Renat Dadashov ist mit zehn Toren in zwölf Länderspielen der erfolgreichste Spieler in Deutschlands aktueller U17. Auch bei RB Leipzig trumpfte das Top-Talent in dieser Saison auf. Im Interview spricht er über die EM, Ronaldos Kinofilm, seinen Verzicht auf Partys und die Folgen vom RB-Aufstieg in die Bundesliga.
SPOX: Herr Dadashov, Sie sind aktuell mit der U17 des DFB bei der EM in Aserbaidschan, dem Heimatland Ihrer Eltern. Wie groß ist die Aufregung?
Renat Dadashov: Es ist weniger Aufregung, sondern große Freude. Es ist schön, für Deutschland im Land meiner Eltern zu spielen. Das ist etwas ganz Besonderes. Ich mache mich aber nicht so verrückt wie meine Familie - sie dreht fast durch. (lacht)
SPOX: Haben Sie ein Beispiel?
Dadashov: Oma und Opa haben sich zum Beispiel schon einen Deutschland-Schal gekauft. Ich sehe sie leider nicht mehr regelmäßig, da sie aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr so häufig reisen können. Von daher ist dieses Turnier für sie das Größte - und für uns alle irgendwie auch Schicksal.
SPOX: Der Start ins Turnier lief etwas holpriger als erwartet. Gegen die Ukraine und Bosnien-Herzegowina lief das DFB-Team jeweils Rückständen hinterher. Brauchen Sie noch zu lange, um ins Spiel zu finden?
Dadashov: Ich glaube, uns hat in beiden Spielen in den ersten fünf, sechs Minuten die Konzentration gefehlt. Wir lernen aber daraus. Außerdem hat man gesehen, dass wir souverän zurückkamen und unsere Stärken deutlich gemacht haben. Gegen Österreich wollen wir den nächsten Schritt machen.
SPOX: Mit Atakan Akkaynak kehrte im zweiten Spiel Ihr Kapitän nach abgesessener Sperre wieder zurück ins Team. Er traf zum wichtigen 1:1. Welchen Wert hat er für die Mannschaft?
Dadashov: Atakan ist unser Spielführer, wir alle profitieren von ihm. Er bestimmt den Takt im Team und geht voran. Von daher ist er ein sehr wichtiger Spieler für das Team. Es ist aber nicht so, dass nur er im Vordergrund steht. Jeder Einzelne im Team hat seine Aufgaben.
SPOX: Bevor Sie zum DFB kamen, wurden Sie auch vom aserbaidschanischen Verband eingeladen. In der U16 entschieden Sie sich für Deutschland. Wie kam's?
Dadashov: Ich war bei zwei Lehrgängen in Aserbaidschan dabei. Ein Länderspiel habe ich nicht für sie bestritten. Der DFB wurde durch meine Leistung im Verein auf mich aufmerksam. Ich wurde eingeladen und konnte mich dort beweisen. Es ist natürlich eine große Ehre, bei der deutschen Nationalmannschaft zu spielen. Darüber hat sich auch meine Familie gefreut.
SPOX: Also mussten Sie gar nicht großartig hin und her überlegen?
Dadashov: Ich befand mich nie in einer Entscheidungssituation. Nachdem ich vom DFB eingeladen wurde, nahm alles seinen Lauf. Ich musste mich nicht fragen, ob es das Richtige für mich ist. Das war es einfach.
SPOX: Sie sind ein Stürmer, der sich auch auf engem Raum gut durchsetzen kann. Sie sind robust und technisch sehr beschlagen. Mit wem würden Sie sich am ehesten vergleichen?
Dadashov: Mit meinem Bruder. (lacht) Von dem habe ich mir sehr viel abgeschaut. Ansonsten habe ich mich sportlich schon immer an Zlatan Ibrahimovic und Karim Benzema orientiert. Ich versuche davon zu lernen, wie sie sich im Spiel bewegen und welche Räume sie suchen. Die beiden stehen natürlich auch für extreme Torgefahr. Zlatan, Benzema und mein Bruder: Das sind meine sportlichen Vorbilder. Was mich aber auch beeindruckt hat, war der Film von Cristiano Ronaldo.
SPOX: Inwiefern?
Dadashov: Man hat gesehen: Ronaldo macht immer mehr als die anderen. Er will immer besser werden, jeden Tag. Das zeichnet ihn aus wie keinen Zweiten. Deswegen ist er der Beste der Welt.
SPOX: Sie haben die meisten Jahre Ihrer Jugend beim SV Wehen verbracht. 2013 zog es Sie zur Eintracht nach Frankfurt, wo Sie allerdings nur ein Jahr blieben. Wieso folgte so schnell der Wechsel nach Leipzig?
Dadashov: So ist Fußball. Man weiß nie, was im nächsten Jahr passiert. Dass ich mich damals für den Wechsel entschieden habe, war im Nachhinein richtig - vor allem für meine Leistung auf dem Platz und entsprechend auch für die Weiterentwicklung.
SPOX: In Frankfurt spielten Sie immerhin in einer Bundesliga-Nachwuchsmannschaft.
Dadashov: Ich kann aus heutiger Sicht nicht sagen, wie ich mich bei der Eintracht weiterentwickelt hätte. Das spielt für mich aber auch keine Rolle. Ich habe mir die Begebenheiten in Leipzig damals angeschaut, das hat mich fasziniert. Meine Familie stand auch immer hinter meiner Entscheidung. Bisher hat mir der Wechsel zu RB sehr viel gebracht.
SPOX: Sie spielen als B-Jugendlicher bereits fest in der A-Jugend von RB - als mit Abstand Jüngster im Team. In Ihren ersten acht Spielen für Leipzigs A-Jugend schossen Sie in dieser Saison neun Tore. Hatten Sie nicht das Gefühl, dass alles etwas schnell ging?
Dadashov: Zu schnell ging es mir nicht. (lacht) Es hat mich natürlich riesig gefreut, dass ich so viele Tore geschossen habe und mich so gut in die Mannschaft integrieren konnte. Als zwei Jahre jüngerer Spieler schon zur Stammelf zu gehören, war fantastisch. Ich habe großes Vertrauen vom Trainer gespürt. Das habe ich versucht, mit Toren zurückzugeben.
SPOX: Seit Ende November ist Ihnen kein Treffer mehr gelungen - weder in der A-, noch in der B-Jugend. Verzweifelt man da manchmal ein bisschen an sich selbst?
Dadashov: Ich mache mir gar nicht den ganz großen Druck. Ich habe jetzt wochenlang kein Tor mehr geschossen, aber wer weiß: Vielleicht schieße ich im nächsten Spiel drei. Ich glaube immer an die nächste Chance. Die Flaute wird wieder enden.
SPOX: Vielleicht ja schon bei der EM.
Dadashov: Das wäre auf jeden Fall schön.
SPOX: Einen Tag vor dem Halbfinale haben Sie auch Geburtstag. Beschenken Sie sich ein paar Tage später mit dem Titel?
Dadashov: Ich hoffe es. Ich bin in jedem Fall Optimist, von daher will ich es nicht ausschließen.
SPOX: Seit dieser Saison sind Sie im Internat in der Red Bull Akademie untergebracht. Was hat sich seitdem für Sie verändert?
Dadashov: Ich habe auf jeden Fall viel mehr Zeit, mich vor- und nachzubereiten. Seien das Trainingsinhalte oder schulische Dinge. Mein Zimmer befindet sich ein Stockwerk direkt über dem Kraftraum. Auch der Trainingsplatz ist nicht weit entfernt. Das erleichtert natürlich vieles - vor allem der lange Anfahrtsweg ist weggefallen.
SPOX: Ihr Alltag besteht mehr oder weniger nur aus Schule und Fußball. Fehlt es Ihnen manchmal, den jugendlichen Leichtsinn ausleben zu dürfen - so, wie es vermutlich viele Ihrer Freunde können?
Dadashov: Auf keinen Fall, sonst hätte ich mich nicht für diesen Weg entschieden. Ich habe Teile meiner Freizeit bewusst geopfert, weil ich etwas erreichen möchte. Das lag in meinen Händen und ich bin froh, dass ich diesen Weg gewählt habe.
SPOX: Vermissen Sie es als 16-Jähriger aber gar nicht, mal mit den Kumpels feiern zu gehen oder einfach mal abzuschalten?
Dadashov: Ich habe es nicht nötig, nein. Ich finde, das ist eine Frage der Disziplin. Manche brauchen das, ich dagegen brauche es nicht. Es gibt sicher Jungs in meinem Alter, die um Mitternacht noch mal losziehen. Ich bin aber derjenige, der um 22 Uhr im Bett liegt und sich auf das nächste Spiel konzentriert.
SPOX: Der nächste Schritt von der A-Jugend ist der zu den Profis - im Verein und auch in der Nationalmannschaft. Hatten Sie schon Berührungspunkte mit einigen Spielern oder Verantwortlichen?
Dadashov: In Leipzig habe ich schon einige Male bei den Profis mittrainiert und konnte viele Erfahrungen sammeln. In der Nationalmannschaft bekommen wir bei allen Lehrgängen die Ideen und das Leitbild des DFB vorgeführt, sodass wir auch hier wissen, was es braucht, um vielleicht eines Tages mal im A-Kader zu stehen. Vieles ist natürlich Einstellungssache. Das bekomme ich auch immer wieder von einzelnen Spielern mit.
SPOX: Von wem ganz besonders?
Dadashov: Emil Forsberg ist für mich ein Muster-Profi. Von ihm kann ich mir besonders viel abschauen. In der Nationalmannschaft braucht man Einzelne nicht hervorheben. Dort haben alle ihre Berechtigung, für Deutschland zu spielen, schon erbracht. Ich hoffe, in drei oder vier Jahren auch dabei zu sein.
SPOX: Sie sind schon immer Bayern-Fan gewesen. Ist die Säbener Straße ein ganz großer Traum?
Dadashov: Ich hoffe, meine Ziele in Leipzig verwirklichen zu können.
SPOX: Immerhin ist RB nun in die Bundesliga aufgestiegen. Wird es für die Nachwuchsspieler jetzt schwieriger, den Sprung in die erste Mannschaft zu schaffen?
Dadashov: Nein, das bezweifle ich. Wenn wir uns im Training beweisen, werden wir unsere Chancen bei den Profis erhalten. Der Aufstieg ändert nichts daran.
SPOX: Und was ändert der Aufstieg für die anderen 17 Bundesligisten?
Dadashov: Ich hoffe, die anderen Teams müssen sich in Acht nehmen. (lacht) Ich denke, RB wird bald oben mitmischen. Wohin der Weg führt, muss man abwarten. Hoffentlich bin ich aber auch irgendwann ein Teil davon.
SPOX: Was wäre denn, wenn alle Stricke reißen und der ganz große Durchbruch im Fußball ausbliebe? Haben Sie schon einen Plan B?
Dadashov: Darüber habe ich mir noch keine großen Gedanken gemacht. Erst einmal mache ich jetzt die Schule fertig.
Die U17-EM in der Übersicht