Neuer Trainer bei Bayer Leverkusen: Warum Xabi Alonso keine Eile hatte

Fatih Demireli
06. Oktober 202213:56
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Xabi Alonso war ein Weltklassespieler und ein Vorbild für viele Profis. Nun ist er der neue Trainer von Bayer Leverkusen. Der ehemalige Chefstratege von Liverpool, Real Madrid und Bayern München hätte seine Trainerkarriere viel früher auf höchstem Niveau fortsetzen können. Aber warum soll man etwas überstürzen?

Es gibt die Sorte Fußballer, die erst einmal Zeit brauchen. Für alles. Und so richtig viel Zeit. Sie wechseln den Klub und müssen sich erst einmal akklimatisieren, bevor man von ihnen Leistung erwarten darf. Neues Land? Klar. Neue Mannschaft? Sicher. Neue Taktik? Eben. Neue Sprache? Sowieso. Spielt dieser Spieler nach einem halben Jahr immer noch die größte Grütze, packen Trainer und die Verantwortlichen die Ausredenschublade aus und sagen dann Dinge wie: "Man muss verstehen, dass er erst seit einem halben Jahr hier ist ..." Das übliche Blabla halt.

Als Xabi Alonso Ende August 2014 zum FC Bayern wechselte, kam er an einem Donnerstag nach München, um den Medizincheck zu absolvieren, flog am Abend nach Madrid, um seine Sachen zu packen und um bei Real Madrid verabschiedet zu werden, kehrte am Freitag zurück nach München zurück, um mit seinen neuen Kollegen, die er beim Anschwitzen kennenlernte, noch am Abend nach Gelsenkirchen aufzubrechen.

Am Samstag rockte er Fußball-Deutschland. Alonso stand gegen Schalke 04 in der Startelf, krempelte die Arme hoch und gab gleich mal den Anführer. Bei Holger Badstuber korrigierte er das Stellungsspiel, bei Thomas Müller gab es noch beim Gang zum Pausentee eine wortgewaltige Predigt. Als sich David Alaba den Ball für einen Freistoß zurechtlegte, sagte Alonso: "Danke, junger Mann. Ich schieße."

Xabi Alonso, der Spieler: Lob von allen Seiten

"Ich brauche einen intelligenten Spieler wie ihn", sagte der damalige Bayern-Trainer Pep Guardiola und bekam vielleicht den intelligentesten seiner Zeit. So intelligent, dass er keinen Anlauf benötigte, um seine große Klasse zu zeigen und Chef einer Mannschaft zu werden, die mit Chefs (Lahm, Schweinsteiger, Robben, etc.) oder angehenden Chefs (Alaba, Müller, Neuer, etc.) versehen war. Er wusste, was die Bayern und der Trainer brauchen und er lieferte.

Selbst, als Alonso in seinem dritten Bayern-Jahr allmählich körperliche Defizite offenbarte, war es immer noch ein Genuss, ihm zuzusehen. Und ihm zuzuhören. Da schon längst in deutscher Sprache. "Der klügste und beste Stratege", sagt Ex-Bayern-Boss Karl-Heinz Rummenigge über Alonso.

Hört man sich bei Real Madrid oder beim FC Liverpool um, hört man die gleichen Geschichten. Bei Real, wo selbst die größten Klub-Helden schon mal ausgepfiffen wurden, bekam er einst als Bayern-Spieler stehende Ovationen. Beim FC Liverpool merkte Steven Gerrard "schon nach dem ersten Training", dass Alonso "unersetzlich" sein werde: "Er war mit weitem Abstand der beste Mittelfeldspieler, mit dem ich je gespielt habe. Es gab keinen besseren Passgeber. Was für eine Karriere, was für ein fantastischer Typ."

Natürlich neigt der Mensch mit Abstand zur übermäßigen Glorifizierung. Umso weiter weg die Vergangenheit ist, umso mehr vergisst man die negativen Dinge des Lebens. Aber auch ohne Filter hat der Spieler Xabi Alonso ein großes Erbe hinterlassen. Man findet in den Archiven unzählige Spielerinterviews, in denen sehr klar zum Ausdruck gebracht wird, dass Alonso ein großer Lehrmeister für viele Profis war. "Als ich bei Bayern angekommen bin, war Xabi für mich die Schlüsselfigur. Er hat mir das periphere Sehen beigebracht", sagte Joshua Kimmich, der heute von den Langzeitfolgen profitiert, von einem Kaliber wie Alonso gelernt zu haben.

Einst Gegner, nun gemeinsam bei Bayer Leverkusen: Simon Rolfes (r.) und Xabi Alonsoimago images

Xabi Alonso führte Real Sociedad B in die zweite Liga - und stieg wieder ab

Der Spanier war der prädestinierte verlängerte Arm des Trainers auf dem Platz. "Das Spiel ist inzwischen sehr schnell geworden und manchmal haben die Trainer nicht die Zeit, um Anweisungen zu geben. Dann braucht man Spieler, die in der Lage sind, Entscheidungen zu treffen. Das war mein Job", sagt Alonso rückblickend. Und daher war es für ihn, völlig "natürlich", dass er versucht, sich im Trainerjob zu versuchen. Wobei man das inzwischen weit mehr als einen Versuch bezeichnen kann.

Alonso führte in 2020/21 die zweite Mannschaft von Real Sociedad San Sebastian in die zweite Liga Spaniens. Das erste Mal seit über 60 Jahren. Beobachter schwärmten vom gepflegten Spiel mit einem strukturierten Passspiel und den Mut zur Offensive.

Ganz nach dem Gusto von Alonso also. Der Verein bildet traditionell gerne Spieler aus der eigenen Region aus, um sie in der ersten Mannschaft einsetzen zu können. Wie Alonso einst selbst. Er wiederum schickte Spieler wie Martin Zubimendi zu den Profis. Ein überaus begabter Mittelfeldspieler, der schon unter Luis Enrique in der Nationalmannschaft Spaniens debütierte.

Es schien nur eine Frage der Zeit, bis Alonso einen elitären Trainerstuhl bekommt. Nun hat er bei Bayer Leverkusen als Nachfolger von Gerardo Seoane unterschrieben. Mit viel Verzögerung, hatte er doch schon vorher Möglichkeiten.

Aber Alonso hat aus guten Gründen keine Eile: "Ich will mir Zeit nehmen, mich selbst kennen und verbessern. Es ist ein Prozess, und hier habe ich die volle Unterstützung des Klubs und vielleicht einen größeren Spielraum für Fehler." Auch als Spieler startete er nicht von Real Madrid, entwickelte sich mit der Zeit zum Weltklassemann, zu dem alle aufschauen. Warum soll das Muster also auch nicht als Trainer funktionieren?

Xabi Alonso sagte Borussia Mönchengladbach ab

Und Fehler passieren, wie man bei Real Sociedad sah. In der umkämpften La Liga 2 konnte sich seine Mannschaften nicht behaupten und stieg auf Platz 19 ab. Alonso musste lernen, wie es ist, wenn die erste Idee nicht funktioniert. Er musste lernen, wie es ist, mit Rückschlägen umzugehen. Als Borussia Mönchengladbach 2021 anklopfte, setzte er sich mit dem damaligen Sportchef Max Eberl zusammen, sagte aber später aus besagten Gründen ab.

Max Eberl blieb nur ein "extrem spannendes Gespräch", auch wenn er mit leeren Händen abreisen musste. Alonso war sich sicher bewusst, dass man auch in Gladbach Fehler verzeiht, aber dennoch sieht es Alonso ähnlich, dass er den ganz sicheren Weg wählt.

Wie als er bei Real Madrid merkte, dass Neuzugang Toni Kroos allmählich mehr Einsätze bekam und er deswegen das Weite suchte und nach München ging. Wie als er anfangs in Madrid merkte, dass ihm und seiner Familie das Leben in der Luxus-Siedlung Pozuelo, wo die Real-Stars ihre pompösen Villen haben, fremd war und sie deswegen in die Stadtmitte zogen, um gewöhnliche "Nachbarn" zu werden, wie es Xabis Ehefrau Nagore mal formulierte.

In Leverkusen hat er nun nicht die größten Scheinwerfer der Liga auf sich, aber von Druck wird er dennoch nicht befreit sein. Die Erwartungen an die junge Mannschaft ist groß, auch weil sie vor der Saison zusammengehalten werden konnte. Vielleicht zum ersten Mal in dieser Form seit Jahren. Seoane ist an den Ansprüchen gescheitert, für die er mit seinem Erfolg in der vergangenen Saison selbst gesorgt hat.

Alonso soll nun die jungen Spieler strategisch begleiten, sie so fördern und Einfluss nehmen, wie er es als Spieler mit Kimmich und Co. gemacht hat. Gelingt ihm dieses Unterfangen, ist der Weg für die ganz große Bühne geebnet.