Im Interview mit SPOX und Goal spricht der frühere Nationalspieler und Bayern-Profi Dietmar Hamann über die Arbeit von Julian Nagelsmann, die Zukunft von Niklas Süle, Karim Adeyemi und Erling Haaland sowie die Notwendigkeit eines echten Financial Fairplay.
Herr Hamann, zuletzt sagte Wolfgang Holzhäuser bei SPOX und Goal, es dürfe nicht immer schon im Oktober der deutsche Meister feststehen. Droht der Bundesliga erneut Langeweile im Meisterkampf?
Dietmar Hamann: Die letzten zwei, drei Jahre war es ja anders. Diese März-Meisterschaften gab es da Gott sei Dank nicht. Die Bayern waren natürlich in den ersten Wochen sehr dominant. Aber das kann sich schnell ändern, wie man am Sonntag gesehen hat. Ich denke schon, dass die Niederlage gegen Frankfurt den anderen ein Stück weit Auftrieb gibt. Wir wünschen uns alle eine enge Bundesliga. Aber da müssen die Bayern mitspielen. Wenn sie so spielen, wie die ersten sechs Spiele, dann wird es schwer sein für die anderen, Schritt zu halten mit ihnen. Daher haben die Fußball-Fans, ausgenommen die Bayern-Anhänger, ein Stück weit aufgeatmet am Sonntag.
Wie sehen Sie Julian Nagelsmanns Arbeit bis jetzt?
Hamann: Sehr gut. Mich hat es sehr überrascht, in welcher brillanten Form sie waren die ersten Wochen. Sie haben auch gegen Frankfurt wenig falsch gemacht, nur ihre Chancen nicht genutzt. Wenn du einen Trainer ersetzt, der unheimlich beliebt war wie Hansi Flick, dann ist das immer problematisch. Wie Julian Nagelsmann das geschafft hat, war hervorragend. Aber es sollte uns nicht überraschen, weil er es ja schon in Hoffenheim und Leipzig erfolgreich gemacht hat.
Er ist immerhin erst 34 Jahre alt...
Hamann: Ich glaube, die Alters-Thematik ist eher was fürs Ausland. Wir kennen ihn ja jetzt schon sechs, sieben Jahre. Mit 28 Jahren hat er die Hoffenheimer übernommen, als sie mit dem Rücken zur Wand standen, hat sie gerettet. Zwei Jahre später war er dann in der Champions League. Alles, was er gemacht hat, hat funktioniert und er hat Erfolg gehabt. Natürlich sind die Merkmale, die die Aufgabe jetzt hat, andere, als in Hoffenheim oder Leipzig. Dort hat er Spieler ausgebildet. Aber das heißt ja nicht, dass er, wenn er das eine kann, das andere nicht kann. Ich muss sagen: Ich bin schwer beeindruckt.
imago imagesHamann: "Das widerlegt Süle jetzt alles"
Überzeugen konnte zuletzt auch Niklas Süle, der bei einigen schon abgeschrieben war.
Hamann: Nagelsmann scheint das Beste aus Süle rauszuholen. Das war schon in Hoffenheim so. Ich glaube, dass viele erleichtert sein werden in München. Denn es stand ja immer seine mangelnde Fitness im Raum. Aber das widerlegt Süle jetzt alles. Der Trainer scheint den Draht zu ihm zu haben.
Sein Vertrag läuft im Sommer aus. Würden Sie mit ihm verlängern?
Hamann: Die Frage ist, mit wem du ihn ersetzen willst? Man hat Boateng und Alaba ablösefrei verloren. Wer ist besser als Süle, wenn er so spielt, wie im Moment? Ich weiß, dass man über Rüdiger spricht. Aber ich würde ihn dem Süle nicht vorziehen. Wenn du im Ausland nach Ersatz suchst, dann bist du gleich bei 40, 50 Millionen Ablöse. Deswegen liegt es an Süle. Ich sehe keinen Grund, warum man nicht verlängert, wenn er das will.
Ein anderer Bayern-Profi, der zuletzt überzeugen konnte, ist Leroy Sane. Noch bei der EM und auch danach war er in München ausgepfiffen worden, auch Sie hatten ihn kritisiert...
Hamann: Ich habe ihn aber auch ein Stück weit verteidigt. Das, was da passiert ist, hatte er nicht verdient: ihn auszupfeifen und als Sündenbock hinzustellen. Meiner Meinung nach war der Trainer der größte Schuldige bei der Europameisterschaft. Ich halte auch nichts davon, immer die Körpersprache anzuprangern. Die besten Spieler schleichen oft über den Platz. Umso mehr sie schleichen, umso weniger du sie siehst, desto gefährlicher sind sie. Das ist bei Sane ähnlich. Er hat nun ein anderes Selbstvertrauen und fühlt sich gewertschätzt vom Trainer. Wenn die Fans das auch noch honorieren, dann kommen solche Leistungen zustande. Deswegen freut es mich für ihn, ähnlich wie für Süle.
Ist der Bayen-Kader dennoch zu klein, um auf drei Hochzeiten zu tanzen?
Hamann: Man muss schauen, was passiert, wenn mal ein, zwei Spieler verletzt sind von der ersten Elf. Weil Nagelsmann will doch oft mit derselben Mannschaft, mit dem selben Rückgrat spielen. Aber ich glaube, dass die das schon hinbekommen. Den Vorteil, den die Bayern gegenüber anderen Mannschaften haben: dass sie viele Spiele schon nach 60 Minuten für sich entschieden haben. Gefühlt sind es nochmal fünf oder sechs Spiele weniger, wenn du ein oder zweimal im Monat eine halbe Stunde abziehen kannst, wenn du 3:0 oder 4:0 führst. Ja, sie hätten vielleicht noch einen brauchen können hinten rechts oder in der Innenverteidigung. Aber ich glaube, im Großen und Ganzen sind sie sehr gut aufgestellt.
Hamann: "Ich hätte Sabitzer nicht geholt"
Wie wichtig war in diesem Zusammenhang der Transfer von Marcel Sabitzer?
Hamann: Ich muss ganz ehrlich sagen: Ich hätte ihn nicht geholt. Oder nur, wenn Tolisso gegangen wäre. Das hat mich etwas überrascht.
Wieso?
Hamann: Mir ist er zu undiszipliniert. Die Frage ist auch, was seine beste Position ist. Auf der Acht schießt er wahrscheinlich nicht genügend Tore. Auf der Sechs ist er mir zu hitzköpfig, weil da braucht man jemanden, der Ruhe ausstrahlt. Es ist nicht einfach, wenn du als gestandener Spieler zu Bayern kommst und im Moment die Nummer 12 bis 14 bist. Wenn du das nicht gewohnt bist - er war ja die letzten fünf, sechs Jahre kein Einwechselspieler -, dann ist das keine einfache Situation. Ich bin gespannt, wie er das die nächsten Wochen macht.
Salzburg-Angreifer Karim Adeyemi wird immer wieder mit einer Bayern-Rückkehr in Verbindung gebracht. Würde das passen?
Hamann: Er hat ja gesagt, dass er vielleicht mal gerne zurückgehen würde. Ich glaube, dass die Bayern sehr gute Karten haben und möglicherweise auch schon vorgefühlt haben. Was der Junge macht in seinen jungen Jahren, ist sensationell. Da haben die Unterhachinger einen Diamanten entdeckt und entwickelt. Ich glaube, sie partizipieren ja auch noch mit 25 Prozent an der Ablöse, die die Salzburger generieren. Deswegen wird das die Hachinger freuen. Das wäre natürlich optimal: Du hast einen Lewandowski da, der noch ein, zwei, drei Jahre seine Tore schießt. Und du hast einen Jungen nächstes oder übernächstes Jahr da, der ihm zuschauen kann und dann möglicherweise mal die Rolle übernimmt. Deswegen würde es mich schwer wundern, wenn der nächste Verein von ihm nicht die Bayern wären.
Wie sehen Sie die Situation von Erling Haaland? DFL-Chef Seifert hat berichtet, ihm sei von einem internationalen Medienmanager empfohlen worden, dass alle Vereine zusammenlegen, damit die Bundesliga nicht den nächsten Superstar verliert...
Hamann: Irgendwann wird er nach England gehen, er ist ja dort geboren und aufgewachsen. Und es sind dort einfach größere Mittel vorhanden. Da braucht die Bundesliga nicht zusammenzulegen, sondern da muss die UEFA tätig werden. Der Wettbewerb lebt von der Chancengleichheit, deswegen hoffe ich, dass irgendwann etwas passiert und die Pariser und Engländer nicht weiter ihr Geld rauswerfen können. Sonst wird es unmöglich, die besten Spieler in Deutschland zu halten.
gettyHamann: Financial Fairplay? "UEFA muss einschreiten"
Karl-Heinz Rummenigge hat immerhin gesagt, die Superleague ist tot. Sehen Sie das genauso und muss jetzt das konsequente Financial Fairplay kommen, um wieder für etwas mehr Fairness zu sorgen?
Hamann: Ja, das muss kommen. Wenn Bayern, Juventus und PSG jeweils zehn Mal in Folge Meister werden, sagen die Leute vielleicht in ein paar Jahren: Bitte gebt uns die Superleague. Wir müssen jetzt die Schrauben drehen, dass Dortmund oder Leverkusen mal Meister wird oder zumindest die Chancengleichheit wieder gegeben ist. Deshalb muss die UEFA da einschreiten.
Abschließend: Wie bewerten Sie die Entwicklung der Nationalmannschaft unter Hansi Flick?
Hamann: Die letzten Spiele haben ordentlich ausgeschaut, aber die musste man auch gewinnen. Ein Anfang ist gemacht, aber wir müssen uns vor allem defensiv stabilisieren. Gegen die besten Gegner brauchen wir ein Innenverteidiger-Pärchen, mit dem wir international konkurrenzfähig sind. Außerdem sehe ich das Comeback von Marco Reus problematisch.
Inwiefern?
Hamann: Erst sagt er im Sommer, er spielt die EM nicht. Jetzt ist er wieder da, das birgt meiner Meinung nach Konfliktpotenzial. Als Mitspieler täte ich mich schwer, wenn einer plötzlich wieder da ist, der im Sommer gefehlt hat, wo wir ihn gebraucht hätten. Bei der WM wird ist er nochmal 18 Monate älter sein, daher dachte ich, seine Nationalmannschaftskarriere wäre beendet gewesen. Deshalb kann ich mir vorstellen, dass einige Spieler die Situation kritisch bewerten.
Wie sollte man die Problematik lösen?
Hamann: Das muss der Trainer machen, er hat ihn ja zurückgeholt. Reus hat gegen Ende der Saison mit den besten Fußball im Verein gespielt und dann stellt er sich hin und sagt, er muss regenerieren. Und eineinhalb Jahre später soll er der Mannschaft weiterhelfen, das verstehe ich nicht. Aber ich muss es ja auch nicht verstehen.
WM-Qualifikation: Gruppe J mit Deutschland
Rang | Mannschaft | Sp. | S | U | N | Tore | Diff. | Pkt. |
1 | Deutschland | 6 | 5 | 0 | 1 | 17:2 | 15 | 15 |
2 | Armenien | 6 | 3 | 2 | 1 | 7:9 | -2 | 11 |
3 | Rumänien | 6 | 3 | 1 | 2 | 9:6 | 3 | 10 |
4 | Nordmazedonien | 6 | 2 | 3 | 1 | 11:6 | 5 | 9 |
5 | Island | 6 | 1 | 1 | 4 | 6:14 | -8 | 4 |
6 | Liechtenstein | 6 | 0 | 1 | 5 | 2:15 | -13 | 1 |