"DHB braucht magischen Abend"

Felix Götz
27. Januar 201616:06
Wislander und Jacobson diskutieren die wichtigen Fragen um das DHB-Spiel gegen Dänemarkgetty
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Ist das DHB-Team gegen Dänemark (18.15 Uhr im LIVETICKER) chancenlos? Wer ist die Entdeckung des Turniers? Wer wird Europameister? Holt Deutschland noch vor 2020 einen großen Titel? Und: Ist Mikkel Hansen oder Nikola Karabatic wertvoller? SPOX diskutiert mit dem Welthandballer des Jahrhunderts Magnus Wislander, dem dänischen RN-Löwen-Coach Nikolaj Jacobsen und Sascha Staat, dem Macher des Handball-Podcast Kreis Ab.

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Das DHB-Team ist gegen Dänemark chancenlos

Magnus Wislander: Die Ausgangslage der deutschen Mannschaft vor dem Turnier war mit der unserer schwedischen Truppe vergleichbar. Wir haben so viele junge Leute im schwedischen Kader, da haben wir nichts erwartet. Und um ehrlich zu sein: Auch den Deutschen habe ich nur wenig zugetraut. Jetzt haben sie vier Spiele in Folge gewonnen, da kann ich nur meinen Hut ziehen. Um aber Dänemark zu schlagen, muss alles klappen. Deutschland braucht einen magischen Abend. Mit Weinhold und Dissinger hätte ich Deutschland eine kleine Chance eingeräumt. Aber so? Das wird extrem schwierig! Die Dänen sind so stark, haben so viele individuelle Möglichkeiten, können mit ihrem Personal ganz unterschiedlichen, flexiblen Handball spielen. Sorry meine lieben Deutschen, aber ich befürchte, es wird nicht reichen für das Halbfinale. Den Auftritt der Dänen beim Unentschieden gegen meine Schweden würde ich nicht überbewerten.

Nikolaj Jacobsen: Mit Dissinger fehlt den Deutschen ein sehr guter Schütze, mit Weinhold ein großartiger Eins-Gegen-Eins-Spieler. Diese beiden Ausfälle sind schon Nackenschläge für die Mannschaft. Wenn man sich dann klar macht, dass Deutschland selbst mit diesen beiden Spielern nicht der Favorit gewesen wäre, muss man sagen, dass die Chance auf einen Sieg jetzt noch kleiner geworden ist. Unter gewissen Voraussetzungen gebe ich den Deutschen eine Außenseiterchance. Dazu muss die Abwehr mit Pekeler, Lemke und Schmidt funktionieren und entweder Lichtlein oder Wolff über sich hinauswachsen. Unter normalen Umständen wird aber Dänemark gewinnen. Der Kader ist unheimlich breit aufgestellt, die Qualität insgesamt ist sehr hoch. Höher als die des DHB-Teams.

Sascha Staat: Chancenlos ist sicher das falsche Wort. Ich würde eher sagen, die Chancen sind deutlich gesunken. Nimmt man neben Weinhold und Dissinger auch noch Gensheimer, Wiencek, Groetzki und Drux dazu, fällt eine erste Sechs auf dem Feld aus. Deshalb ist der Qualitätsverlust insgesamt einfach zu hoch. Dissinger hat gegen Russland gezeigt, dass er aus dem Nichts Tore erzielen kann. Und Weinhold wäre mit seinem ersten Schritt, seinen von Nikolaj angesprochenen Qualitäten im Eins-Gegen-Eins, gegen Dänemark so wichtig gewesen, um die Deckung in Bewegung zu bringen. Ganz einfach, weil die Dänen in der Eins-Gegen-Eins-Verteidigung so gut sind. Wenn Häfner und Kühn besser wären als die beiden, wären sie ja von Anfang an nominiert worden. Diese beiden Spielerwechsel machen einen erheblichen Unterschied aus.

So kommt Deutschland ins Halbfinale

Felix Götz: Jetzt wo ich höre, was ihr so erzählt, würde ich am liebsten ein Argument nach dem anderen raushauen, was für einen deutschen Sieg spricht. Das Problem: Selbst wenn ich den ganzen Optimismus zusammenkrame, der in mir schlummert, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Deutschland mit diesem aberwitzigen Verletzungspech die Dänen schlagen kann. Dänemark kann eine herausragende Abwehr auf die Platte bringen. Hansen, Landin, Eggert oder Lasse Svan - das sind alles Weltklasse-Spieler. Und dahinter lauern noch einige, die direkt hinter der Weltklasse anzusiedeln sind. Ein ganz eventueller, minimaler Hoffnungsschimmer könnte sein, dass sich die Dänen vielleicht selbst nicht so recht vorstellen können, gegen das dezimierte DHB-Team zu verlieren. Hochmut kommt bekanntlich vor dem Fall. Das Spiel der Dänen gegen Schweden würde ich komplett vergessen. Jetzt geht es um alles, da wird Dänemark völlig anders auftreten.

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Fäth ist die deutsche EM-Entdeckung - als Spielmacher

Sascha Staat: Ja, das kann man durchaus so sagen. Steffen Fäth hat diese Position eigentlich von Anfang an auf einem guten Niveau ausgefüllt, obwohl er dafür gar nicht vorgesehen ist. Normalerweise spielen Strobel und Pieczkowski auf der Mitte. Ich finde, er gibt durch die erhöhte Torgefahr, die er ausstrahlt, der Mannschaft eine wichtige Option. Das können Strobel und Pieczkowski einfach nicht leisten. Das macht es für die Gegner deutlich schwieriger. Meiner Meinung nach haben wir dadurch schon das eine oder andere Spiel für uns entschieden, auch wenn es vielleicht nicht so aufgefallen ist. Als zweiten Mann möchte ich Schmidt nennen, von dem ich persönlich ein großer Fan bin. Er hat nicht nur defensiv gute Partien gezeigt, sondern auch im Angriff. Im ersten Spiel hat er 4 von 4 gemacht, gegen die Russen 6 von 7. Obwohl uns mit Patrick Wiencek ein Weltklasse-Kreisläufer fehlt - offensiv und defensiv - sind wir auf dieser Position mit Schmidt, Kohlbacher und Pekeler immer noch immens gut aufgestellt.

Magnus Wislander: Fäth hat bisher ein gutes Turnier gespielt, keine Frage. Aber ob er die EM-Entdeckung aus deutscher Sicht ist? Das würde ich so nicht unterschreiben. Ich muss ehrlich sagen, dass ich mit mehr Einzelaktionen von ihm gerechnet habe. Da hat er sich aus meiner Sicht ein bisschen zurückgehalten, da hätte ich mir noch mehr Tore erhofft. Manchmal erweckt er für mich den Eindruck, als wäre er sich seiner großen Fähigkeiten gar nicht so ganz bewusst. Vielleicht wurde ihm aber auch von Dagur Sigurdsson vorgegeben, mehr den Kopf des Spielmachers als die Wurfgewalt des Rückraumspielers zu benutzen. Ich weiß es nicht. Zumindest hat er es geschafft, mich damit zu überraschen.

Felix Götz: Magnus, jetzt ist es soweit. Ich betreibe Gotteslästerung und widerspreche dir, dem Welthandballer des Jahrhunderts. Mich hat Fäth bisher total überzeugt. Als Spielmacher agiert er ruhig, hat eine gute Übersicht. Man merkt - und das sagt er ja auch selbst - den Einfluss von Ivano Balic, von dem er sich in Wetzlar sehr viel abgeschaut hat. Dass Fäth jetzt noch in jedem Spiel zehn Tore machen soll, kann man einfach nicht erwarten. Die bisher 17 Buden können sich sehen lassen. Generell muss man sagen, dass fast alle im DHB-Team positiv aufgefallen sind. Gut: Man hätte sich gewünscht, dass Lichtlein von Anfang an voll da gewesen wäre. Wer insgesamt gesehen den konstantesten Eindruck hinterlassen hat, ist Tobias Reichmann. Er hat mir auf Rechtsaußen sogar besser als Patrick Groetzki im vergangenen Jahr in Katar gefallen. Aber von dem wusste man schon aus Kielce, wie gut er ist. Deshalb ist er vielleicht nicht gerade eine Neuentdeckung.

Nikolaj Jacobsen: Mich hat Fäth ebenfalls überzeugt. Ich finde, auf seinen Schultern und denen von Weinhold lastete bisher die größte Verantwortung im deutschen Team. Beide mussten sehr viel spielen. Ob Fäths Leistung so überraschend kommt, ist eine andere Frage. Er ist halt nun mal ein guter Spieler, das wusste man auch schon vorher. Er ist ein guter Shooter und bringt viele Fähigkeiten mit, die ein Spielmacher braucht. Ich kenne ihn ja aus der Bundesliga, sein Können ist unbestritten. Reichmann wurde eben erwähnt. Den muss man nennen, wenn man über deutsche Nationalspieler spricht, die bei der EM überzeugt haben. Er hat ohne jeden Zweifel ein sehr gutes Turnier gespielt. Dafür, dass es Dahmkes erstes Turnier war, war das auch gut. Und die Kreisläufer haben es ebenfalls gut hinbekommen.

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Dänemark wird Europameister

Nikolaj Jacobsen: Überlegt euch mal, wie viele enge Spiele es bisher schon gab. Das hat mich wirklich überrascht. Deshalb finde ich es schwierig zu sagen, wer Europameister wird. Ich rechne im Halbfinale mit Dänemark, Spanien, Frankreich und Polen. Diese Nationen haben einfach die größte Qualität in ihren Kadern, das sollte sich in so einem Turnier durchsetzen. Danach kann aber viel passieren. Halbfinale bedeutet: Ein schlechter Tag und du bist weg. Ich möchte mich also nicht festlegen.

Felix Götz: Ich habe bereits vor der EM im SPOX-Power-Ranking Dänemark als Europameister prognostiziert und dabei bleibe ich. Ich habe in Polen bisher kein Team gesehen, das so ausgeglichen, so konstant stark ist - trotz des Unentschiedens gegen Schweden. Wenn wir ehrlich sind, kommen neben den Dänen nur noch Frankreich, Spanien oder Polen ernsthaft als Titelträger in Frage. Die Spanier wurden von den Dänen in der Hauptrunde schon bezwungen. Frankreich hat durch die vielen Ausfälle im Rückraum Schwachstellen und Polen hat schon in der Vorrunde gewackelt und die ersten beiden Partien gegen Mazedonien und Serbien nur mit Biegen und Brechen mit jeweils einem Tor gewonnen. Dänemark holt das Ding. Basta!

Magnus Wislander: Ich habe vor dem Turnier Frankreich als Topfavorit genannt und dahinter die Spanier mit Dänemark zusammen eingestuft. Als es nach der Niederlage gegen Polen so aussah, als könnten die Franzosen das Halbfinale verpassen, habe ich doch gezweifelt. Mit ein bisschen Glück und dank der Hilfe der Mazedonier, die Norwegen einen Punkt geklaut haben, sieht es wieder gut aus. Sie werden jetzt Norwegen schlagen und weiterkommen. Das heißt für mich: Ich muss mir keinen neuen Favoriten suchen. Frankreich wird es machen.

Sascha Staat: Ich würde die These bejahen. Für mich sieht es nach Dänemark aus, weil sie die fitteste Mannschaft dieser EM sind. Die Dänen haben bislang am wenigsten Kraft von allen Teams gebraucht, haben den breitesten Kader. Allerdings möchte ich sie gegen Polen spielen sehen vor 15.000 verrückten Fans. Sie können zwar sehr gut mit Druck umgehen, wie sie es 2012 in Belgrad gezeigt haben, als sie im Finale die Serben schlugen. Aber wenn Dänemark und Polen gegeneinander spielen, treffen zwei ganz unterschiedliche Systeme aufeinander. Das wäre sicher spannend.

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Hansen ist für Dänemark wertvoller als Karabatic für Frankreich

Magnus Wislander: Sie sind die beiden aktuellen Weltstars des Handballs schlechthin, da kann es zunächst einmal keine zwei Meinungen geben. Beide haben für ihre Mannschaften eine unglaubliche Bedeutung. Karabatic ist für Frankreich vielleicht ein bisschen wertvoller als Torschütze und Abwehrspieler, als es Hansen für die Dänen ist. Hansen wiederum wirft nicht immer so viele Tore, aber er hat ein unfassbares Auge für das Spiel. Er spürt immer, mit welchem Tempo er agieren muss, macht das total routiniert. Da liegt er womöglich vor Karabatic. Ich würde sagen, beide Spieler sind für ihre Teams gleich wichtig, einfach unverzichtbar.

Sascha Staat: Ich finde es ganz schwierig, sich da festzulegen. Es kommt selbst bei solchen Weltstars darauf an, welche Spieler sie neben sich haben. Hansen hat momentan eine größere Auswahl an guten Spielern neben sich. Karabatic hat das Problem, dass bei den Franzosen ein kompletter Rückraum verletzt fehlt, der die letzten Turniere immer dabei war. Die Tendenz mag aktuell in Richtung Hansen gehen. Unterschreiben würde ich diese These allerdings erst nach dem Turnier, weil ich glaube, dass Karabatic immer noch etwas im Köcher hat.

Nikolaj Jacobsen: Da will ich mich auf keinen Fall festlegen. Wie Magnus schon sagte, ist die Bedeutung von beiden Spielern für ihre Teams enorm. Beide haben eine so große Qualität. Wo Hansen unbestritten wertvoller ist, sind die Torvorlagen. Er war bei der WM in Katar der Mann mit den meisten Assists, er führt diese Rangliste - wie übrigens von mir vor der EM getippt - jetzt schon wieder deutlich an.

Felix Götz: Wenn wir über diese These grundsätzlich sprechen, sehe ich Karabatic als wichtiger für den französischen Handball an, als es Hansen bisher für Dänemark war. Wobei Karabatic auch drei Jahre älter ist. Hansen hat also wahrscheinlich noch etwas mehr Zeit. Aber wie oft war Karabatic bitte in den vergangenen Jahren in den alles entscheidenden Phasen voll da? Fast immer! Bei diesem Turnier macht aber auch für mich Hansen den wichtigeren Eindruck. Er macht seine Mitspieler noch besser, als das bei Karabatic der Fall ist. Von ihm geht fast jede Offensivaktion aus, er setzt seine Kollegen toll in Szene. Dass er der beste Assistgeber der EM ist, sagt doch alles.

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Deutschland gewinnt vor 2020 ein großes Turnier

Felix Götz: Alles im DHB ist darauf ausgerichtet, 2020 Olympia-Gold zu holen. So etwas ist meiner Meinung nach überhaupt nicht planbar. Genauso wie ein großer Titel schon in den kommenden Jahren. Dazu muss immer alles passen, auch das Quäntchen Glück spielt eine Rolle. Erfahrungsgemäß ist der Heimvorteil extrem. Schaut euch mal an, wie oft der Gastgeber in den letzten Jahren im Finale stand oder das Turnier sogar gewonnen hat. Deshalb besteht vielleicht 2019 die beste Chance auf einen Titel, wenn Deutschland gemeinsam mit Dänemark die WM ausrichtet. Grundsätzlich traue ich dem DHB-Team auf jeden Fall zu, in den kommenden Jahren was zu reißen. Die Truppe ist jetzt schon gut und aufgrund des jungen Kaders entwicklungsfähig. Und die Jungs haben mit Dagur Sigurdsson den idealen Förderer.

Nikolaj Jacobsen: Möglich ist das auf jeden Fall. Deutschland ist mit Teams wie Dänemark vielleicht nicht in diesem und womöglich auch noch nicht im nächsten Jahr auf Augenhöhe. Danach ja. Die Mannschaft überrascht jetzt schon positiv, hat einen sehr guten Trainer. Es fehlt ihr noch ein wenig an Erfahrung, aber das wird kommen. Insgesamt ist die Entwicklung im deutschen Handball absolut positiv. Man hat einen hervorragenden 94er und 95er Jahrgang. Es gibt einige Spieler, bei denen man berechtigt hoffen darf, dass sie durchstarten. Der deutsche Handball kann positiv in die Zukunft schauen.

Magnus Wislander: Es ist schwierig zu sagen, ob Deutschland einen großen Titel holen wird. Der Welthandball ist in der Spitze total ausgeglichen, so etwas kannst du nicht wirklich vorhersagen. Aber klar: Sie haben eine gute Truppe, gute Spieler, die vor allem auch körperlich richtig dagegenhalten können. Wolff könnte im Tor eine große Zukunft haben. Sicher ist, dass Deutschland zumindest die Möglichkeiten hat, in den kommenden Jahren einen großen Titel zu holen.

Sascha Staat: Ja, ich glaube, das DHB-Team holt vor 2020 einen großen Titel. Die Konkurrenz in der Spitze wird nämlich schwächer. Die Spanier haben eine relativ alte Mannschaft und irgendwie auch eine Stimmung im Team, die mich nicht komplett überzeugt. Deutschland ist mindestens auf Augenhöhe mit den Kroaten, wenn nicht sogar schon ein Stückchen weiter. Die Polen sind ohnehin schon ziemlich alt. Bleiben also "nur noch" die Franzosen und die Dänen. Und wenn du nur zwei Mannschaften hast, mit denen du ernsthaft um Titel kämpfst, sind die Aussichten nicht schlecht.

Alles zur EM 2016