zusammenpassen, hat man schnell einen negativen Lauf.
In einem Interview mit dem Westfälischen Anzeiger haben Sie gesagt: "Erfolg macht immer Spaß, bringt aber auch Gefahren". Wie meinen Sie das?
Leitner: Naja, es besteht die Gefahr, dass man abhebt und meint, es geht immer so weiter, ohne dass man weiterhin hart arbeitet.
Haben Sie sich nach dem Double mit dem BVB vielleicht zu sehr auf den Erfolgen ausgeruht und vorausgesetzt, dass es einfach so weitergeht?
Leitner: Rückblickend kann das durchaus sein. Damals hätte ich das natürlich nicht so gesehen.
Wenn in Deutschland über Sie gesprochen wird, fällt regelmäßig der Begriff "ewiges Talent". Was sagen Sie dazu?
Leitner: Was soll ich dazu noch sagen? Ich gebe meine Antworten diesbezüglich am liebsten auf dem Platz.
Moritz Leitner über das kurze Kapitel Lazio Rom
Haben Sie das Gefühl, in der Bundesliga gescheitert zu sein?
Leitner: Wann ist man gescheitert? Das sind Schubladen, in die irgendwelche Leute einen stecken. Ich habe aufgehört, mich damit zu beschäftigen, konzentriere mich lieber auf Fußball, das bringt mehr.
Welche Rolle spielte es bei Ihrem Transfer zu Norwich, dass Sie in England weniger im Fokus der Öffentlichkeit stehen als in der Bundesliga?
Leitner: Ich wollte vor allem wieder regelmäßig spielen, das stand im Vordergrund. An die Öffentlichkeit habe ich dabei nicht in erster Linie gedacht. Norwich war damals ein ambitionierter Verein mit einem tollen Umfeld und einem Klasse-Trainer. Ich wollte helfen, das Ziel Premier League zu erreichen. Das ist gelungen, daher kann ich jetzt sagen: Alles richtig gemacht.
Neben Deutschland und England durften Sie auch schon Erfahrungen in Italien sammeln. Wie haben Sie die Zeit bei Lazio Rom in der Serie A in Erinnerung?
Leitner: Als kurze Episode ohne große Bedeutung.
Sie kamen in sechs Monaten in Rom kaum zum Einsatz. Warum haben Sie Lazio so schnell wieder verlassen?
Leitner: Mein Ziel waren Einsatzzeiten, aber die Chance gab es dann nicht. Um auf der Bank zu sitzen, musste ich nicht in Italien sein. Daher habe ich das Kapitel schnell wieder beendet.
Was haben Sie dennoch in Rom gelernt?
Leitner: Klare Entscheidungen zu treffen - wie die, einen schnellen Cut zu machen.
Moritz Leitner: "Ich bin mit mir selbst im Reinen"
War der Wechsel rückblickend ein Fehler?
Leitner: Wenn man gewusst hätte, dass es so kommt, mit Sicherheit. Aber es hätte ja auch anders laufen können. Daher ist jede Erfahrung eine, die einen in Summe weiterbringt.
Gibt es Taten oder Entscheidungen in Ihrer Karriere, die Sie rückblickend bereuen?
Leitner: Nein, vor allem würde es mich nicht weiterbringen, wenn ich irgendwas bereuen würde. Alles ist für irgendwas gut. Ich blicke immer nach vorne, denke positiv, darauf verwende ich meine Energie.
Reizt es Sie, noch einmal in die Bundesliga zurückzukehren, nachdem Sie dort in den vergangenen Jahren wenig Chancen hatten, sich zu zeigen?
Leitner: Mich reizt jetzt vor allem erst mal die Premier League. Darauf freue ich mich riesig. Die Bundesliga ist auch immer spannend, aber aktuell bin ich hier. Daher ist das für mich jetzt kein Thema.
Haben Sie das Verlangen, Ihren Kritikern zu beweisen, dass Sie mehr sind als nur ein gescheitertes Talent und sich dauerhaft in der Bundesliga durchsetzen können?
Leitner: Ich habe hier in Norwich sehr viel Wertschätzung erfahren, darüber habe ich mich sehr gefreut. Ich bin mit mir selbst im Reinen, externe Kritik gehört immer dazu. Man kann es sowieso nie allen recht machen, daher umtreibt es mich nicht, es irgendwelchen Leuten zu zeigen. Ich gebe mein Bestes, will mit meiner Mannschaft und dem Verein Erfolg haben. Das treibt mich an.