Ist Schmelzer ohne Alternative?

Stefan Rommel
14. Oktober 201223:16
Freiburgs Oliver Sorg (l.) und der Frankfurter Bastian Oczipka im direkten DuellImago
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Joachim Löws Kritik an Marcel Schmelzer wurde schnell auf Wortwahl und Zeitpunkt reduziert. Der Kern der Schelte rückte dadurch in den Hintergrund. Auf keiner Position wurde in den letzten Jahren so viel getestet und probiert. Namen kursieren eine Menge - aber gibt es darunter auch nachhaltige Lösungen?

Die Punkte seiner Anklage waren lang und eigentlich unmissverständlich formuliert. Joachim Löw tart letzten Donnerstag eine Debatte los, die er sich und vor allen Dingen auch seinem Linksverteidiger Marcel Schmelzer in dieser Form lieber erspart hätte.

Die zentralen Aussagen seiner Rede haben in der Öffentlichkeit so an und für sich nichts verloren. Das haben auch die Verantwortlichen beim DFB schnell erkannt und haben in Form einer relativierenden Hausmitteilung versucht, die Wogen zu glätten.

Geholfen hat der medientaktische Kniff nicht mehr. Die Diskussionen waren in vollem Gange und halten weiter an. Bisher hat sich die Empörung vor allen Dingen auf Löws Wortwahl und den Zeitpunkt der Äußerungen konzentriert. Einem Spieler kurz vor einem wichtigen Spiel derart schroff zu begegnen, kommt nicht oft vor.

"Ich hatte viel Unterstützung von Freunden und Mannschaftskollegen auch aus Dortmund bekommen. Das hat mir sehr viel Kraft gegeben, um dieses Spiel auch erfolgreich zu gestalten", sagte Schmelzer nach dem 6:1 von Dublin.

Explizit nicht nannte er dabei helfende Worte des Bundestrainers, der sich nach dessen Aussagen noch vor dem Spiel mit Schmelzer unterhalten hatte. Auch der Rest der DFB-Entourage fand keine Erwähnung. So viel zu den Nebengeräuschen.

Die inhaltlich entscheidende These Löws war aber doch: Marcel Schmelzer ist nicht Löws Nummer eins, sondern die derzeit einzige Option, die der Bundestrainer für diese latent vakante Position hat. Schmelzer sei alternativlos, so Löw.

Aber ist das wirklich so? Was ist mit den vielen ehemaligen deutschen Außenverteidigern? Welche möglichen Hoffnungsträger halten die Bundesliga und die U-Mannschaften des DFB bereit?

Die Situation in der Bundesliga:

Hier ist die Ausländerquote auf dem Linksverteidigerposten in etwa pari mit der von deutschen Spielern. Geht man von der jeweiligen Wunschelf aus, gehören zehn Stammplätze einem Ausländer, in acht Klubs verteidigt ein Spieler mit einem deutschen Pass auf der linken Seite.

Dabei ist zu beachten, dass bei den wichtigen "Zuliefer-Klubs", aus denen sich der engere Kader der deutschen Nationalmannschaft speist, nur Dortmunds Marcel Schmelzer als einziger Deutscher auch in Frage kommt. Bei Bayern München ist mit David Alaba ein Österreicher gesetzt (Holger Badstuber bleibt eine Notlösung), ebenso wie beim FC Schalke 04 mit Christian Fuchs.

In der "zweiten Reihe", also in Klubs wie Bayer Leverkusen, Borussia Mönchengladbach, Werder Bremen, Hannover 96, dem Hamburger SV oder dem VfB Stuttgart, hält sich die Quote ausgeglichen. Wobei sich in Leverkusen, Gladbach und Stuttgart schon seit Jahren kein deutscher Spieler mehr dauerhaft beweisen durfte.

Ähnlich gelagert ist der Fall bei den rechten Außenverteidigern und den Angreifern in der Liga. Wobei es in der Bundesliga im Sturm kaum noch einen Stammspieler mit deutschem Pass gibt. Während in der Innenverteidigung, im Mittelfeld und bei den Torhütern überwiegend einheimische Spieler bevorzugt werden.

Die Auswahl der Bundesligisten entspricht demnach auch den Gegebenheiten in der deutschen Nationalmannschaft: Es gibt Mannschaftsteile mit einem Überangebot an deutschen Spielern. Und es gibt die Außenverteidigerpositionen und den Angriff - beides im DFB-Team Mangelpositionen.

Seite 2: Ehemalige, Hoffnungsträger, Probleme

Was ist mit den Ehemaligen?

Unter Joachim Löw haben sich insgesamt 23 Spieler auf den Außenverteidigerbahnen versucht. Eine immense Zahl in knapp über sechs Jahren Amtszeit. Neben den Verlegenheitslösungen wie Holger Badstuber, Jerome Boateng oder Thomas Hitzlsperger gab es auch Halb- oder reine Spezialisten für die Position.

Heiko Westermann oder Gonzalo Castro halfen schon aus und hatten auch den Anspruch einer langfristigen Beschäftigung. Dazu kommen die gelernten Außenverteidiger Dennis Aogo, Marcel Schäfer und Christian Pander.

Aogo hat sich über Jahre nicht etablieren können, obwohl er immer mal wieder seine Chance bekommen hatte. Die Verletzung zu Beginn der laufenden Saison warf den Hamburger zusätzlich zurück, so dass momentan kaum Gedanken an eine Rückkehr in den Kader zulässig sind.

Schäfer war besonders in der Wolfsburger Hochphase der Jahre 2008 bis 2010 eine ernsthafte Option, ist seitdem aber fast aus Löws Augen und muss bei Felix Magath derzeit auch nur noch im Mittelfeld ran.

Pander hatte mit zu vielen, zu langwierigen Verletzungen zu kämpfen. Nach einer starken vergangenen Saison ist er derzeit wieder drauf und dran, sich von seinen Oberschenkelproblemen zu erholen, die ihm den Saisonstart verwehrt hatten. Prinzipiell bringt Pander wohl das beste Komplettpaket mit, seine Anfälligkeit für Verletzungen bleibt aber ein steter Begleiter.

Bleiben noch zwei Spezialfälle: In Hamburg ist Marcell Jansen eine Position nach hinten gerückt und spielt seit einigen Wochen als Linksverteidiger eine recht ordentliche Rolle. Jansen selbst hat seinem Teamkollegen Aogo bereits zu verstehen gegeben, dass er die Position freiwillig nicht räumen wolle und macht sich auf mittelfristige Sicht auch wieder Hoffnungen auf eine Einladung zum DFB.

In Bremen ist Clemens Fritz in dieser Saison auch fast nur links in der Viererkette anzutreffen. Der Routinier musste Zugang Theodor Gebre Selassie weichen und die Seite wechseln. Ob das zu einer dauerhaften Lösung bei Werder führen kann, muss zumindest angezweifelt werden. Zuletzt spielte Fritz mal wieder auf der rechten Seite.

Es drängt sich momentan kaum einer auf, nachhaltig in Löws Aufgebot zu rücken. Die besten Chancen dürfte noch Jansen haben - sofern er unter Trainer Thorsten Fink beim HSV weiter links hinten wirken darf.

Mögliche Hoffnungsträger:

Die Auswahl ist überschaubar. In Hannover macht Konstantin Rausch seit einigen Wochen einen sehr soliden Job auf ungewohnter Position. Rausch war einst auch festes Mitglied etlicher Jugend-Nationalmannschaften, spielte zuletzt auch in der U 21.

Rausch ist dynamisch in der Offensive, im Mittelfeld aber eher zu hause als in der Viererkette. Auch wenn er dort seine ersten Spiele als Profi absolviert hatte.

In Frankfurt hat sich beinahe verschollenes Talent in den letzten Monaten eindrucksvoll zurückgemeldet. Bastian Oczipka wollte als eine der großen Hoffnungen des deutschen Fußballs bei Bayer Leverkusen Fuß fassen.

Mit der U 19 holte Oczipka vor vier Jahren den EM-Titel, kam in Leverkusen aber nicht zum Zug und wurde verliehen. Zuerst nach Rostock, dann weiter zum FC St. Pauli. Erst in der abgelaufenen Saison kam er - nach einem auskurierten Knöchelbruch - in Leverkusen zu einer handvoll Einsätzen.

Eintracht Frankfurt interessierte sich trotzdem für Oczipka und landete mit dem 23-Jährigen einen Volltreffer. Oczipkas Vorwärtsdrang ist beachtlich, seine Flanken haben eine außergewöhnliche Qualität.

Die Probleme in den U-Mannschaften:

"Das schwierigste an der Talentförderung ist die Talentprognose. Wer kann heute schon sagen, was aus dem 14-Jährigen morgen wird?", umriss DFB-Sportdirektor Robin Dutt das Grundproblem im SPOX-Interview.

"Es ist unwahrscheinlich schwierig, dass da gar keiner durchs Raster fällt. Es gibt kein Patentrezept. Das Einzige, was man immer wieder sagen kann, ist: 'Bilde so aus, als würden deine Spieler morgen in der A-Nationalmannschaft auflaufen.'"

Rund um das Irland-Spiel meinte Bundestrainer Löw, dass in den Jugendmannschaften des DFB derzeit keine Lösung des Problems sichtbar sei. Keine wirklich ermutigende Ansicht Löws für diejenigen, die sich momentan links in der Viererkette verdingen.

Allen voran für den Gladbacher Tony Jantschke und den Freiburger Oliver Sorg. Letztgenannter schlüpfte an allen U-Auswahlen vorbei, wurde nie eingeladen - und wurde im August erstmals für die U 21 berufen.

Sorg wurde im defensiven Mittelfeld ausgebildet und ist erst spät in die Viererkette gerutscht. Dort spielt er in Freiburg auch erst seit einiger Zeit auf der linken Seite. Sorg ist eigentlich Rechtsfuß. Die Parallelen zu Philipp Lahm sind nicht nur deswegen augenscheinlich, weil Sorg eine ähnliche Statur mitbringt. Auch Lahm rückte einst als Rechtsfuß nach links hinten und genoss seine Ausbildung im defensiven Mittelfeld.

Oliver Sorg im SPOX-Interview: "Philipp Lahm ist mein Vorbild"

Auch Jantschke hat diesen Weg hinter sich: Ausbildung im Mittelfeld, Rechtsverteidiger im Verein und Linksverteidiger in der Auswahl. Langfristig wird er für die A-Nationalmannschaft auf links aber keine Alternative sein.

Die Akteure unterhalb der U 21 sind bis zur Weltmeisterschaft in zwei Jahren sicherlich noch kein Thema für die A-Nationalmannschaft. Löw hat seinen neuem Sportdirektor im August den klaren Auftrag ins Notizbuch geschrieben, auf den Außenverteidigerpositionen für Nachschub zu sorgen. Leichter gesagt als getan.

"Die Spielpositionen haben sich vermischt. Dies hat im Zuge der verbesserten spielerischen Ausbildung der letzten 20 Jahre dazu geführt, dass sich die Positionen immer mehr angenähert haben", sagt Robin Dutt.

"Außenverteidiger und Sechser müssen spielstark sein. Wir reden von Außenverteidigern. Aber sind das überhaupt noch Verteidiger? Maximal noch zur Hälfte, die andere Hälfte ist ein Rechtsaußen. Philipp Lahm ist eine Mischung aus Manni Kaltz und Rüdiger Abramczik."

Das Anforderungsprofil ist ein komplexes. Immerhin hat spätestens nach der Debatte um Marcel Schmelzer dessen Position eine erneute Aufwertung erfahren. Wenngleich auch für Schmelzer im konkreten Fall mit unangenehmen Begleitscheinungen.

Lahm: Schweinsteigers Kritik berechtigt