Seit Anfang des Jahres besitzt der ehemalige Bundesliga- und Nationalspieler Fabian Ernst gemeinsam mit einem Geschäftspartner den dänischen Zweitligisten Naestved Boldklub. Mit Hilfe von ghanaischen Talenten will er langfristig in den Europapokal.
Einige Sekunden überlegt Fabian Ernst im Gespräch mit SPOX und Goal, aber dann sagt er recht überzeugend: "Ja, doch. Ich kann schon jedem Gesicht einen Namen zuordnen." Er meint die Gesichter der Spieler des dänischen Zweitligisten Naestved Boldklub. Der Spieler, die seine Angestellten sind.
Seit Januar 2019 besitzt der ehemalige deutsche Nationalspieler und langjährige Bundesligaspieler (Hannover 96, Hamburger SV, Werder Bremen, FC Schalke 04) gemeinsam mit einem Geschäftspartner den Naestved Boldklub. Aus einer 45.000-Einwohner-Stadt an der Küste der Region Sjaelland, rund eine Autostunde südwestlich von Kopenhagen. Die gotische Peterskirche gibt es dort und das Kloster Herlufsholm.
gettyVon Accra nach Naestved
Wie, Herr Ernst, kam es bitte dazu? Das sei durchaus eine längere Geschichte und sie beginnt vor drei Jahren in der ghanaischen Hauptstadt Accra. "Dort habe ich Alexander Quaye kennengelernt, der eine Fußballakademie besitzt", sagt Ernst und beginnt vom Austausch mit seinem jetzigen Geschäftspartner zu erzählen. Über die Jahre blieben die beiden in Kontakt und entwickelten irgendwann den Plan, einen Klub in Europa zu kaufen, um den in Ghana ausgebildeten Talenten eine weitere Entwicklungsplattform zu bieten.
In Deutschland ist ein solches Konzept alleine schon wegen der 50+1-Regel schwer umsetzbar. Beim nördlichen Nachbarn gibt es keine diesbezüglichen Restriktionen und außerdem sind die Gesetze laxer. "Dänemark ist das ideale Land dafür", sagt Ernst. "Aufenthaltsgenehmigungen und Arbeitserlaubnisse sind hier relativ leicht zu bekommen." Über einige Monate suchten Ernst und Quaye nach der perfekten Niederlassung in Dänemark. Drei Klubs statteten sie Besuche ab, unter anderem dem aktuellen Erstligisten und Meister von 2012 FC Nordsjaelland.
Dann kam Quaye mit den Verantwortlichen von Naestved in Kontakt. "Wir haben uns die Infrastruktur des Vereinsgeländes und das eine oder andere Spiel angeschaut", erinnert sich Ernst. Bald begannen die Kaufverhandlungen. Für den heute 39-Jährigen natürlich völliges Neuland. "Manchmal war es etwas schwer hinterherkommen, und das alles zu verstehen", gibt Ernst zu. Im Januar 2019 trauten sich Ernst und Quaye schließlich. Die Verträge wurden unterschrieben, dem Deutsch-Ghanaischen Duo gehörte auf einmal ein dänischer Zweitligist. "Die Kaufsumme war finanziell in einem Rahmen, bei dem ich mir das schon zwei-, dreimal überlegt habe", sagt Ernst. "Bisher habe ich es aber noch nicht bereut."
Das letzte Wort bei Transfers und Entlassungen
Seinen Wohnsitz verlegte Ernst nicht nach Dänemark und hat das auch nicht vor. Er wohnt mit seiner Familie weiterhin in Hannover, etwa fünf Autostunden von Naestved entfernt. "Ich werde aber so viele Spiele wie möglich besuchen und vor Ort sein, wenn etwas Wichtiges ansteht", sagt Ernst. Und Wichtiges gibt es Einiges. "Bei Transfers und Entlassungen haben ich und mein Geschäftspartner das letzte Wort."
Zumindest in Sachen Entlassungen kam Ernst noch nicht in Verlegenheit. "Bisher mussten wir noch niemanden feuern, sondern eher Leute einstellen, weil die Besetzung relativ schmal ist", sagt Ernst. Auf der Geschäftsstelle arbeiten aktuell vier Mitarbeiter: ein Sportdirektor, ein Teammanager, ein PR-Berater und ein Account-Manager. Kursierende Berichte, wonach Ernst seinen ehemaligen Hannover-Mitspieler Altin Lala als Scout verpflichtet hätte, dementiert er. "Das stimmt nicht", sagt er. "Ich kann mir aber vorstellen, dass ich mal den einen oder anderen Weggefährten einstelle. Da habe ich schon ein paar Ideen im Kopf."
Beim einwöchigen Wintertrainingslager gab es für Ernst zunächst die erste Möglichkeit zum intensiven Austausch mit der aktuellen Belegschaft. "Da habe ich viele Gespräche mit unserem Sportdirektor und Trainer geführt und die Spieler kennengelernt", sagt Ernst. Die Spieler, die womöglich bald durch ghanaische Talente ersetzt werden könnten.
Eine Gratwanderung in zweierlei Hinsicht
Der Plan von Ernst und Quaye mit dem Klub ist klar: "Wir wollen die talentiertesten Spieler der Akademie nach Dänemark holen, weiterentwickeln und dann je nach Fortschritt behalten oder an einen größeren Verein weiterverkaufen." Bis zu fünf, sechs Spieler könnten pro Jahr den Schritt von Ghana nach Dänemark machen. Im Winter kam bereits der erste, zwei weitere sollen alsbald folgen - letzte Formalitäten seien aber noch zu klären. Außerdem verpflichtete Naestved zwei junge Serben. Nicht nur Ghanaer, sondern "alle talentierten 19- bis 23-Jährige mit Entwicklungspotenzial sind willkommen", sagt Ernst. Dieses Konzept ist jedoch eine Gratwanderung - in zweierlei Hinsicht.
Einerseits besteht berechtigte Sorge, wie die alteingesessenen dänischen Spieler mit dem plötzlichen Influx ausländischer Talente umgehen werden. Schließlich nehmen sie ihnen in letzter Konsequenz Spielanteile weg. Die Integration der Talente in die Mannschaft soll deshalb "behutsam" ablaufen, erklärt Ernst: "Das darf man nicht überstürzen, ansonsten gibt es innerhalb der Mannschaft zu viel Unruhe."
Andererseits dürfen die ghanaischen Akademiespieler nicht den Eindruck bekommen, einen "Freifahrtschein nach Dänemark" zu bekommen, wie es Ernst nennt. "Das würde recht schnell für Zufriedenheit sorgen und wäre kontraproduktiv." Aktuell spielen in der Akademie 20 Kinder und Jugendliche im Alter zwischen zwölf und 18 Jahren. Sie kommen aus der 2,4-Millionen-Einwohner-Stadt Accra oder dem Umland und erhalten in der Akademie lediglich Extra-Training. Gleichzeitig spielen sie jeweils für eine altersentsprechende lokale Jugendmannschaft und nehmen mit dieser an einem geregelten Ligabetrieb teil.
imagoFabian Ernst: "Naestved ist eine Fußballstadt"
Nach dem Kauf von Naestved wollen Ernst und Quaye weiter in die Akademie investieren, um die Ausbildungsbedingungen für die Talente zu optimieren. Ein neues Gebäude und ein Platz sollen es sein, erklärt Ernst. Aber auch in Naestved selbst besteht Investitionsbedarf. "Das Stadion ist leider nicht wirklich modern. Da müssen wir mit der Stadt noch reden, ob es Unterstützung für eine Sanierung gibt."
Im Schnitt kommen zu den Spielen 3.000 bis 4.000 Menschen in das Stadion mit seinen 10.000 Plätzen. Und die, die da sind, bereuen es nicht. In Naestved gibt es derzeit viel Grund zum Jubeln. Nach dem Aufstieg im vergangenen Sommer ist Naestved aktuell Vierter der zweiten Liga und hat Chancen auf den Durchmarsch. Der Rückstand auf Tabellenführer Viborg FF beträgt lediglich drei Punkte, Nyköbing FC auf dem Relegationsplatz drei ist punktgleich. "Wir wollen den Aufstieg schaffen. Aber wenn es nicht klappt, ist es kein Beinbruch", erklärt Ernst. "Unser Ziel ist der Aufstieg innerhalb der nächsten drei Jahre. Langfristig träume ich vom Europapokal."
Dort war Naestved schon mal, in den glorreichen 1970er und 1980er Jahren. Nach einem Durchmarsch von der dritten in die erste Liga etablierte sich Naestved ab 1971 im Oberhaus. Zweimal wurde der Klub Vizemeisters, viermal qualifizierte er sich für den UEFA-Cup, 1973 kam es zu einem Duell mit Fortuna Düsseldorf - mit dem besseren Ende für die Deutschen. "Der Verein hat eine große Vergangenheit. Naestved ist eine Fußballstadt", sagt Ernst. 1996 aber stieg der Klub ab und kam bis heute nicht mehr wieder. Finanzielle Probleme ließen Naestved beinahe in den Amateurfußball abstürzen.
Die Fans sehnen sich nach Erfolg und einer Rückkehr in die erste Liga. Dem Konzept der neuen Eigentümer scheinen sie wohlwollend gegenüber zu stehen. "Bisher habe ich von den Fans nur positive Rückmeldungen für unser Engagement bekommen", sagt Ernst. "Wobei ich die negativen vielleicht auch einfach nicht mitbekommen habe - mein Dänisch ist nicht ganz so gut, alles kann ich nicht verstehen."