"Ihre sportliche Vita interessiert mich nicht"

Jochen Tittmar
19. Januar 201716:26
Rouven Schröder ist seit Sommer offiziell Sportdirektor beim 1. FSV Mainz 05getty
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Rouven Schröder hat nach dem Ende seiner Spielerkarriere eine vielschichtige Funktionärslaufbahn eingeschlagen. Beim 1. FSV Mainz 05 ist der 41-Jährige seit Sommer Sportdirektor und damit Nachfolger von Vereinspatron Christian Heidel. Im Interview spricht Schröder über seine Zeit außerhalb des Fußballs im Außendienst, den überraschenden Anruf aus Mainz und erklärt, warum Heidel niemals wirklich weg sein wird.

SPOX: Herr Schröder, nach Ihrer Karriere als Spieler hat sich ja einiges auf Ihrer Vita angesammelt: Außendienstler, Co-Trainer, Scout, Video-Analyst, sportlicher Leiter, Direktor Profifußball, Sportdirektor. Das klingt enorm.

Rouven Schröder: Ich habe nichts am Reißbrett geplant, das Leben spielt manchmal einfach so. Dieser Werdegang spiegelt für mich die komplexe berufliche Situation im Fußball wider. Es können unheimlich viele Faktoren, positive wie negative, und Puzzleteile zusammenkommen, die am Ende ein Bild für das große Ganze ergeben. Nur so kann man viele Bereiche selbst richtig beurteilen. Es war für mich im Nachgang sehr wichtig, all die zahlreichen Einblicke bekommen zu haben.

SPOX: Sie haben noch während Ihrer Spielerkarriere einen kaufmännischen Job auf der Geschäftsstelle sowie eine Art Trainee beim VfL Bochum durchlaufen und sind dabei mit mehreren Abteilungen im Verein in Berührung gekommen. Dort waren Sie genauso spielender Co-Trainer wie später beim Amateurverein NTSV Strand 08 oder interimsweise bei der SpVgg Greuther Fürth. Wieso haben Sie das nicht weiterverfolgt?

SPOX-Redakteur Jochen Tittmar unterhielt sich in Marbella mit Rouven Schröderspox

Schröder: Das hat sich letztlich nicht ergeben, auch wenn das ein sehr spannender Bereich ist. Ich denke manchmal, dass es mir in meiner aktuellen Funktion gut zu Gesicht stünde, auch im Besitz der Trainerlizenzen zu sein und diese Art der Fortbildung mitzunehmen. Das wäre sehr interessant und wie ein weiteres Mosaiksteinchen, um die ganze Sache weiter abzurunden. Die Trainerscheine sind jedoch sehr komplex und verschlingen ziemlich viel Zeit. Momentan bin ich auch so glücklich und zufrieden - und ja auch noch jung genug. (lacht)

SPOX: Im Januar 2010 haben Sie Bochum dann verlassen, um näher zu Ihrer Familie in Lübeck zu rücken. Das bedeutete auch den Ausstieg aus dem Profifußball. Wieso haben Sie damals so entschieden?

Schröder: Ich war in Bochum von sieben Tagen in der Woche sechseinhalb Tage nicht bei meiner Familie. Wir haben uns gemeinsam entschieden, die Familie wieder in den Norden zurückzuführen, da sie dort tief verwurzelt ist. Ich habe daher meinen Job beim VfL mehr oder weniger von heute auf morgen beendet. Danach habe ich gemerkt, wie schwierig es unter gewissen Umständen sein kann, in der Fußballbranche zu bleiben.

SPOX: Wie ging es weiter?

Schröder: Ich bin zunächst für drei Monate als Area Sales Manager in die Gastronomie- und Wasserbranche eingestiegen. Das war so etwas wie ein Übergang, denn es ging zunächst unter anderem ja auch darum, meine Familie zu ernähren. Direkt im Anschluss arbeitete ich von Montag bis Freitag in der Sportartikelbranche, ab Juli war ich zudem am Wochenende als Honorar-Scout für den 1. FC Nürnberg in Norddeutschland und Skandinavien unterwegs. Dass der Sport auch künftig eine große Rolle in meinem Leben spielen sollte, war mir immer klar. Ein Jahr später ging es beim Club in eine Festanstellung über. Das war dann auch gleichzeitig der schnelle Wiedereinstieg in den Fußball.

SPOX: Wie sah Ihr Alltag als Außendienstler aus?

Schröder: Der Schwerpunkt in der Gastronomie lag in Hamburg beziehungsweise in ganz Schleswig-Holstein. Ich bin morgens die Zentrale angefahren und habe meine Route für die gesamte Woche geplant. Ich habe Kunden betreut und versucht, neue zu akquirieren. In der Sportartikelbranche war es ähnlich. Ich war vor Ort und hatte Kontakt zu den einzelnen Teams. Es ging darum, Kontakte zu knüpfen und Textilien zu verkaufen. Das Ausrüster-Geschäft war mehr regionaler Art. Ich konnte aber wieder mit Vereinen sprechen, zusammen mit dem Scouting-Job für den FCN war das eine Art Neuanfang für mich.

SPOX: Wie ungewohnt war der Job im Außendienst für Sie?

Schröder: Er war eine sehr wichtige Erfahrung. Ich bin sehr bodenständig erzogen worden. Ich weiß ziemlich gut, wie das normale Leben funktioniert. Es galt dort, die Dinge wieder so zu nehmen, wie sie sind. Das war nicht immer einfach. Ich weiß noch, wie mein damaliger Chef nach dem ersten Gespräch zu mir sagte: Herr Schröder, Ihre sportliche Vita interessiert mich mal gar nicht. (lacht) Ich war gezwungen, richtig Gas zu geben, um mich weiter zu empfehlen. Meine wirtschaftliche Ausbildung hat sich als sehr wichtig erwiesen, damit man mich in diesem neuen Job nicht belächelt.

SPOX: Zu Beginn Ihrer Laufbahn haben Sie Amateurfußball beim SSV Meschede gespielt und nebenbei ein Studium begonnen. Erst mit 23 sind Sie Profi geworden. Was ist aus dem Studium geworden?

Schröder: Ich habe nach meinem Abitur an der Sporthochschule Köln begonnen, aber nur ein Semester Lehramt studiert. Ich merkte schnell, wie das alles funktioniert und war mir sicher, dass ich das Studium niemals beenden würde. Ich brauchte irgendwie eine klarere Linie und habe mich dann entschieden, das einjährige Wirtschaftsabitur einzubauen. Damit habe ich anschließend meine Lehre zum Industriekaufmann von drei auf zwei Jahre verkürzt. Ich wollte einfach möglichst schnell einen ordentlichen Abschluss in der Tasche haben. In dieser Zeit kam unverhofft der Profifußball hinzu, so dass ich das letzte halbe Jahr parallel zur Ausbildung auch in der zweiten Mannschaft des VfL Bochum in der damaligen Regionalliga gespielt habe.

SPOX: Wie dankbar sind Sie Bernard Dietz, der Sie als Trainer der VfL-Amateure damals aus Meschede überhaupt erst nach Bochum und somit in Richtung Profidasein lotste?

Schröder: Sehr. Ich glaube, jeder Mensch braucht gewisse Fürsprecher, die einem manchmal auch neue Wege und Chancen aufzeigen können. Nutzen muss man sie dann allerdings selbst. Es fliegt einem nichts zu, gerade im Bereich des Profifußballs ist arbeiten angesagt. Man muss sich durchsetzen und überzeugen. Ich kann Ihnen nicht sagen, was mit mir genau passiert wäre, wenn es diese Episode in meinem Leben nicht gegeben hätte. Ich weiß nur, dass ich auf eine andere Weise aber genauso glücklich wäre. Ich kann auch ein ganz normales Leben führen.

SPOX: Nach zwei Jahren als Scout und Analyst endete Ihre Zeit in Nürnberg im Juni 2012. Was war der Hauptgrund dafür? SPOXspox

Schröder: Ich hatte das Angebot aus Fürth und konnte dort Koordinator sowie Spielanalyst der Lizenzmannschaft werden, die gerade erstmals in die Bundesliga aufgestiegen ist. Ich habe in der Zeit beim Club gemerkt, dass ich dort in dieser Funktion auch so etwas wie ein Außendienstler bin. Ich wollte daher die Chance nutzen, wieder näher an einen Verein und auch an eine Mannschaft heran zu rücken. Das war für mich der nächste logische Schritt. Ich konnte mich in Fürth empfehlen, ein halbes Jahr später bin ich sportlicher Leiter geworden.

SPOX: Letztlich haben Sie nach der Saison 2013/2014 auch Fürth verlassen, um wieder näher an Ihrer Familie zu sein. Hätten Sie das auch getan, wenn Sie nicht zeitgleich bei Werder Bremen eine Weiterbeschäftigung als "Direktor Profifußball und Scouting" bekommen hätten?

Schröder: Es war die Kombination beider Dinge. Ich hatte die Möglichkeit, in Bremen einzusteigen und habe sie dazu aufgrund der Nähe zur Familie sehr gerne wahrgenommen. Der Gedankengang wurde dadurch einfach beschleunigt, denn ich konnte fast 500 Kilometer an meine Familie heranrücken.

SPOX: Wie schon in Fürth leben Sie auch in Mainz im Hotel, Frau und Kinder sind weiterhin im Norden. Wird das so bleiben?

Schröder: Es gibt keinen Zeitplan, wann oder ob meine Familie zu mir nach Mainz kommt. Wir haben gemeinsam entschieden, dass ich diesen Schritt in die erste Reihe bei einem Bundesligisten gehen werde. Das war logischerweise kein Alleingang von mir. In meiner Funktion beim FSV bin ich ohnehin viel unterwegs und meine Familie hat ihre gesamten sozialen Kontakte im Norden. Ich denke in dieser Hinsicht weder kurz-, mittel- noch langfristig.

SPOX: Wie war es, als Sie nach eineinhalb Jahren in Bremen hörten, Nachfolger von Christian Heidel in Mainz werden zu können?

Schröder: Es war eine riesengroße Überraschung und Ehre, im direkten Anschluss an eine solch große Persönlichkeit überhaupt in Frage zu kommen. Trotz der zahlreichen Spuren, die Christian in Mainz hinterlassen hat, war ich schnell davon überzeugt, diese Gelegenheit nicht verstreichen lassen zu wollen. Mainz hat auf mich von außen schon immer sehr positiv gewirkt, egal ob es um das Profil des Klubs, die Marke oder das Transfergebaren ging. Ich konnte mich schnell mit diesem Klub identifizieren.

SPOX: Sie waren in Ihrer Karriere als Funktionär schon bei vielen Vereinen im Gespräch und haben immer mal wieder Angebote ausgeschlagen. Wieso nicht das des FSV?

Schröder: Ich war immer froh, dass es Vereine gab, die meine Arbeit geschätzt haben. Ich war mir einfach zu 100 Prozent sicher bei Mainz. Dieses Gefühl brauche ich, um eine klare Entscheidung zu treffen. Die Erfahrung hat gezeigt: Ein schnelleres Ja bringt letztlich keinen weiter, wenn man wenig später schon wieder aus vielleicht nur 95 Prozent Überzeugung wieder Nein sagen muss.

SPOX: Wie oft wurde Ihnen davon abgeraten, in Heidels Fußstapfen zu treten?

Schröder: Die Mehrzahl der Leute hat gesagt: Nach Christian Heidel kannst du doch nur verlieren. Nicht unbedingt, weil sie an mir gezweifelt haben, sondern weil die Herausforderung an sich einfach sportlich ist. Ich mag Herausforderungen jedoch. Ich nehme sie lieber an und kann dann hinterher darüber sprechen, ob sie gut oder schlecht waren. Lieber machen statt später bedauern.

SPOX: Wie viel Bedenkzeit haben Sie am Ende benötigt?

Schröder: Wir haben Gespräche geführt und man hat mich gefragt, ob das für mich grundsätzlich vorstellbar sei. Es war schon nach der ersten Kontaktaufnahme klar, dass da tatsächlich etwas entstehen könnte. Ich habe mich dann zügig festgelegt.

SPOX: Inwiefern haben Sie den Karriereschritt, eines Tages hauptverantwortlich zu arbeiten, schon immer irgendwie verfolgt?

Schröder: Es war schon ein Ziel. Dieses Gefühl trug ich schon länger in mir. Das lässt sich ein wenig mit der Trainerausbildung vergleichen. Im Anschluss daran sollte man sich auch entscheiden: Chef- oder Co-Trainer? Ich habe mich schon als Spieler in verantwortlichen Rollen innerhalb einer Gruppe wohlgefühlt und mich nicht vor Entscheidungen gedrückt. Das Team als Spieler oder der Klub als sportlich Verantwortlicher stehen über allem. Ich spreche sehr gerne für den FSV und möchte ihn bestmöglich repräsentieren. Eine One-Man-Show kriegen Sie von mir dennoch nicht. Bundesliga Spielplaner - Der Tabellenrechner von SPOX.com

SPOX: Sie stiegen dann bereits im Februar 2016 ein und hatten an der Seite von Heidel eine zweimonatige Einarbeitungsphase. Hätten Sie theoretisch auch "ganz normal" am 1. Juli einsteigen können?

Schröder: Dieser Einstieg war für mich der perfekte Weg. Aber Einarbeitung hört sich so oberlehrerhaft an. Es war eher ein sehr wichtiges, detailliertes Kennenlernen des Vereins. Ich saß mit Christian in einem Büro und wir sind viele Themen wie zum Beispiel Vertragsmanagement, Organisation oder die Abläufe der Lizenzmannschaft zusammen durchgegangen. Da ging es darum, wie der Gesamtverein strukturiert ist oder welche Entscheidungswege es bislang gab. Es war Hintergrundarbeit. Dazu hatten alle Angestellten sowie auch ich die Möglichkeit, uns gegenseitig kennen zu lernen. Wir alle wollten einen fließenden und keinen abrupten Übergang.

SPOX: Wie sind Sie vorgegangen, als Heidel dann weg war?

Schröder: Ich habe weiterhin viel zugehört und versuche, alles aufzusaugen. Daraus ziehe ich die Dinge, die für mich am besten passen, damit man den eigenen Weg auch auf Anhieb finden kann. Ich möchte ja keine Kopie von irgendetwas sein, sondern authentisch bleiben. Dieser gesamte Prozess dauert natürlich noch an.

SPOX: Kam es schon vor, dass jemand zu Ihnen sagte: Unter Heidel haben wir das aber ganz anders gemacht.

Schröder: Klar, das soll auch so sein. Daraus würde ich niemals ein persönliches Problem machen. Christian Heidel wird niemals wirklich weg sein. Es ist sein Verein, er ist Mainzer und er hat ihn groß gemacht. All diese Menschen, die für den FSV viel geleistet und seine Geschichte mitgeschrieben haben, sollen allgegenwärtig bleiben. Alles andere wäre wahnsinnig und unpassend. SPOX

SPOX: Was hat sich bislang in der Praxis als deutlich schwieriger erwiesen als noch in den Theoriestunden mit Heidel?

Schröder: Das lässt sich noch schwer beurteilen. Wiederum haben sich viele Dinge bestätigt. Nicht nur die, die mir Christian, der Vorstand sowie die Geschäftsführer mitgegeben haben, sondern auch wie Themen funktionieren, die ich in meiner bisherigen Funktionärslaufbahn kennengelernt habe. Ob das nun das Scouting, die Kaderplanung oder Gespräche mit Beratern, Spielern und Vereinen betrifft. Vieles davon ähnelt sich einfach im Profibetrieb, so dass letztlich jeder selbst mit sich ausmachen muss, welchen Weg er bestreitet und wie er mit all diesen Belangen umgeht.