Während seiner Zeit als Jugendspieler beim FC Schalke 04 wollte Mehmet Can Aydin (19) nicht auf ein Internat. Stattdessen fuhr ihn seit Vater täglich zwei Stunden zum Training und anschließend wieder zurück nach Hause in die Nähe von Aachen. Den Sprung in die Profimannschaft schaffte Aydin trotzdem.
In seinem ersten ausführlichen Interview als Teil der S04-Profis erzählt der U20-Nationalspieler SPOX und Goal von den jahrelangen Strapazen, für die er im April erstmals von Dimitrios Grammozis belohnt wurde, und den Trainer, der ihn auf dem Weg nach oben maßgeblich prägte: Norbert Elgert.
Mehmet Can, hinter Ihnen liegt ein aufregendes Jahr: Im September 2020 haben Sie noch in der A-Junioren Bundesliga West gekickt, im September 2021 sind Sie bei den Profis des FC Schalke 04 gesetzt. Wie ist Ihnen so schnell der Durchbruch gelungen?
Mehmet Can Aydin: Alles hat mit dem coronabedingten Abbruch der U19-Saison angefangen. Ich sollte zunächst bei der zweiten Mannschaft mittrainieren, um im Rhythmus zu bleiben, durfte nach ein paar Wochen aber auch in der Regionalliga spielen. Das hat mir vor allem im körperlichen Bereich enorm geholfen. Irgendwann hat sich die Situation bei den Profis dann so entwickelt, dass sich ein paar Jugendspieler im Training zeigen durften. Darunter ich. Und ich habe meine Chance gut genutzt.
Man könnte also sagen, die sportliche Talfahrt hat Ihnen in die Karten gespielt.
Aydin: Das weiß ich nicht, ob ich andernfalls so schnell die Chance bei den Profis bekommen hätte. Schalke ist aber sowieso dafür bekannt, dass junge Spieler immer wieder bei den Profis zum Einsatz kommen und gefördert werden. Für mich persönlich war es definitiv eine aufregende Zeit, weil ich mir meinen Traum erfüllen konnte, für die erste Mannschaft zu spielen. Aber insgesamt war es natürlich keine Saison, die man als Schalker gerne in Erinnerung behält.
Was ging Ihnen vor Ihrem ersten Profi-Einsatz in Leverkusen am 3. April durch den Kopf?
Aydin: Ich war total nervös. Herr Grammozis hatte mir schon zwei oder drei Tage vor dem Spiel gesagt, dass ich anfange. Die Nacht vor dem Spiel war ganz schlimm für mich, ich habe kaum geschlafen. Auf dem Weg zum Stadion und in der Kabine hatte ich von der ganzen Aufregung dann auch noch Magenschmerzen. Aber mit dem Anpfiff war die Nervosität weg - und ich hatte einfach nur Bock, mich zu zeigen.
Gab es Spieler, die Sie in dieser Phase unterstützten?
Aydin: Ja, einige. Wenn ich jemanden hervorheben müsste, dann auf jeden Fall Michael Langer. Er hat mich sehr motiviert und mir das Gefühl gegeben, dass er an mich glaubt - nicht nur vor meinem Profi-Debüt. Dafür bin ich ihm sehr dankbar.
imagoSchalke 04 - Aydin: Büskens? "Wie ein Onkel"
Wer war oder ist Ihre wichtigste Bezugsperson aus dem Trainerteam?
Aydin: Mike Büskens. Er hat mir vom ersten Tag an geholfen, ist auf mich zugegangen, hat mir Tipps gegeben. Er hat ja wie ich auch Außenverteidiger gespielt. Ich habe viel von ihm gelernt. Wir haben auf und neben dem Platz ein super Verhältnis zueinander. Ich kann immer zu ihm kommen und mit ihm sprechen, auch über persönliche Themen. Er ist ein cooler Typ, ich würde ihn fast schon als Familienangehörigen bezeichnen. Wie ein Onkel, der immer ein offenes Ohr hat.
Sie sind zwar erst 19, aber Schalker durch und durch. 2012 wechselten Sie aus der Jugendabteilung von Borussia Mönchengladbach in die Knappenschmiede. Wer oder was gab den Ausschlag dafür?
Aydin: Mein Vater wollte immer, dass ich unter Norbert Elgert trainiere. Das war wie ein Traum für ihn. Ich kannte Herrn Elgert damals noch nicht, fand Schalke aber trotzdem total cool. Wenn wir mit Gladbach gegen die gespielt haben, habe ich danach immer bei denen einen Blick in die Kabine geworfen, weil die immer Party gemacht haben. Da lief Musik, da wurde getanzt - so etwas gab es bei uns eher nicht. Die hatten mit Sam Farokhi damals einen coolen Trainer, der auch heute noch die U11 trainiert. Er war - zumindest für mich - der eigentliche Grund für meinen Wechsel. Ihm bin auch sehr dankbar, weil er mir es ermöglicht hat, Schalker zu werden.
Schalke 04 - Aydin: "Elgert hat mich zu einem Mann gemacht"
Elgert begleitete Sie auf dem Weg in den Profibereich. Wie wichtig war er für Ihre Entwicklung?
Aydin: Sehr wichtig. Ich würde sagen, Herr Elgert hat mich zu einem Mann gemacht. Unter ihm habe ich gelernt, mit Drucksituationen umzugehen. Er ist jemand, der seinen Spielern auch bewusst ein bisschen Druck macht, um sie auf die Zeit im Profibereich vorzubereiten. Das hat mir gerade in der Phase, in der ich meine ersten Bundesliga-Erfahrungen gemacht habe, enorm geholfen.
Wie machte Elgert Ihnen bewusst Druck?
Aydin: Ich formuliere es mal so: Unter ihm steht die Mannschaft im Fokus. Wer aus der Reihe tanzt oder sich für etwas Besseres hält, bekommt das zu spüren. Ich war bis zu meinen drei Jahren unter Herrn Elgert jemand, der von allen Aufmerksamkeit brauchte. Ich stand gerne im Mittelpunkt, war auch oft der beste Torschütze. Herr Elgert hat dann zu mir gesagt: "Memo, dir wurde es immer zu einfach gemacht." Damit umzugehen, war nicht einfach. Ich war bis zur U17 Stürmer, danach bin ich auf den Flügel ausgewichen und Herr Elgert hat mich dann irgendwann auch als Außenverteidiger aufgestellt. Er meinte zu mir, er würde auf dieser Position die besten Chancen für mich sehen, in den Profibereich zu kommen. Das war zunächst sehr schwer für mich zu akzeptieren, weil Offensivspieler ja eher im Fokus stehen als Defensivspieler. Aber er hatte recht.
Also war es keine schlechte Idee Ihres Vaters, sich damals für einen Wechsel zu Schalke und eine Zusammenarbeit mit Elgert einzusetzen.
Aydin: Auf keinen Fall. Wenn ich so zurückblicke, ist es schon der Wahnsinn, was mein Vater wegen mir durchgemacht hat. Wir kommen ja aus der Nähe von Aachen und haben immer zwei Stunden mit dem Auto nach Gelsenkirchen gebraucht. Ein paar Freunde meines Vaters haben immer zu ihm gesagt: "Spinnst du eigentlich? Wieso meldest du deinen Sohn nicht irgendwo hier, zum Beispiel bei Alemannia Aachen oder wieder bei Gladbach, an?" Doch ihm war es wichtig, dass ich gut ausgebildet werde. Auf Schalke. Und irgendwann von Herrn Elgert.
Mehmet Can Aydin im Steckbrief
Geburtsdatum und -ort | 9. Februar 2002 in Würselen |
Größe | 1,79 m |
Gewicht | 75 kg |
Position | rechte Abwehr, rechtes Mittelfeld |
starker Fuß | rechts |
Stationen | VfL Übach-Boscheln (2009-2010), Borussia Mönchengladbach (2010-2014), Schalke 04 (seit 2014) |
Profispiele | 12 |
Wie sah damals Ihr Tagesablauf aus?
Aydin: Ich bin morgens um 7 Uhr aufgestanden, zur Schule und gegen 14 Uhr kam dann mein Vater mit dem Auto dorthin, um mich abzuholen. Wenn es gut lief, waren wir in zwei Stunden beim Trainingsgelände. Dann habe ich zwei Stunden trainiert, er hat gewartet und wir sind wieder zwei Stunden zurück.
Sie haben mehr Zeit im Auto als auf dem Platz verbracht.
Aydin: So ist es. Ich habe auf der Autobahn gegessen, geschlafen oder meine Hausaufgaben gemacht. Ich musste die Zeit ja irgendwie nutzen. Für meinen Vater war es purer Stress. Er stand jeden morgen um 5 Uhr auf, ist zur Arbeit und mittags heim, um das Essen zu holen, das meine Mutter vorbereitet hatte. Dann hat er mich abgeholt. Ich muss rückblickend sagen, dass das schon ziemich verrückt war. Ich bin ihm unendlich dankbar und ich glaube, er ist noch glücklicher als ich, dass sich all die Mühen gelohnt haben.
Bestand für Sie nicht die Mögichkeit, ein Internat zu besuchen?
Aydin: Doch, aber das wollten weder ich noch meine Eltern oder mein Bruder. Ich habe zu Hause gelebt, bis ich 18 war. Familie steht bei uns über allem. Ich habe vor allem meine Mutter tagsüber oft sehr vermisst und war überglücklich, als ich sie dann abends gesehen habe. Mein Vater und ich haben uns nach dem Training beeilt, damit wir rechtzeitig vor 21 Uhr nach Hause kommen. Da kam nämlich immer eine türkische Serie, die wir alle zusammen geschaut haben. Das war schön.
gettySchalke 04 - Aydin: "Ich bin nicht allein Profi geworden"
Gab es Phasen, in denen Ihnen alles zu viel wurde und Sie keine Lust mehr hatten?
Aydin: Nein, schlechte Phasen gehören dazu, aber meine Familie und ich hatten nie konkret einen Plan B im Sinn. Ich weiß nicht, wo ich heute ohne sie stehen würde. Wenn mein Vater mich nicht fahren konnte, fuhr mich mein älterer Cousin. Ich habe auch häufiger bei ihm in Düsseldorf übernachtet. Wir waren und sind bis heute ein Team. Deshalb würde ich auch nie sagen, dass ich allein Profi geworden bin, sondern wir als Familie.
Haben Sie Ihre Familie auch zu Ihrem ersten Heimspiel mit Zuschauern eingeladen?
Aydin: Meinen Vater, meinen Bruder, meinen Onkel. Meine Mutter nicht. Sie sieht eigentlich kaum zu, weil sie Angst hat, dass ich mich verletze. Sie hört lieber von der Küche aus zu, was der Fernsehkommentator erzählt.
Was ging Ihnen bei Ihrem ersten Spiel vor 25.0000 Fans in der Veltins-Arena durch den Kopf?
Aydin: Viele schöne Erinnerungen und vor allem Dankbarkeit. Ich bin seit sieben Jahren auf Schalke und habe so viele wunderbare Menschen kennen gelernt. Das Gemeinschaftsgefühl ist riesig. Was ich sehr cool finde: Die Jugendmannschaften sind auf demselben Trainingsgelände untergebracht wie die Profis. Ich hatte schon als kleiner Junge immer die Veltins-Arena im Blick. Es war einfach mein Ziel und mein Traum, eines Tages dort zu spielen. Und wenn du dann noch Persönlichkeiten wie Raul oder Julian Draxler hin und wieder über den Weg läufst, brauchst du sowieso keine Extramotivation mehr.
Schalke 04 - Aydin: "Ich finde Kimmich absolut überragend"
Haben Sie auch ein Foto mit Raul oder Draxler?
Aydin: Nein. Ich war ein sehr schüchterner Junge und habe mich nicht getraut, sie nach einem Foto zu fragen. Mein erstes Spiel in Arena war ein Champions-League-Spiel gegen Real Madrid. Nach dem Abpfiff stand ich zwei Meter neben Cristiano Ronaldo. Auch da hatte ich Bammel, ihn nach einem Foto zu fragen.
Wer ist Ihr fußballerisches Vorbild?
Aydin: Ich habe kein richtiges Vorbild, orientiere mich aber an Spielern, die auf meiner Position spielen. Man kann sich immer etwas abschauen und mit seinen eigenen Fähigkeiten kombinieren. Ich finde Joshua Kimmich, wenn er auf der rechten Seite spielt, absolut überragend. Gerade offensiv strahlt er sehr viel Gefahr aus. Auch Alexander-Arnold von Liverpool ist ein klasse Spieler. Mir gefallen seine Flanken und seine Ballbehandlung. Ich will in erster Linie natürlich meinen Job als Verteidiger machen, mich aber auch offensiv weiterentwickeln - gerade was Vorlagen und Tore angeht. Denn ich war ja früher mal Stürmer, habe einen guten Schuss und eine gute Vororientierung. Das möchte ich zu meinem Vorteil nutzen.
Was kommt Ihrem Spiel besser zugute: Wenn sie in der Viererkette hinten rechts spielen oder als rechter "Schienenspieler" in der Fünferkette?
Aydin: Ich habe schon beides gespielt und kann auch beides spielen. Klar ist: Bei der Fünferkette muss ich offensiv mehr machen, weil in der Regel keiner vor mir ist, den ich anspielen kann. Manchmal ist es schon angenehmer, jemanden vor sich zu haben, wenn man aufdreht - um eben den Doppelpass zu spielen oder zu hinterlaufen. Das muss aber der Trainer entscheiden und hängt zum Teil auch vom Gegner ab.
Ihre Position ist, so oder so, sehr laufintensiv.
Aydin: Laufen, kämpfen, Zweikämpfe gewinnen - das liebe ich und das passt auch gut zu mir. Für mich war es immer von Vorteil, dass ich in der Jugend meist einen Jahrgang übersprungen habe. Körperlich bin ich auf einem guten Niveau, ich muss aber spielerisch weiter an mir arbeiten.
gettySchalke 04 - Aydin: "Die Chemie im Team ist sehr gut"
Was trauen Sie der Schalker Mannschaft in dieser Saison zu? Bisher läuft es ja eher holprig.
Aydin: Nach der Niederlage zuletzt (1:2 gegen Karlsruhe; Anm. d. Red.) müssen wir uns natürlich steigern, aber ich muss dennoch sagen, dass Herr (Rouven) Schröder einen sehr guten Job gemacht hat. Er hat trotz finanzieller Probleme viele Spieler geholt und eine starke Mannschaft geformt. Mit Simon (Terodde) und Marius (Bülter) haben wir meiner Meinung nach die zwei besten Stürmer in der zweiten Liga. Die Chemie im Team ist sehr gut, wir verstehen uns untereinander alle. Für uns ist wichtig, dass wir den Fans so viel Freude wie möglich bereiten. Und klar: Ich möchte natürlich nochmal in der Bundesliga für Schalke spielen.
Über Ihr Privatleben ist bislang wenig bekannt. Welche Interessen haben Sie außerhalb des Fußballplatzes?
Aydin: Ich nutze jeden freien Tag, um Zeit mit meiner Familie oder meinen Freunden zu verbringen. Es ist wichtig, abzuschalten. Viele Leute sehen in mir leider nur den Fußballprofi, aber ich bin auch Mehmet Can und will nicht permanent über Fußball sprechen. Eine Runde FIFA zocken, das ist kein Problem, da kenne ich auch keinen besseren Spieler als mich, aber wenn mich jeden Tag jemand fragt, was gerade auf Schalke passiert oder was ich von dem oder dem Spieler halte - so etwas nervt mich. Ich schaue auch nicht jede Woche irgendein Kracherspiel in der Bundesliga oder Champions League. Meine Familie und Freunde haben zum Glück verstanden, dass sich in meinem Leben nicht alles um Fußball dreht.
FC Schalke 04: Die nächsten fünf Spiele in der 2. Bundesliga
Datum | Uhrzeit | Gegner |
25. September 2021 | 20.30 Uhr | Hansa Rostock (A) |
3. Oktober 2021 | 13.30 Uhr | FC Ingolstadt (H) |
15. Oktober 2021 | 18.30 Uhr | Hannover 96 (A) |
23. Oktober 2021 | 20.30 Uhr | Dynamo Dresden (H) |
29. Oktober 2021 | 18.30 Uhr | FC Heidenheim (A) |