"Körbe werfen um 3 Uhr nachts"

Florian Regelmann
17. November 201623:42
Dagur Sigurdsson führte Deutschland nach langer Zeite wieder zu internationalen Erfolgengetty
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Verlässt Dagur Sigurdsson den DHB? SPOX-Chefredakteur Florian Regelmann traf den Mann, auf dessen Entscheidung Handball-Deutschland aktuell mit Spannung wartet. Im Interview erklärt der Isländer, warum ihm schwierige Entscheidungen keine schlaflosen Nächte bereiten und mit welchen Gefühlen er auf sein Japan-Abenteuer zurückblickt. Außerdem: Uwe Gensheimer in Romeo und Julia und das verrückte ManUnited-Gewinnspiel.

SPOX: Herr Sigurdsson, Sie haben in der vergangenen Woche in Berlin Ihre Autobiographie "Feuer und Eis" vorgestellt. Attribute, die man mit Island in Verbindung bringt und die Sie offensichtlich perfekt beschreiben?

Dagur Sigurdsson: Genau, Feuer und Eis sind zwei Elemente, die ich in mir trage. Bob Hanning meinte einmal zu mir, dass ich während eines Turniers wie ein Eisblock bin, weil ich nicht sehr viel sprechen würde. Da versuche ich, wirklich ganz bei mir zu sein und bin in einem Tunnel, in dem vier Wochen lang nur für Handball Platz ist. Auf der anderen Seite braucht es dann aber auch nur wenig, bis ich explodieren kann. Das sieht man ja auch manchmal bei Schiedsrichterentscheidungen, die mir nicht so passen. (lacht) Da werde ich zum Vulkan. Insofern passt Feuer und Eis sehr gut.

SPOX: Ganz am Anfang des Buchs findet man ein Zitat von Tom Waits. "A Gentleman is someone who can play the accordion but doesn't." Welche Bedeutung hat es für Sie, warum haben Sie es ausgewählt?

Sigurdsson: Das geht auch ein bisschen in die Richtung Eisblock. Ich mag es nicht, unnötigen Small Talk mit Leuten zu machen. Ich mag es nicht, wenn sich Menschen immer in den Mittelpunkt stellen müssen. Du kannst ja denken, dass du alles weißt, aber ich finde es gut, wenn man es nicht zeigt. Es muss nicht immer alles herausposaunt werden.

SPOX-Chefredakteur Florian Regelmann und Dagur Sigurdsson beim InterviewgettySPOX: Wie haben Sie den Prozess des Schreibens erlebt?

Sigurdsson: Es war für mich schon eine Art Reise zu mir selbst. Ich habe viel über mich gelernt, als ich die Kapitel noch einmal Revue habe passieren lassen. Es war vor allem interessant, weil wir mein Umfeld eingebunden haben. Es war interessant zu hören, wie meine Eltern oder Brüder in der Rücksicht aus ihrem Blickwinkel einige Situationen gesehen haben.

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SPOX: Ein wichtiges Kapitel nimmt Ihr dreijähriger Japan-Ausflug ein. Wie ist die Entscheidung damals eigentlich zustande gekommen?

Sigurdsson: Wolfgang Gütschow (Spielerberater, Anm. d. Red.) kam damals mit dem Vorschlag auf mich zu. "Was hältst Du denn von einem Wechsel nach Japan?" Das kam für mich komplett unerwartet, aber nachdem meine Frau und ich das länger diskutiert hatten, sind wir zu der Entscheidung gekommen, dass wir Lust darauf haben und es spannender finden, als innerhalb von Deutschland zu wechseln und ein Jahr hier und ein Jahr dort zu spielen. Wir haben uns wohlgefühlt mit der Entscheidung und im Nachhinein war es genau richtig. Unser Vorteil war auch, dass unsere Kinder noch sehr klein waren, das hat es weniger problematisch gemacht. Generell bin ich niemand, der lange zweifelt, wenn er Entscheidungen trifft, egal ob sie sich am Ende als richtig oder falsch entpuppen. Das war auch nicht so, als ich mich damals zwischen Fußball und Handball entscheiden musste. Ich neige nicht dazu, Entscheidungen zu sehr zu dramatisieren.

SPOXspoxSPOX: Aber Sie haben schon einen Hang zu Abenteuern, oder?

Sigurdsson: Es stimmt, dass es eine Reise ins Ungewisse war, als wir in den Flieger gestiegen sind. Ich wusste, wer der Trainer ist und dass er Englisch spricht, das war alles. Ich hatte keine Ahnung, was auf mich zukommt. Zum Glück hatten wir einige Europäer im Team, die schon länger da waren und uns sehr geholfen haben. Es waren drei sehr interessante Jahre, einfach eine super Erfahrung. Ich habe diesen Entdeckergeist in mir und bin grundsätzlich offen, neue Sachen auszuprobieren. Ich versuche, mein Leben so zu gestalten, dass es mir nicht langweilig wird. Ich mache nicht zu lange Copy & Paste.

SPOX: Wie kann man sich Ihr Leben in Japan vorstellen?

Sigurdsson: Hiroshima hat viermal so viele Einwohner wie Island, aber wir hatten gar nicht dieses brutale Großstadtleben, weil wir außerhalb auf dem Land gewohnt haben. Die Trainingshalle war auch eine Stunde weit weg. Aber wenn wir in der Stadt unterwegs waren, haben wir manchmal die Aufmerksamkeit auf uns gezogen. Unsere Tochter Birta mit ihren süßen hellblonden Locken war für die Japaner so ungewohnt, dass es einen großen Auflauf gab. Wie bei Michael Jackson (lacht). Japan ist eine ganz andere Welt, eine ganz andere Kultur, ob beim Essen oder in der Musik, überall - das hat die Zeit besonders gemacht. Aber ich würde nicht sagen, dass ich mich in Japan verliebt habe. Wir haben uns in Österreich genauso wohlgefühlt und wir sind jetzt seit acht Jahren in Berlin happy.

SPOX: In Japan hatten Sie aber auch das größte Glück Ihres Lebens.

Sigurdsson: (lacht) Sie sprechen das Gewinnspiel an.

SPOX: Genau.

Sigurdsson: Das war eine unglaubliche Geschichte. Ich wusste nicht mal, dass ich bei diesem Gewinnspiel teilgenommen habe. Ich wollte einfach nur 50 Pfund verzocken, aber dadurch hatte ich irgendwie ein Konto eröffnet, bin in den Topf gekommen und wurde tatsächlich als Gewinner für einen Trip nach Manchester ausgelost. Flug in der First Class für zwei Personen, Unterbringung in einem super Hotel, leckeres Essen und als Highlight der Besuch bei meinem Lieblingsklub ManUnited. Sir Alex Ferguson, David Beckham, Ryan Giggs - ich habe meine Idole getroffen. Für mich war das der Hammer. Seitdem muss ich bei keinem Contest mehr mitmachen, einen besseren Gewinn wird es eh nie mehr geben für mich.

SPOX: Ob Sir Alex Ferguson, Jose Mourinho oder Jürgen Klopp, Sie beschäftigen sich bekanntermaßen auch viel mit Trainerkollegen aus anderen Sportarten. Worauf achten Sie?

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Sigurdsson: Was Klopp angeht: Meine beiden Brüder sind große Reds-Fans, es sind gerade schwierige Zeiten für mich. (lacht) Mir geht es vor allem darum, unterschiedliche Führungsstile zu analysieren. Mir geht es mehr ums Management als ums Coaching. Mein Job ist eine Mischung aus beidem, in der Nationalmannschaft mit dem Fokus auf Management, im Verein eher auf dem Coaching. Bei Klopp wird mir manchmal zu viel über seine Persönlichkeit gesprochen. Du kannst ein cooler Typ sein, aber das reicht nicht. Du musst wirklich etwas zu sagen haben, sonst glauben die Spieler nicht daran. Wenn du deinen Spielern keine fußballerischen Lösungen an die Hand geben kannst, bringt es auch nichts, ein großer Motivator zu sein. Klopp hat eine geile Art, Fußball spielen zu lassen. Die Spieler spielen gerne für ihn, weil er Lösungen für sie hat, weil er ihnen die nötigen Waffen gibt. Das ist bei mir im Handball genauso. Wenn ein Spieler das Gefühl hat, es funktioniert nicht, muss er einen Trainer haben, der ihm eine Extra-Waffe gibt. So ist meine Denke.

SPOX: Mit Ihrer Denke musste man sich beim DHB erst einmal zurechtfinden, als Sie kamen. Sie haben einiges geändert, unter anderem hatten Sie keine Lust mehr auf zu viele Mails.

Sigurdsson: (lacht) Na ja, ganz so war es nicht. Sie müssen sich mal in meine Lage versetzen. Ich hatte damals eine Doppelbelastung mit zwei Jobs und plötzlich wurde ich als Bundestrainer gefühlt bei jeder DHB-Mail cc gesetzt, egal um was es ging. Man darf nicht vergessen, dass ich Ausländer bin und ich mich bei deutschen Emails immer ein bisschen durchkämpfen muss, es dauert alles etwas länger. Ich will ja auch nichts falsch verstehen. Bevor die Leute erwartet haben, dass ich ihnen lange Antwort-Mails schreibe, haben wir das ein bisschen eingedämmt und nur noch eine Person durfte mir schreiben. Am liebsten sind mir ohnehin kurze Nachrichten, oder wir telefonieren am besten, das fällt mir leichter.

SPOX: Sie sagen aber auch: Wer viel redet, sagt oft das gleiche. Sie sind kein Typ für Small Talk, wie halten Sie es im Umgang mit der Mannschaft?

Sigurdsson: Ich bin überzeugt, dass es sowohl für mich als auch die Spieler gut ist, wenn wir ein bisschen Abstand halten. Für die Spieler ist es auch nicht verkehrt, wenn ihnen nicht ständig einer über die Schulter schaut und sie ein wenig Ruhe haben. Wenn ich mit einem Kaffee trinken würde, müsste ich das mit allen anderen auch machen. Das ist nicht mein Ding. Was handballerisch besprochen werden muss, wird natürlich besprochen, aber ansonsten halte ich Distanz.

SPOX: Dafür machen Sie dann Teambuilding-Maßnahmen, auf die man erstmal kommen muss. Ein Beyonce-Hit musste von den Jungs performt werden, oder auch Romeo und Julia. Hatten Sie nicht Angst, dass die Spieler Ihnen den Vogel zeigen?

Sigurdsson: Ich hatte schon die Hoffnung, dass sie mitmachen würden. Gensheimer war stark bei Romeo und Julia... (lacht) Was wichtig ist: Für viele, die davon hören, ist das sehr "out of the box" gedacht, was wir da gemacht haben. Aber ich war dabei in meiner Komfortzone. Wir haben es in meinem Hotel gemacht, mit Familienmitgliedern, denen ich vertraue. Für mich war das "in the box". So hatten wir dann auch eine coole Zeit zusammen. Ich muss aber dazu sagen, dass ich generell gar kein großer Fan von zu vielen Teambuilding-Geschichten oder Motivations-Videos bin. Es muss passen.

SPOX: So wie die Nummer mit den Bad Boys?

Sigurdsson: Genau. Die Jungs sind ja alle überhaupt keine Bad Boys, sie waren zu dem Zeitpunkt aber viel zu brav und haben teilweise nicht hart genug spielt. Da sind mir die Pistons in den Sinn gekommen. Ich war zwar kein Fan von ihnen, aber als Teamplayer haben sie mich fasziniert. Mich hat die ganze NBA damals wie so viele in den Bann gezogen. Wir haben in Island nachts die Finals geschaut und danach um 3 Uhr haben wir noch selbst Körbe geworfen - es war ja die ganze Nacht hell bei uns im Juni.

SPOX: Mit dem völlig unerwarteten EM-Titel sind die Bad Boys zur Marke geworden. Olympia-Bronze in Rio hat den Erfolg untermauert. Worauf sind Sie am meisten stolz?

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Sigurdsson: Ganz vorne steht die Arbeitsmoral der Truppe, die wirklich unglaublich geworden ist. Natürlich bin ich stolz auf den EM-Titel. Unsere Reise dorthin war bemerkenswert. Wenn ich daran denke, dass meine Frau meinen Taktikzettel gerade noch rechtzeitig aus der Hosentasche holte, bevor er in der Waschmaschine gelandet wäre, und er jetzt in Köln im Museum hängt - das ist schon verrückt. Aber fast noch mehr bedeutet es mir, dass wir den Erfolg bei den Olympischen Spielen bestätigen konnten. Ich bin auch unglaublich glücklich, wenn wir wie zuletzt die Quali-Spiele gegen Portugal und die Schweiz erfolgreich bestreiten. Auch kleine Schritte sind mir wichtig und machen mich zufrieden.

Brack-Kolumne: "DHB-Team fehlt Weltklasse-Playmaker"

SPOXspoxSPOX: Allgemein werden dem DHB-Team goldene Zeiten vorausgesagt, weil der Kader in der Breite lange nicht mehr so gut war. Dr. Rolf Brack meinte in seiner SPOX-Kolumne auch, dass zwar ein Weltklasse-Playmaker fehlt, aber man ansonsten top aufgestellt ist. Sind weitere Titel also realistisch?

Sigurdsson: Die Mannschaft ist definitiv auf einem super Weg. Die Stimmung passt und wir zählen für mich jetzt zu den Top-6 der Welt. Dennoch ist es im Handball so eng, dass bei jedem Turnier alles passen muss. Wenn die Tagesform nicht passt, bist du sofort raus. Du musst jedes Mal Leistung bringen.

SPOX: Als Sie antraten als Bundestrainer, war Olympia-Gold 2020 der Leitgedanke. Jetzt werden Sie den DHB vielleicht verlassen. Kamen die Erfolge einfach früher als gedacht?

Sigurdsson: Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass die Erfolge keine Rolle spielen würden. Dank der Erfolge habe ich jetzt Angebote auf den Tisch bekommen. Deshalb habe ich den DHB informiert und muss jetzt eine Entscheidung treffen.

SPOX: Ihr Bruder hat Sie als Reisender bezeichnet. Als jemand, der eben gerne mal den Weg einschlägt, mit dem keiner rechnet.

Sigurdsson: Ich kann sagen, dass ich gut darin bin, Entscheidungen zu treffen. Ich bin kein Typ, der schlaflose Nächte hat. Ich weiß nicht, ob meine Entscheidungen immer richtig sind, so arrogant bin ich nicht, aber ich kann immer gut mit ihnen leben. Das wird auch jetzt wieder so sein.

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