Timon Wellenreuther von Willem II im Interview: "Die Champions League ist wie eine Droge"

Robin Haack
14. Mai 201915:45
Spricht im Interview mit Goal und SPOX über seine bewegte Karriere, Champions League mit Schalke und seine aktuelle Lage: Timon Wellenreuther.imago
Werbung

Mit 19 Jahren wurde Timon Wellenreuther beim FC Schalke 04 ins kalte Wasser geworfen. Aufgrund von Verletzungen rückte der talentierte Schlussmann ins Tor der Königsblauen und spielte unter anderem im Revierderby, gegen den FC Bayern und in der Champions League gegen Real Madrid.

Inzwischen steht der ehemalige U21-Nationaltorwart bei Willem II Tilburg in den Niederlanden unter Vertrag und hat sich dort zum Führungsspieler entwickelt. Im Interview mit Goal und SPOX erinnert sich Wellenreuther an seinen turbulenten Karrierestart und Rückschläge, die er anschließend einstecken musste.

Außerdem spricht der 23-Jährige über seine Zukunftspläne, die verpasste Teilnahme an den Olympischen Spielen und die Strahlkraft von Ajax in der Eredivisie.

Timon, wissen Sie noch, was Sie am 18. Februar 2015 gemacht haben?

Timon Wellenreuther: Das müsste der Tag meines ersten Champions-League-Spiels gewesen sein.

Richtig, als 19-Jähriger standen Sie an diesem Tag im Champions-League-Achtelfinale gegen Real Madrid im Tor.

Wellenreuther: Das werde ich nie vergessen. Seit diesem Tag bin ich der jüngste deutsche Torwart, der je in der Champions League zum Einsatz kam. Jedes Kind träumt von solchen Spielen.

Haben Sie ein besonderes Andenken an diesen Abend?

Wellenreuther: Ich habe nach Abpfiff mein Trikot mit Iker Casillas getauscht. Er ist eine Legende, zu der ich in meiner Jugend aufgeschaut habe. Deshalb werde ich das Trikot auch niemals hergeben. Es wird immer einen Ehrenplatz bekommen und hängt aktuell in meinem Wohnzimmer.

Da Ralf Fährmann und Fabian Giefer zu diesem Zeitpunkt verletzt ausgefallen waren, standen Sie 2015 auch in der Bundesliga einige Wochen im Tor des FC Schalke. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?

Wellenreuther: Es ging alles unfassbar schnell, sodass ich zum damaligen Zeitpunkt gar nicht realisieren konnte, was da eigentlich passiert. Ich stand im Revierderby, gegen den FC Bayern und Real Madrid im Tor. Diese Wochen waren sehr turbulent und unvergesslich.

Steht seit zwei Jahren bei Willem II unter Vertrag: Timon Wellenreuther.getty

Dabei haben Sie Höhen und Tiefen erlebt.

Wellenreuther: Viel mehr als das Derby und zwei Spiele gegen Real Madrid kann man nicht erleben. Im Großen und Ganzen bin ich mit meinen Leistungen in dieser Zeit zufrieden. Auch gegen den BVB habe ich gut gespielt, bis mir vor dem 0:3 ein Fehler gegen Marco Reus unterlaufen ist. Aber das ist das Torwartspiel und passiert jedem manchmal.

2015 standen noch Spieler wie Kevin-Prince Boateng, Klaas-Jan Huntelaar oder Benedikt Höwedes im Schalker Kader. Wie viel Ehrfurcht hat man als junger Spieler, plötzlich mit solch großen Namen auf dem Platz zu stehen?

Wellenreuther: Schon als U19-Spieler durfte ich teilweise bei den Profis mittrainieren und in der Anfangszeit war die Ehrfurcht sehr groß. Boateng habe ich als Jugendlicher im Fernsehen verfolgt. Plötzlich mit ihm in der Kabine zu sitzen, war für mich unglaublich. Anfangs habe ich den Ball flach gehalten und mich kaum getraut, etwas zu sagen. Ich habe mich nicht auf einer Ebene mit diesen großen Spielern gesehen. Besonders vor Boateng hatte man als junger Spieler großen Respekt.

Was macht ihn besonders?

Wellenreuther: Vor ihm hatte ich am meisten Respekt. Wenn ein junger Spieler Widerworte gegeben hat, hat er gleich klargemacht, wer hier der Chef ist. (lacht)

Fehlen auf Schalke mit Blick auf die aktuelle Situation große Persönlichkeiten wie Boateng, Höwedes, Huntelaar oder auch Naldo?

Wellenreuther: Schalke ist ein riesiger Verein, der immer von großen Spielern gelebt hat. Gerade in schwierigen Situationen sind Anführer wie Höwedes oder Huntelaar schon sehr wichtig. Niemand will, dass Schalke so weit unten steht. Mit Blick auf die Tabelle leide ich mit dem Verein. Ich durfte drei Jahre auf Schalke spielen und verfolge den Klub noch heute sehr regelmäßig. Daher lässt es mich nicht kalt, was dort vor sich geht. Aber ich bin davon überzeugt, dass es schon in der kommenden Saison wieder deutlich besser laufen wird.

Verstehen Sie den aktuellen Unmut der Fans? Sie selbst standen 2016 beim Revierderby in der Fankurve und konnten miterleben, was dort vor sich geht.

Wellenreuther: Ich kann verstehen, dass die Fans unzufrieden sind. Natürlich kann es immer passieren, dass man in eine Abwärtsspirale rutscht und einige Spiele verliert, aber die Zuschauer kommen ins Stadion, um Siege zu feiern. Auch die Fans haben ein Herz, lieben den Fußball und den Verein. Sie sind enttäuscht, wenn sie schlechte Leistungen sehen. Daher ist es ihr gutes Recht, ihren Unmut zu äußern.

Nachdem Sie in der Saison 2015/16 an den RCD Mallorca verliehen waren, haben Sie nach Ihrer Rückkehr auf Schalke gar keine Rolle mehr gespielt. Wie schwer war diese Zeit für Sie?

Wellenreuther: Das war das schwierigste Jahr meiner Karriere. Ich war damals aktueller U21-Nationaltorwart und hatte den Traum, im Sommer 2016 zu den Olympischen Spielen zu fahren. Auf Schalke war ich aber nur noch die Nummer drei und hatte einen ganz anderen Anspruch. Es reichte mir nicht, jede Woche auf der Tribüne zu sitzen und mal ein paar Spiele für die U23 in der Regionalliga zu machen.

Sie waren letztlich nicht bei Olympia dabei. Wie sind Sie damit umgegangen?

Wellenreuther: Es war mein Ziel, in Rio dabei zu sein und als Stammtorwart der U21 wäre ich unter normalen Umständen auch dabei gewesen. Ich bin sicher, es wäre eine tolle Erfahrung gewesen. In einem Gespräch mit Sportvorstand Christian Heidel habe ich ihm damals aber klargemacht, dass ich mich auf Schalke durchsetzen will und in der Vorbereitung alles geben werde, um zu spielen.

Das hat allerdings nicht geklappt. Haben Sie sich ungerecht behandelt geführt?

Wellenreuther: Ich wollte im Sommer 2016 unbedingt wechseln, als klar war, dass ich wieder nur die Nummer drei sein würde, aber Schalke wollte mich nicht abgeben. Ich war damals 20 Jahre alt, kam mit Selbstvertrauen aus Spanien zurück und wollte spielen, statt auf der Tribüne sitzen.

Warum ist ein Transfer nicht zustande gekommen?

Wellenreuther: Die Ablösesumme war ein Problem. Es gab konkrete Angebote, aber Schalke hatte komplett andere Vorstellungen als ich und mein Berater, sodass es nicht zu einem Wechsel gekommen ist.

Hatten Sie in der Saison 2016/17, in der Sie ohne Einsatz bei den Profis geblieben sind, Angst, dass der Traum von der großen Karriere noch platzen könnte?

Wellenreuther: Ich wusste immer, was ich kann und für mich war es keine Strafe, als 20-Jähriger einige Spiele in der U23 zu machen. Es ist immer eine Freude, auf dem Platz zu stehen. Nur, weil ich in der Champions League gegen Ronaldo gespielt habe, war ich nicht plötzlich ein großer Star.

Seit Ihrem Wechsel in die Eredivisie spielen Sie wieder regelmäßig und speziell diese Saison läuft es bei Willem II für die komplette Mannschaft sehr gut.

Wellenreuther: Die Mannschaft ist mit einer Mischung aus jungen Spielern und Routiniers sehr gut zusammengestellt. Wir wollen jedes Spiel gewinnen und sind hungrig nach Erfolg. Im Winter haben wir noch einmal gute Spieler hinzubekommen, die schon jetzt ein wichtiger Faktor geworden sind. Auch der Trainer weiß, was die Mannschaft braucht - momentan passt in Tilburg alles.

Der treffsicherste Neuzugang ist Alexander Isak. Hätten Sie damit gerechnet, dass er derart gut einschlägt?

Wellenreuther: In Dortmund hatte er zuletzt eine schwierige Phase. Im Training sieht man aber täglich, dass er große Qualität hat. Es ist kein Zufall, dass er in seinen 17 Pflichtspielen für den Klub 14 Tore geschossen hat. Er ist einer der besten Stürmer, die ich je gesehen habe und schon jetzt unsere Lebensversicherung.

Auch für Sie persönlich lief es zuletzt sehr gut. Speziell nach dem Sieg im Pokalhalbfinale gegen AZ Alkmaar (2:1 n.E.), bei dem Sie im Elfmeterschießen drei Schüsse parieren konnten, wurden Sie gefeiert. Was machen Sie heute anders als noch vor drei Jahren?

Wellenreuther: Ich bin viel reifer geworden. Sowohl menschlich als auch sportlich habe ich in den vergangenen Jahren sehr viel gelernt. Ich habe in Spanien gespielt, auf Schalke einen Rückschlag hinnehmen müssen und mich dann in den Niederlanden in einem komplett anderen Umfeld durchgekämpft. Menschlich sind diese Erfahrungen unheimlich wertvoll. Auch sportlich habe ich von jedem meiner Torwarttrainer etwas mitgenommen und mich etwa im Stellungsspiel stark verbessert. Aktuell fühle ich mich hier wohl, verstehe mich gut mit meinen Kollegen und bin topfit.

In Ihrer ersten Saison bei Willem II haben Sie zwischenzeitlich Ihren Stammplatz verloren. Was ging damals in Ihnen vor?

Wellenreuther: Das war wirklich hart. Aber auch aus solchen Situationen muss man das Beste mitnehmen. Ich habe in der Folge noch härter gearbeitet und stand am Saisonende wieder im Tor. Als Mannschaft sind wir in der vergangenen Saison schlecht gestartet, der Trainer hat einen Sündenbock gesucht - und der war leider ich. Im Endeffekt hatte der Trainer aber wenig Erfolg mit dem Wechsel und wurde kurze Zeit später entlassen.

Timon Wellenreuther bei Schalke 04, RCD Mallorca und Willem II

VereinSpieleGegentoreSpiele ohne Gegentor
Willem II48989
RCD Mallorca333311
FC Schalke 0410151
FC Schalke 04 II25335

Wie kommt es in den Niederlanden an, dass Ajax in der Champions League für Furore sorgt?

Wellenreuther: Die Leute in Holland sind fußballverrückt. Ajax ist hier immer präsent, jetzt natürlich umso mehr. Die Mannschaft ist so stark wie seit Jahren nicht und es ist toll zu sehen, dass Eigengewächse wie Frenkie de Jong oder Matthijs de Ligt das Team bis an Europas Spitze führen. Auch für den Ruf der Eredivisie kann es nur förderlich sein, wenn eine Mannschaft wie Ajax die Champions League aufmischt.

Welcher Spieler beeindruckt Sie in der Mannschaft von Ajax am meisten?

Wellenreuther: Das Problem ist, dass Ajax mehrere Spieler hat, die sehr beeindruckend sind. Hakim Ziyech, de Jong, de Ligt oder Dusan Tadic spielen alle auf einem sehr hohen Niveau. Auch Trainer Erik ten Hag macht einen tollen Job, das muss man anerkennen. Das Gegenpressing und der One-Touch-Fußball, den Ajax momentan spielt, erinnern an den FC Barcelona.

Kommen wir zu Ihrer persönlichen Zukunft: Wo sehen Sie sich in fünf Jahren?

Wellenreuther: Wenn man einmal Champions League gespielt hat, will man dort auch eines Tages wieder hin. Die Königsklasse ist wie eine Droge. (lacht) Daher hoffe ich, dass ich mich durch harte Arbeit weiter verbessern kann und in den nächsten Jahren noch das eine oder andere internationale Spiel hinzukommt.

Willem II hat Ihren Vertrag vor wenigen Wochen dank einer Klausel um ein weiteres Jahr bis 2020 verlängert. Ist es für Sie eine Option, langfristig in den Niederlanden zu bleiben?

Wellenreuther: Die Eredivisie ist eine tolle Liga und ich möchte nichts ausschließen. Auch hier gibt es Vereine, die tolle Konzepte haben und regelmäßig international spielen.

Sie haben bislang acht Spiele in der Bundesliga absolviert. Steht auf Ihrer Liste, dass bald weitere hinzukommen?

Wellenreuther: Ich bin Deutscher und habe immer davon geträumt, in der Bundesliga zu spielen. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Es ist eine der besten Ligen der Welt.

Gab es seit Ihrem Wechsel nach Tilburg Anfragen aus der Bundesliga?

Wellenreuther: Im Moment läuft es für mich persönlich sehr gut. Das merkt man auch am Interesse anderer Klubs und an den Anfragen, die ich bekomme. In dieser Hinsicht kann ich mich nicht beschweren. (lacht)

Gibt es andere Ligen, die Sie reizen würden?

Wellenreuther: Gerade die Premier League hat eine ungeheure Strahlkraft. Ich kenne keinen Spieler, der sich nicht vorstellen kann, dort eines Tages zu spielen. Nachdem ich in Spanien schon Erfahrung in der 2. Liga sammeln konnte, weiß ich aber auch, wie stark und reizvoll LaLiga ist. Letztendlich kommt es aber darauf an, ob man sich im ganzen Verein wohlfühlt, man glaubt, dass man gemeinsam etwas erreichen kann. Das ist in den Niederlanden derzeit auf jeden Fall auch zutreffend.

Magischer Abend im Bernabeu: Timon Wellenreuther startete im Tor des FC Schalke 04 von null auf hundert und fand sich urprlötzlich in der Champions League gegen Real Madrid wieder.getty

Sie haben in Ihrer Karriere schon mit einigen großen Spielern zusammengespielt. Wer hat Sie am meisten beeindruckt?

Wellenreuther: Ralf Fährmann. Er war auf Schalke die Nummer eins, als ich aus der Jugend zu den Profis hochgezogen wurde - und er hat mich an die Mannschaft herangeführt. Dabei war er immer hilfsbereit und hatte ein offenes Ohr. Das werde ich nie vergessen. Ralle ist ein netter Mensch und ich habe noch heute Kontakt zu ihm.

Haben Sie mit ihm gelitten, als er im Winter auf Schalke zur Nummer zwei degradiert worden ist?

Wellenreuther: Ich wünsche es keinem Torwart, plötzlich auf die Bank gesetzt zu werden. Wenn es in der Mannschaft schlecht läuft, sucht man schnell einen Sündenbock und auf Schalke hat es leider Fährmann getroffen. Es tut mir sehr leid für ihn.

Welcher Gegenspieler hat Sie bisher am meisten beeindruckt?

Wellenreuther: Im Training war es unglaublich schwer, gegen Huntelaar zu spielen. Er hat eine tolle Schusstechnik und als Torwart weiß man nie, was er macht, wenn er auf einen zugelaufen kommt.

Und außerhalb des Trainings?

Wellenreuther: Gegen Cristiano Ronaldo zu spielen, war etwas ganz Besonderes. Für mich ist er der beste Spieler der Welt. Seine Laufwege und seine Power sind unglaublich. Auch in den Spielen gegen mich hat man leider gesehen, dass er eiskalt und immer zur Stelle ist. Obwohl ich einige Bälle von ihm gehalten habe, hat er im Endeffekt zweimal getroffen.