Der abstiegsbedrohte VfB Stuttgart lieferte beim 0:3 in Düsseldorf einen Offenbarungseid ab und ist nun die schlechteste Mannschaft der Rückrunde. Ein Überblick über die aktuelle Situation am Neckar.
Der sportliche Status quo
"Die nächsten Wochen sind richtungsweisend! Die Spiele gegen Freiburg und Düsseldorf sind sehr, sehr wichtig. Irgendwann muss es erkennbar sein, dass wir Fahrt aufnehmen", sagte Michael Reschke.
"Das war heute der Tiefpunkt. Gegen einen direkten Konkurrenten muss man sich mehr wehren", sagte Ron-Robert Zieler, nachdem der VfB Stuttgart nach einer desolaten Vorstellung mit 0:3 gegen die Fortuna verloren hatte.
Der Baum am Neckar brennt zwar schon die gesamte Saison über, doch nun, nach 21 absolvierten Bundesligaspielen, droht er gänzlich zu Asche zu zerfallen. Zehn Niederlagen in 14 Partien stehen für Markus Weinzierl zu Buche. Das ist der schlechteste Punkteschnitt, den je ein VfB-Trainer vorzuweisen hatte.
Einen entsprechend ratlosen Eindruck machte Weinzierl nach Spielschluss im Rheinland, dermaßen konsterniert angesichts der blutleeren Vorstellung seines Teams hatte man ihn zuvor noch nicht gesehen. Der Auftritt am Sonntag schien auch Reschke ordentlich zugesetzt zu haben. Eine Einschätzung des Sportvorstandes zur noch einmal verschärften sportlichen Situation war nicht zu haben. Reschke blieb stumm.
Das war auch irgendwie nachvollziehbar, wenn man den Zustand der von ihm federführend zusammengestellten Mannschaft betrachtet: Im Sinne von Rudi Völlers einstiger Wutrede war die Schlappe in Düsseldorf ein noch tieferer Tiefpunkt als ohnehin schon.
Auf der einen Seite stand mit F95 eine Mannschaft, die Mentalität, Charakter und Kampfgeist in die Waagschale warf - und das ausgerechnet mit ehemaligen VfB-Akteuren wie Marcin Kaminski, Matthias Zimmermann, Jean Zimmer, Kenan Karaman oder Kevin Stöger. Auf der anderen agierten ideenlose Schwaben, bei denen nicht zum ersten Mal unter Weinzierl ein taktischer Plan schwer zu erkennen war.
Dem VfB mangelte es an der nötigen Körpersprache, an Leidenschaft, ja an der richtigen Haltung, um in einem Kampfspiel wie jenem am Sonntagabend auch nur annährend bestehen zu können. Die Tätlichkeit von Nicolas Gonzalez in der Nachspielzeit markierte den Höhepunkt der schwäbischen Peinlichkeiten.
Weinzierls Truppe wirkt weder intakt, noch homogen. Vielmehr türmen sich die Baustellen nur so auf. In erster Linie kranken die Stuttgarter seit Saisonstart an einer schwachen Defensive, 47 Gegentore sind Negativrekord in der Liga.
Die von Weinzierl in der Winterpause ausgerufene Achse aus Keeper Zieler, Marc-Oliver Kempf, Dennis Aogo, Christian Gentner und Mario Gomez war bislang nicht annährend in der Lage, die Mannschaft zu stabilisieren. Besonders der formschwache Kapitän Gentner steht beim eigenen Anhang schon längere Zeit unter Beschuss. Doch man muss nur einen Platz weiter auf seinen Nebenmann Santiago Ascacibar blicken, um den nächsten desolaten Stammspieler zu entdecken. Diese Liste ließe sich beliebig fortsetzen.
Insofern mutete es merkwürdig an, dass Weinzierl nach dem 0:3 auf die Frage, ob jeder Spieler hundertprozentige Leidenschaft an den Tag legen würde, mit einem deutlichen "Ja" antwortete. Das Problem der Stuttgarter, an denen sich in dieser Saison bereits der zweite Trainer versucht, ist die Mannschaft.
Die aktuelle Stimmungslage
Spötter mögen behaupten, man könne den tiefen Frust der VfB-Fans besonders dann erkennen, wenn wie in Düsseldorf geschehen Getränkebecher Richtung Spielfeld geschleudert werden - und die Schwaben somit freiwillig auf das noch ausstehende Pfand verzichteten.
Die Kritik der eigenen Anhänger ist beim VfB seit vielen Wochen ein steter Begleiter. Mittlerweile vergeht kein Heimspiel mehr, ohne dass die Fankurve mehrere unzweideutige Plakate präsentiert, die Präsident Wolfgang Dietrich und Reschke diskreditieren.
Perspektivisch wieder oben angreifen lautete Dietrichs Ansage nach dem Wiederaufstieg 2017 und der erfolgreichen Ausgliederung, deren Realisierung ohne die Unterstützung des bei den Fans weiterhin beliebten Ex-Managers Jan Schindelmeiser wohl utopisch gewesen wäre.
Gegen diesen trat Dietrich kürzlich auf einer Fan-Veranstaltung verbal nach: "Er war vor seinem Engagement bei uns fünf Jahre ohne Job im Fußball und ist es jetzt seit zwei Jahren auch nicht mehr. Die Nachfrage nach ihm ist offenbar nicht sonderlich groß", sagte der Präsident.
Schindelmeiser war jedoch derjenige, der beim VfB nach dem Abstieg einen Kurswechsel basierend auf jungen Spielern einleitete und zusammen mit dem von ihm installierten Trainer Hannes Wolf eine neue Euphorie am Neckar entfachte. Im Unterschied zu Schindelmeisers Zeit ist der VfB mittlerweile zwar wieder in der Lage, rund 50 Millionen Euro in seine Mannschaft zu stecken, die einstige (Spiel-)Identität ist den Schwaben jedoch genauso verloren gegangen wie Schindelmeiser.
Diesen sich in unterschiedlichen Personalkonstellationen wiederholenden Kreislauf permanenter Verfehlungen der sportlich Verantwortlichen scheint der VfB seit dem Gewinn des Meistertitels 2007 nicht durchbrechen zu können. Und aktuell fordert er auch in den Gremien erste Opfer, wie der Zoff zwischen Guido Buchwald und Aufsichtsrat Wilfried Porth belegt.
Porth soll Buchwald nach dem Last-Minute-Remis gegen Freiburg in der VIP-Lounge der Mercedes-Benz-Arena verbal attackiert und ihm die Schuld für die VfB-Misere gegeben haben. Daraufhin trat Buchwald von seinen Ämtern zurück.
Viele VfB-Anhänger lässt dieses gegenseitige Zerfleischen in der Führungsriege ratlos wie wütend zurück. Sie fordern dort nicht nur eine höhere Fußballkompetenz, sondern auch den Rücktritt von Dietrich und Reschke, die bei den Fans längst als Alleinherrscher ohne Korrektiv gebrandmarkt sind.
Wie geht es nun weiter?
"Ohne Wenn und Aber" werde Weinzierl im kommenden Heimspiel gegen RB Leipzig auf der Bank sitzen, brach Reschke am Montagvormittag auf dem Klubgelände sein Schweigen.
Von einem Endspiel für den angeknockten Coach wollte der Sportvorstand nicht sprechen: "Wir haben noch 13 Spiele. Aktuell ist alles möglich. Der direkte Klassenerhalt oder über die Relegation. Wir dürfen uns jetzt nicht selbst zerfleischen, sondern wir müssen daran glauben, dass es uns gemeinsam gelingen kann, die Liga zu halten", so der Sportvorstand.
Diese Sätze haben problemlos das Potential, im Lexikon neben dem Begriff "Durchhalteparolen" zu stehen. Andererseits: Was bleibt dem VfB auch anderes übrig?
Reschke wird sich längst mit Notfallszenarien beschäftigen, auf die Namen Felix Magath und Markus Gisdol hören bislang kolportierte Planspiele im Falle einer Entlassung Weinzierls. "Manche Fragen muss man wegatmen", sagte Gisdol am Sonntag im Doppelpass zweideutig auf die Frage, ob er denn in Stuttgart im Gespräch sei.
Auch Jürgen Klinsmann gilt als Kandidat, ein weiterer mit Stuttgarter Vergangenheit. Der ehemalige Bundestrainer ließ bereits durchblicken, dass ihn ein Job beim VfB reizen würde. Klinsmann liebäugelt jedoch eher mit dem Posten, den aktuell Reschke innehat. Dass er bei einer möglichen Bundesliga-Rückkehr als Trainer ein derartiges Himmelfahrtskommando übernimmt, ist nicht besonders wahrscheinlich.
Zumal es bei einer Verpflichtung von Klinsmann oder auch Magath nicht damit getan wäre, nur den Trainer auszutauschen. Beide würden mit hoher Wahrscheinlichkeit darauf beharren, Strukturen innerhalb des Klubs aufzubrechen und Machtverhältnisse neu zu ordnen. Dies könnte gleichbedeutend mit einem Aus Reschkes sein.
Von einer Übergangslösung mit Co-Trainer Andreas Hinkel und/oder U19-Trainer Nico Willig spekulierte der kicker. Dieses Szenario hätte verhindern können, dass ein möglicher neuer Coach in den beiden kommenden Partien gegen Leipzig und bei Werder Bremen einen ähnlichen Fehlstart hinlegt wie Weinzierl (drei Niederlagen bei 0:11 Toren). Jetzt bleibt Weinzierl also erstmal am Ruder.
Erst Anfang März steht mit dem Sonntagsspiel gegen Hannover 96, aktuell einen Zähler hinter den Schwaben platziert, die Partie an, bei dem sich das Überleben des VfB Stuttgart in der Bundesliga vorentscheiden könnte. Dass Weinzierl auch dann noch an der Seitenlinie stehen wird, ist angesichts der letzten Auftritte kaum noch vorstellbar.