Es schlug ein wie eine Bombe: Lionel Messi verließ den FC Barcelona nach 21 Jahren und heuerte bei PSG an. Als wäre das nicht genug, sorgte mit Cristiano Ronaldos Rückkehr zu Manchester United ein weiterer Weltstar für einen Paukenschlag auf dem Transfermarkt.
Dieser Text erschien zuerst am 8. September 2021 und gehört zu den beliebtesten Texten des Jahres.
Die Reaktionen im Netz überschlugen sich, Posts von Vereins- und Medienkanälen gingen durch die Decke.
Florian Gress, Head of Communications bei der Agentur We Play Forward und studierter Kommunikationswissenschaftler, begleitet seit acht Jahren viele Athleten und Sportorganisationen im Bereich digitaler Medien und Öffentlichkeitsarbeit, vor allem in der Bundesliga und Premier League.
Im Interview mit SPOX und GOAL erklärt Gress, der schon zahlreiche Transferbekanntgaben auf Social Media begleitet hat, ob sich die Wechsel von Messi und CR7 aus Social-Media-Sicht rentieren, inwieweit Ronaldo den Argentinier in den Schatten gestellt hat und weshalb so manche Zahlen rund um die Transfers der beiden Stars täuschen.
Außerdem spricht er über die Gründe für immer aufwändigere und kreativere Vorstellungsvideos sowie das Verhältnis zwischen einer Mitteilung in den sozialen Netzwerken und der klassischen Presseerklärung eines Klubs.
Herr Gress, der Wechsel von Lionel Messi galt als der größte Deal der vergangenen Transferphase - doch dann kam Cristiano Ronaldo. Inwieweit hat CR7 Messi mit Blick auf die Reichweite und Masse an geteilten Beiträgen in den Schatten gestellt?
Florian Gress: Auf Social Media ist Cristiano Ronaldo in seiner eigenen Liga unterwegs. Er hat alleine auf Instagram 339 Millionen Follower, während alle Vereine der Premier League zusammen "nur" 184 Millionen Follower haben. Damit stellt er Messimit seinen 262 Millionen Followern deutlich in den Schatten. Zudem hat Messi gar keinen eigenen Twitter-Kanal. Ronaldo ist damit nicht nur der Primus in der Sportwelt, sondern übertrifft damit auch alle anderen Personen des öffentlichen Lebens und Marken auf Instagram. Lediglich Instagram selbst hat mit 420 Millionen noch mehr Follower als Ronaldo. Dies hatte auch Auswirkungen auf die Transferbekanntgabe von Manchester United: Obwohl der Post nur eine kurzfristig erstellte Grafik war, weil es noch keine aktuellen Fotos von Ronaldo im United-Trikot gab, wurde er zum Post eines Sportvereins mit den meisten Likes auf Instagram, Twitter und Facebook aller Zeiten. Der Ronaldo-Tweet von United generierte 2 Millionen Likes, der Messi-Tweet von PSG 870.000 Likes.
gettyMittlerweile sind zahlreiche Vereine und Spieler auf unterschiedlichen Social-Media-Kanälen unterwegs und posten regelmäßig Inhalte. Welchen Vorteil bringen diese Posts mit?
Gress: Rein kommunikativ betrachtet haben Vereine und Spieler die Möglichkeit, direkt mit ihren Fans zu kommunizieren. Durch Social Media entstand eine größere Unabhängigkeit von der sonstigen Medienwelt. Internationale Top-Vereine und -Athleten können mit ihren digitalen Kanälen nahezu alle Fans weltweit mit Mobilfunkabdeckung erreichen, während man mit einem beispielsweise klassischen Medieninterview oftmals nur einen Bruchteil seiner Anhängerschaft im jeweiligen Land erreicht. Dadurch hat es jeder Verein und jeder Athlet selbst in der Hand, sich mit den Reichweiten selbst zur eigenen Marke zu entwickeln und letztendlich daraus eigenen finanziellen Profit zu ziehen, indem die eigene Reichweite vermarktet wird.
Wer profitiert außerdem davon?
Gress: Ein Großteil der professionell aufgestellten Vereine hat inzwischen beispielsweise für die Darstellung der Startaufstellung 60 Minuten vor Anpfiff einen eigenen Sponsor beziehungsweise Presenting Partner. Anschließend geht es weiter mit den Torschützen, der von Marke X präsentiert wird und nach Abpfiff wird der Spieler des Spiels bekanntgegeben, natürlich gesponsert von Partner Y. Entsprechend profitieren auch alle Sponsoren des Vereins davon, da sie neben den klassischen Vermarktungspotenzialen ein neues, sehr reichweitenstarkes Feld hinzugewonnen haben, auf dem sie prominent platziert werden.
Sind die Posts nur im Zusammenhang mit großen Namen von Vorteil?
Gress: Inzwischen ist das auch schon für Vereine in den unteren Profiligen relevant und absolut sinnvoll. Natürlich fließen hier deutlich kleinere Summen, aber während der internationale Spitzenverein in der Champions League seine digitale Redaktion mit einigen Dutzend Mitarbeitern refinanzieren muss, sind es in der zweiten oder dritten Liga nur drei oder vier Mitarbeiter, sodass auch kleinere Summen schon einen Anreiz darstellen. Im Sponsoringbereich werden seit wenigen Jahren auch die qualitativen Werte, für die ein Verein steht, immer wichtiger. So kann heutzutage zum Beispiel ein Zweitligaverein, der authentisch Nachhaltigkeit lebt und kommuniziert, einen größeren Sponsor als Partner gewinnen, weil er sich dadurch modern und zeitgemäß präsentiert.
CR7 und Messi? "Zahlen waren nicht immer ganz korrekt"
Und wie sieht es bei Spielern aus?
Gress: Die Reichweite des Spielers ist hingegen enorm abhängig von der Strahlkraft seiner bisherigen Vereine und der Nationalmannschaft. Umso wichtiger ist es, dass es einem Spieler nach einem Transfer gelingt, auch die Followerschaft des Ex-Vereins weiter an sich binden zu können.
Welche Auswirkungen hatten die beiden Mega-Transfers auf die Klubs?
Gress: Dieser Transfersommer war ein digitaler Hurrikan. Auf Instagram gewann United über 2,1 Millionen Follower innerhalb von 24 Stunden hinzu, auch an den darauffolgenden Tagen waren es immer noch sechsstellige Wachstumszahlen. Ähnliches Wachstum ist dann auch nochmal rund um seine ersten Auftritte, Siege und Tore zu erwarten. Bei diesem Transfer war die Geschichte auch einfach perfekt - die größte Athleten-Marke des Sports wechselt zurück zu den Anfängen von CR7 im Roten Trikot von Manchester United. Da die Red Devils an der New Yorker Börse gehandelt werden, konnten sich die Aktionäre am Transfertag auf ein Plus von fast sieben Prozent freuen. Auch die Werte bei Messi waren enorm. Dennoch waren es "nur" knapp über eine Million neue Follower auf Instagram für PSG. Das möchte ich aber gar nicht kleinreden, schließlich ist das auch ein absolut gigantischer Wert. Ein siebentägiges Minus auf
Instagram verzeichnete hingegen Juventus Turin, die circa 300.000 Follower in der Woche der Transferbekanntgabe verloren.
Es heißt oftmals, dass sich Transferausgaben durch Marketingeinnahmen wieder reinholen lassen. Inwieweit trifft das zu?
Gress: In den letzten Wochen kursierten viele Zahlen rund um die Transfers von Ronaldo und Messi, die nicht immer ganz korrekt beziehungsweise unvollständig waren. So hieß es zum Beispiel, dass United in zwölf Stunden mit Ronaldo-Trikots 38 Millionen Euro einnahm und somit die Transfersumme wieder einspielte. Auch wenn das einen neuen Rekord darstellt - so einfach ist die Rechnung nicht. Bei angenommen 120 Euro pro Trikot sprechen wir von circa 317.000 verkauften Trikots. Davon geht aber ein Großteil an den Ausrüster, in diesem Fall adidas. Je nachdem, ob die Trikots direkt im United-Shop oder über andere Dienstleister verkauft wurden, ist der Gewinn für den Verein unterschiedlich. Im Schnitt dürften nur knapp 5,80 Euro pro verkauftem Trikot als Gewinn übrig bleiben. Für die 15 Millionen Euro, die United als Ablöse gezahlt hat, müsste der Klub somit 2,57 Millionen Trikots verkaufen - und dann wäre da auch noch Ronaldos Gehalt.
Gehen verkaufte Trikots und Marketingeinnahmen mit Social-Media-Impact einher?
Gress: Ausrüster wie adidas oder Nike schließen ihre Milliardendeals mit den Vereinen nur ab, wenn der entsprechende Kader mit Weltstars beziehungsweise -Marken wie Messi und Ronaldo gespickt ist, die die entsprechenden Reichweiten zusätzlich auf ihren eigenen Kanälen mitbringen und weltweite Trikotverkaufsschlager sind. Insgesamt ist die Rechnung natürlich ganz einfach: Je höher die Reichweiten auf Social Media und der gebrandeten Inhalte, desto höher sind tendenziell auch die Marketingeinnahmen.
Könnten Transfers bald nur noch aus Marketingsicht statt aus sportlichen Gesichtspunkten getätigt werden?
Gress: Die sportlichen Leistungen stehen nach wie vor über allem. Ronaldo und Messi haben sich diese Social-Media-Reichweiten auch nur aufgebaut, weil sie auf dem Fußballplatz die letzten zehn bis 15 Jahre nahezu unangefochten dominiert haben, quasi von Tag eins des Social-Media-Booms. In der Weltspitze sorgt das Marketingpotenzial des einzelnen Spielers sicherlich mal dafür, dass ein Verein die eine oder andere Million mehr an Grundgehalt zahlt. weil man mit ihm unabhängig von der sportlichen Performance mehr Einnahmen über verschiedene Absatzmärkte und Werbeleistungen generieren kann. Bei klassischen Marketingtransfers handelt es sich eher meist um asiatische Spieler, die europäische Vereine transferieren, um so ihre Bekanntheit auf dem asiatischen Markt zu steigern. Zum Beispiel der Japaner Takefusa Kubo zu Real Madrid 2019 oder der Chinese Xizhe Zhang 2015 zum VfL Wolfsburg. Letzterer verließ die Bundesliga gar wieder ohne einzige Einsatzminute.
Lange deutete alles auf einen Wechsel Ronaldos zu Manchester City hin. Hat United aus Social-Media-Sicht vom geplatzten Deal des Stadtrivalen profitiert?
Gress: Im Transfer lag sicherlich eine gewisse Überraschung. Am Morgen des Transfertages sah noch vieles nach Manchester City aus und einige Stunden später wurde der Transfer zu United bekanntgegeben. Oftmals deuten sich insbesondere große Transfers medial ja über Wochen oder sogar Monate hinweg an, sodass die Bekanntgabe nur noch zur Formsache wird. Dies war hier anders, da dann alles sehr schnell ging - mit einer überraschenden Wende. Dementsprechend viel Aufmerksamkeit und Interaktion gab es dann für die Bekanntgabe sowie für die folgenden Ronaldo-Beiträge.
Gress: "Tweet ist effektiver als Pressemitteilung"
Ronaldos Berater Jorge Mendes hat seinen Klienten bei zahlreichen Spitzenvereinen angeboten. Real-Coach Carlo Ancelotti musste sogar das Interesse öffentlich dementieren - via Twitter. Hat Social Media einen größeren Einfluss beziehungsweise einen größeren Effekt als eine gängige Stellungnahme des Vereins?
Gress: Mit einem Tweet erreichen internationale Top-Vereine in Sekunden Millionen von Followern. Einige Minuten später entstehen aus den Tweets dann trotzdem noch die klassischen Pressemeldungen. Ein Tweet ist schneller, effektiver und reichweitenstärker als eine Pressemitteilung.
Mittlerweile stellen Vereine ihre Neuzugänge mit immer aufwändigen und kreativeren Videos auf Social Media vor. Was ist der Gedanke dahinter?
Gress: Die Vereine haben längst festgestellt, dass bei Top-Transfer die Interaktion und somit auch das Wachstum auf den digitalen Kanälen in den ersten Stunden und Tagen nach Bekanntgabe immer am höchsten ist aufgrund des hohen Nachrichtwerts eines Transfers sowie der damit einhergehenden Emotionalisierung der eigenen Fans. Es macht dann sehr viel Sinn, das Potenzial auch vollständig auszuschöpfen und so viele Fans des Spielers wie möglich zum eigenen Fan bzw. Follower umzuwandeln. Je kreativer die Umsetzung, desto höher die Aufmerksamkeit. Wenn der Spieler dann im Anschluss nicht sehr stark performt, wird es kaum noch Möglichkeiten geben, an ähnliche Interaktionswerte wie rund um einen Transfer heranzukommen. Nicht zuletzt ist das ein Stück weit ein interner Wettkampf der Vereine untereinander nach der kreativsten Transferbekanntgabe.
gettyRonaldo wurde bei seinem Wechsel von United zu Real 2009 beispielsweise mit unzähligen Zuschauern im Estadio Santiago Bernabeu vorgestellt. Sterben diese klassischen Präsentationen langsam aus?
Gress: Es lag die letzten eineinhalb Jahre auch schlicht und ergreifend an der Corona-Pandemie, dass es keine Transferbekanntgaben wie früher gab. Trotzdem ist solch eine Präsentation im Stadion natürlich auch kostspieliger. Und wenn, dann möchte man sicher gehen, dass das Stadion sehr gut gefüllt ist. Für "nur" eine Spielerpräsentation muss man erstmal ein Stadion mit 30.000 oder mehr Zuschauern voll bekommen. Sollte es nächsten Sommer zu einem Transfer wie Kylian Mbappe zu Real Madrid kommen, könnte es durchaus passieren, dass wir wieder die klassische Stadionpräsentation vor vollem Haus sehen werden. Nichtsdestotrotz lag der Fokus bei der Bekanntgabe von Transfers die letzten Jahre vor allem auf den digitalen Kanälen, da hier sehr schnell viel Potenzial ausgeschöpft werden kann, von dem der Verein im besten Fall auch langfristig profitiert.