Pep Guardiolas Abenteuer in Sinaloa: Praxissemester in der Kokainhochburg

Kerry Hau
18. Januar 202116:42
SPOXgetty
Werbung

Bevor Pep Guardiola ins Trainergeschäft einstieg, ließ er seine Spielerkarriere im vom Drogenkrieg heimgesuchten Sinaloa ausklingen. Wie es zu diesem außergewöhnlichen Schritt kam - und warum er ihn bestmöglich auf seinen Durchbruch als Coach beim FC Barcelona vorbereitete.

Pep Guardiola hatte im Dezember 2005 eigentlich schon einen Schlussstrich gezogen. Angebote aus der Premier League von Wigan Athletic und seinem heutigen Arbeitgeber Manchester City? Egal. Der einstige Mittelfeldstratege des FC Barcelona wollte sich, auch weil sein Körper nicht mehr so recht mitmachte, von seiner aktiven Karriere verabschieden und das nächste Kapitel aufschlagen - das des Trainers Guardiola.

Der 34-Jährige besuchte schon erste Kurse in Madrid, als eines Wintertages plötzlich das Telefon klingelte. Eine mexikanische Nummer leuchtete auf dem Display auf, Guardiola hob ab - und hörte eine vertraute Stimme.

Die von Juanma Lillo. Einem spanischen Trainer, der damals den abstiegsbedrohten mexikanischen Erstligisten Dorados de Sinaloa betreute - und den just von seiner eher fragwürdigen "Abschiedstournee" durch Katar in die Heimat zurückgekehrten Guardiola nun aus heiterem Himmel um einen Rücktritt vom Rücktritt bat.

Guardiola zögerte nicht lange. Wenige Wochen nach dem Telefonat, kurz nach Weihnachten, waren sämtliche Trainerlehrgänge auf Eis gelegt und ein One-Way-Flugticket nach Culiacan gebucht. Und zwar nicht, weil es dort besonders schön war. Im Gegenteil: Die 675.000-Einwohner-Stadt am Golf von Kalifornien war die so ziemlich verstaubteste und obendrein auch noch gewalttätigste Ecke im mexikanischen Bundesstaat Sinaloa.

Juanma Lillo: Der unbekannte Mentor von Pep Guardiola

Dort befand sich eine der größten Kokainhochburgen der Welt, kontrolliert und dominiert von dem weltberühmten "Narco" Joaquin Guzman alias "El Chapo". Aber eben auch das neue Zuhause von Juanma Lillo - was Guardiolas Herz automatisch höher schlagen ließ. Lillo war in seinen Augen nämlich nicht irgendein Trainer. Er war, Johan Cruyff und Marcelo Bielsa mal außen vor, der Trainer schlechthin für ihn. Eine Leitfigur, die ihn schon zu seiner Zeit als Barca-Profi in seinen Bann gezogen hatte.

Dabei war dieser nie für die Katalanen oder irgendeinen anderen Top-Klub in Spanien tätig gewesen. Genau das imponierte Guardiola aber. Lillo schaffte es mit geringen wirtschaftlichen Mitteln, ansehnlichen Fußball spielen zu lassen. Sein größtes Meisterwerk vollbrachte er gleich zu Beginn seiner Laufbahn als Profitrainer, als er den Provinzklub Salamanca binnen zwei Jahren von der dritten bis in die erste Liga führte. Mit nicht einmal 30 Jahren.

"Als ich 15 war, sagte mein damaliger Trainer zu mir: 'Juanma, ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht. Die schlechte ist: Du bist als Fußballer scheiße. Die gute ist: Du hast etwas, was man im Fußball braucht. Deine Mitspieler hören auf dich.' Also wollte ich fortan nur noch Trainer sein", sagt Lillo über sich.

Guardiolas Versprechen: "Da blieb mir fast die Spucke weg"

Mehr als sein Alter beeindruckte aber die Spielweise, die er seinen Mannschaften einimpfte. Lillo verschrieb sich ganz dem "Cruyffismus": Er legte sein Augenmerk vor allem auf Defensivspieler, die mit dem Ball umgehen konnten und etwaige körperliche Defizite mit Übersicht und Antizipation ausglichen.

Wer als Innenverteidiger oder Sechser nicht zu einem vernünftigen Aufbauspiel fähig war, hatte unter ihm keine Chance. Guardiola, der ein solcher Typ Fußballer war, zeigte sich begeistert von Lillos Mut, Ästhetik eine mindestens genauso hohe Bedeutung beizumessen wie Effizienz.

Nach dem ersten Ligaspiel der Saison 1996/97 zwischen dem von Lillo trainierten Real Oviedo und Barca fasste er den Entschluss, persönlichen Kontakt zu dem Trainer herzustellen. "Einer meiner Assistenten klopfte an unsere Kabinentür und fragte mich, ob ich Interesse daran hätte, mit Pep zu sprechen", erinnert sich Lillo.

"Wir hatten 2:4 verloren, ich war enttäuscht, doch natürlich dachte ich mir: Wie soll ich bitteschön jemandem ein Gespräch verweigern, den ich als Spieler so bewundere?" Also kam Pep herein, sprach uns ein großes Lob für unsere Leistung aus und sagte zu mir, er wolle den Kontakt mit mir aufrechterhalten."

Doch damit nicht genug: "Er teilte mir vor unserer Verabschiedung mit, dass er seine Karriere nicht beenden werde, bevor er nicht einmal für eine Mannschaft gespielt hat, die ich trainiere. Da blieb mir fast die Spucke weg."

Es war der Beginn einer engen, bis heute intakten Freundschaft. Denn Lillo gehört mittlerweile Guardiolas Trainerstab bei Manchester City an. "Ich bin für ihn da, er ist für mich da", sagt er. "So läuft das." Deshalb war sich Guardiola auch neun Jahre nach seiner ersten Begegnung mit dem ebenfalls aus Katalonien stammenden Fußballfachmann nicht zu schade, sein Versprechen zu erfüllen.

Er verlagerte seinen Lebensmittelpunkt ins umstrittene Sinaloa. Dorthin, wo er so wenig verdiente wie an keinem anderen Ort zuvor, sofern er denn wegen finanzieller Nöte der Dorados überhaupt Geld überwiesen bekam. Wo er mit seinen Mitspielern hin und wieder in städtischen Parks trainieren musste, weil die Trainingsplätze des Vereins nicht angemessen gepflegt wurden. Wo Schießereien und Attentate auf offener Straße der Tagesordnung angehörten.

"Guardiola kam zu einer besonders gefährlichen Zeit hierher, es war alles andere als sicher", erinnert sich der damalige Dorados-Präsident Juan Antonio Garcia. "Doch das versuchte er auszublenden. Er konzentrierte sich auf die Arbeit. Er war da, um von und mit Juanma zu lernen."

Pep Guardiola in Sinaloa: Mehr Trainer als Spieler

Das Duo habe sich "den ganzen Tag über Fußball unterhalten", und Guardiola sich "wie ein besessener Student" verhalten, berichtet Elisio Martinez, zu jener Zeit Vereinsbetreuer und persönlicher Fahrer des Neuzugangs. Lillo behauptet, sein fünf Jahre jüngerer Freund Pep habe schon damals "wie ein Trainer gedacht". Seiner späteren Entwicklung sei es zuträglich gewesen, "ohne Druck von außen in die Praxis hineinzuschnuppern".

So zitierte der Ex-Barca-Star nach fast jeder Trainingseinheit noch ein paar Mitspieler zu sich, um individuell mit ihnen zu arbeiten. Sebastian Abreu, ein alles andere als unerfahrener Angreifer aus Uruguay, bekam besonders viele Nachhilfestunden. "Pep gefiel meine Ballannahme nicht", erzählt Abreu in einer bei ESPN ausgestrahlten Dorados-Doku.

"Immer, wenn ich den Ball annahm, kam er zu mir und sagte: 'Pass auf, Loco: Wenn du das so machst, verlierst du drei Sekunden.' Ich dachte, der Typ hat sie nicht alle. Aber er kam immer wieder zu mir und sagte: 'Wenn ich das einem Spieler wie Romario erfolgreich verklickert habe, dann kriege ich das mit dir auch hin.' Irgendwann willigte ich ein und verbesserte mich."

Guardiola sollte in Mexiko tatsächlich mehr in die Rolle des Trainers schlüpfen als in die des Spielers. Verletzungsbedingt reichte es nur zu zehn Einsätzen, wodurch er Lillos Mannschaft nicht vor dem bitteren Gang in die zweite Liga bewahren konnte. Für sich selbst nahm er aber viel mit - nicht nur im Hinblick auf seine Karriere als Trainer.

Er knüpfte fernab des Platzes viele Freundschaften. Zum Beispiel zu Rodolfo Jimenez, dem Besitzer des "Cafe Miro", in dem sich Guardiola häufig zu Teambuildingzwecken mit Mitspielern traf.

Juanma Lillo (r.) arbeitet heute als Co-Trainer von Pep Guardiola bei Manchester City.imago images / PA Images

"Pep hat das dreckige Geschirr in die Küche getragen"

"Pep hat immer für alle bezahlt", verrät Jimenez. "Manchmal hat er sogar den Tisch abgeräumt und das dreckige Geschirr in die Küche getragen. Ein feiner und fröhlicher Kerl." An manchen Abenden sei Guardiola auch allein gekommen, "um in Ruhe ein Buch zu lesen und einen Rotwein oder ein Bier zu trinken".

Daran, irgendwann einmal einer der besten Trainer aller Zeiten zu sein, dachte er dabei offensichtlich noch nicht. "Er hat zu mir immer nur gesagt, dass er davon träumt, ein paar Nachwuchsspieler bei Barca zu trainieren", so Jimenez.

Dieser Traum wurde Realität. Nach seinem halbjährigen Intermezzo in Culiacan kehrte er im Sommer 2006 nach Madrid zurück, um seine Trainerlizenz zu erwerben. Ein Jahr später ernannte ihm Barcas Präsident Joan Laporta zum Trainer der zweiten Mannschaft, die er prompt von der vierten in die dritte spanische Liga führte.

Zur Belohnung beerbte er den entlassenen Proficoach Frank Rijkard. Der Rest ist Geschichte.

Pep Guardiola: Seine Karriere-Stationen

Als Spieler
FC Barcelona (1991 - 2001)
Brescia Calcio (2001 - 2002)
AS Rom (2002 - 2003)
Al-Ahli SC (2003 - 2005)
Dorados de Sinaloa (2006)
Als Trainer
FC Barcelona B (2007 - 2008)
FC Barcelona (2008 - 2012)
FC Bayern München (2013 - 2016)
Manchester City (2016 - heute)