Robert Huth im Interview: "Ein paar Menschen vereiern: Das ist doch auch mal schön"

Nino Duit
27. Dezember 202116:30
Robert Huth wurde 2016 mit Leicester City englischer Meister.imago images
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Vor drei Jahren hat Robert Huth seine aktive Karriere beendet, jetzt macht er eine Ausbildung zum Sportdirektor und den Pilotenschein. Im Interview mit SPOX und Goal spricht der 37-jährige ehemalige Innenverteidiger über seine Zukunftspläne, langweilige Fußballer und kostümierte Leicester-Spieler.

Dieses Interview erschien erstmals am 26. Oktober 2021 und gehört zu den beliebtesten des Jahres.

Huth arbeitet als Testimonial für kelbet.de.

Herr Huth, was haben Sie seit Ihrem Karriereende 2018 gemacht?

Robert Huth: Ein bisschen Media-Work, ein bisschen in Sachen Fußball die Welt besichtigt. Außerdem absolviere ich gerade den Studiengang "Sporting Directorship". Das war wegen Corona zwar etwas kompliziert, bis Ende des Jahres habe ich ihn aber hoffentlich abgeschlossen.

Warum haben Sie sich für dieses Studium entschieden?

Huth: Als aktiver Sportler bekommt man die Hintergrundgeschichten in den Vereinen nicht mit, die kurz- und langfristigen Finanzplanungen, das Scouting. Man kriegt gesagt, wann Training ist, wann Spiel ist, wann du im Bus sein musst, und das ist es. Mich hat aber immer schon interessiert, was im Hintergrund abläuft.

Was sind Ihre Pläne nach dem Studium?

Huth: Ich werde versuchen, einen Platz im Fußball zu finden. Ich will Erfahrungen als Sportdirektor sammeln. In der realen Welt ist es anders, als man es im Studium lernt.

Reizt Sie eher ein Berufseinstieg in England oder in Deutschland? In der Premier League ist das Konzept Sportdirektor bekanntlich nicht so etabliert.

Huth: Ich bin für alles offen. Das wird in England aber gerade mehr und mehr. Mittlerweile haben viele englische Vereine das aus Deutschland bekannte System übernommen.

Stimmt es, dass Sie nebenbei den Pilotenschein machen?

Huth: Ja, das habe ich aber leider noch nicht durchgezogen. Zunächst musste ich eine Pause machen, weil wegen Corona nicht zwei Personen gleichzeitig im Cockpit sitzen durften. Dann bin ich nach Berlin übersiedelt, weswegen ich jetzt von vorne anfangen muss. Wegen des Brexit konnte ich meine Flugstunden nicht nach Deutschland übertragen.

Was reizt Sie am Fliegen?

Huth: Fliegen war schon immer mein Ding. Ich will einen kleinen Zweisitzer fliegen, keine Boeing oder einen Airbus. Ich bin als Kind nicht viel geflogen, habe aber gerne in den Himmel geschaut und Flugzeuge beobachtet. Seitdem interessiere ich mich dafür.

Die Profistationen von Robert Huth

ZeitraumKlubPflichtspieleTore
2003 bis 2006FC Chelsea622
2006 bis 2009FC Middlesbrough636
2009 bis 2015Stoke City18818
2015 bis 2018Leicester City936

Im Zuge Ihres Karriereendes haben Sie die negative Auswirkungen der sozialen Netzwerke auf junge Fußballer thematisiert. Können Sie das konkretisieren?

Huth: Es ist nicht alles schlecht. Ich bin auf Twitter und finde das eigentlich ganz gut, ich hole mir dort meine Nachrichten. Als Influencer kann man sogar Geld verdienen. Früher haben die Leute etwas über dich gedacht und du konntest nicht dagegen arbeiten. Heute hast du mit den sozialen Medien die Möglichkeit, dich zu verteidigen. Das Negative ist aber, dass du dort immer ansprechbar bist. Es gibt keinen Ausknopf. Wenn du nach einem Spiel aufs Handy schaust, hast du 10.000 Notifications. Viele Fußballer finden es schwer, damit umzugehen. Ihnen ist es wichtig, was andere über sie denken. Und wenn du permanent nachguckst, wird es kompliziert. Ich beobachte das auch bei meinen zwei Kindern. Die sind nur am Telefon. Deswegen habe ich ab und zu Ärger mit meinen Jungs. Dann sage ich ihnen, dass sie mal alles ausmachen sollen. Ich bin in einer anderen Generation aufgewachsen.

Waren Sie deswegen fokussierter auf Ihre Fußballkarriere?

Huth: Es war anders. Für mich gab es nur Fußball, da gab es diese Ablenkungen nicht.

Sie sind wie angesprochen selbst auf Twitter unterwegs, aber eher unregelmäßig und mit einem Augenzwinkern.

Huth: Jeder nimmt sich zu ernst. Ich finde es besser, im Leben Spaß zu haben. Ein bisschen Ironie, ein paar Menschen vereiern: Das ist doch auch mal schön. Man soll auch mal etwas Falsches sagen dürfen. Es ist ein bisschen langweilig, wenn alles perfekt und korrekt ist.

Beobachten Sie diese Entwicklung im Fußball generell?

Huth: Ja, auch bei Interviews von Spielern. Nach einer Niederlage sagen sie: "Sorry, wir haben verloren, müssen härter trainieren und beim nächsten Mal machen wir es besser." Nach einem Sieg heißt es: "Danke an die Fans, super Spiel, bis zum nächsten Mal." Das ist so langweilig. Alles ist austauschbar, alles ist eins. Jedes Interview ist gleich, jeder Social-Media-Account sieht gleich aus. Es geht nur darum, nichts Falsches zu sagen. Alle sind lieb, nett und haben keine Persönlichkeit. Das Ziel lautet: Keiner soll böse auf mich sein. Das beobachte übrigens nicht nur ich. Wenn ich mit meinen Kumpels oder anderen Fans darüber rede, sagen alle: Das ist langweilig. Sie kennen die Spieler eigentlich gar nicht mehr richtig. Es fehlen Spieler, die man richtig lieben kann. Wie zum Beispiel ein Mario Basler, der ein bisschen anders war. Der auch mal offen ein paar Zigaretten mehr geraucht hat.

Sehen Sie im aktuellen Fußball denn gar keine Typen?

Huth: Gute Frage. Aber da fällt mir gerade keiner ein.

Warum ist das so?

Huth: Der Fußball ist ein riesen Produkt und die Vereine haben Angst, dass dieses Produkt mit negativen Aussagen verschlechtert wird. Wenn du eine andere Meinung hast, wirst du sofort gesperrt oder kriegst eine Geldstrafe. Als Fußballer bist du vom System eingeengt. Du hast nicht viel Freiraum, um eine andere Meinung zu vertreten. Entweder du passt rein, oder du hast Probleme.

Sie gelten als jemand, der offen seine Meinung sagt. Wurden Sie von Ihren Vereinen eingebremst?

Huth: Hin und wieder kam schon einer vom Verein zu mir und meinte: "Robert, habe doch den Verein im Hinterkopf, wenn du etwas sagst oder schreibst." Aber wirklich vorgeschrieben wurde mir nichts.

Mussten Sie Medientraining absolvieren?

Huth: Ich persönlich nicht. Aber ich weiß, dass es das mittlerweile in den Akademien gibt. Die jungen Spieler werden darauf hingewiesen, was sie sagen dürfen und wie. Das merkt man an der aktuellen Generation.

Wie würden Sie diese Thematik handhaben, sofern Sie mal Sportdirektor eines Profiklubs sind?

Huth: Ich würde jedem sagen, dass er eine eigene Persönlichkeit ist. Wir sind nicht alle gleich und sollten das auch nicht sein.

Mit Jamie Vardy, Christian Fuchs oder auch Ihnen gab es in Leicesters Meistermannschaft einige Spieler, die sich vom Durchschnittsprofi abgehoben haben. Wie haben Sie die Zeit in Erinnerung?

Huth: Das hat Spaß gemacht. Das war eine coole Truppe. Wir haben uns zu der Zeit selbst nicht ernst genommen. Das hat unserer Performance geholfen. Wenn du dir selbst keine Sorgen machst, wie du ankommst, dann hast du keine Angriffsfläche und keine Angst. Alle sind komplett ehrlich miteinander umgegangen. Das hat sich durch den ganze Klub gezogen. In meiner Karriere gab es das nirgendwo sonst.

Habt Ihr privat viel miteinander unternommen?

Huth: Der soziale Aspekt in einer Mannschaft ist immer wichtig. Nur Training und Spiel tut keiner Mannschaft gut. Man muss als Mannschaft auch mal die Sau rauslassen. Wir sind öfter gemeinsam zum Pferderennen, ins Casino oder essen gegangen. Das ist vor allem wichtig für Spieler wie beispielsweise N'Golo Kante, die ruhiger sind. Die brauchen das, um aus sich rauszukommen. Speziell in schwierigen Phasen, wenn du mal ein paar Spiele am Stück verlierst. Wenn wir dann gemeinsam solche Veranstaltungen gestartet haben, hatten wir danach meistens wieder Erfolg.

Wie haben Sie Kante im Umgang erlebt?

Huth: Er ist total lieb, total nett, total ruhig. Er sagt ganz selten was. Am Anfang dachte ich, dass er arrogant ist, weil er nie mit mir geredet hat. Nach zwei Wochen habe ich aber verstanden, dass das einfach seine Art ist.

Robert Huth wurde 2016 mit Leicester City englischer Meister.getty

Aleksandar Dragovic hat im Interview mit SPOX und Goal die Freiräume für Profis in England im Vergleich zu Deutschland und den offenen Austausch mit Fans gelobt. Wie haben Sie das erlebt?

Huth: Ich weiß nicht wie es in Deutschland abgeht, aber ich fand den Austausch mit den englischen Fans total cool. Die wissen viel über Fußball Bescheid. Wenn wir ausgegangen sind, habe ich mich schon mal mit irgendwelchen Fans eine halbe Stunde lang über Fußball unterhalten - teilweise auch vom gegnerischen Klub. Das hat mir Spaß gemacht.

Dragovic hat auch von einem dreitägigen Trip nach Stockholm kurz vor einem Cup-Spiel gegen Chelsea erzählt. Was sind Ihre Erinnerungen daran?

Huth: Ja, das war die Weihnachtsfeier. Das ist Tradition in England. Wir waren bei Leicester jedes Jahr einmal für zwei, drei Tage Jahr unterwegs. Einmal in Stockholm, ein anderes Mal in Kopenhagen. Am ersten Tag war immer Party, am zweiten Kostüm-Tag. Da sind wir verkleidet herumgezogen. Wenn 30 verkleidete Typen durch die Stadt rennen, dann freuen sich die Leute und fragen: Was macht ihr und wo geht ihr hin? So werden aus 30 Leuten schnell mal 40 oder 50. Das war einfach nur eine coole Zeit.

Gab es ein Motto?

Huth: Manchmal. Einmal lautete das Motto Super-Heroes. Da bin ich als Batman gegangen.

Sie haben 15 Jahre lang in der Premier League gespielt: Wer war Ihr härtester Gegenspieler?

Huth: Die Frage ist leicht zu beantworten: Didier Drogba. Der konnte einfach alles. Er war so groß und so schwer wie ich und körperlich so gut wie ich. Er war nie müde, hat nie fünf Prozent weniger gegeben. Er war immer bei 100 Prozent. Immer. Ich habe zehn- oder elfmal gegen ihn gespielt und er hat nie ein schlechtes Spiel gemacht. Irgendwann hatte ich keinen Bock mehr, gegen ihn zu spielen. Ich war sehr zufrieden, als er dann nach Istanbul gewechselt ist.