Reiner Plaßhenrich spielte mit Alemannia Aachen einst vor vollem Haus in der Bundesliga. Seit 2013 ist er Co-Trainer an alter Wirkungsstätte. Der 38-Jährige sprach mit SPOX über den sportlichen Abstieg, den Tivoli und die Arbeit im Jugendbereich.
SPOX: Herr Plaßhenrich, am 8. Februar 2015 bebte der Tivoli. 30.000 begeisterte Fans, was gleichzeitig einen neuen Zuschauerrekord für die Regionalliga bedeutete, feiern den Sieg von Alemannia Aachen gegen Rot-Weiss Essen. Erinnerte Sie dieses Fußballfest an fast vergessene Tage in Aachen?
Plaßhenrich: Absolut. Diese Stimmung im Stadion weckte nicht nur in mir Erinnerungen an Zeiten, in denen wir in der Bundesliga spielten. Als wir zu meiner aktiven Zeit noch zu Auswärtsspielen fuhren, wurden wir oft mit "Hurra, das ganze Dorf ist da"-Rufen begrüßt. Bei diesem Spiel kann ich aber wirklich behaupten, dass die ganze Stadt auf den Füßen war.
SPOX: Viele Aachener Fans trafen sich schon einige Stunden vor dem Spiel zum "Einsingen" und sorgten für eine lange nicht dagewesene Atmosphäre. Haben Sie sich mit einer Gänsehaut erwischt?
Plaßhenrich: Es gab definitiv solche Momente. Insbesondere weil viele Lieder zu hören waren, die zu den glorreichen Tagen am alten Tivoli gesungen wurden. Noch dazu eroberten wir die Tabellenführung. Es war ein richtig geiles Wochenende für uns.
SPOX: Wenn man die Begeisterung der Zuschauer beim diesem Spiel betrachtet, scheinen die Menschen wieder voll hinter der Alemannia zu stehen. Das war in jüngster Vergangenheit nicht immer so.
Plaßhenrich: Es wurde in Aachen in den letzten Jahren viel Erde verbrannt und ein Menge Vertrauen zerstört. Wie man sieht, sind wir derzeit auf einem guten Weg, dieses Vertrauen wieder zurückzugewinnen. Die Menschen spüren, dass wir eine vernünftige Arbeit leisten.
SPOX: Ende 2012 war der Verein pleite und musste daraufhin die Insolvenz beantragen, die sich weit bis ins Jahr 2013 zog. War vernünftiges Arbeiten in dieser Zeit überhaupt möglich?
Plaßhenrich: Die Insolvenz war ein zweischneidiges Schwert. Einerseits war es eine sehr ruhige Phase für den Verein, weil die Gläubiger sehr kompromissbereit waren. Andererseits war eine große Überzeugungskunst notwendig, denn der Termin für das Verfahren war etwas später als der Zeitpunkt, zu dem wir den Kader für die Saison 2013/14 zusammenstellen mussten. Das war für die Geldgeber schon mit einem gewissen Risiko verbunden. Die Gläubiger, die ihre Unterstützung zugesagt haben, haben diesen Schritt aber nicht bereut.
SPOX: Einen großen Anteil an der hohen Verschuldung des Vereins hatte der Bau des neuen Tivolis. War der Neubau im Nachhinein gesehen ein großer Fehler?
Plaßhenrich: Langfristig gesehen war der neue Tivoli der richtige Schritt. Ich glaube nicht, dass man den alten Tivoli so hätte renovieren können, dass wir im Profifußball überlebt hätten. Schon zu der Zeit, als ich im Tivoli auflief, musste man viel Geld in das Stadion stecken, um überhaupt noch Zuschauer reinlassen zu dürfen. Irgendwann ging das nicht mehr. Am alten Standort eine für alle Beteiligten annehmbar Lösung zu finden, war nicht möglich. Der neue Tivoli war alternativlos.
SPOX: Durch den Verlust des alten Tivolis hat man ein traditionsreiches Kapitel der Aachener Fußballgeschichte geschlossen. Hat der Verein dabei auch ein Stück seiner Seele verloren?
Plaßhenrich: Der Mythos Tivoli hat durch den Umzug sicherlich etwas gelitten. Man sollte aber nicht vergessen, dass es auch anders hätte laufen können. Wäre das erste Spiel im neuen Tivoli mit 5:0 gewonnen und nicht 0:5 verloren gegangen, dann hätte jeder sofort die positive Stimmung aus dem altem mit in das neuen Stadion genommen. So schwebte von Beginn an ein negativer Touch über dem neuen Tivoli, welcher durch viele gute Ergebnisse immer mehr verflogen ist.
SPOX: Der Verein hat sich inzwischen neu aufgestellt. Mit Alexander Klitzpera als Geschäftsführer Sport wurde jetzt ein weiterer Ex-Aachener ins Boot geholt. Wie wichtig ist es für den Verein, ehemalige Spieler auch über die Spielerkarriere zu halten?
Plaßhenrich: Ein Ex-Profi hat definitiv Vorteile gegenüber jemanden, der von externer Seite dazu stößt und sich neu in den Verein hineindenken muss. Das fängt bei der Kaderzusammenstellung an. Ein Ex-Profi weiß, dass es keinen Sinn macht, die besten Spieler zu verpflichten, die aber nur auf eigene Rechnung spielen. Außerdem hilft es Alexander Klitzpera und mir, den Verein über Jahre zu kennen und manche Dinge so besser einordnen zu können.
SPOX: Welche Dinge meinen Sie?
Plaßhenrich: Das Klima in Aachen kann sehr schwankend sein. Verliert man ein Spiel, dann wird schnell vom Abstieg gesprochen. Gewinnt man das nächste Spiel wieder, dann redet jeder plötzlich wieder vom Aufstieg. Selbst im Erfolgsfall gibt es immer jemanden, der nicht zufrieden ist. Aber das gehört einfach zur Alemannia und das darf man nicht negativ sehen.
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SPOX: Hatten Sie deshalb auch einmal den Gedanken, den Verein zu verlassen? Sie selbst sind dem Verein nach dem Karriereende ja mehr unverhofft als geplant erhalten geblieben.
Plaßhenrich: In diese Richtung gab es keine Überlegungen. Denn eigentlich wollte ich noch ein paar Jahre Fußball spielen, aber das haben die Knochen leider nicht mehr mitgemacht (lacht). Während meiner Reha schnupperte ich 2009/10 in der A-Jugend-Bundesliga als Co-Trainer in den Trainerbereich hinein. Irgendwann ist der Funke dann übergesprungen und ich habe mich bei der Alemannia bis zum Co-Trainer der ersten Mannschaft hochgearbeitet.
SPOX: Sie haben in einem Interview erwähnt, dass Ihre Arbeit als Trainer besonders von Dieter Hecking beeinflusst wurde. Was haben Sie sich von ihm abgeschaut?
Plaßhenrich: Meiner Meinung nach ist sein Erfolgsgeheimnis, dass er vernünftig mit seinen Spielern umgeht. Er geht von sich aus auf die Mannschaft zu, das ist wichtig. Wenn man einen guten Zugang zu den Spielern bekommt, dann ist alles wesentlich einfacher. Viele Trainer sehen nur den Spieler, aber wenn man den Menschen dahinter erreicht, dann funktioniert auch der Spieler. In dieser Hinsicht hat mich Dieter Hecking geprägt.
SPOX: Sie sind in Aachen nicht nur Co-Trainer, sondern leiten auch das Nachwuchsleistungszentrum. Lassen sich diese beiden Aufgaben überhaupt miteinander vereinbaren?
Plaßhenrich: Ich bin es gewohnt, Vollzeit zu arbeiten. Das war in meinem Leben schon immer so. Als ich noch in der Regionalliga spielte, habe ich gleichzeitig eine Ausbildung gemacht und bin dann jeden Abend noch zum Training gefahren. Wenn man etwas mit Herz und Leidenschaft macht, dann ist keine Arbeit zu viel.
SPOX: Für das Nachwuchsleistungszentrum haben Sie ambitionierte Ziele formuliert. Wie genau sehen Ihre Zukunftspläne dafür aus?
Plaßhenrich: Ein Ziel ist es, die Qualität der Trainer weiter zu verbessern. In den vergangenen Jahren war es oft so, dass jeder Trainer für sich trainiert hat. Schlussendlich haben wir aber alle das gleiche Ziel: Wir wollen mehr Spieler aus der eigenen Jugend in der ersten Mannschaft sehen. Das fängt schon ganz unten an. Dort sollen die Basics gelegt werden, auf denen der nächste Trainer wiederum aufbauen kann. So setzt sich das bis zum Profibereich fort.
SPOX: In der letzten Verifizierung durch den DFB haben sie den ersten Stern knapp verpasst. Woran scheiterte eine Auszeichnung?
Plaßhenrich: Bei dieser Prüfung ist entscheidend, dass alle benötigten Dokumente vorgelegt werden können. Wir haben ein halbes Jahr vor der Inspektion damit begonnen, alles Wichtige auf Papier zu bringen, konnten in dieser kurzen Zeit aber nicht mehr den vollen Ansprüchen gerecht werden. Trotzdem haben wir unser bislang bestes Ergebnis erreicht und sind zuversichtlich, bei der nächsten Verifizierung mit dem ersten Stern ausgezeichnet zu werden.
SPOX: Was genau muss für eine solche Verifizierung dokumentiert werden?
Plaßhenrich: Im Prinzip alles (lacht). Das fängt natürlich bei den Spielen an und geht über Leistungsdiagnostiken, einzelne Trainingseinheiten, Gespräche mit den Eltern und Videoanalysen. Alles, was im Profibereich angewendet wird, wird auch in der Jugend eingesetzt. Hinzu kommt unser eigenes Konzept, das den jungen Spielern das beibringen soll, was Aachen schon immer ausgezeichnet hat: Leidenschaft, Siegeswille und hartes Arbeiten.
SPOX: Diese Tugenden scheint die Profi-Mannschaft bereits zu beherzigen, immerhin ist sie derzeit Spitzenreiter der Regionalliga West. Woher kommt der neue sportliche Aufschwung?
Plaßhenrich: Wir haben im letzten Winter gute Spieler dazubekommen und frühzeitig mit den Kaderplanungen für die aktuelle Saison begonnen. So konnten wir eine intakte Mannschaft punktuell ergänzen. Dass wir diese Saison schon so erfolgreich sind, war aber nicht zu erwarten.
SPOX: Wie überzeugen Sie gute Spieler, die bei anderen Vereinen deutlich mehr verdienen könnten, zur Alemannia zu wechseln?
Plaßhenrich: Unsere Tradition und die Erfolge, die wir vor ein paar Jahren gefeiert haben, sind immer noch ein gutes Pfund, das wir in die Waagschale werfen können. Zudem haben wir sehr gute Trainingsbedingungen und ein tolles Stadion. Man merkt, dass die Zuschauer das wieder honorieren. Und je mehr Zuschauer kommen, desto attraktiver wird es auf der anderen Seite wieder für die Spieler.
SPOX: Die erfolgreichste Zeit der Vereinsgeschichte ist noch nicht allzu lange her. Dürfen die Fans beim Blick auf die Tabelle wieder von Größerem träumen?
Plaßhenrich: Unsere Hochphase zwischen 2004 und 2007 ist ein besonderer Teil der Aachener Fußballhistorie. Wir haben damals in kurzer Zeit Erfolge gefeiert, die andere Vereine in 50 oder 60 Jahren nicht feiern. Innerhalb dieser drei Jahre standen wir im DFB-Pokalfinale, spielten durch die daraus resultierende Qualifikation für den UEFA Cup international und stiegen in die Bundesliga auf. Es ist klar, dass sich die Menschen diese Zeit zurückwünschen. Aber niemand kann vorhersagen, ob diese Zeit irgendwann noch einmal zurückkommt.
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Reiner Plaßhenrich im Steckbrief