Die Olympischen Spiele 2012 in London rücken immer näher. Damit wird es auch für Jonas Reckermann und seinen Partner Julius Brink langsam ernst. In seiner SPOX-Kolumne berichtet der 32-Jährige über die Erlebnisse auf seinem Weg nach London. Diesmal: Vom Winde verweht in Den Haag und große Widersprüche in Moskau.
Hallo zusammen,
die Olympiasaison hat nun auch für das Team Brink/Reckermann begonnen, aufgrund meiner Schulterverletzung konnten wir erst vor drei Wochen in das Turniergeschehen eingreifen. Sportlich lief es gleich sehr respektabel, aus touristischer Sicht haben wir uns allerdings die falschen Orte und/oder Wetterverhältnisse für den Wiedereinstieg ausgesucht!
Der EM-Austragungsort in Scheveningen/Den Haag ist ein wunderbares Fleckchen Erde, von sehr netten Leuten bewohnt (wenn nicht gerade Fußball-EM ist) und bestens geeignet für eine Vielzahl an Aktivitäten - allerdings eben nur bedingt für Beachvolleyball... Wenn ein Küstenabschnitt als ein Mekka für Wind- und Kitesurfer gilt, dann ist dies leider ein Ausschlusskriterium für niveauvolles Beachvolleyball. In diesem Jahr hatten wir noch relatives Glück, denn an drei von fünf Turniertagen wehte der Wind nur mit moderaten 3-4 Windstärken und auch das Thermometer wagte sich fast bis an die 20-Grad-Grenze heran.
Ansonsten gab es aber auch wieder das gewohnte Bild: Tag 2 wartete mit an irregulären Bedingungen grenzenden Winden der Stärke 5-6 auf, hinzu kam ein Tag später Dauerregen bei 13 Grad Celsius - fairerweise galt die Wettervorhersage aber immer für beide Spielfeldhälften...
Für den Finaltag waren dann 8 (!) Grad Celsius und Regen vorhergesagt! Aufgewärmt haben wir uns im beheizten Physiocontainer, zogen mehr Lagen Kleidung an als österliche Skifahrer - Neoprenfüßlinge eingeschlossen - und nutzten Wärmesalbe, um wieder Gefühl in die klammen Finger zu bekommen! Glücklicherweise blieb es aber weitestgehend trocken. Für uns Spieler war es somit dann auch halbwegs erträglich, nur die im kalten Wind sitzenden Zuschauer sehnten sich vermutlich mehr nach Glühwein denn Caipirinha.
Wenige Tage später stand dann das Grand-Slam-Turnier in Moskau auf dem Programm - aus unterschiedlichen Gründen nicht unbedingt das Lieblingsturnier der meisten Athleten. Bereits vor der Anreise tauchen oftmals die ersten (Visa-)Probleme auf: Während es in meinem Fall reine Vergesslichkeit gewesen ist, die einen Besuch und Express-Antrag beim russischen Konsulat nach sich zog, hatten die Olympiasieger Rogers/Dahlhausser bestenfalls eine Teilschuld an ihrer ungewollten Turnierabmeldung.
Die ärgerlichste Turnierabmeldung der Saison
Weil auf der Einladung des russischen Verbandes im Namen "Dahllhausser" ein "l" zu viel auftauchte, wurde das Visum verweigert und mangels ausreichender Zeit für eine korrigierte Einladung mussten die beiden die ungewöhnlichste und ärgerlichste Turnierabmeldung der Saison vermelden. Ich war nun bereits das vierte oder fünfte Mal in Moskau - gesehen habe ich von dieser Weltmetropole bisher aber leider nur sehr wenig. Neben unserem sehr eng gestrickten Turnierkalender erlaubt auch das Verkehrschaos auf Moskaus Straßen und die lokale Organisation leider keine touristischen Ausflüge, denn es fehlt einfach die Zeit!
Traditionell wird hier ein Spielerhotel auserkoren, das einige Kilometer vom Veranstaltungsgelände entfernt liegt und die durchschnittliche Fahrtzeit mit dem Bus beträgt an Werktagen 30-45 Minuten pro Strecke, Spitzenwerte waren in diesem Jahr zwei Fahrten mit einer Dauer von 60 bzw 90 Minuten. Da das Mittagessen aber im Hotel kredenzt wurde, verbrachte man bei zwei Spielen täglich ein gutes Stück des Tages im Bus. So blieb in erster Linie (reichlich) Zeit für die alljährliche Verkehrsanalyse und der Trend ist ungebrochen:
Fuhren bei meinem ersten Moskaubesuch vor knapp 10 Jahren hauptsächlich Autos der Kategorie "Lada, Wartburg und Co" durch die Straßen, hat das Luxussegment, vorrangig bestehend aus Autos deutscher Hersteller, mittlerweile eindeutig die Nase vorn. Da diese Autos nicht nur deutlich größer, sondern auch mit weniger Personen besetzt sind, kollabiert der Verkehr zumindest in den Stoßzeiten jeden Tag aufs Neue.
Lupenreine Demokratie sieht anders aus
Im Zusammenhang mit der Fußball-EM in Polen und der Ukraine wurde im Vorfeld über die Vergabepraxis von sportlichen Großereignissen sowie der nicht-sportlichen Meinungsäußerung von dort aktiven Sportlern heiß diskutiert. Wenn man sich den Turnierplan anschaut, dann tauchen auch in unserer Sportart einige Orte auf, deren Regierungen Menschenrechten nicht unbedingt höchste Priorität einräumen und eigentlich kann man es auch sagen, wie es ist: Es herrschen teilweise menschen- und freiheitsverachtende Zustände.
Als Sportler macht man sich natürlich schon so seine Gedanken, aber insbesondere in den nicht ganz so populären Sportarten ist zum einen die Medienwirksamkeit relativ gering und zum anderen kann man nicht wirklich einschätzen, inwiefern ein öffentliches Statement kurz- bis langfristige Folgen für die sportliche Karriere haben könnte. Dennoch habe ich mich ab und zu schon mal geärgert, dass wir Spieler nicht mal bei passender Gelegenheit eine kritische Äußerung oder Frage getätigt haben - auch in Moskau hätte sich im Nachhinein die Möglichkeit ergeben.
Während wir unser Turnier spielten und halbnackte Tänzerinnen in den Spielpausen ihr bestes gaben, wurde kurzfristig das Demonstrationsgesetz verschärft, um zwei Tage später unmittelbar vor einer friedlichen, aber regierungskritischen Demonstration Oppositionelle und populäre Regimekritiker vorübergehend zu verhaften - lupenreine Demokratie sieht anders aus...
Der Terminstress wird größer
Letztendlich ist es aber auch zu einfach, von den Sportlern zu erwarten, dass diese sich mit Vehemenz zu diesem oder einem der vielen anderen möglichen Themen öffentlich äußern, denn wir sind ja in erster Linie Teilnehmer und haben auf die Vergabepraxis der Sportveranstaltungen keinen Einfluss.
Man müsste vielleicht eher hinterfragen, warum insbesondere die wichtigsten sportlichen Großveranstaltungen immer wieder an Länder vergeben werden, die zwar reich sind, aber weder die entsprechenden sportlichen noch menschenrechtlichen Rahmenbedingungen vorweisen können. Wettkämpfe wie die Olympischen Spiele stehen immer auch für Völkerverständigung und friedliches Miteinander.
Anders als bei einigen nachfolgenden sportlichen Großereignissen, in deren Vorfeld diese Art der Diskussion mit Sicherheit wieder aufflackern wird, sind England und insbesondere London vor dieser Art der Diskussion gefeit.
Durch unsere nun auch offiziell bestätigte Qualifikation wird Olympia 2012 mehr und mehr präsent. Dies macht sich für uns durch die extrem große Zahl an Interviewanfragen genauso bemerkbar wie durch Einkleidungstermine oder auch das Ausfüllen dutzender Formulare für den DVV, DOSB, NOK, NADA, WADA, IOC, FIVB...
Bevor die Spiele dann endgültig beginnen, werde ich mich noch mal an dieser Stelle zu Wort melden und verabschiede mich bis dahin mit gleich zwei Photos des Tages, jeweils gefunden während unseres Aufenthaltes beim Turnier in Rom. Ich bin der italienischen Sprache nicht mächtig,aber ich glaube nicht, dass unsere Kanzlerin hierbei all zu gut wegkommt...
Bis dahin,
Euer Jonas
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