"Vom Leben um die Eintracht gefesselt"

Daniel Reimann
29. Oktober 201315:50
Torsten Lieberknecht führte die Eintracht von der 3. Liga in die Bundesligagetty
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Vom Rande des Ruins in Deutschlands höchste Spielklasse: Eintracht-Trainer Torsten Lieberknecht genießt Heldenstatus in Braunschweig. Im Interview spricht der Coach über die Faszination Eintracht, die unnötige Jobgarantie, Braunschweigs "romantischen Weg" und das Unwort "Konzepttrainer".

SPOX: Herr Lieberknecht, Sie sind mittlerweile seit zehn Jahren bei Eintracht Braunschweig. Wie oft kommt es vor, dass Sie innehalten und melancholisch auf diese Zeit zurückblicken?

Torsten Lieberknecht: Das ist nur selten der Fall. Bei dem Höllentempo im Tagesablauf bleibt keine Zeit für Melancholie. Aber es freut mich zu sehen, welch tolle Entwicklung der Verein in diesem Zeitraum genommen hat, insbesondere in den letzten fünf Jahren. Es wurde viel Vertrauen aufgebaut, dadurch entsteht eine große Verbundenheit. Das weiß ich zu schätzen.

SPOX: Versuchen Sie doch einmal zu beschreiben, wodurch sich diese Verbundenheit auszeichnet.

Lieberknecht: Es ist im Profifußball nicht gewöhnlich, dass man zehn Jahre in einer Stadt ausharrt. Aber hier in Braunschweig ist man vom Leben rund um die Eintracht gefesselt. Die Eintracht prägt alle, der Verein ist seit Jahrzehnten das Thema schlechthin. Dazu kommen diese leidenschaftlichen Fans, die schon alle Höhen und Tiefen miterlebt haben. Das ist schon etwas Besonderes.

SPOX: Ist die Bindung nur beruflicher oder auch privater Natur?

Lieberknecht: Natürlich gibt es noch andere Gründe. Meine drei Kinder wurden hier geboren und ich finde Braunschweig sehr lebenswert. All das bindet einen sehr an den Verein und die Stadt. Wohlwissend, dass diese Bindung primär aus meinem Job als Trainer besteht. Doch der ist mit einer hohen Verantwortung für die Fans und die Region verbunden. Bundesliga Spielplaner - Der Tabellenrechner von SPOX.com

SPOX: Hat sich diese Verbundenheit mit den Fans denn in den letzten Jahren verändert?

Lieberknecht: Als ich hier noch Spieler war, war ich überrascht, wie sehr sich die Fans freuten, wenn man stehenblieb und mit ihnen sprach. Mir wurde schnell bewusst, wie wichtig den Fans Tradition und Verbundenheit waren, aber es war immer eine Distanz zu spüren. In den letzten Jahren ist es uns gelungen, das aufzubrechen. Wir wollten zeigen, dass Fußballer auch nur Menschen sind, die ihrem Beruf mit großer Leidenschaft nachgehen. Dennoch hat man als Spieler der Eintracht hier einen außergewöhnlichen Stellenwert. Man wird mehr als nur gemocht, die Ehrfurcht bei den Leuten ist riesig.

SPOX: Gerade Ihnen als Aufstiegstrainer wird eine besondere Verehrung zuteil. Wird Ihnen das nicht manchmal zu viel?

Lieberknecht: Ich bin bodenständig und weiß zu schätzen, welch großes Vertrauen ich hier erfahre. Jeder weiß, dass ich damit nicht hausieren gehe und dass ich dieses Vertrauen niemals missbrauchen würde. Dafür ist die Verantwortung, die ich für den Verein und die Region trage, einfach zu groß. SPOX

SPOX: Auch von Seiten der sportlichen Leitung ist das Vertrauen ungebrochen. Trotz des schlechten Saisonstarts sprach Ihnen Marc Arnold eine Jobgarantie aus. Hat sich dadurch irgendetwas für Sie verändert?

Lieberknecht: Nein, überhaupt nicht. Es war an sich gar nicht nötig. Es war zwar ein enormer Vertrauensbeweis, aber letztendlich steht dieser nur stellvertretend dafür, was wir hier in den letzten Jahren gemeinsam erarbeitet haben. Und das ist nicht alleine mein Verdienst, sondern genauso der von Marc Arnold, Geschäftsführer Soeren Oliver Voigt und Präsident Sebastian Ebel. Diese Jobgarantie war aus der Situation heraus nur eine Bekräftigung des gegenseitigen Vertrauens, das hier seit Jahren herrscht. Das ist zwar nicht alltäglich, aber wir sind auch kein alltäglicher Verein. Wir sind da etwas spezieller...

SPOX: Wie würden Sie das Spezielle an Eintracht Braunschweig beschreiben? Meinen Sie das, was Sie einst als "romantischen Weg" beschrieben haben?

Lieberknecht: Diese Vorstellung des "romantischen Weges" war unserer damaligen Situation geschuldet. Wir mussten einen komplett neuen Weg gehen und wollten dem Verein ein neues sportliches Leitbild verpassen. Wir hatten nur geringe finanzielle Möglichkeiten, deshalb mussten wir vermehrt auf junge Spieler setzen, die aus niedrigen Ligen zu uns kamen. Da steckt schon ein Stück weit Romantik drin, wenn man weiß, wie es sonst im Profi-Business läuft. Vor allem, wenn man bedenkt, dass dieser Weg uns in die erste Liga geführt hat. Aber momentan umschwebt uns nicht allzu viel Romantik.

Seite 2: Lieberknecht über Coaching als Kumpeltyp und das Unwort "Konzepttrainer"

SPOX: Fühlten Sie sich denn nach den ersten sieben Bundesligaspielen in Ihrer romantischen Idee desillusioniert?

Lieberknecht: Uns hat die volle Wucht der ersten Liga getroffen. Trotzdem wollen wir unseren Weg genauso weitergehen, wie wir das vergangene Saison getan haben. Wir haben auch nach dem Aufstieg nicht etwa plötzlich viel Geld ausgegeben, sondern schenken auch weiterhin der Mannschaft das Vertrauen, die den Aufstieg geschafft hat. Das ist vielleicht ein bisschen romantisch und birgt Risiken, aber es zeichnet uns auch aus. Dem wollen wir treu bleiben.

SPOX: War es eine Genugtuung, ausgerechnet gegen den VfL Wolfsburg den ersten Saisonsieg zu holen? Der Lokalrivale stellte in den letzten Jahren eher das Gegenstück zum "romantischen Weg" der Eintracht dar.

Lieberknecht: Das war nicht unser Primärziel. Es war der Lohn für eine - positiv gemeint - verrückte Woche. Zuvor hatten wir einige Spiele dabei, die wir hätten gewinnen müssen, gegen Nürnberg oder Bremen zum Beispiel. Der Sieg in Wolfsburg war eine Bestätigung dafür, dass wir die Spiele zuvor gut analysiert haben. Unabhängig davon, wie der Gegner heißt.

SPOX: Nach einem dieser Spiele sorgten Sie mit einer "Wutrede" für Aufsehen. Waren Sie überrascht von der lauten Reaktion auf ihre Worte nach dem HSV-Spiel?

Lieberknecht: Nein, überrascht war ich nicht. Ich bin seit Jahren im Profigeschäft und weiß, wie bestimmte Dinge aufgenommen und ausgeschlachtet werden. Ich wollte einfach meine Gemütslage ausdrücken. Hinzu kam eine bestimmte Einstiegsfrage, die mich emotional ins Rollen gebracht hat. Meine Wortwahl war vielleicht für den einen oder anderen ungewöhnlich, aber keineswegs despektierlich.

SPOX: Haben Sie denn manchmal das Gefühl, dass es auf diesem professionellen Niveau nicht mehr ausreichend Platz für Emotionen gibt?

Lieberknecht: Doch, den gibt es immer noch. Man kann Emotionen ausleben. Es gibt genügend Spielraum, in dem man sein persönliches Befinden kundtun kann, solange man bestimmte Grenzen beachtet. Ich finde das sehr wichtig, denn es ist auch eine Art Selbstschutz, seinen Emotionen freien Lauf zu lassen. Das ist gesund. Und weitaus besser, als die Dinge in sich reinzufressen.

SPOX: Einerseits sind Sie emotional, andererseits werden Sie oft als Kumpeltyp charakterisiert. Zurecht?

Lieberknecht: Meine Mannschaftsführung basiert zum großen Teil auf Vertrauen, das ist richtig. Das hängt aber damit zusammen, dass ich mit vielen Spielern hier schon sehr lange zusammenarbeite. Ich schätze meine Spieler als Menschen sehr und versuche, ihnen das auch so zu vermitteln. Der Erfolg gibt uns Recht. Aber jeder Spieler weiß auch, dass er bestimmte Grenzen nicht überschreiten darf. Ich werde sehr ärgerlich, wenn mein Vertrauen missbraucht wird, das wissen meine Spieler aus der Vergangenheit.

SPOX: Wird nicht ohnehin ein gewisses Maß an Autorität von Seiten des Trainers entbehrlich, wenn in der Mannschaft ein entsprechend starker Teamgeist herrscht?

Lieberknecht: Durchaus. Aber man muss da differenzieren. Es gibt einerseits eine bestimmte Art der Mannschaftsführung. Ich vermittele den Spielern Disziplin, behalte mir aber einen gewissen Spielraum, manche Dinge auch vertrauensvoll rüberzubringen. Wie man mit den Spielern umgeht, ist also das eine. Aber über allem steht die fachliche Kompetenz. Wenn du den Jungs nicht vermitteln kannst, was du willst, nützt alle Autorität nichts.

SPOX: Viele junge Trainer der neuen Generation verzichten auf übermäßiges Autoritätsgebaren. Stattdessen werden Sie oft als "Konzepttrainer" bezeichnet. Stimmt es, dass Sie den Begriff nicht leiden können? Und weshalb?

Lieberknecht: Ja, richtig. Ich finde es unangebracht, zwischen Trainern so sehr zu differenzieren und sie in Kategorien einzuordnen. Jeder Trainer hat ein Konzept, einen Plan und führt seine Mannschaft gemäß seiner Idee. Wenn man junge Trainer als Konzepttrainer bezeichnet, ist das despektierlich gegenüber vielen älteren Trainern, die seit Jahren erfolgreich arbeiten. Das stört mich. Ein Jupp Heynckes war doch nicht konzeptfrei! Er musste eine enorme Qualifikation als Trainer mitbringen, um die Erfolge zu feiern, die er erreicht hat. Stattdessen bezeichnet man manche Trainer als Konzepttrainer, die trotz super vorhandenen Konzepts keinen Erfolg hatten.

SPOX: Und wenn man Sie kategorisieren müsste? In welcher Schublade würden Sie landen?

Lieberknecht: Ich bin einfach nur Fußballtrainer.

Torsten Lieberknecht im Steckbrief