"Jedes Spiel gleicht einer Schlacht"

Adrian Fink
28. Mai 201615:19
Uwe Rösler hat in seiner Karriere bisher unter anderem Leeds United trainiertgetty
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Uwe Rösler kennt den englischen Fußball wie kaum ein anderer. Als Profi spielte der 47-Jährige in den 90er Jahren unter anderem für Manchester City, als Trainer war er bislang für den FC Brentford, Wigan Athletic und Leeds United verantwortlich. Ein Gespräch über das Championship-Finale zwischen Hull City und Sheffield Wednesday am Samstag (18 Uhr im LIVESTREAM), Unterschiede zum Fußball in Deutschland, Pep Guardiola auf der Insel und seine eigene Zukunft.

SPOX: Herr Rösler, Sie waren sowohl als Spieler als auch als Trainer in England aktiv. Was macht den Fußball auf der Insel aus?

Uwe Rösler: Ich lebe seit 2010 wieder in England und der Fußball dort fasziniert mich: Die hohe Anzahl der Spiele und die Intensität, die jedem Spieler abverlangt wird, sind einmalig. Als ich bei Wigan Athletic als Trainer in der Championship gearbeitet habe, hatten wir ein Programm von 62 Spielen in einer Saison.

Hull City - Sheffield Wednesday (Sa., 18 Uhr): Das Finale im Livestream bei SPOX

SPOX: Das klingt brutal. Was zeichnet die Championship sonst noch aus?

Rösler: Die Aufsteiger haben ein Budget um die fünf Millionen Pfund, die oberen Teams hingegen bis zu 50 Millionen Pfund. Trotzdem gleicht jedes Match einer Schlacht, die Championship ist die härteste Liga der Welt. Besonders die Playoffs sind abartig nervenaufreibend. Auf das Finale am Samstag fiebert ganz England hin, für die Vereine geht es um 170 Millionen Pfund - so einem Druck musst du als Spieler oder Trainer erstmal Stand halten.

SPOX: Mit Hull City trifft der Tabellenvierte der regulären Saison auf Sheffield Wednesday, das vor den Playoffs mit großem Rückstand auf Hull auf dem sechsten Platz gelandet ist. Sind die Rollen klar verteilt?

Rösler: Ja, Hull konnte nach dem Abstieg aus der Premier League seine Mannschaft zusammenhalten und hat mit Steve Bruce einen überragenden Trainer. Er weiß mit seiner Erfahrung genau, worauf es in so einem Spiel ankommt. Er ist mit dem Team ganz knapp am direkten Aufstieg vorbeigeschrammt, aber man hat während der Saison gesehen, dass Hull eine enorme Qualität hat. Sie sind der klare Favorit.

SPOX: Klingt nach mission impossible für Sheffield. Ist es tatsächlich aussichtslos?

Rösler: Sheffield hat vor der Saison einen neuen Besitzer bekommen, der relativ schnell einen neuen Trainer geholt und den Kader neu zusammengestellt hat. Sie hatten zwar ihre Probleme, aber sie haben insgesamt über zehn Millionen Euro in Neuzugänge investiert und so wurde es besser. Mit einer starken Rückrunde haben sie sich in die Playoffs gekämpft und werden Hull im Finale alles abverlangen: Sheffield hat Granaten im Team wie zum Beispiel Fernando Forestieri und Gary Hooper, die jederzeit ein Spiel entscheiden können.

SPOX: Am Samstag sind alle Augen auf diese beiden Teams gerichtet. Welchen Stellenwert hat dieses Finale für die Fans?

Rösler: In England wurde dieser Modus bereits vor langer Zeit eingeführt und die Fans lieben die Playoffs. In diesem Spiel kannst du zum Helden werden - oder zum Deppen. Die Spannung ist für alle Fußballfans überragend, aber durch die Playoffs wird natürlich auch die Vermarktung angetrieben. Das Spiel wird global übertragen und am Nachmittag vor dem Champions-League-Finale haben die Fans normalerweise auch Zeit dafür, sich das Spiel anzuschauen.

SPOX: Welche Rolle spielt es für die Beteiligten, dass das Finale im Wembley stattfindet?

Rösler: Das Stadion ist fantastisch, es ist der heilige Gral des englischen Fußballs. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass es als Beteiligter ein unfassbares Erlebnis ist, dort spielen zu dürfen. Die Stimmung ist unglaublich und als Spieler läuft und kämpft man automatisch doppelt so viel. Der heilige Rasen wird in diesen 90 Minuten brennen. Für den Verlierer ist das Wembley der einsamste Ort der Welt.

SPOX: Sheffield hat in der regulären Saison 15 Punkte weniger als Brighton gesammelt. Während Brighton bereits ausgeschieden ist, kann Sheffield noch aufsteigen. Ist der Modus nicht ungerecht?

Rösler: Wenn man sieht, wie lange Brighton um den direkten Aufstieg gespielt hat und jetzt mit leeren Händen dasteht, muss man das schon hinterfragen. Das ist nicht fair. Für mich sollte ein dritter Platz nach 46 Spieltagen zum Aufstieg berechtigen, aber das ist hier die Tradition und damit muss man sich arrangieren.

SPOX: Auf der anderen Seite scheint in England, verglichen mit der deutschen Relegation, im Vorfeld mehr Euphorie aufzukommen. Woran liegt das?

Rösler: Das ist dem System geschuldet: Das Finale ist das Spiel der Spiele und wichtiger als ein gewöhnliches Premier-League-Spiel. Im Vorfeld pushen die Medien das Ereignis extrem, diese Inszenierung ist einmalig.

SPOX: Wenn man die finanziellen Möglichkeiten der Vereine vergleicht sieht man einen großen Unterschied. Alle Spieler von RB Leipzig zusammen haben beispielsweise einem Marktwert von circa 37 Millionen Euro, demgegenüber steht Hull City mit über 60 Millionen Euro...

Rösler: Auch wenn sich die reichen Vereine in der Regel bessere Spieler kaufen können und meistens weiter oben stehen, sagt das Geld nicht unbedingt alles über die Qualität der Spieler aus. Dafür, dass der Umsatz in Deutschland nicht so hoch ist wie in England, herrscht in Deutschland eine unheimlich hohe Qualität. Aber England ist die klare Nummer eins.

SPOX: Inwiefern?

Rösler: Die Premier League ist die ausgeglichenste Liga Europas. Nächstes Jahr haben sieben Mannschaften realistische Chancen, den Titel zu gewinnen. Diese Spannung ist einzigartig und da können weder Spanien noch Deutschland mithalten. Das ist natürlich nur durch die finanziellen Gegebenheiten möglich. Ich sehe an der Kommerzialisierung auf der Insel aber auch negative Seiten.

Hull City - Sheffield Wednesday (Sa., 18 Uhr): Das Finale im Livestream bei SPOX

SPOX: Welche?

Rösler: In Deutschland ist der Fußball sehr familienfreundlich. In England hingegen ist alles sehr teuer und eine vierköpfige Familie kann sich den Eintritt ins Stadion kaum noch leisten. Es ist traurig, dass die jüngere Generation des englischen Fußballs die Spiele der Premier League teilweise nur noch am Fernseher miterleben kann.

SPOX: Kein Wunder, dass die neutralen Fans im Meisterschaftskampf für den Außenseiter Leicester City mitgefiebert haben. Das Team von Claudio Ranieri steht für ehrlichen und kämpferischen Fußball ohne die ganz großen Stars. Ist es vorstellbar, dass es in den nächsten Jahren ein ähnliches Märchen gibt?

Rösler: Nein, was Leicester geschafft hat, wird es so nie wieder geben. Das ist eine der größten Errungenschaften in der Geschichte des englischen Fußballs und es war unglaublich, mit welcher Gelassenheit das Team den Titel geholt hat. Aber im nächsten Jahr werden die großen Vereine geschlossen Geld in die Hand nehmen und sich namhaft verstärken. Da kann Leicester nicht mehr mithalten.

SPOX: Manchester City hat zum Beispiel Pep Guardiola als Trainer verpflichtet. Sie selbst standen jahrelang für City auf dem Rasen. Passt er zu Ihrem Ex-Klub?

Rösler: Pep Guardiola passt zu jedem Verein, er ist der beste Trainer der Welt. Auch sein ewiger Widersacher Jose Mourinho landet in Manchester, dadurch wird die Stadt zum Zentrum des englischen Fußballs. Ich freue mich auf die Derbys - das werden Partys.

SPOX: Wird Guardiola den englischen Fußball mehr prägen als Jürgen Klopp?

Rösler: Beide sind dazu verdammt, Titel zu gewinnen und das wird in England äußerst schwierig. Die Konkurrenz ist bei jedem Aussetzer zur Stelle, diese Leistungsdichte macht die Premier League so reizvoll. Auch die Abstiegskandidaten machen einem das Leben enorm schwer und man muss in jedem Spiel das Leistungsmaximum abrufen, sonst ist der Zug schnell abgefahren. Speziell im März oder April tun sich englische Mannschaften international schwer, weil sie alle drei Tage Gas geben müssen und selten Spieler schonen können. Aber durch die hohe Anzahl der Spiele steigen die Einnahmen.

SPOX: Auch deshalb fließt immer mehr Geld im Fußball, besonders die Gehälter der Spieler steigen stetig. Wären Sie jetzt gerne nochmal Spieler?

Rösler: Ich bin sehr zufrieden mit meiner Karriere, weil ich aus meinen Möglichkeiten sehr viel gemacht habe. Das ging so weit, dass ich fünfmal für die Nationalmannschaft der DDR spielen durfte. Nein, ich würde nicht lieber in der heutigen Zeit spielen. Ich kenne keinen Neid, auch wenn die Gehälter teilweise utopisch sind. Früher wurde man dafür nicht ständig überwacht: Ich saß auch mal mit Fans im Pub und habe ein paar Bier getrunken.

SPOX: Mittlerweile arbeiten Sie als Trainer, aber seit Oktober betreuen Sie keinen Verein. Wie geht es weiter?

Rösler: Ich will demnächst wieder als Trainer in England arbeiten und da das sehr schnell gehen kann, verfolge ich den Fußball intensiv. Ich will bestmöglich vorbereitet sein. In den letzten Monaten lagen mir zwar Angebote aus der Türkei und Griechenland vor, aber da war nicht das Richtige dabei.

SPOX: Wäre ein Engagement außerhalb von England nicht denkbar?

Rösler: Neben England kommt nur eine Rückkehr nach Deutschland in Frage. Deshalb war ich in den letzten Monaten auch häufig dort und habe zudem deutsche Mannschaften im Trainingslager begleitet. Diese Erfahrung war wichtig für mich, um neue Ideen und Ansätze kennenzulernen. Die Deutschland-Besuche können mir im doppelten Sinne helfen: Einerseits bin ich für einen etwaigen Job vorbereitet, andererseits kenne ich den deutschen Spielermarkt. Sollte ich in England unterschreiben, habe ich bereits ein Portfolio an interessanten Spielern, die vielleicht nicht jeder auf dem Zettel hat.

SPOX: Vor über einem Jahr sollen Sie bei 1860 im Gespräch gewesen sein. Was ist an diesem Gerücht dran?

Rösler: Das stimmt, ich hatte im Februar 2015 mit dem damaligen Sportchef Gerhard Poschner sehr engen Kontakt. Das hat sich dann aber leider aus familiären Gründen zerschlagen.

Uwe Rösler im Steckbrief