Mit und ohne Busquets

Ben Barthmann
18. Oktober 201315:35
Typisch Bayer: Die Achter Rolfes und Bender attackieren, Reinartz (l.) steht als Abfangjäger paratgetty
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Wenn am Freitagabend Bayer Leverkusen und die TSG 1899 Hoffenheim (20.15 im LIVE-TICKER) aufeinandertreffen, stehen sich mit Markus Gisdol und Sami Hyypiä auch zwei Trainer gegenüber, die unterschiedliche Auffassungen zum Spiel ihrer Mannschaft mitbringen. Die Taktikvorschau zum Spiel.

TSG 1899 Hoffenheim unter Gisdol

Die TSG geht nach dem Trainerwechsel in der letzten Saison einen klassischeren Weg als noch unter Marco Kurz. Nicht nur in den Personalentscheidungen, sondern auch in der taktischen Ausrichtung der Mannschaft macht der neue Trainer einige Dinge anders, aber auch einfacher.

In allen bisherigen Saisonspielen setzte Hoffenheim auf die gleiche Herangehensweise. In einem offensiv ausgerichteten 4-2-3-1 sind viele einfache Elemente zu erkennen. Neben einer altbekannten 6er/8er Einteilung im zentralen Mittelfeld und einer 4-4-2 Ausrichtung in der Defensive setzt Markus Gisdol viel auf die Spielintelligenz seiner Spieler.

Auslassen des Zentrums

Die Hoffenheimer wollen schnell und direkt kombinieren. Dabei kommt der Spielaufbau mit viel Ballbesitz, wie man es beispielsweise vom FC Bayern München kennt oft zu kurz. Kaum eine andere Mannschaft der Bundesliga lässt die zentralen Mittelfeldspieler ihres Systems so konsequent außen vor wie die TSG. SPOX

Trotz der sehr guten personellen Besetzung im Zentrum mit Spielern wie dem erfahrenen Sejad Salihovic, dem U-Nationalspieler Sebastian Rudy oder dem Ex-Mainzer Eugen Polanski vertraut Markus Gisdol lieber auf David Abraham und Jannick Vestergaard, was den Spielaufbau angeht. Beide Innenverteidiger stoßen mit Ball am Fuß weit nach vorne vor und verteilen die Bälle dann auf die beiden Außenbahnen, von wo es möglichst nicht wieder in die Mitte gehen soll.

Dies hat teilweise kuriose Szenen zur Folge: Gegen Nürnberg war in der ersten Halbzeit immer wieder zu beobachten, wie Andreas Beck nach einer Anspielstation suchte, den Ball aber lieber kunstvoll nach vorne auf Modeste spielte, anstatt den einfach Pass auf den sich anzubietenden Polanski zu spielen.

Auch Pässe von der Innenverteidigung direkt auf die beiden zentralen Mittelfeldspieler sieht man nur selten. Gegen den Hamburger SV spielte Vestergaard keinen einzigen Pass auf Polanski, obwohl dieser rein positionell direkt vor ihm spielte, stattdessen rückte der Däne immer wieder nach vorne und so landeten die meisten seiner Zuspiele beim eigentlich auf der anderen Seite des Feldes spielenden Kevin Volland.

Beispiel Hoffenheim - Schalke (3:3): Wie die durchschnittlichen Positionen der vier Offensivspieler (siehe Grafik) zeigen, bewegten sich diese extrem frei auf dem Feld. Dadurch dass beispielsweise Volland (Nr. 31) sowohl rechts als auch links zu finden war, ergibt sich letztendlich eine beinahe mittige Position in der Statistik, obwohl Hoffenheim keineswegs viel durch die Mitte kombinierte.

Die Suche nach der Stabilität

In der Defensive verfolgt Gisdol ein interessantes Konzept: Er vertraut in vielen Situationen auf das taktische Verständnis und die Spielintelligenz seiner Spieler, anstatt ein gruppen -oder mannschaftstaktisches Vorbild zu geben. Zwar sind Grobformen einer 4-4-2 Anordnung in der Defensiv zu beobachten, diese zerfällt aber, je näher der Gegner der gefährlichen Zone kommt.

SPOXHier geht die TSG vorerst nur nach einem Prinzip: Hauptsache es wird gepresst. Ob dies nun durch einen herausrückenden Innenverteidiger, die zurückfallenden Stürmer oder einen arbeitenden Flügelspieler geschieht, steht dabei nicht im Vordergrund, der Ball soll nur schnell hinten heraus und wieder nach vorne gespielt werden. Die Mannschaft soll als Ganzes ihre pressenden Mitspieler absichern und so die Torgefährlichkeit unterbinden.

Dieses System führt aber oft zu Fehlpässen und wirkungslosen Befreiungsschlägen, die sofort wieder in Ballbesitz des Gegners enden, was dementsprechend zu einer niedrigen Passerfolgsquote und einem meist offenen, zerfahrenen Spiel ohne lange Aktionen mit Ballbesitz führt. Der HSV dominierte den Ballbesitz gegen die TSG zwar, verlor dennoch am Ende mit 1:5.

Heber auf die fluide Offensive

So wenig wie die Zentrale der Hoffenheimer am Spielaufbau beteiligt ist, so wichtig ist sie doch für das Offensivspiel. Sobald der Ball in der Zentrale bei einem der beiden defensiveren Akteure oder auch bei Roberto Firmino angekommen ist, starten Volland, Tarik Elyounoussi und Anthony Modeste in die Spitze.

Dabei ist besonders auffällig, wie oft es die TSG mit hohen, aber kurzen Bällen, über die Abwehr des Gegners versucht. Immer und immer wieder sieht man den Heber in den Lauf einer der drei oder bisweilen mit Zehner Firmino vier Offensivkräfte. Da dies bei kopfballstarken Innenverteidigern nicht immer funktioniert, bedient sich Gisdol auch hier eines einfachen Mittels.

Die Offensivspieler Hoffenheims bewegen sich nahezu frei in vorderster Reihe. Ob nun Volland auf der linken Seite auftaucht, Modeste von links nach rechts ausweicht und Elyounoussi in die Mitte zieht oder eventuell nur Modeste zurückfällt und Firmino nach vorne schiebt, ist dabei egal, denn auch hier setzt der Trainer wieder auf das Spielverständnis seiner Akteure. Diese sollen kreuzen, Laufwege abbrechen und plötzlich starten, um eine klare mannorientierte Deckung zu verhindern.

Seite 2: Bayer Leverkusen unter Hyypiä

Bayer Leverkusen unter Hyypiä

Nach dem Abgang von Sascha Lewandowski wurde lange spekuliert, wie sich dies auf die taktische Ausrichtung von Bayer Leverkusen auswirken könnte. Gerüchten um ein englisch angehauchtes 4-4-2 System machte der neue Cheftrainer Sami Hyypiä schnell ein Ende, als er auch weiterhin in einem interessanten System 4-5-1/4-3-3 aufstellte.

Die dadurch aufkommenden Vergleiche mit dem FC Barcelona werden Leverkusen allerdings bei weitem nicht gerecht, denn die Werkself interpretiert ihre Formation deutlich anders als die Katalanen.

Zentral über die Flügel

Ähnlich wie Hoffenheim versucht es Leverkusen schnell und direkt über die Flügel, verfolgt dabei aber einen anderen Ansatz. Während Gisdol seine zentralen Mittelfeldspieler vom Spielaufbau entbindet, sind die beiden Achter der Werkself zentrale Elemente der Spielgestaltung.

Während der zentrale Stefan Reinartz die Zuspiele sammelt, tendieren beide Achter, in den meisten Fällen Gonzalo Castro und Lars Bender/Simon Rolfes, nach außen und bekommen die Bälle des Sechsers in den entsprechenden Halbraum gespielt.

Dort ballen sich mit den beiden offensiv ausgerichteten Außenverteidigern, den inversen Flügelspielern und eben jenen Achtern mindestens drei Spieler, die den Raum überladen und eine numerische Überzahl schaffen, die das Kombinieren durch das gegnerische Pressing erleichtert.

Als Rückpassoptionen bieten sich die Innenverteidiger an und können, durch die breite Stellung der Zentrale, weit nach vorne rücken und eine Dreierkette mit Reinartz bilden. Damit verteilt sich der Spielaufbau auf mehrere Schultern und ist somit nur schwer zu verhindern.

Der deutsche Busquets?

Diesem Umstand ist wohl auch der Vergleich mit dem FC Barcelona zuzuschreiben. Auch dort lässt sich mit Sergio Busquets immer wieder der nominelle Sechser zwischen beide Innenverteidiger fallen, um seinen Bewachern zu entgehen und die beiden Innenverteidiger weiter nach außen zu schieben. Bundesliga Spielplaner - Der Tabellenrechner von SPOX.com

Reinartz spielt diese Rolle bei Leverkusen, was Wolfgang Holzhäuser jüngst zu der Aussage bewegte, der Deutsche sei der Busquets von Bayer. Dieser Vergleich scheint auf den ersten Blick weit hergeholt, hält aber durchaus einer Überprüfung Stand. Sowohl in seiner gruppentaktischen Funktion als auch in seinen individuellen Eigenheiten sind bei dem Sechser der Werkself gewisse Parallelen zum spanischen Welt- und Europameister zu erkennen.

Reinartz ist extrem wichtig für die Stabilität des breiten Bayer-Systems. Bei gegnerischen Balleroberungen pressen die nächsten Spieler auf den Ballführenden und zwingen ihn so zum Weg in die Mitte, wo Reinartz seine Stärken in der Balleroberung ausspielen kann, den unter Druck oft schlampig geführten Ball erobert und ihn schnell weiterspielt.

Allerdings ist Reinartz bei weitem nicht so pressingresistent wie Busquets und auch nicht so passsicher, weshalb er sich auf einfache Zuspiele beschränkt, dabei aber kaum Fehler macht.

Kießling für die Nationalmannschaft?

Bayers Offensivspiel ist geprägt von Variabilität. Mit den schnellen und abschlussstarken Sidney Sam und Heung-Min Son, aber auch mit dem offensiv starken Castro hat die Werkself gleich mehrere Spieler in ihren Reihen, die verschiedene Positionen besetzen können. SPOX

Diesen Umstand weiß sich auch Hyypiä zu Nutze zu machen, denn der Finne setzt im Angriff gezielt auf Rochaden, um in der Defensive des Gegners für Unordnung zu sorgen.

Einer der wichtigsten Bausteine in diesem attraktiven Spiel ist Stefan Kießling. Dieser lässt sich aus der Zentrale zurückfallen und holt sich nahe dem Mittelkreis viele Bälle, die er wiederum auf die einrückenden Flügelspieler verteilt, die sogar höher stehen, als der nominelle Mittelstürmer. Durch seine starke Physis, aber auch eine ordentliche Technik kann der 29-Jährige die Bälle sehr gut behaupten und weitergeben.

Dabei ist genau dies der Punkt, der dem Stürmer des Öfteren vorgeworfen wird, wenn es um eine Nominierung für das DFB-Team geht. Kießling sei technisch nicht stark genug, nicht variabel einsetzbar. In Leverkusen beweist er regelmäßig, dass er nicht nur selbst Tore erzielen kann, sondern auch ein Auge für seine Mittelfeldspieler hat. Mehr als drei Torschussvorlagen pro Partie sprechen eindeutig für ihn.

Stefan Kießlings Aktionsradius im Spiel gegen Hannover 96 (2:0):

Hoffenheim - Leverkusen