"Bayern hat ihn ständig angegraben"

Daniel Börlein
04. März 200923:35
Savio Nsereko (M.) im Duell mit Sagna und Diaby vom FC ArsenalGetty
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Es war einer der Transfers des Winters. Der deutsche U-19-Europameister Savio Nsereko wechselte vom italienischen Zweitligisten Brescia Calcio zum Premier-League-Klub West Ham United - für geschätzte elf Millionen Euro Ablöse! Bei den Hammers hat der Offensivspieler mittlerweile längst Fuß gefasst.

Aufgewachsen ist Nsereko in München, ausgebildet und entdeckt wurde er vom TSV 1860 München. Bei SPOX spricht der Leiter des Nachwuchszentrums der Löwen, Ernst Tanner, über die Anfänge des 19-Jährigen, den Menschen Nsereko, dessen besondere Fähigkeiten und erklärt, warum der Youngster München schon mit 16 Jahren verließ.

SPOX: Herr Tanner, die Löwen schreiben derzeit immer mal wieder negative Schlagzeilen. Eine positive Meldung gab's in der Winterpause allerdings auch für die Sechziger. Der Verein bekam Geld für einen Spieler, der gar nicht mehr bei den Löwen unter Vertrag stand.

Tanner: Ich nehme mal an, Sie meinen Savio Nsereko?

SPOX: Genau. Der Junge wechselte vom Serie-B-Klub Brescia in die Premier League zu West Ham United. Von der geschätzten Ablöse von elf Millionen Euro erhält 1860 als Ausbildungsverein eine Entschädigung. Waren Sie überrascht, als Sie vom Wechsel gehört haben?

Tanner: Um ehrlich zu sein: nicht unbedingt. In der zweiten italienischen Liga kommen nicht so viele junge Akteure zum Spielen. Deshalb war es klar, dass er irgendwann einmal für viel Geld verkauft werden wird. West Ham war nun auch nicht so überraschend, wenn man bedenkt, dass dort mit Trainer Gianfranco Zola und Sportdirektor Gianluca Nani zwei Italiener das Sagen haben.

SPOX: Können Sie den Wechsel nachvollziehen?

Tanner: Savio hat sich in dieser Saison richtig gut entwickelt in Brescia. In der letzten Saison hat er allerdings kaum gespielt und schon damals mit dem Gedanken gespielt, woanders hinzugehen.

SPOX: Er wollte aufgeben?

Tanner: Das würde ich nicht sagen. In Italien ist es für einen jungen Spieler nicht so einfach, den Durchbruch zu schaffen. Diesen fließenden Übergang wie bei uns gibt es dort nicht. In Italien gibt es die Primavera - eine Nachwuchs-Liga, in der drei ältere Spieler eingesetzt werden dürfen. Eine zweite Mannschaft haben sie dort nicht. Die ersten Mannschaften haben ellenlange Kader mit meist über 30 Leuten. Da muss man sich als junger Kerl erstmal durchbeißen.

SPOX: Kann Savio denn beißen?

Tanner: Das kann er auf jeden Fall.

SPOX: In Deutschland ist er aufgrund seiner Zeit in Italien nicht so bekannt wie andere Talente. Sie kennen ihn schon seit er zehn Jahre alt ist. Was ist er für ein Spielertyp?

Tanner: Savio ist ein unglaublich guter Dribbler. Davon gibt es relativ wenige in Deutschland. Dazu ist er sauschnell. Diese beiden Dinge kann er wunderbar verbinden. Bei seinem Abschlussverhalten muss er auf alle Fälle noch zulegen. Allerdings ist das im Rahmen des Normalen bei einem 19-Jährigen.

SPOX: Guter Dribbler, unheimlich schnell - alles Talent, oder gezielt geschult?

Tanner: Savio hat seit frühester Kindheit davon gelebt, dass er seine Gegner ausspielen kann. Und das hat man dementsprechend auch immer wieder forciert. Wir haben nicht versucht, eine Passmaschine aus ihm zu machen. Das hätte ihn limitiert. Und wahrscheinlich hätte es auch nicht funktioniert, weil er es nie verstanden hätte. Er ist ein Spieler, den man seine Stärken ausleben lassen muss, dann kommt auch etwas dabei herum. Da gibt's im heutigen Fußball nur wenige Typen.

SPOX: Ist diese Individualität auch eine große Chance?

Tanner: Heutzutage wird großer Wert auf Passspiel und Handlungs- und Spielschnelligkeit gelegt. Den Kindern wird eingetrichtert: spielt ab, spielt schnell ab. Von daher sind diese Dribbler-Typen immer seltener. Es kann nie schaden, etwas zu können, was sonst nur wenige können.

SPOX: Auf dem Platz ist das eine. Wie ist Savio abseits des Rasens?

Tanner:(lacht) Er ist schon ein Striezi, wie man auf bayrisch sagt. Das gehört bei ihm dazu. Er hat sicherlich schon Dummheiten gemacht. Aber das muss bei einem jungen Kerl auch mal sein.

SPOX: Lausbubenstreiche?

Tanner: Nun ja, es war schon die eine oder andere Sache dabei, bei der man ihm zeigen musste, wo der rechte Weg ist. Aber es war nichts Kriminelles dabei.

SPOX: Mit zehn Jahren kam Savio zu den Löwen. Haben Sie gleich gesehen, dass er mal den Durchbruch schaffen kann?

Tanner: Zunächst einmal finde ich es hanebüchen, einen Zehnjährigen bewerten zu wollen. Die Störvariablen in diesem Alter sind viel zu zahlreich. Bei Savio konnte man sicher sehen, dass er ein außergewöhnliches Talent ist, weil er in Sachen Motorik und seinen Fähigkeiten am Ball einfach viel mitgebracht hat. Was letztendlich draus wird, konnte man mit zehn Jahren noch nicht einschätzen.

SPOX: Und als er den Klub mit 16 verließ?

Tanner: Als er dann von uns weg ist, haben wir schon gesagt: Er kann einer werden. Aber selbst jetzt ist noch nicht gesichert, dass es mit der "großen" Karriere etwas wird. Gerade in den Jahren, in denen es ans Eingemachte geht - zwischen 16 und 23 -, kann sich auch noch viel tun. Und ein wenig Glück gehört auch immer dazu.

SPOX: Bei den Löwen spielte Savio auch mit Timo Gebhart und den Bender-Zwillingen zusammen. Wo lag er da im Vergleich?

Tanner: Dadurch dass Savio immer vorne drin gespielt hat und immer torgefährlich war, war er schon die schillernde Figur der Mannschaft und entsprechend auffälliger. Er war, denke ich, einen Tick weiter als Timo Gebhart, einfach weil er auch schon länger im Verein war und mehr miterlebt hatte.

SPOX: Schon früher im Mittelpunkt, jetzt durch seinen Millionenwechsel nicht weniger. Wie geht er damit um?

Tanner: Bei dem ganzen Rummel ist es für einen 19-Jährigen fast unmöglich am Boden zu bleiben. Aber er ist relativ bodenständig geblieben. Er schaut immer mal wieder bei uns vorbei und hat noch Kontakt mit Trainern, Spielern und den Leuten im Verein. Er weiß schon, wo seine Wurzeln liegen.

SPOX: Warum ging er denn eigentlich ausgerechnet nach Italien und beispielsweise nicht zu einem anderen deutschen Klub?

Tanner: Das war eine ganz besondere Konstellation. Es wollten ihn ja viele deutsche Vereine. Unser großer Nachbar hat ihn ständig angegraben. Italien war dann eher ein glücklicher Zufall. Es war offensichtlich ein Freund der Familie, der den Kontakt zu Brescia hergestellt hat. Natürlich war es auch eine finanzielle Geschichte. Die haben ihm das geboten, was wir ihm nicht bieten konnten.

SPOX: Mit 16 Jahren nach Italien, ein beachtlicher Schritt in diesem Alter.

Tanner: Er hat sich am Anfang sehr schwer getan. Das haben wir mitbekommen.

SPOX: Wo lagen die Probleme?

Tanner: Es war viel Geld im Spiel, dadurch stand er unter Druck. Die Italiener gehen mit Spielern nicht so um wie wir. Da wird man nicht immer umsorgt und es wird auch nicht für alles Verständnis gezeigt. In Italien brauchst du nicht irgendwelche Fragen zu stellen. Das ist eine andere Kultur und Mentalität.

SPOX: Wusste man das nicht vorher?

Tanner: Vielleicht, ja. Ich glaube aber, dass diese Schwierigkeiten ganz gut für ihn waren. Der Schritt war in seinem Fall gut, denn sonst wäre es bei ihm möglicherweise auch anders ausgegangen.

SPOX: Inwiefern?

Tanner: Da mag ich eigentlich gar nichts mehr zu sagen, das ist doch alles längst abgehakt. Ich glaube eben, dass es für ihn persönlich einfach der beste Schritt war, nach Italien zu gehen. Dort hat er gesehen, dass es auch anders geht. Er war dort gezwungen, sich nur auf den Fußball zu konzentrieren. Und das war für ihn zu diesem Zeitpunkt das Richtige. Er hatte dort nicht diese Verlockungen.

SPOX: Nsereko ist nicht das einzige Löwen-Talent, das den Sprung in den Profi-Fußball geschafft hat. Gibt's ein Geheimnis?

Tanner: Darüber rede ich natürlich nicht so gerne (lacht). Wir sind in allen Richtungen aufgestellt. Wir haben eine klare Philosophie, ein klares Konzept. Wir lassen uns durch nichts vom Weg abbringen.

SPOX: Konkreter?

Tanner: Wir versuchen auf dem Boden zu bleiben. Das versuchen wir auch unseren Spielern ständig zu vermitteln. Da gehören die normalen Normen und Werte dazu, die man in der Gesellschaft heutzutage gerne mal vergisst. Nach meiner Erfahrung ist es wichtiger, dass die jungen Spieler Werte kennenlernen, an denen sie sich orientieren können und die ihnen Halt geben, als dass sie die eine oder andere taktische Konzeption kennen.

SPOX: Wo stehen die Löwen in Sachen Jugendarbeit in Deutschland?

Tanner: Wir sind sicher ganz gut dabei. In Deutschland unter den ersten fünf, sechs. Dabei haben wir es nicht so leicht wie andere Bundesliga-Klubs, die Regionen quasi für sich alleine haben. Wir müssen uns immer erst mit den Bayern rumschlagen, die mittlerweile ja jeden angraben, der einigermaßen den Ball trifft. Wir sagen mittlerweile: Wer gehen will, der soll gehen. Aber er braucht dann auch nicht wiederzukommen.

Spiele und Tore: Savio Nserekos Bilanz