Robin Dutt ist die Nachfolge von Matthias Sammer als Sportdirektor des Deutschen-Fußball-Bundes angetreten. Eine Umstellung für einen Mann, der zuvor 18 Jahre lang als Trainer fungierte. Wie ihm die Umstellung gelang, wie seine Vorstellungen und Ideen aussehen, verrät er im SPOX-Interview. Dutt äußert zudem Kritik an der Öberflächlichkeit in der Gesellschaft.
SPOX: Herr Dutt, nach fast zwei Jahrzehnten als Trainer sind Sie seit Juli in neuer Funktion unterwegs. Wie haben Sie sich eingelebt?
Robin Dutt: Mein Rhythmus hat sich umgestellt. Bisher war ich die relativ gleichen Rhythmen gewöhnt: Samstag-Samstag oder Samstag-Mittwoch-Samstag. Das ist jetzt anders. In den vergangenen Wochen war ich bei der U 17 im Zillertal, dann mit der U 19 in Lübeck, danach mit der U 21 in Sarajevo, dann mit der A-Nationalmannschaft in Wien. Anschließend bin ich nach Hamburg gereist, um mich mit dem Stützpunkttrainer auszutauschen.
SPOX: Wie koordiniert man sich selbst?
Dutt: Anfragen gibt es täglich, man muss selbst die Prioritäten setzen. Als Trainer waren die klar: 10 Uhr Training, 15 Uhr Training, Spiel am Samstag.
SPOX: Selektieren muss man aber als Trainer doch auch?
Dutt: Das stimmt. Aber als Trainer war alles klar nachzuvollziehen. Der Sportdirektor ist auch eine politische Position. Da muss man wissen, wann man ja oder nein sagen muss. Man kann nicht überall ja sagen und auch nicht überall nein sagen. Ich kann nicht sagen, dass mir das in irgendeiner Form schwerfällt, aber der Ablauf ist anders. Es ist ein anderes Arbeiten.
SPOX: In Ihrer Karriere ging es im Prinzip 18 Jahre lang nur bergauf, die Entlassung in Leverkusen war dann der erste richtige Dämpfer. Wie haben Sie das aufgearbeitet?
Dutt: In den Tagen danach hinterfragt man sich ständig und sucht nach den eigenen Fehlern. So ein Tiefschlag ist für einen als Persönlichkeit aber auch ganz hilfreich. Dann merkt man erst, ob man damit auch umgehen kann. Zumal, wenn es vorher fast ausschließlich gut lief. Und man fragt sich, ob man vielleicht noch ein, zwei davon verkraften könnte.
SPOX: Könnten Sie?
Dutt: Es gehört ab einem gewissen Niveau einfach dazu. Es hat schon namhaftere Kollegen öfters getroffen. Man muss sich davon frei machen zu denken, dass man überall immer gleich gut funktionieren kann. Im Nachhinein sehe ich das sehr entspannt. Diese Erfahrung hat mich gestärkt.
SPOX: Entspannt es Sie auch, dass Sie jetzt den vielen Zufälligkeiten des Fußballs nicht mehr unmittelbar ausgesetzt sind?
Dutt: Leider ist das Tagesergebnis im Fußball auch Zufälligkeiten ausgesetzt. Das mittel- und langfristige Ergebnis weniger. Genau diese Mittel- und Langfristigkeit hat mir in den letzten 18 Jahren immer ein bisschen gefehlt. Man hat Ideen im Kopf, wie man erfolgreicher arbeiten könnte und wird dann doch von den Tagesergebnissen gehetzt - man will ja schließlich das nächste Spiel gewinnen. Es ist schon schön, dass sich mein Arbeiten nicht durch das Ergebnis wie zum Beispiel dem in Wien ändern wird. Es ist schön, dass ich mich dem Fußball auch mal von dieser Seite widmen kann.
SPOX: Ist der Fußball immer noch das einfache Spiel, für das ihn Milliarden Fans auf der Welt lieben?
Dutt: Unser Bestreben sollte es sein, ihn für den Betrachter einfach zu lassen. In der Arbeit daran ist er sehr komplex und schwierig geworden. Das ist ein Kampf, den vor allen Dingen die Trainer führen müssen.
SPOX: Wieso das?
Dutt: Wir müssen mit uns - ich bezeichne mich jetzt nochmal als Trainer - ins Reine kommen. Dadurch, dass das Spiel so komplex geworden ist, die Betrachtung von außen aber zu oberflächlich, überziehen wir Trainer zu sehr. Wir wollen dann immer erklären, dass es viel tiefgründiger ist. Aber wir müssen akzeptieren, dass der Betrachter eben nur den Torerfolg mit Beifall oder Pfiffen bewerten wird. Genauso wie die Medien, die zumeist an der Oberfläche bleiben.
SPOX: Das ist jetzt unfair.
Dutt: Moment... Es wäre für die Trainer am Ende des Tages vielleicht gar nicht so gut, wenn die tatsächlichen Fehler bewertet werden würden. Die tauchen in der Öffentlichkeit fast nie auf. Wenn die auftauchen würden, hätte ich als Trainer ein viel größeres Problem. So denkt man als Trainer: "Die wissen ja gar nicht Bescheid."
SPOX: Sie reden sehr locker darüber.
Dutt: Vielleicht hängt es damit zusammen, dass ich jetzt Sportdirektor bin. Es gab nach Niederlagen schon Situationen, da wurde einem vorgeworfen, falsch ausgewechselt zu haben oder die falsche Taktik gewählt zu haben. Das sind aber zumeist nicht die eigentlichen Fehler eines Trainers. Manchmal hat man als Trainer gar keine Schuld. Da trägt man dann zwar die Verantwortung, aber nicht die Schuld. Es gibt solche Spiele. Und manchmal trägt man ganz entscheidend seinen Teil dazu bei.
SPOX: Ist also alles okay, so wie es ist?
Dutt: Ja. Außer, dass hier und da der Respekt von Mensch zu Mensch auf der Strecke bleibt. Das müssen wir ändern. Wir hatten ein paar Themen in den letzten Jahren, die an der Oberfläche behandelt wurden. Da gibt es bis heute keine Besserung.
SPOX: Robert Enke, Burnout.
Dutt: Der Fußball hat viele Facetten und leider auch manche negativen Begleiterscheinungen, wenn ich auch an den Fall Pezzoni denke. Da zieht sich nicht jeder Beteiligte im Fußballbetrieb den Schuh an, den er sich eigentlich anziehen müsste. Und da sind ausdrücklich alle gemeint. Spieler-Trainer, Trainer-Spieler. Spieler-Medien, Medien-Spieler. Fans-Medien und so weiter. Jeder ist erschüttert, wenn irgendetwas passiert. Wir beklagen uns kurz darüber und dann gehen wir zur Tagesordnung über. Diese Dinge müssen nicht sein. Egal für welche Zeitung man schreibt, welchen Anspruch man hat und ob man verkaufen muss. Derjenige, der auf Kosten eines anderen verkauft, hat sich ein Stück weit selbst verkauft.
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SPOX: Kommen wir zu Ihrem neuen Tätigkeitsfeld. Ist es für Sie einfacher, schon bestehende, funktionierende Strukturen zu verbessern als etwas Neues aufzubauen, wo nichts oder nur wenig vorgegeben ist?
Dutt: Das kann man pauschal nicht beantworten. Wenn Dinge zu großen Teilen der eigenen Philosophie entsprechen, ist es sicherlich einfacher. Wenn man aber feststellen muss, dass die vorhandenen Standards und Strukturen nicht den eigenen Vorstellungen entsprechen, wird es problematisch. Aber beim DFB sind die Teilgebiete so breit gefächert, dass es genügend Spielfelder gibt, in denen man die eigenen Ideen ausleben kann. Und andere, die man dankbar als bestellt ansehen kann.
SPOX: Welche sind das?
Dutt: In der Trainer- und Fußballlehrerausbildung gab es erst vor wenigen Jahren eine tiefgreifende Reform. Das muss man nicht als erste Baustelle anfassen, hier besteht derzeit kein Optimierungsbedarf.
SPOX: Und welche Spielfelder haben Sie für Ihre Ideen ausgemacht?
Dutt: Ich bin noch in der Bestandsaufnahme, aber bis zum Jahresende habe ich mir die fußball-inhaltliche Arbeit zur Aufgabe gemacht. Das hat sich letztlich auch nach einem Telefonat mit Matthias Sammer ergeben. Hier gilt es, Dinge auf den Prüfstand zu bringen und zu aktualisieren. Bevor wir über alles andere sprechen, müssen wir über Fußballinhalte sprechen. Die Spielauffassung in den U-Mannschaften muss so sein, dass von unten bis oben zur A-Nationalmannschaft alles aufeinander aufbaut.
SPOX: Wie definieren Sie dabei Ihre Aufgabe?
Dutt: Ich bin zuständig für die Steuerung der Cheftrainer. Aus unseren Trainersitzungen muss sich der Fußball entwickeln. Da müssen wir Altbewährtes nochmal bestätigen und neue Methoden entwickeln. Und das kommt dann von allen, nicht nur von mir. Es wird nicht so sein, dass die U-Mannschaften in Zukunft ein Robin-Dutt-Training abhalten. Meine Aufgabe ist es, das Wissen unserer Experten aus den verschiedenen Teilbereichen zu bündeln und in ein einheitliches Konzept zu bringen.
SPOX: Hockey-Nationaltrainer Markus Weise hat in der "FAZ" ein bemerkenswertes Interview gegeben.
Dutt: Das habe ich gelesen.
SPOX: Darin fordert er unter anderem "Sport als Staatsangelegenheit". Sie repräsentieren den größten Sportverband Deutschlands in gewichtiger Position. Ist es demnach auch Ihre Aufgabe, so eine Forderung in Ihrer Funktion als Politiker zu unterstützen?
Dutt: Da kann es keine zwei Meinungen geben und ich kann diese These nur hundertprozentig unterschreiben. Man hätte schon zu meiner Schulzeit das Fach Sport aufwerten und dafür das eine oder andere Fach etwas kleiner halten können. Das hätte unter Umständen mehr Nutzen gehabt. Der Sport spielt gesellschaftlich und in der Persönlichkeitsentwicklung eine große Rolle. Eine größere noch als früher. Unsere Kinder sind bewegungsärmer geworden, es gibt zu viele "Indoor-Freizeitaktivitäten". Der DFB hat da sehr viele gute Projekte und Ideen am Laufen.
SPOX: Welche?
Dutt: Es gibt zum Beispiel die Idee der Juniorcoaches an Schulen. Das sind Schüler aus älteren Jahrgängen, die eine Basisausbildung bekommen und mit Kindern dann Fußball spielt. Spielen, nicht unterrichten! So wird das Alibi des Lehrkraftmangels außer Kraft gesetzt. Es gibt ein paar interessante Ansätze des DFB, die weiter verfolgt werden.
SPOX: Es gibt eine Ausbildung für Spieler und für Trainer. Aber keine für Sportdirektoren. Dabei ist das einer der wichtigsten Posten in einem Verein oder Verband.
Dutt: Ich kann nicht beantworten, warum es keine Ausbildung dafür gibt. Vermutlich, weil es den Job an sich erst später gab und weil es den Sportdirektor auch nicht in jedem Land gibt. In England zum Beispiel ist der Trainer auch Sportdirektor. Es stellt sich die Frage, was wir ausbilden wollen und was gefordert ist. Der eine Klub benötigt einen Betriebswirt, der andere eine Art Trainerkompetenz auf der Position. Es dürfte schwierig sein, Ausbildungsinhalte zu definieren. Dafür sind die Aufgabenprofile zu individuell. Der Sportdirektor beim DFB wird immer ein anderes Aufgabenfeld haben als der im Verein.
SPOX: Und wie der Job letztlich genannt wird, ist auch egal?
Dutt: Das ist egal. Allerdings gibt man durch den Zusatz "Direktor" dem Ganzen eine gewisse Wertigkeit, die helfen kann, verschlossene Türen zu öffnen.
SPOX: Der DFB hat 366 Stützpunkte oder Leistungszentren über das ganze Land verteilt. Und trotzdem schlüpfen immer mal wieder Spieler durch, wie etwa Philipp Wollscheid, der eher zufällig den Sprung aus der vierten Liga in die Bundesliga geschafft hat oder Oliver Sorg, der jetzt in der U 21 spielt, davor aber kein einziges U-Spiel gemacht hat. Wie kann das passieren?
Dutt: Wir haben neulich mit der U 21 gegen Bosnien-Herzegowina 4:4 gespielt. Bosnien-Herzegowina hat zirka 4,5 Millionen Einwohner, Deutschland über 80 Millionen. Wir haben 26 oder 27 Stützpunktkoordinatoren. Teilen wir diese 80 Millionen jetzt dadurch, kommen wir pro Stützpunktkoordinator auf rund drei Millionen. Das bedeutet: Jeder Stützpunkt hat fast so viel Potenzial wie das gesamte Land Bosnien-Herzegowina. Wenn wir nur diese Talente zur Verfügung haben, schaffen wir es, dass sie gegen Deutschland 4:4 spielen. Wenn man aber so einen Luxus an Talenten besitzt wie wir, wird die Messlatte ungeheuer hoch angelegt. Erfüllt dann einer mal die Anforderungen nicht, fällt er aus dem Raster. Das heißt im Umkehrschluss: Es gibt nicht den einen klassischen Stil, auf dem man hoch kommt bis zur A-Nationalmannschaft. Sondern wir akzeptieren auch, dass es andere Werdegänge gibt. Den vom Musterschüler über den, der aus dem Leistungszentrum kommt, bis hin zum Quereinsteiger.
SPOX: Was ist die Schlussfolgerung daraus?
Dutt: Wir müssen jedem Stützpunktkoordinator klarmachen: "Nur du hast diese Talente. Aus denen müssen wir in zehn Jahren eine A-Nationalmannschaft stellen. Es reicht nicht, wenn du einen rausbringst. Du musst elf Nationalspieler formen!"
SPOX: Damit wird die Spitze noch weiter nach oben getrieben.
Dutt: Und wer sagt, wann die Spitze erreicht ist? Das schwierigste an der Talentförderung ist die Talentprognose. Wer kann heute schon sagen, was aus dem 14-Jährigen morgen wird? Es ist unwahrscheinlich schwierig, dass da gar keiner auch mal durchs Raster fällt. Es gibt kein Patentrezept. Das einzige, was man immer wieder sagen kann, ist: "Bilde so aus, als würden deine Spieler morgen in der A-Nationalmannschaft auflaufen."
SPOX: Verfolgen Sie, um diese Förderung zu gewährleisten, eine einheitliche Linie in Bezug auf die U-Trainer-Steuerung, sprich: Soll ein Trainer immer einer U-Mannschaft zugeteilt sein oder soll er mit einer Mannschaft mitlaufen, sie also beispielsweise von der U 15 bis zur U 17 betreuen?
Dutt: Das war eins der Themen, die wir besprochen haben. Meine feste Meinung ist, dass man das nicht pauschalisieren kann. Das müssen wir von Fall zu Fall entscheiden, ob ein Trainer eine Mannschaft abgibt oder mit ihr in die nächste Altersstufe wechselt. Das müssen wir von Mannschaft zu Mannschaft und von Jahr zu Jahr immer wieder neu überprüfen.
SPOX: Was in der Evaluierung aber mit erheblichem Aufwand verbunden sein wird.
Dutt: Das ist eine Sache, bei der ich nicht kompromissbereit bin: Guten Fußball erreicht man nur durch großen Aufwand. Auf und neben dem Platz. Wem der Aufwand zu groß ist, der hat in diesem Geschäft nichts zu suchen. Man muss fleißig sein und vielleicht auch unbequem, Dinge auch noch ein drittes Mal hinterfragen. Auch wenn es Zeit und Nerven kostet.
SPOX: Auf welches Teilgebiet der Ausbildung sollte man in naher Zukunft den Fokus legen?
Dutt: Man sollte auf gar keinen Fall nur eine Sache rauspicken. Der Fußball wird immer beeinflusst durch die vier großen Bausteine Taktik, Athletik, Technik und Persönlichkeit. Sobald wir einen Bereich zu sehr akzentuieren, werden wir einen anderen vernachlässigen müssen. Deutschland gehört auch deshalb zu den Positionen eins bis vier auf der Welt, weil wir in allen Bereichen ausbilden und darin auch gut sind. Spanien ist in jedem Bereich vielleicht noch einen Tick besser, weil sie zehn Jahre früher damit angefangen haben, diesen Stil zu entwickeln.
SPOX: Früher gab es noch deutsche Mannschaften, die fast ausschließlich dank Athletik und Kampf weit gekommen sind bei Turnieren.
Dutt: Das alleine reicht nicht mehr. Wir können nicht alles auf den Kampf konzentrieren, dann merken, dass es nicht genügt und plötzlich nur noch an der Technikausbildung feilen und dann wiederum feststellen, dass wir auf einmal zu viele Gegentore bekommen. Dann also wieder: Abwehrarbeit verstärken! Und plötzlich schießen wir keine Tore mehr... Wir müssen ausgewogen arbeiten.
SPOX: In den Niederlanden teilen sich einige Amateurklubs die Nachwuchszentren, weil der Unterhalt für einen einzelnen Verein schlicht zu teuer ist. Ist das auch ein denkbares Modell für den deutschen Mittelstand, die Regionalligen oder Oberligen?
Dutt: Wir sollten das Verbundsystem weiter stärken. Da gibt es den Verein, den DFB-Stützpunkt und den Landesverband, die im Verbund zusammenarbeiten. Idealerweise haben die Vereine dann auch noch Partnervereine. Dann kann zum Beispiel ein Spieler aus Ravensburg einmal pro Woche beim Training in Freiburg teilnehmen, obwohl er für Ravensburg spielberechtigt ist.
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SPOX: Eines Ihrer Themen wird unweigerlich auch sein, sich mit anderen Verbänden auseinanderzusetzen, wenn es darum geht, Spieler mit Migrationshintergrund für Deutschland zu gewinnen. Wie wollen Sie das heikle Thema handhaben?
Dutt: Indem ich mich mit dem jeweiligen Spieler persönlich austausche. Man darf nicht egoistisch denken und sagen: "Ich hätte den Spieler gerne für mich." Es gibt immer zwei Beweggründe für einen Spieler: Der eine ist die Emotionalität, der andere die sportliche Perspektive. Die sind bei jedem anders ausgeprägt. Es macht überhaupt keinen Sinn, dem Spieler alles zu versprechen, nur damit er für Deutschland spielt. Wir haben schon Spieler eingebürgert und die haben dann ein Spiel oder gar keins gemacht für Deutschland. Ich erinnere an Sean Dundee oder Paolo Rink.
SPOX: Ein schmaler Grat.
Dutt: Um die, die hier aufgewachsen sind und sich auch zu einem großen Teil als Deutsche fühlen und für Deutschland spielen wollen, werden wir kämpfen. Aber wenn sich einer nicht richtig entscheiden kann, muss man ihn auch nicht fesseln. Wir sind multikulturell geworden, der Sportdirektor hat einen indischen Vater. Ich fühle mich aber als Deutscher, meine einzige Muttersprache ist deutsch. Man muss die Überzeugung haben. Die muss nicht immer mit Symbolen verbunden sein.
SPOX: Sie meinen unter anderem die Hymnen-Debatte.
Dutt: Du musst gerne für dieses Land spielen. Und nicht, weil's sportlich grad mal so reinpasst. Das finde ich sehr wichtig.
SPOX: Waren Sie überrascht, dass ein Spieler wie Samed Yesil mit gerade mal 18 Jahren von Leverkusen nach Liverpool wechselt?
Dutt: Das gehört jetzt wohl auch zu meinen Aufgaben, bei Statements zu solchen Dingen diplomatisch zu sein: Das obliegt der Hoheit des Vereins.
SPOX: Und wenn Sie nicht diplomatisch antworten?
Dutt: Ich hätte mir grundsätzlich gewünscht, dass ein U-19-Nationalspieler hier vor der Haustüre bei einem deutschen Verein spielt. Natürlich kann er sich auch im Ausland entwickeln. Aber von mir aus hätte er ruhig in der Bundesliga spielen können.
SPOX: Aus welchen Komponenten setzt sich das Anforderungsprofil eines Profis heute zusammen?
Dutt: Ganz wichtig geworden ist die Persönlichkeitsstruktur. Die mentalen Anforderungen an den Spieler sind sehr hoch geworden, das Spiel ist taktisch komplexer geworden. So komplex, dass es manchmal für den ‚normalen' Zuschauer nicht immer nachzuvollziehen ist. Das Spiel ist athletischer geworden, es werden mehr Spiele absolviert. Gerade auf Nationalspielern liegt ein enormer medialer Fokus. Deshalb ist eine gewachsene Persönlichkeitsstruktur unheimlich wichtig.
SPOX: Das kann ja aber nicht alles sein.
Dutt: Ich persönlich bleibe dabei, dass die Technikausbildung der Hauptschwerpunkt sein muss. Andere Dinge sind leichter zu kaschieren als eine fehlende oder unzureichende Technik. Ein langsamer Spieler kann seine Schnelligkeitsdefizite durch Antizipationsfähigkeit kompensieren. Ein Spieler, der nicht ausdauernd ist, kann das durch ökonomische Spielweise kompensieren. Ein Spieler, der individualtaktisch nicht so gut ist, kann durch Kampfgeist einiges wettmachen. Aber bei der guten Defensivorganisation und dem guten Pressingverhalten der Mannschaften heute musst du den Ball auf engem Raum und bei Raum- und Gegnerdruck beherrschen können. Sonst wird das auf dem höchsten Niveau nicht reichen.
SPOX: Wieso gibt es im Weltfußball allgemein und in Deutschland im Speziellen so einen Mangel an guten Außenverteidigern?
Dutt: Weil sich Spielpositionen vermischt haben und dies im Zuge der verbesserten spielerischen Ausbildung der letzten 20 Jahre dazu geführt hat, dass sich die Positionen immer mehr angenähert haben. Der Manndecker von früher ist heute schon fast der Spielmacher. Die Innenverteidiger heute müssen auch Liberoqualitäten von früher haben. Außenverteidiger und Sechser müssen spielstark sein. Wir reden von Außenverteidigern. Aber sind das überhaupt noch Verteidiger? Maximal noch zur Hälfte, die andere Hälfte ist ein Rechtsaußen. Philipp Lahm ist eine Mischung aus Manni Kaltz und Rüdiger Abramczik.
SPOX: Bei den Stürmern gibt es zumindest in Deutschland ein ähnlich gelagertes Problem.
Dutt: Das ist eine Mangelposition. Wir sind noch nicht so weit wie die Spanier, die Torres draußen lassen können und dann mit Fabregas im Zentrum spielen. Das ist ein Trend, aber der wird wieder einen Gegentrend auslösen. Die grundsätzliche Frage, wie man den Problemen Herr werden kann, stellen sich die Trainer natürlich auch.
SPOX: Was sind die Lösungsansätze?
Dutt: Wir spielen derzeit in einem 4-2-3-1, in den U-Mannschaften ebenfalls. Sollen wir da jetzt auf ein 4-4-2 umstellen? Das würde bedeuten, dass wir einen Ausbildungsplatz mehr auf der Position des Angreifers einfordern. Damit wird rechnerisch die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass wieder mehr Stürmer ausgebildet werden. Aber dann stellt man vielleicht irgendwann fest, dass dadurch der klassische Spielmacher zu kurz kommt und fehlt. Der hat eine Zeit lang im deutschen Fußball gefehlt, das hat man erkannt und gehandelt. Dann hat sich ein neuer Typ entwickelt mit Mesut Özil an der Spitze. Der ist 24, kann also noch zehn Jahre A-Nationalmannschaft spielen. Und dahinter gibt es Reus, Götze, Holtby, die alle in ihren Klubs schon international spielen. So wird es mit den Außenverteidigern und den Stürmern auch sein. Nur dauert das jetzt eben eine Weile, bis man die Früchte ernten kann.
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